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Ausbaubeiträge nach dem Kommunalabgabengesetz einschl. Kostenerstattung für Gehwegüberfahrten


Metadaten

Gericht VG Potsdam 12. Kammer Entscheidungsdatum 11.04.2014
Aktenzeichen VG 12 K 988/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 169 AO, § 170 Abs 1 AO, § 242 Abs 9 BauGB, § 1 Abs 3 KAG BB, § 12 Abs 1 Nr 4b KAG BB

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Heranziehung zu Kosten des Ausbaus der Straße ... in ... .

Der Kläger ist Eigentümer eines 1.005 m² großen Grundstücks mit der postalischen Anschrift ... 40, bestehend aus dem Flurstück .. der Flur 9 in der Gemarkung ... . Das Grundstück liegt im Gebiet des Bebauungsplanes Nr.1 „Dichter und Denker“ und ist mit 2 Vollgeschossen bebaubar.

Die Straße ... wies bis zu ihrem Ausbau einen gewissen straßenbautechnischen Unterbau auf. Die Oberfläche war unbefestigt und mit Schotter und Bauschutt durchsetzt. Die Straße war mit einem gepflasterten Gehweg sowie einer Beleuchtung versehen, eine Straßenentwässerung über einen Kanal war nicht vorhanden.

Nach dem Ausbau im Jahr 2006 weist die Straße eine überwiegende Fahrbahnbreite von 4,75m auf und verfügt über eine einseitige Muldenentwässerung sowie Straßenbegleitgrün. Sie wurde in der Bauklasse IV errichtet und es wurden Tiefborde gesetzt. In einem kleinen Teilbereich am südlichen Ende zwischen ... Straße und ... Straße wurde eine Mischverkehrsfläche aus 3,50m breitem Asphalt und 1,20m breitem Pflaster hergestellt. Die Beleuchtung und die Zufahrten wurden erneuert. Zeitgleich mit dem Ausbau der Straße ... wurden Teilstrecken der ... -Straße und der ... straße ausgebaut sowie die Kreuzungen mit diesen Straßen gepflastert. Der für einige Kreuzungsbereiche notwendige Grunderwerb war 2007 abgeschlossen. Für den Ausbau entstanden Kosten in Höhe von insgesamt 612.846,97 €, von denen 50 % als grundsätzlich umlagefähiger Aufwand berücksichtigt wurden. Von dieser Summe wurden wegen des teilweisen Rückbaus des 2002 hergestellten Gehweges nochmals 9.600 € in Abzug gebracht, so dass sich ein umlagefähiger Aufwand in Höhe von 296.823,48 € ergab.

Unter Anwendung der Straßenausbaubeitragssatzung vom 25. August 2004 legte der Beklagte diese Kosten auf die anliegenden Grundstücke um und setzte gegenüber dem Kläger mit Bescheid vom 10. Oktober 2007 einen Straßenausbau-beitrag in Höhe von 4.259,41 € fest. Nach einer internen Überprüfung kam der Beklagte zu dem Ergebnis, dass die Beiträge zu Unrecht auf der Grundlage der Straßenbaubeitragssatzung erhoben worden seien, weil die Errichtung der Fahrbahn inklusive des Straßenbegleitgrüns und der Oberflächenentwässerung als erstmalige Herstellung angesehen werden müsste. Die Beitragserhebung müsse daher auf der Grundlage der Erschließungsbeitragssatzung vom 16. Dezember 2004 vorgenommen werden.

Aus diesem Grund erfolgte gegenüber dem Kläger mit Bescheid vom 15. Dezember 2010 die Nacherhebung eines Erschließungsbeitrags in Höhe von 1.770,19 €. Dabei wurde für das 1005 m² große Grundstück des Klägers - wie schon zuvor beim Ausbaubeitragsbescheid - der Nutzungsfaktor 1 zu Grunde gelegt.

