Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 12.02.2013 | |
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Aktenzeichen | OVG 7 N 63.13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 82 Abs 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 4 VwGO, § 124a Abs 4 S 4 VwGO, § 5 Abs 2 AufenthG, § 10 Abs 3 AufenthG, § 27 Abs 1 AufenthG, § 28 Abs 1 S 1 Nr 1 AufenthG, § 60a Abs 2 S 2 AufenthG, § 39 Nr 5 AufenthV |
Die Beantragung eines Aufenthaltstitels aus dem Bundesgebiet nach § 39 Nr. 5 AufenthV setzt voraus, dass die Duldung nicht nur für die beabsichtigte Eheschließung erteilt wurde, sondern die Abschiebung aus anderen Gründen ausgesetzt ist und der Einholung eines Titels für den Daueraufenthalt im Wege des Visumverfahrens entgegensteht.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. März 2012 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 EUR festgesetzt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) sowie der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
1. Soweit der Kläger als fehlerhaft angreift, dass das Verwaltungsgericht seine Klage als unzulässig abgewiesen hat, weil die angegebene Anschrift nicht seine Wohnanschrift sei, enthält das Zulassungsvorbringen keine schlüssige Gegenargumentation. Der Kläger hat selbst vorgetragen, dass er sich unter der angegebenen Anschrift nicht aufhalte, weil er befürchte, verhaftet zu werden. Tatsächlich, was auch das Verwaltungsgericht feststellt, ist er dort nie angetroffen worden. Insofern sind die vagen Hinweise darauf, dass er sich gelegentlich auch unter der angegebenen Wohnanschrift seiner Ehefrau aufhalte, ungeeignet zu begründen, dass es sich auch um seine Wohnanschrift handele. Denn dafür ist erforderlich, dass der Betreffende sich dort tatsächlich aufhält und deshalb auch regelmäßig dort angetroffen werden kann. Entsprechendes Vorbringen ließe sich im Zulassungsvorbringen auch glaubhaft machen, etwa durch eidesstattliche Versicherungen von Zeugen. Dergleichen ist nicht geschehen. Möglicherweise könnte die rechtliche Beurteilung, ob der Kläger verpflichtet ist, in seiner Lage seine Wohnung zu bezeichnen, eine auch in Ansehung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts schwierigere Rechtsfrage sein (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 – 1 C 24.97 -, NJW 1999, 2608, juris Rn. 40), deren Beantwortung nur in einem Berufungsverfahren erfolgen könnte; das ist indessen mit dem Zulassungsvorbringen nicht dargelegt. Dieses beschränkt sich vielmehr darauf, die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Kläger wohne nicht unter der angegebenen Adresse zu bezweifeln, was - wie ausgeführt - nicht in hinreichender Weise geschieht und damit das Entscheidungsergebnis nicht durchgreifend in Frage zu stellen vermag. Dass er sonst nicht über eine Wohnung mit ladungsfähiger Anschrift verfügt, hat der Kläger hiernach nicht – auch nicht der Sache nach – vorgetragen. Für das Ergebnis kann dies jedoch letztlich dahinstehen, denn das Verwaltungsgericht hätte die Klage auch dann zu Recht abgewiesen, wenn es sich bei der angegebenen Anschrift um die Wohnung des Klägers handelte oder er es aus anderen Gründen bei der Benennung dieser Anschrift bewenden lassen durfte.
2. Auch das Vorbringen des Klägers zur Anwendung des § 39 Nr. 5 AufenthV vermag nämlich nicht zur Zulassung des Rechtsmittels zu führen. Es begründet zunächst keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Das Verwaltungsgericht hat die Vorschrift in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des bisher zuständigen 11. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg angewendet (vgl. den Fall des Klägers betreffend: Beschluss vom 17. Januar 2011 – OVG 11 S 51.10 -, juris Rn. 4 ff., 10). Die dieser Rechtsprechung zugrundeliegenden Rechtsauffassung wird vom beschließenden Senat geteilt; die Zulassungsbegründung zeigt keine Gründe auf, die diese Rechtsauffassung durchgreifend in Frage stellen würden. Jedenfalls reicht dafür der breite Hinweis auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 5. März 2008 – 11 S 378.08 -) nicht aus. Abgesehen davon, dass der Verwaltungsgerichtshof in dem von ihm zu entscheidenden Fall wohl eine abweichende tatsächliche Bewertung der Ausgangsumstände vorgenommen hat, die zu einem strikten Anspruch auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis führt und damit von den vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Umständen abweicht, kann dieser Entscheidung, was die Auslegung von § 39 Nr. 5 AufenthV angeht, grundsätzlich nicht gefolgt werden.
