Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat | Entscheidungsdatum | 24.04.2012 | |
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Aktenzeichen | L 13 SB 331/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 69 SGB 9 |
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 27. August 2009 aufgehoben und der Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15. Juli 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2008 verpflichtet, für den Kläger ab dem 18. März 2008 einen Grad der Behinderung von 30 festzustellen.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).
Der 1969 geborene Kläger beantragte am 18. März 2008 die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und legte unter anderem das im Verfahren gegen den Rentenversicherungsträger eingeholte orthopädische Gutachten des D vom 12. November 2006 vor. Der Beklagte ließ die von dem Kläger vorgelegten Gutachten sowie den weiterhin eingeholten Befundbericht der behandelnden Allgemeinmedizinerin Dr. O in einer gutachtlichen Stellungnahme des Dr. F auswerten. Deren Einschätzungen folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 15. Juli 2008 einen GdB von 20 fest und legte dem als Funktionsbeeinträchtigung eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, operierte Bandscheibe (bewertet mit einem Einzel-GdB von 20) zu Grunde. Die Knorpelschäden am linken Kniegelenk würden keinen GdB von wenigstens 10 verursachen.
Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger einen MRT-Bericht zu seinem linken Kniegelenk vor. Der Beklagte holte eine gutachtliche Stellungnahme des Dr. S ein, der eine mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertende Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks befürwortete, aber die Einschätzungen des Beklagten zum GdB von 20 bestätigte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte aus, dass der GdB mit 20 zutreffend bewertet sei; als weitere Funktionsbeeinträchtigung werde die Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks aufgenommen, die sich jedoch nicht erhöhend auf den GdB auswirke.
Mit der am 17. Dezember 2008 zu dem Sozialgericht Neuruppin erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren auf Zuerkennung eines GdB von 30 weiter. Zur Klagebegründung hat der Kläger geltend gemacht, dass insbesondere die Erkrankungen der Wirbelsäule und seine Kniegelenkserkrankung mit höheren GdB zu berücksichtigen seien.
Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. B vom 9. Juli 2009 eingeholt, der zu der Auffassung kam, dass bei dem Kläger ein GdB von 20 (Einzel-GdB: Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, operierte Bandscheibe -20 sowie Knorpelschaden linkes Kniegelenk -10) seit März 2008 anzunehmen sei. Der Kläger hat das im Berufungsverfahren gegen den Rentenversicherungsträger eingeholte Gutachten des Orthopäden Dr. F vom 1. November 2008 nebst ergänzender Stellungnahme vom 17. März 2009 eingereicht. Durch Urteil vom 27. August 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, da nach dem eingeholten Gutachten des Dr. B die Voraussetzungen für einen höheren GdB als 30 nicht vorlägen.
Gegen das am 7. Oktober 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21. Oktober 2009 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Er verweist insbesondere darauf, dass das Sozialgericht den im Rentenverfahren durch den orthopädischen Sachverständigen Dr. F festgestellten Beckenschiefstand aufgrund der 1,5 cm betragenden Beinlängendifferenz nicht berücksichtigt habe. Weiterhin habe der Sachverständige Dr. F ein Postnukleotomieyndrom L5/S1 sowie eine Gonarthrose links festgestellt. Das Wirbelsäulenleiden des Klägers sei mit einem Einzel-GdB von 30 und das Kniegelenksleiden mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten, so dass sich ein GdB von zumindest 30 ergebe. Das Sachverständigengutachten des Dr. B sei lückenhaft und unvollständig und deswegen nicht ausreichend, um eine zutreffende Bewertung der bei ihm vorliegenden Behinderungen vorzunehmen.
Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. E vom 18. November 2011 nebst ergänzender Stellungnahme vom 13. Februar 2012 eingeholt. Dieser stellte einen GdB von 30 fest und legte dem folgende Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde (in Klammern jeweils die zugeordneten Einzel-GdB):
a) geringe Verschleißerscheinungen der Lendenwirbelsäule mit belastungsabhängig verstärkten Lumboischialgien bei geringer Funktionsbehinderung, Zustand nach Bandscheibenoperation (20)
b) geringe Coxarthrose bei geringer Hüftdysplasie mit minimalen funktionellen Auswirkungen (10)
c) mäßiger Verschleißzustand des linken Kniegelenks und des Kniescheibengleitlagers mit schmerzhafter Minderbelastbarkeit des linken Beines (10).