Hiergegen erhob der Kläger rechtzeitig Widerspruch und begründete diesen im Wesentlichen damit, dass die Straße ... vor dem Ausbau keine Sandstraße gewesen sei. Die Fahrbahn habe vielmehr aus einer Packlage, einem Grundbau aus Recyclingmaterial und einer Schotterung bestanden und habe den örtlichen Ausbaugepflogenheiten zum damaligen Zeitpunkt entsprochen. In gleicher Weise seien z. B. auch der Normannenweg und der Germanenweg hergestellt worden, wobei diese beiden Straßen zu DDR-Zeiten mit einer Asphaltdecke überzogen worden seien. Der dortige Ausbau könne jedoch, abgesehen von begrenzten materiellen Möglichkeiten, auch am Unterschied in den Funktionen der Straßen gelegen haben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2011 wurde der Widerspruch zurückge-wiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 11. Juli 2007 klargestellt habe, dass das Erschließungsbeitragsrecht nur dann keine Anwendung finde, wenn eine Erschließungsanlage bzw. einzelne Teileinrichtungen auf der gesamten Länge der Anlage bereits vor dem 3. Oktober 1990 hergestellt waren. Dies sei bei der Straße ... nicht der Fall gewesen. Das vor der Baumaßnahme gefertigte Baugrundgutachten habe zwar teilweise Durchmischungen von Sand und Schotter aufgewiesen, eine sich über die gesamte Straße erstreckende Befestigung im Sinne eines grundhaften Ausbaus sei jedoch nicht festgestellt worden. Das Flickenwerk aus Schotter im aufzunehmenden Grund sei auch darauf zurückzuführen, dass die größten Schlaglöcher zur Herstellung einer provisorischen Befahrbarkeit der Straße immer wieder mit Schutt und Schottermaterialien aufgefüllt worden seien. Selbst wenn die Straße auf der gesamten Strecke mit Packlage befestigt gewesen sei, so habe ein solcher Ausbau nicht den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprochen. Das Bundesverwaltungsgericht setze hierfür einen kunstmäßigen Ausbau einer Straße voraus, also ein Mindestmaß an straßenbautechnischer Bearbeitung der Oberfläche mit einer zumindest primitiven Form von Entwässerung und einer den sicheren Haus-zu-Haus-Verkehr ermöglichenden Beleuchtung. Für die Frage der örtlichen Ausbaugepflogenheiten sei auf das über einen längeren Zeitraum feststellbare Verhalten der Gemeinde bei der bautechnischen Herstellung von Erschließungsanlagen abzustellen. Ein „Sich abfinden“ mit aus Material- oder Geldmangel eingerichteten Provisorien sei daher nicht geeignet, örtliche Ausbaugepflogenheiten zu begründen. Der Ortschronik für ... -Siedlung sei zu entnehmen, dass bereits bei der Parzellierung des ehemaligen Rittergutes ... im Jahre 1932 begonnen worden sei, Straßen anzulegen und mit Kopfsteinpflaster oder Asphalt auszubauen. Einige Straßen seien für den geplanten Ausbau vorbereitet worden, hätten jedoch wegen der Kriegsvorbereitungen und des Kriegsausbruchs nicht fertig gestellt werden können. Auch für diese Straßen sei daher als angestrebter Ausbaustandard eine Pflaster- oder Asphaltbefestigung anzunehmen.