3. Eine zulassungsrelevante Divergenz des Urteils von der Rechtsprechung des (übergeordneten) Oberverwaltungsgerichts liegt in der Frage, ob eine Duldung für Zwecke der Eheschließung und ihr Vorliegen im Zeitpunkt des Antrages auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ungeachtet dessen, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine verfahrensunabhängige Duldung mehr erteilt war, für die Anwendung des § 39 Nr. 5 AufenthV ausreicht, nicht vor. Denn insoweit liegen nur Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zu der Vorschrift vor, die fordern, dass der Ausländer noch im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Antrag geduldet sein müsse, um in den Genuss der verfahrensrechtlichen Privilegierung zu kommen, die Antragstellung außerhalb des Visumverfahrens im Bundesgebiet vornehmen zu dürfen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 23. August 2011 – OVG 3 S 87.11 -, juris; vom 16. Januar 2008 – OVG 2 S 4.08 – und vom 22. August 2007 – OVG 2 S 61.07 –, jeweils veröffentlicht in juris), und darüber hinaus verlangen, dass die Aussetzung der Abschiebung aus anderen Gründen erfolgen müsse als für den Zweck, die Eheschließung zu ermöglichen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Januar 2011, a.a.O.). Auf die – allerdings weitgehend mit der hiesigen überein-stimmenden – Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte anderer Länder, mithin auch die vom Kläger herangezogene ältere abweichende Entscheidung des VGH Baden-Württemberg, auf die sich der Kläger beruft, kommt es nicht an.
4. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vermag auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zu begründen. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs ist nämlich nicht mit der (für die geltende Rechtslage zeitlich nachfolgenden) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Einklang zu bringen, wonach es für die Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich – von hier nicht einschlägigen Ausnahmefällen abgesehen – auf den Zeitpunkt der Entscheidung, im Streitfall auf den Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung ankommt (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. August 2008 – 1 C 32.07 –, BVerwGE 131, 370, juris Rn. 17, vom 7. April 2009 – 1 C 17.08 -, BVerwGE 133, 329, juris Rn. 10 und zuletzt vom 29. November 2012 – 10 C 4.12 -, Rn. 12). Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs behandelt diesen Gesichtspunkt zwar auch und modifiziert insoweit sogar die eigene Rechtsprechung im Urteil vom 15. September 2007 – 11 S 837/06 -, InfAuslR 2008, 24 (a.a.O., Rn. 11 a.E.). Dabei trägt er aber dem Umstand nicht ausreichend Rechnung, dass § 39 Nr. 5 AufenthV als (begrenzte) Spezialvorschrift ein Merkmal des in der Vorschrift vorausgesetzten (strikten) Anspruchs auf die Aufenthaltserlaubnis, nämlich das Erfordernis des § 5 Abs. 2 AufenthG, verdrängt und hierin seinen Sinn findet. Die Vorschrift bezweckt gerade, einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer, dessen Abschiebung tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist und der deshalb geduldet wird und regelmäßig zur vorherigen Einholung eines Visums nicht ausreisen kann, die Einholung des Aufenthaltstitels im Bundesgebiet zu ermöglichen, wenn er den Anspruch unter der Duldung auf Grund der genannten Ereignisse erworben hat. Damit trägt sie den Belangen des Schutzes von Ehe und Familie Rechnung. Ohne die Privilegierung blieben lediglich geduldete Ausländer von dem Anspruch auf Erteilung eines ihnen infolge Verheiratung oder der Geburt eines Kindes zustehenden Aufenthaltstitels ausgeschlossen und wären von einer Ermessensentscheidung im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abhängig. Unter Berücksichtigung des für die Anspruchsbeurteilung maßgeblichen Zeitpunkts müssen die Voraussetzungen auch des § 39 Nr. 5 AufenthV in diesem Zeitpunkt (noch) erfüllt sein. Wäre nämlich die Duldung kein Hinderungsgrund mehr, das Visumverfahren zu durchlaufen, entfiele der Grund für die Privilegierung des Ausländers hinsichtlich des Visumserfordernisses. Nur die Duldung im Zeitpunkt des Anspruchserwerbs oder der Antragstellung zu fordern, würde zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung mit anderen Ausländern führen, die trotz im Übrigen gleicher Anspruchsvoraussetzungen für den Daueraufenthalt am Visumerfordernis nach § 5 Abs. 2 AufenthG festgehalten werden. Diese Folge lässt sich nur vermeiden, wenn die Voraussetzungen des § 39 Nr. 5 AufenthV ebenfalls am maßgeblichen Zeitpunkt für die Anspruchsbeurteilung gemessen werden, was zur Folge hat, dass die Duldung ggf. noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz andauern muss. Diese Auslegung entspricht auch dem Wortlaut der Vorschrift („ seine Abschiebung …ausgesetzt ist“). Ist es daher unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwingend, dass eine Duldung des Ausländers noch im Zeitpunkt der (letzten) Tatsachenentscheidung vorliegt, besteht trotz dieser vereinzelten abweichenden Entscheidung eines anderen Oberverwaltungsgerichts ausnahmsweise kein grundsätzlicher Klärungsbedarf im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).