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Kinder- und Jugendhilfe- sowie Jugendförderungsrecht


Metadaten

Gericht VG Cottbus 1. Kammer Entscheidungsdatum 19.07.2017
Aktenzeichen 1 K 471/15 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2017:0719.1K471.15.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 42 SGB 8, § 92 Abs 1 SGB 8, § 92 Abs 3 SGB 8, § 94 Abs 3 SGB 8, § 94 Abs 4 SGB 8, § 27 SGB 8, § 34 SGB 8

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 19. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2015 wird aufgehoben, soweit der Kläger für den Zeitraum vom 26. September 2014 bis zum 29. Oktober 2014 zu einem Kostenbeitrag herangezogen wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtsgebühren nicht erhoben werden, tragen der Kläger zu elf Zwölftel und der Beklagte zu einem Zwölftel.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Beteiligten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweils andere vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu den Kosten der von dem Beklagten hinsichtlich seines Sohnes gewährten Jugendhilfemaßnahmen.

Der Kläger ist Vater des am 5. Juli 1998 geborenen …, der nach Trennung der Kindeseltern zuletzt in seinem Haushalt lebte. Am 26. September 2014 nahm das Jugendamt des Beklagten … auf dessen Wunsch in Obhut, worüber der Beklagte den Kläger mit Bescheid vom selben Tage in Kenntnis setzte. Mit Schreiben ebenfalls vom 26. September 2014 leitete der Beklagte zudem beim Amtsgericht … – Familiengericht – einen Sorgerechtsstreit ein und beantragte den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Im Rahmen der daraufhin am 1. Oktober 2014 durchgeführten mündlichen Verhandlung erklärte sich der Kläger damit einverstanden, dass sein Sohn zunächst bis zur Klärung der Angelegenheit in einer Jugendhilfeeinrichtung verbleibt. Am 10. November 2014 beantragte der Kläger sodann bei dem Beklagten die Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Form von Heimerziehung, die der Beklagte mit Bescheid vom 13. November 2014 mit Wirkung zum 1. Oktober 2014 bewilligte.

Bereits mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 wies der Beklagte den Kläger auf dessen Kostenbeitragspflicht hin, belehrte ihn über die Folgen für seine Unterhaltspflichten und bat um Auskunft zu dessen Einkommensverhältnissen. Das Schreiben wurde dem Kläger, nachdem ein erster Zustellversuch am 11. Oktober 2014 scheiterte, am 29. Oktober 2014 zugestellt.

Mit Heranziehungsbescheid vom 19. Dezember 2014 setzte der Beklagte sodann den Kostenbeitrag des Klägers auf einen dem von diesem für Sebastian bezogenen Kindergeld entsprechenden Betrag in Höhe von monatlich 184 Euro fest, und zwar ab dem 26. September 2014.

Hiergegen erhob der Kläger am 29. Dezember 2014 Widerspruch, den er mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 13. Januar 2015 damit begründen ließ, dass ihm trotz der Heimunterbringung seines Sohnes für diesen monatliche Kosten mindestens in Höhe des Kindergeldes entstünden, so dass seine Heranziehung unangemessen sei. Diesen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2015, dem Kläger zugestellt am 14. März 2015, unter Hinweis auf die Regelung des § 94 Abs. 3 des Sozialgesetzbuches (SGB) VIII zurück.