Am 6. Mai 2011 hat der Kläger Klage erhoben und vorgetragen, bei den vor dem Straßenbau durchgeführten Kabelverlegungsarbeiten in der Siedlung seien 4 Schichten festgestellt worden: Eine Schotterschicht, darunter eine Schicht aus gemeinem Bauschutt und Sand, darunter eine ca. 40 cm dicke Packlage und wiederum darunter und zum Seitenrand hin eine Befestigung aus Stein- und Ziegelplatten. Auch seien für die Regenentwässerung Mulden angelegt worden. Da alle Siedlungsstraßen in einem ähnlichen Zustand gewesen seien, habe dies den Ausbaugepflogenheiten entsprochen. Es habe sich nicht um ein Provisorium, sondern um einen kunstvollen Ausbau gehandelt. Eine befestigte Oberfläche aus Asphalt, Beton oder Platten sei hierfür nicht erforderlich. Ohne die so hergestellten Straßen hätte es eine Besiedlung des Gebietes nicht gegeben. Der Kläger trägt weiter vor, dass das eingeholte Baugrundgutachten wegen des zu geringen Durchmessers der Bohrungen nicht aussagekräftig sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er wiederholt sein Vorbringen aus dem Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, selbst wenn die Straße in ihrer gesamten Länge über eine Packlage verfügt hätte – was bezweifelt werde – so hätte auch ein derartiger Zustand nicht den Ausbaugepflogenheiten des § 242 Abs. 9 BauGB entsprochen. Bei den in den 1930’er Jahren durchgeführten Arbeiten habe es sich lediglich um Vorbereitungsarbeiten gehandelt, eine befestigte Deckschicht habe nicht mehr aufgebracht werden können. Auch habe keine Entwässerung über Mulden stattgefunden, da das verwandte Material ein Ableiten in Seitenbereiche nicht ermöglicht habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Dem angefochtenen Bescheid, mit dem die Nacherhebung eines Erschließungs-beitrages für die Fahrbahn inklusive des Straßenbegleitgrüns und der Oberflächen-entwässerung festgesetzt wurde, steht der bestandskräftige Ausbaubeitragsbescheid aus dem Jahr 2007 nicht entgegen (1.), er wurde zu Recht auf § 127 ff. Baugesetzbuch (BauGB) i. V. m. der Satzung über die Erhebung der Erschließungsbeiträge in der Gemeinde ... -... vom 16. Dezember 2004 gestützt (2.) und sonstige Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen nicht (3.).

1. Der Kläger kann dem angefochtenen Nacherhebungsbescheid die Bestandskraft des Ausbaubeitragsbescheides vom 10. Oktober 2007 nicht mit Erfolg entgegen halten. Denn das kraft Gesetzes entstandene Beitragsschuldverhältnis zwischen ihm und der Gemeinde, das grundsätzlich den Beitragsanspruch in vollem Umfang umfasst, endet erst in dem Zeitpunkt, in dem dieser gemeindliche Anspruch, wiederum im vollen Umfang, erlischt; eine vorzeitige Beendigung dieses Verhältnisses durch einen bestandskräftigen Beitragsbescheid ist ausgeschlossen (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 18. März 1988 - 8 C 92/87 -, zitiert nach juris; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 10 Rn 21 f.). Die Gemeinden sind verpflichtet, Erschließungsbeitragsansprüche grundsätzlich in vollem Umfang auszuschöpfen, was eine gemeindliche Pflicht zur Nacherhebung im Fall von zunächst zu niedrig festgesetzten Beiträgen einschließt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1988, a. a. O.; Driehaus, a. a. O., § 10 Rn 21). In einem solchen Nacherhebungsbescheid liegt auch kein Verstoß gegen das Vertrauensschutzgebot. Denn ein zu niedriger Beitragsbescheid bedeutet, selbst wenn beim Beitragsschuldner ausnahmsweise eine schutzwürdige Vertrauens-betätigung vorliegen sollte, regelmäßig nicht, dass die sodann vorzunehmende Interessensabwägung zu Gunsten des Beitragspflichtigen und zu Lasten der Interessen der Allgemeinheit ausfallen würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1988, a. a. O.; Driehaus, a. a. O., § 10 Rn 23).

Der Beklagte war daher nicht nur rechtlich nicht gehindert, sondern er war sogar verpflichtet, den Erschließungsbeitrag festzusetzen, nachdem die interne Überprüfung zu dem Ergebnis gekommen war, dass die zunächst vorgenommene Festsetzung eines Ausbaubeitrages fehlerhaft war. Die Festsetzungsverjährungsfrist war zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides am 15. Dezember 2010 noch nicht abgelaufen, da die sachliche Beitragspflicht erst mit dem Abschluss des Grund-erwerbes im Jahre 2007 entstanden war und die Frist gemäß §§ 169 Abs. 2, 170 Abs. 1 der Abgabenordnung i. V. m. §§ 1 Abs. 3, 12 Abs. 1 Nr. 4 b) Kommunalabgabengesetz Brandenburg somit erst Ende des Jahres 2011 ablief.