Zu dem Gutachten hat der Beklagte die versorgungsärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie Dr. W vom 4. Januar 2012 abgeben und ausgeführt, dass sich das mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete Kniegelenksleiden nicht erhöhend auf den GdB auswirken könne, zumal die Beibehaltung des Einzel-GdB von 10 für das linke Kniegelenk bereits als maximale Bewertung anzusehen sei. Hierzu hat der Sachverständige Dr. E in seiner ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass er von einem Ausnahmefall ausgehe, in welchem die Erhöhung des GdB durch einen Einzel-GdB von 10 gerechtfertigt sei.
Der Kläger beantragt
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 27. August 2009 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2008 zu verpflichten, für den Kläger ab dem 18. März 2008 einen Grad der Behinderung von 30 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auch nach der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Dr. Esei das Vorliegen eines GdB von 30 nicht nachvollziehbar. Hierzu wird eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr. W vom 29. März 2012 vorgelegt, in der ausgeführt wird, dass die Bewertung des Wirbelsäulenleidens mit 20 bereits großzügig sei und auch eine besondere Einschränkung der Bewegungsfähigkeit der Knie- und Hüftgelenke nicht feststellbar. Vielmehr seien die Bewegungseinschränkungen der Hüft- und Kniegelenke nach den Vorgaben der VersMedV nicht mit Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Es liege bei dem Kläger keinesfalls ein Zustand vor, der mit einem GdB von 30 zu bewerten sei.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die beigezogenen Akten aus dem Verfahren gegen den Rentenversicherungsträger vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben, und begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 27. August 2009 ist aufzuheben und der Bescheid vom 15. Juli 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2008 abzuändern, da der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung von 30 für die Zeit ab dem 18. März 2008 hat
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 IX sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 des Bundesversorgungsgesetzes zu bewerten. Hierbei sind als antizipiertes Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend dem streitgegenständlichen Zeitraum in der Fassung 2008. Seit dem 01. Januar 2009 sind die in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ in Form einer Rechtsverordnung in Kraft, welche die AHP –ohne Eintritt einer grundsätzlichen Änderung hinsichtlich der medizinischen Bewertung - abgelöst haben.
Der Kläger hat danach Anspruch auf die Feststellung eines GdB von 30 ab dem 18. März 2008. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der vorhandenen medizinischen Unterlagen, insbesondere sind insofern das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des orthopädischen Sachverständigen Dr. E vom 18. November 2012 sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 13. Februar 2012 von Bedeutung.
Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Dabei verbietet sich die Anwendung jeglicher Rechenmethoden, insbesondere die bloße Addition der Einzel-GdB (Teil A Nr. 3a der Anlage zu § 2 VersMedV bzw. Teil A Nr. 19.1 AHP 2008, Seite 24). Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zu § 2 VersMedV (bzw. Teil A Nr. 19.3 AHP 2008, Seite 25) ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen regelmäßig bis auf seltene Ausnahmefälle nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d) aa) – ee) der Anlage zu § 2 VersMedV sowie Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3, 4 und Teil A Nr. 19 AHP 2008, Seite 24 ff.).
Hauptleiden des Klägers ist das Wirbelsäulenleiden, das mit einem Einzel-GdB von 20 seit Antragstellung zu bewerten ist. Nach Teil A Nr. 26.18 AHP 2008 (Seite 116) und Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 der VersMedV sind Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 10 zu bewerten. Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem GdB von 20 und Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 30-40 zu bewerten.