Am 10. April 2015 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

Er ist der Auffassung, dass die ohne bzw. gegen seinen Willen erfolgte Unterbringung seines Sohnes in einer Jugendhilfeeinrichtung rechtswidrig sei, zumal zuvor auch keine familiengerichtliche Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes auf das Jugendamt des Beklagten erfolgt war. Schon deshalb bestehe keine Kostenbeitragspflicht. Sein Sohn sei nach wie vor bei ihm gemeldet und er halte ein Zimmer für ihn vor. Hierfür sowie im Zusammenhang mit dem familiengerichtlichen Verfahren entstünden ihm erhebliche Kosten, etwa für die Wahrnehmung der Gerichtstermine und für Fahrten zu der Gutachterin. Zudem besuche ihn sein Sohn seit Juli 2015 vierzehntägig am Wochenende, auch pflege er Telephonkontakte und helfe ihm bei dessen Bewerbungen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 19. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt im Wesentlichen vor, dass zugunsten von … eine Hilfeleistung über Tag und Nacht erfolge, mit der die Kindeseltern sich im Rahmen des familiengerichtlichen Verfahrens auch einverstanden erklärt hätten. § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII bestimme für derartige Fälle, dass von dem Elternteil, welcher – wie hier der Kläger - Kindergeld für den von der Jugendhilfemaßnahme betroffenen jungen Menschen beziehe, jedenfalls ein Kostenbeitrag in Höhe dieses Kindergeldes zu zahlen sei. Relevante Beurlaubungen …, die insoweit zu einem Abschlag führen würden, seien nicht erfolgt, selbst die vierzehntägigen Besuche bei dem Kläger fänden auf … Wunsch ohne Übernachtung statt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten und des Vortrages der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang (3 Hefte) ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage kann die Kammer gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich der Kläger und der Beklagte hiermit einverstanden erklärt haben.

Die als Anfechtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist zu einem geringen Teil begründet. Der Heranziehungsbescheid vom 19. Dezember 2014 ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit deshalb in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO (hierzu unter 2.). Soweit der Kläger sich dagegen auch gegen seine Heranziehung für den Zeitraum ab dem 30. Oktober 2014 wendet, ist die Klage unbegründet (hierzu sogleich unter 1.).

1. Rechtsgrundlage der Heranziehung des Klägers zu einem Kostenbeitrag ist § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII i. V. m. § 91 Abs. 1 Nr. 5 lit. b und Nr. 7 SGB VIII.

Hiernach sind Elternteile zu den Kosten der Hilfe zur Erziehung in einem Heim oder einer sonstigen betreuten Wohnform im Sinne von § 34 SGB VIII sowie zu den Kosten der Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen aus ihrem Einkommen nach Maßgabe der §§ 93 und 94 SGB VIII heranzuziehen. Gemäß § 92 Abs. 2 SGB VIII erfolgt die Heranziehung durch Erhebung eines Kostenbeitrages, der durch Leistungsbescheid festgesetzt wird. Der Umfang der Heranziehung bestimmt sich nach § 94 SGB VIII. Werden Leistungen über Tag und Nacht außerhalb des Elternhauses erbracht und bezieht einer der Elternteile Kindergeld für den jungen Menschen, so hat dieser jedenfalls einen Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes zu zahlen, § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII.

Nach Maßgabe dieser Bestimmungen war der Beklagte grundsätzlich berechtigt, den Kläger zu einem Kostenbeitrag in Höhe des von diesem für seinen Sohn bezogenen Kindergeldes heranzuziehen, nachdem er für … Leistungen über Tag und Nacht gemäß §§ 27, 34 bzw. 42 SGB VIII erbracht hat.

Entgegen der Auffassung des Klägers erfolgte die Hilfegewährung rechtmäßig, insbesondere war der Beklagte zu der Inobhutnahme … am 26. September 2014 gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII berechtigt und verpflichtet, nachdem … selbst um Obhut gebeten hatte. Auf eine Zustimmung der Personensorgeberechtigten oder eine vorherige familiengerichtliche Entscheidung kommt es insoweit nicht an. Vielmehr genügt es gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 2 SGB VIII, dass die Personensorgeberechtigten unverzüglich von der Inobhutnahme unterrichtet werden und dass im Falle ihres Widersprechens unverzüglich eine Entscheidung des Familiengerichtes herbeigeführt wird. Beides ist hier noch am 26. September 2014 erfolgt, wobei der Kläger nachfolgend am 1. Oktober 2014 doch noch sein Einverständnis mit dem Verbleib … in der Jugendhilfeeinrichtung vorerst erklärt und sodann auch einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung in Form von Heimerziehung gemäß § 34 SGB VIII gestellt hat. Im Hinblick auf diesen Antrag erfolgte auch die Gewährung der Hilfe zur Erziehung ab dem 1. Oktober 2014 rechtmäßig.