2. Die Erhebung eines Erschließungsbeitrages für die Teileinrichtungen Fahrbahn, Straßenbegleitgrün und Oberflächenentwässerung ist nicht durch § 242 Abs. 9 BauGB ausgeschlossen. Danach kann für Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen im Beitrittsgebiet, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts bereits hergestellt worden sind, ein Erschließungsbeitrag nicht erhoben werden. Bereits hergestellte Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen sind die einem technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertig gestellten Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungs-anlagen (§ 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB). Dieser Ausschlusstatbestand greift für die benannten Teileinrichtungen nicht.

Dabei ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass bereits bei der Parzellierung des ehemaligen Rittergutes ... im Jahre 1932 begonnen worden ist, Straßen anzulegen und mit Kopfsteinpflaster oder Asphalt auszubauen. Ein technisches Ausbauprogramm, das den damals durchgeführten Straßenbauarbeiten in der Straße ... oder den anderen in dieser Umgebung liegenden Straßen zu Grunde gelegen hat und das Vorgaben über die bautechnische Herstellung enthalten würde, ist nach den Angaben des Beklagten in den Unterlagen und Archiven der Gemeinde nicht mehr vorhanden, so dass im hier vorliegenden Fall maßgeblich ist, ob die Straße ... den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertig gestellt wurde.

Mit dem Verweis auf örtliche Ausbaugepflogenheiten oder auf ein technisches Ausbauprogramm in § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB hat der Gesetzgeber allerdings im Rahmen der Übergangsvorschrift für die neuen Bundesländer einen Mindeststandard festgesetzt, den der Ausbauzustand einer Straße erfüllen muss, um annehmen zu können, sie sei bereits vor dem 3. Oktober 1990 hergestellt worden. Dies bedeutet, dass es nicht nur darauf ankommt, welche örtlichen Ausbaugepflogenheiten es gab, d. h. welches Verhalten einer Gemeinde bei der bautechnischen Herstellung von Erschließungsanlagen über einen längeren Zeitraum üblich war. Vielmehr müssen bestimmte Grundvoraussetzungen in Bezug gerade auf die bautechnische Herstellung der Anlage erfüllt sein.

Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in seinem Urteil vom 11. Juli 2007 (- 9 C 5.06 -, BVerwGE 129, 100 ff., LKV 2008, 171), dem die Kammer folgt (vgl. Urteil der Kammer vom 16. August 2010 - 12 K 2219/06 -, m. w. N.), festgestellt:

„Der Begriff „örtliche Ausbaugepflogenheiten“ bezeichnet ein über einen längeren Zeitraum feststellbares Verhalten der Gemeinde bei der bautechnischen Herstellung von Erschließungsanlagen. Daraus folgt, dass ein bloßes Nichtstun oder „Liegenlassen“ nicht ausreicht. Das Hinnehmen von Provisorien oder das Sich-Abfinden mit einem notdürftigen Zustand, weil ein höherwertiger, an sich zu fordernder oder angestrebter Ausbauzustand nicht zu verwirklichen war (z. B. wegen des Fehlens von Baumaterialien), kann keine „Ausbaugepflogenheit“ begründen. Vielmehr geht es, wie bei der ersten Alternative des § 242 Abs. 9 BauGB, um die aktive technische Ausgestaltung der Erschließungsanlage oder ihrer Teile. Danach setzen die Ausbaugepflogenheiten einen Grundbestand an kunstmäßigem Ausbau voraus. Die Erschließungsanlage oder ihre Teileinrichtungen müssen durch künstliche Veränderung der Erdoberfläche planvoll straßenbautechnisch bearbeitet worden sein; das bloße Ausnutzen oder grobe Herrichten natürlicher Geländegegebenheiten ist nicht ausreichend (z. B. das bloße Verfestigen und „Hobeln“ einer vorhandenen „Sandpiste“). Erforderlich ist danach ein Mindestmaß an bautechnischer Herrichtung, nämlich das Vorhandensein einer hinreichend befestigten Fahrbahn (wofür z. B. auch eine Schotterdecke genügen kann), einer - wenn auch primitiven - Form von Straßenentwässerung (ein bloßes Versickernlassen wäre dagegen nicht ausreichend) sowie einer eigenen Straßenbeleuchtung, die einen ungefährdeten Haus-zu-Haus-Verkehr ermöglicht“.