Bei dem Kläger liegen geringe Verschleißerscheinungen der Lendenwirbelsäule mit belastungsabhängig verstärkten Lumboischialgien bei geringer Funktionsbehinderung und ein Zustand nach Bandscheibenoperation vor. Nach der Bandscheibenoperation im Jahr 2000 bestehen bei ihm Dauerkreuzschmerzen unterschiedlicher Intensität, die sich bei Bewegung und Belastung verstärken, sowie sensible Störungen links mit Schmerzausstrahlung in den linken Unterschenkel. Die Statik der Wirbelsäule erscheint regelrecht ohne seitliche Fehlhaltung, es besteht eine Beinlängendifferenz bei Nachmessen von links 0,5 cm bzw. nach der Beckenübersichtsaufnahme von 0,4 cm. Bei der klinischen Untersuchung wurde die Funktion der Wirbelsäule um ca. 30% gemindert vorgeführt mit Bewegungsschmerzen bei maximaler Beugung. Röntgenologisch finden sich Bandscheibenschäden im Bereich L5/S1 sowie degenerative Veränderungen im Bereich der unteren Brustwirbelkörper. Nervenwurzelreizerscheinungen und Lähmungen finden sich nicht, die Muskeleigenreflexe sind regelrecht auslösbar. Zehen- und Fersenstand, Gang und einseitiger Stand sowie Hüpfen erfolgen sicher. Im Bereich der Halswirbelsäule besteht ein geringes Halswirbelsäulensyndrom mit rezidivierenden Schulterschmerzen. Die physiologische Krümmung der Halswirbelsäule ist regelrecht sowie die Beweglichkeit frei und nicht schmerzhaft. Auch die Bewegefunktion in den Schultergelenken ist nicht eingeschränkt. Dies entnimmt der Senat den Feststellungen des Sachverständigen Dr. E in seinem Sachverständigengutachten vom 18. November 2011.
Diese Leiden sind in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Sachverständigen Dr. E zur Überzeugung des Senats (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) seit Antragstellung mit einem GdB von 20 zu bewerten. Etwas anderes ergibt sich weder aus den im Verfahren gegen den Rentenversicherungsträger eingeholten Gutachten, insbesondere dem orthopädischen Gutachten des Dr. F, der eine Einschätzung hinsichtlich des GdB nicht vornimmt, noch aus den sonstigen vorliegenden medizinischen Unterlagen. Auch durch die Einschätzung des Beklagten wird die Bewertung des Wirbelsäulenleidens mit einem Einzel-GdB von 20 seit Antragstellung bestätigt.
Weiterhin besteht bei dem Kläger ein mäßiger Verschleißzustand des linken Kniegelenks und des Kniescheibengleitlagers mit schmerzhafter Minderbelastbarkeit des linken Beines, der mit einem Einzel-GdB von 10 seit Antragstellung zu bewerten ist. Dem Gutachten des Sachverständigen Dr. E ist insofern zu entnehmen, dass bei dem Kläger bei der Bewegungsprüfung eine freie seitengleiche Bewegungsfunktion beider Knie ohne Bandinstabilität feststellbar war. Linksseitig weist das Knie degenerative Veränderungen auf, die Kniescheibe ist druckschmerzhaft. Röntgenologisch ist ein initialer Knorpelschaden der Kniescheibenrückfläche und im Bereich des Gleitlagers ein mittelgradiger Knorpelschaden erkennbar. Die vergleichende Umfangsmessung des Muskelmantels der unteren Extremitäten hat eine Minderung des Muskelmantels links von 2 cm bzw. 2,5 cm ergeben, die nach Einschätzung des Sachverständigen Dr. E auf eine länger andauernde Minderbelastbarkeit des linken Beines schließen lässt.
In Übereinstimmung mit der Anlage zu § 2 VersMed V, Teil B Nr. 18.14 sowie Nr. 26.18 AHP 2008 (Seite 126) bewertet der Sachverständige Dr. E diese Kniegelenksleiden überzeugend mit einem Einzel-GdB von 10. Danach sind ausgeprägte einseitige Knorpelschäden mit anhaltenden Reizerscheinungen ohne Bewegungseinschränkungen mit einem GdB von 10 zu bewerten. Diesen Kriterien der VersMedV bzw. AHP entspricht die Einschätzung des Einzel-GdB von 10 durch den Sachverständigen Dr. E. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem im Rentenverfahren eingeholten Sachverständigengutachten des Dr. F der ebenfalls ausgeprägte Knorpelschäden (Chondropathie) des linken Kniegelenks diagnostiziert. Zudem ergibt sich nichts anderes unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Dr. W vom 29. März 2012, die das Kniegelenksleiden lediglich anhand der Bewegungsausmaße bewertet.