Auch die im Übrigen von dem Kläger gegen seine Heranziehung vorgebrachten Einwände vermögen nicht zu überzeugen.

Dass … seinen Vater ab Juli 2015 vierzehntägig besucht hat, hat auf die Kostenbeitragspflicht des Klägers keine Auswirkung. Gemäß § 94 Abs. 4 SGB VIII ist, wenn Leistungen über Tag und Nacht erbracht werden und sich der junge Mensch nicht nur im Rahmen von Umgangskontakten bei einem Kostenbeitragspflichtigen aufhält, die tatsächliche Betreuungsleistung über Tag und Nacht auf den Kostenbeitrag anzurechnen. Hier fehlt es jedoch schon an einer Betreuungsleistung des Klägers über Tag und Nacht, da … nach den übereinstimmenden Angaben beider Beteiligter im Rahmen seiner Besuche nicht bei dem Kläger übernachtete. Ohnehin gingen diese Besuche ersichtlich nicht über bloße Umgangskontakte hinaus.

Ebenso wenig wirkt es sich angesichts dessen auf die Kostenbeitragspflicht des Klägers aus, dass er auch telephonisch Kontakt mit seinem Sohn hielt, diesen in der Einrichtung besuchte und ihm bei seinen Bewerbungen half. Gleiches gilt schließlich für die allgemeinen Lebenshaltungskosten sowie die Fahrtkosten, auf die der Kläger sich beruft. Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe sind Teil der öffentlichen Fürsorge, durch die die elterliche Erziehung unterstützt und ergänzt wird. Der angemessene – und keinesfalls kostendeckende – Einsatz von Einkommen und Vermögen der eigentlich Leistungsverpflichteten wie etwa der Eltern entspricht dem konstitutivem Nachrang der sozialen Leistungsverwaltung. Da im Rahmen vollstationärer Hilfen auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen durch den öffentlichen Jugendhilfeträger sicherzustellen ist (vgl. § 39 SGB VIII) und die Eltern insoweit maßgeblich entlastet werden, hat es der Gesetzgeber als sachgerecht und angemessen erachtet, hierfür zumindest das Kindergeld aufzuwenden.

2. Gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII kann ein Kostenbeitrag bei Eltern allerdings erst ab dem Zeitpunkt erhoben werden, ab welchem dem Pflichtigen die Gewährung der Leistung mitgeteilt und er über die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jungen Menschen aufgeklärt wurde.

Hier ist die entsprechende Mitteilung vom 7. Oktober 2014 dem Kläger jedoch ausweislich der im Verwaltungsvorgang des Beklagten befindlichen Postzustellungsurkunde erst am 29. Oktober 2014 nachweislich zugegangen. Eine Kostenbeitragspflicht des Klägers bestand daher erst ab dem 30. Oktober 2014.

Der Beklagte war auch nicht gemäß § 92 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII berechtigt, den Kostenbeitrag ohne vorherige Mitteilung zu erheben, was für einen Zeitraum möglich ist, in welchem der Träger der öffentlichen Jugendhilfe aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen, die in den Verantwortungsbereich des Pflichtigen fallen, an der Geltendmachung gehindert war. Zwar ist dem vorliegenden Verwaltungsvorgang insoweit zu entnehmen, dass am 11. Oktober 2014 ein erster Zustellversuch gescheitert war. Entgegen dem Vortrag des Beklagten war dies aber nicht auf den zwischenzeitlichen Umzug des Klägers zurückzuführen. Vielmehr lässt sich der entsprechenden Postzustellungsurkunde entnehmen, dass die Anschrift des Klägers durch den Postzusteller berichtigt worden ist. Als Grund für den erfolglosen Zustellungsversuch ist dementsprechend nicht der Wechsel der Anschrift des Klägers, sondern das Fehlen des Aktenzeichens auf dem Schriftstück vermerkt und damit ein Grund, der nicht in den Verantwortungsbereich des Klägers fällt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.