Diese Rechtsprechung knüpft an das Preußische Recht an. Dazu führt das Bundesverwaltungsgericht a. a. O. aus, dass eine Straße als vorhanden angesehen wurde, „wenn sie von der Gemeinde wegen ihres hinreichenden Ausbauzustandes als für den inneren Anbau bestimmt und geeignet angesehen worden war. Ein Indiz für die Annahme eines dahingehenden Willens einer Gemeinde ist in der damaligen Rechtsprechung in einem gewissen Mindestausbauzustand gesehen worden. Dieser stand zwar in Abhängigkeit von den örtlichen Verhältnissen, verlangt wurde aber auch bereits unter Geltung des preußischen Anliegerrechts das Vorhandensein einer hinreichenden befestigten Fahrbahn, einer - wenn auch primitiven - Straßenentwässerung und einer eigenen Straßenbeleuchtung, die einen ungefährdeten Haus-zu-Haus-Verkehr zuließ“ (s. auch Driehaus, a. a. O., § 2 Rdnr. 35 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des OVG Lüneburg und OVG Münster; vgl. auch Arndt, KStZ 1984, 107 ff. und 121 ff. Die „vorhandenen Erschließungsanlagen“ i. S. v. § 180 Abs. 2 BBauG und Urteil der Kammer vom 16. August 2010 - 12 K 2219/06 -).

Bei der Straße ... handelte es sich zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Beitritts am 3. Oktober 1990 hinsichtlich der Fahrbahn und der Straßenentwässerung nicht um eine „hergestellte Erschließungsanlage“ im Sinne des § 242 Abs. 9 BauGB. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Straße den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertig gestellt war.

Zwar war in den 1930’er Jahren begonnen worden, das ehemalige Rittergut ... zu parzellieren, Straßen wurden „auf dem Reißbrett“ geplant und sollten mit Kopfsteinpflaster oder Asphalt ausgebaut werden. Es ist weiter davon auszugehen, dass etliche Straßen für den geplanten Ausbau vorbereitet wurden, indem in erheblichem Umfang Erdarbeiten durchgeführt wurden, um später den angestrebten Ausbauzustand mit einer Pflaster- oder Asphaltbefestigung zu erreichen. Doch dieser ursprünglich angestrebte Zustand wurde wegen der Kriegsvorbereitungen und des Kriegsausbruchs bzw. später wegen fehlenden Materials nie erreicht. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Straße zwar über einen gewissen befestigten Unterbau verfügte, was sich auch aus dem sich in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Baugrundgutachten ergibt, dass sie jedoch zu keinem Zeitpunkt eine hinreichend befestigte Fahrbahn aufwies, so wie es die Planungen eigentlich vorgesehen hatten.