Zudem leidet der Kläger unter einer geringen Coxarthrose bei geringer Hüftdysplasie mit minimalen funktionellen Auswirkungen, die ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind. Der Sachverständige Dr. E hat insofern mitgeteilt, dass bei Bewegung und Belastung Schmerzen in unterschiedlicher Intensität an der linken Hüftseite auftreten und die Röntgenaufnahmen geringe Verschleißerscheinungen beider Hüftgelenke zeigen würden. Bei der Bewegungsprüfung zeigt sich eine normale Funktion der Hüftgelenke bis auf eine leicht geminderte Innendrehbeweglichkeit beidseits. Unter Berücksichtigung der Vorgaben der Anlage zu § 2 VersMed V, Teil B Nr. 18.14 sowie Nr. 26.18 AHP 2008 (Seite 125) folgt der Senat den Einschätzungen der Sachverständigen Dr. E, dass auch der GdB für das Hüftleiden mit 10 zu bemessen ist. Denn danach sind Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke geringen Grades mit einem GdB von 10 zu bewerten. Dass solche Bewegungseinschränkungen vorliegen hat der Sachverständige auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass in den Vorgaben der VerMedV als eine Streckung/Beugung bis zu 0-10-90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit genannt ist, begründet. Insofern ergibt sich auch aus der Stellungnahme der Dr. Wvom 29. März 2012 nichts anderes.
Aus den genannten Funktionsbeeinträchtigungen ist unter Berücksichtigung der oben dargestellten Kriterien ab Antragstellung ein GdB von insgesamt 30 zu bilden.
Ausgehend von dem Wirbelsäulenleiden des Klägers, das durchgängig ab März 2008 mit einem Einzel-GdB von 20 zu berücksichtigen ist, findet im vorliegenden Fall eine Erhöhung des GdB auf 30 durch das Kniegelenksleiden statt, welches seit Antragstellung mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten ist. Zwar führen mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete Leiden nach Teil A Nr. 3 d) ee) der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3, 4 und AHP 2008 (Seite 26) von Ausnahmefällen abgesehen nicht zu einer Erhöhung des GdB. Der Sachverständige Dr. E hat vorliegend einen solchen Ausnahmefall jedoch bejaht und in seiner ergänzenden Stellungnahme ausführlich begründet. Hierzu hat er ausgeführt, dass die erforderlichen Ausgleichsbewegungen für das bei schmerzhaftem Wirbelsäulensyndrom eingeschränkte Bücken die Kniebewegung oder das Hocken sei. Diese Ausgleichsbewegungen seien jedoch durch die schmerzhafte Funktionsstörung der Hüfte und insbesondere den festgestellten Zustand des linken Kniegelenks mit Knorpelschaden und schmerzhafter Funktion im Falle des Klägers eingeschränkt. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass eine deutliche Minderbelastbarkeit des Kniegelenks -kenntlich an einer deutlichen Minderung des Muskelmantels von 2 cm bzw. 2,5 cm- nachgewiesen sei. Angesichts der Tatsache, dass diese Muskelminderung auch im Jahr 2008 bereits dokumentiert sei, während das Gutachten des Dr. B keine Umfangmessungen dokumentiere, könne von einer seit Antragstellung unveränderten Situation in dieser Hinsicht ausgegangen werden. Danach sei es gerechtfertigt, den GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden im Falle des Klägers seit Antragstellung auf 30 zu erhöhen.
Die von dem Sachverständigen dargelegte Situation in diesem speziellen Einzelfall ist danach mit dem in den AHP bzw. der VersMedV beispielhaft genannten Ausnahmefall der hochgradigen Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit vergleichbar. Denn auch im Falle des Klägers ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen durch das mit dem GdB von 10 zu bewertende Knieleiden eine Ausgleichsfunktion für sein Hauptleiden erheblich eingeschränkt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Stellungnahme der Dr. W. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Dr. Ehrlich für die Frage der gegenseitigen Verstärkung der Leiden und der Einschränkung von Ausgleichsfunktionen nicht nur oder auch nur maßgeblich auf die Schmerzhaftigkeit von Knie und Hüfte abstellt, sondern auf die von ihm tatsächlich festgestellten Beeinträchtigungen der Ausgleichsfunktionen dieser Bewegungsorgane und zudem die von ihm befürwortete und ausführlich sowie nachvollziehbar begründete Minderbelastbarkeit des linken Beines. Letztlich hat die Versorgungsärztin Dr. W den Kläger insbesondere nicht selbst untersucht, wie es der Sachverständige Dr. E getan hat. Insofern folgt der Senat dessen Einschätzung, dass im speziellen Einzelfall des Klägers der Einzel-GdB von 10 für das Kniegelenksleiden ausnahmsweise geeignet ist, den GdB auf insgesamt 30 zu erhöhen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision war mangels Vorliegen der Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.