Hierfür sprechen nach Überzeugung der Kammer einerseits Erläuterungen in der „Chronik ... “ aus dem Jahre 2000, in der es zu den Anfängen des Straßenbaus in ... in den 1930’er Jahren heißt: „Entsprechend der Siedlungsplanung waren feste Straßen und Wege vorgesehen. Als erste Straße wurde die Straße des Neuen Westens, heute Straße der Jugend, gebaut. … Verwendet wurden 6.300 m2 Kopfsteinpflaster…“ Weiter heißt es zu den durchgeführten Arbeiten: „... - Erdarbeiten - 12m Breite, 750 lfd. Meter.“ (vgl. Chronik, Seite 16, 17). Eine Abbildung zeigt die fertig gestellte „Straße des Neuen Westens“, die komplett mit Pflastersteinen befestigt und mit Hochborden eingefasst ist (vgl. Chronik, Seite 18). Bis Ende 1934 wurden danach einige im Einzelnen aufgezählte Straßen befestigt, unter denen sich die Straße ... allerdings nicht befand (vgl. Chronik, Seite 17). Der 2. Weltkrieg habe den weiteren Straßenbau verhindert (vgl. Chronik, Seite 85). Zu den Nachkriegsjahren in der DDR wird in der Chronik ausgeführt, dass kein grundlegender Straßenbau durchgeführt werden konnte und die meisten Straßen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln repariert wurden (vgl. Chronik, Seite 56). In dem Band „75 Jahre Siedlung ... - Bilder von gestern und heute" aus dem Jahr 2007 heißt es: „Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der geplante Straßenbau der 30 er Jahre, bedingt durch den Beginn des 2. Weltkrieges, nicht weitergeführt wurde. In der Folgezeit bewegten sich die ... r meist auf dem Unterbau der damals begonnenen Straßen.“ (a.a.O., Seite 6).

Dass die Straßen in ..., die damals für eine Befestigung lediglich vorbereitet und nicht sogleich komplett fertig gestellt wurden, auch in den Jahren danach nicht wie geplant mit Kopfsteinpflaster oder Asphalt ausgebaut wurden, ergibt sich auch aus Dokumenten aus den Jahren 1933 und 1943, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. So heißt es in einem Grundstückskaufvertrag vom 22. August 1933 über ein Grundstück in der Heinestraße in ... : Der „Käufer hat an die Gemeinde ... die anteiligen Kosten für die Ersteinrichtung, Befestigung, Be- und Entwässerung, Beleuchtung und Baumbepflanzungen der Straßen vor dem Kaufgrundstück bis zur Mitte der Straße, sowie auch die Zinsen für die Baukosten auf Verlangen der Gemeinde jederzeit unabhängig von der Nachsuchung der Bauerlaubnis entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen, jedoch nicht vor erfolgter Ausführung der betreffenden Arbeiten zu erstatten, ebenso die Kosten für einen zunächst nur behelfsmäßigen Ausbau der Straße. ... Die endgültigen Anliegerbeiträge werden durch die Gemeinde aufgrund der tatsächlichen Straßenbaukosten entsprechend der Länge der Straßenfronten auf die einzelnen Anlieger nach den entsprechenden Bestimmungen umgelegt.“ In einem urkundlichen Vertrag vom 18. Mai 1943, in dem die in den zitierten Kaufvertrag enthaltenen Erklärungen ergänzt bzw. berichtigt wurden, heißt es: „Ich - Käufer - nehme nochmals ausdrücklich davon Kenntnis, dass, wie auch bereits bei Abschluss des Vertrages bemerkt, die Straßenbaukosten zur Zeit auch nicht annähernd aufgegeben werden können. Dies ist vielmehr erst dann möglich, wenn der gesamte Ausbau der Straßen durchgeführt ist…. Diese endgültigen Anliegerbeiträge können vielmehr erst aufgrund der tatsächlichen Straßenbaukosten, also erst nach erfolgter endgültiger Herstellung der betreffenden Arbeiten, festgelegt werden.“

Auch in dem Zeitraum zwischen dem Ende des 2. Weltkrieges und dem Stichtag 3. Oktober 1990 fanden - insoweit in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Beteiligten - keine grundlegenden oder wesentlichen Veränderungen in der Straße ... statt. Dies ergibt sich nicht allein aus der Ortschronik, wonach in dieser Zeit kein grundlegender Straßenbau durchgeführt werden konnte und die meisten Straßen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln repariert wurden (vgl. Chronik, Seite 56). Dies stimmt auch mit dem vorliegenden Baugrundgutachten überein. Soweit in dieser Zeit an verschiedenen Stellen Schotter und Recyclingmaterial in die Fahrbahn eingebracht wurden, vermag dies an der rechtlichen Bewertung nichts zu ändern. Denn Voraussetzung für die Herstellung einer Straße i. S. d. § 242 Abs. 9 BauGB ist, dass die Teileinrichtung – hier die Fahrbahn – in ihrer gesamten Länge dem genannten Standard entspricht (vgl. Driehaus, a. a. O., § 2 Rn 48). Dementsprechend fordert das Bundesverwaltungsgericht als Mindeststandard eine “Schotterdecke”, alleine einige „Flicken“ aus derartigen Materialien, die lediglich ein Provisorium darstellen, reichen somit nicht aus. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass wegen des in § 242 Abs. 9 BauGB vorgesehenen Stichtages jegliche Baumaßnahmen nach dem 3. Oktober 1990 ohne Belang sind.

Anhaltspunkte dafür, dass die Gemeinde zu irgendeinem Zeitpunkt von ihrem Ziel, die Straße wie geplant mit einer befestigten Fahrbahn zu versehen, abgerückt sein könnte, liegen nicht vor. Es spricht vielmehr - wie oben ausgeführt - alles dafür, dass sie lediglich „mit den zur Verfügung stehenden Mitteln repariert“ wurde. Eine Abkehr von den ursprünglichen Planungen und damit eine Änderung der örtlichen Ausbaugepflogenheiten im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ist nicht zu erkennen. Eine erstmalige Herstellung kann somit nicht festgestellt werden.

Hinzu kommt, dass auch im Hinblick auf die Straßenentwässerung nicht davon auszugehen ist, dass es sich zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Beitritts um eine hergestellte Teileinrichtung i. S. d. § 242 Abs. 9 BauGB gehandelt hat. Auch insoweit ergibt sich aus den in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Fotos vor Beginn der Maßnahme, dass von einem Grundbestand an kunstmäßigem Ausbau nicht gesprochen werden kann. Die geforderte (primitive) Form der Straßenentwässerung lag nicht vor, vielmehr handelte es sich um ein bloßes Versickernlassen. Auf den Fotos sind weder eine Wölbung der Fahrbahn zu den Seiten hin noch Gräben oder Ähnliches zuerkennen. Dementsprechend bildeten sich offensichtlich Pfützen auf der Straßenfläche. Im Übrigen dürfte die Herstellung einer gewölbten Fahrbahn ohne eine entsprechende Befestigung technisch auch nur schwer durchführbar gewesen sein.

Da es sich bei der Straße ... somit zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Beitritts am 3. Oktober 1990 hinsichtlich der Fahrbahn und der Straßenentwässerung nicht um eine „hergestellte Erschließungsanlage“ im Sinne des § 242 Abs. 9 BauGB handelte, ist die Erhebung eines Erschließungsbeitrages im vorliegenden Fall grundsätzlich rechtmäßig.

3. Sonstige durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beitragsbescheides bestehen nicht.

Soweit Zweifel im Hinblick darauf bestehen, dass der Beklagte bei der Berechnung der Verteilungsfläche im Abrechnungsgebiet für alle Grundstücke den Nutzungsfaktor 1,0 zu Grunde gelegt hat, führen diese Bedenken nicht zu einer Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Da die Grundstücke in der Straße ... nach den Festsetzungen in den Bebauungsplänen Nr. 1 und 2 der Gemeinde ... -... sämtlich mit 2 Vollgeschossen bebaubar sind, hätte gemäß § 5 Abs. 4 der Erschließungsbeitragssatzung zwar für alle Grundstücke der Nutzungsfaktor 1,3 zu Grunde gelegt werden müssen. Da dies jedoch ohne Ausnahme für alle zu berücksichtigenden Grundstücke in der Straße gilt, ergäbe sich für die Beitragslast jedes einzelnen Anwohners keine Veränderung. Dieser Fehler in der Berechnung ist daher unbeachtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

B e s c h l u s s:

Der Streitwert wird auf 1.770,19 € festgesetzt.

G r ü n d e :

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes.