Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 28.10.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 2 S 76.11, OVG 2 L 50.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 80 Abs 5 VwGO, § 86 Abs 3 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO, § 162 Abs 2 S 1 VwGO, § 79 S 2 BauO BE |
Das Verfahren wird eingestellt, soweit Ziffer 4 der Verfügung vom 29. November 2010 streitgegenständlich ist; der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Juli 2011 ist insoweit wirkungslos.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Juli 2011 zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird bis zur teilweisen Hauptsachenerledigung (9. August 2011) auf 10.000 Euro und für die Zeit danach auf 7.500 Euro festgesetzt.
Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit bezogen auf die unter Ziffer 4 der Verfügung vom 29. November 2010 getroffene Anordnung, die vor der f.f. Baufluchtlinie liegenden Grundstücksflächen wieder als Vorgartenfläche anzulegen, übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Die entsprechende Erledigungserklärung hat nunmehr auch der Antragsteller abgegeben. Der angefochtene Beschluss ist hinsichtlich des für erledigt erklärten Streitgegenstandes wirkungslos (§§ 92 Abs. 3, 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 HS 2 ZPO).
Im Übrigen hat die Beschwerde keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung vom 29. November 2010 in Bezug auf die Untersagung der Nutzung des Grundstücks für den Autohandel (Ziffer 1 der Verfügung) und die Anordnungen, die Fahrzeuge und andere zum Autohandel gehörende Gegenstände (Ziffer 2 der Verfügung) sowie die Werbeanlagen (Ziffer 3 der Verfügung) zu entfernen, wiederherzustellen. Ferner hat es abgelehnt, die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der in der Verfügung enthaltenen Zwangsmittelandrohungen anzuordnen. Diese Entscheidung ist aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht zu beanstanden.
1. Ohne Erfolg bleiben die Einwände des Antragstellers gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei unzulässig, soweit er sich gegen die auf die Verfügungspunkte 1 und 2 bezogenen Zwangsgeldandrohungen wendet. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Antragstellers, dass das Verwaltungsgericht bei „richtiger Auslegung“ hätte erkennen müssen, dass er sich auch gegen die Festsetzung eines Zwangsgeldes wende. Der anwaltlich vertretene Antragsteller hatte in der Antragsschrift vom 25. Februar 2010 ausdrücklich beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 9. Dezember 2010 gegen die in der Verfügung enthaltene Zwangsmittelandrohung anzuordnen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines unter dem 25. Februar 2010 eingelegten Widerspruchs gegen die Zwangsgeldfestsetzung hat er hingegen nicht zum Gegenstand seines Antrages gemacht. Anders als der Antragsteller meint, war das Verwaltungsgericht auch nicht gehalten, diesen auf eine mögliche Unzulässigkeit seines Antrages hinzuweisen. Die Hinweispflicht des Gerichts (§ 86 Abs. 3 VwGO) konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Ansonsten besteht im Grundsatz keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten seine Auffassung jeweils vor dem Ergehen einer Entscheidung zu offenbaren. Ein Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen (vgl. m.w.N., BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2010 - 5 B 21.09 u.a. -, juris Rn. 18). In der Sache verhält sich die Beschwerde nicht zu der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der auf die Zwangsgeldandrohungen bezogene Antrag unzulässig sei.
Ebenso wenig verhält sich die Beschwerdebegründung dazu, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auch insoweit mangels Rechtsschutzbedürfnisses für unzulässig erachtet hat, als der Antragsteller sich gegen Ziffer 3 der Verfügung (Entfernen der Werbeanlagen) und die damit verbundene Zwangsgeldandrohung wendet.
2. Nicht überzeugen können die Einwände des Antragstellers gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Nutzungsuntersagung sei offensichtlich rechtmäßig. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die vom Antragsteller praktizierte Nutzung des früheren Kundenparkplatzes für den Autohandel sei formell illegal. Es liege eine nach § 60 Abs. 1 BauO Bln genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung vor, weil für die neue Nutzung (Autohandel) andere öffentlich-rechtliche Anforderungen in Betracht kämen als für die bisherige Nutzung (Hotelparkplatz). Die vom Antragsteller praktizierte Nutzung sei geeignet, neue und andere Nutzungskonflikte auszulösen als die vorherige, so dass die Genehmigungsfrage neu aufgeworfen werde. Soweit der Antragsteller hiergegen einwendet, der vom Verwaltungsgericht angeführte Umstand, dass bei der früheren Nutzung die Stellplätze eine nur dienende Funktion im Hinblick auf die Pensions- und Gaststättennutzung auf dem Grundstück gehabt hätten, besage noch nicht, dass die neue Nutzung intensiver für die Umgebung spürbar sei als die alte, verkennt er, dass die Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der geänderten Nutzung im Hinblick auf von ihr ggf. ausgehende Störungen für die Umgebung erst im durchzuführenden Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sein wird. Die Argumente des Antragstellers widerlegen nicht, dass eine Nutzung für den Autohandel jedenfalls geeignet ist, neue und andere Konflikte als die bisherige Nutzung auszulösen. Soweit der Antragsteller behauptet, dass er das - nur in seltenen Fällen offen vorzufindende - Grundstück ausschließlich zum Abstellen von PKW nutze, die Fahrzeuge en gros ins Ausland verkaufe, und vom Grundstück aus keine Probefahren durchgeführt würden, fehlt es an einer Glaubhaftmachung. Vor dem Hintergrund der nach den unbestrittenen Feststellungen des Antragsgegners an dem Grundstück angebrachten werbenden Schilder („Gebrauchtwagen – Barankauf“, „Gebrauchtwagen – Finanzierung“, „An- und Verkauf von PKW …“) und des auf dem Grundstück aufgestellten und als Verkaufsbüro genutzten kleinen Holzhauses kann auch nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass diese Angaben zutreffend sind.
Mit seinem Einwand, die planerische Festlegung eines Allgemeinen Wohngebietes durch den Baunutzungsplan sei vor dem Hintergrund der Verkehrsbelastung und der anderen im Umfeld des Grundstücks stattfindenden Nutzungen illusorisch und daher als funktionslos zu betrachten, hat der Antragsteller ebenfalls keine für eine Rechtswidrigkeit der Nutzungsuntersagung sprechenden Anhaltspunkte dargelegt. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass grundsätzlich bereits die formelle Illegalität einer baulichen Nutzung eine Nutzungsuntersagung auf der Grundlage von § 79 Satz 2 BauO Bln rechtfertigt. Im Rahmen der Ermessensentscheidung kann ein Absehen von der Nutzungsuntersagung jedoch u.a. dann geboten sein, wenn das Vorhaben offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. etwa Beschluss des Senats vom 14. Juni 2010 - OVG 2 S 15.10 -, juris Rn. 5). Dass dies in Bezug auf die hier ausgeübte Nutzung der Fall ist, legt der Antragsteller nicht dar. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass gegen eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit der Nutzungsänderung bereits spreche, dass der Antragsteller für seinen Autohandel fast ausschließlich Flächen nutze, die nach den einschlägigen Regelungen des Baunutzungsplans i.V.m. den f. f. Straßen- und Baufluchtlinien nicht bebaubar sind. Dieser Ausschluss der Bebaubarkeit hindere den Grundstückseigentümer nicht nur an der Errichtung von Gebäuden auf der nicht bebaubaren Fläche, sondern zugleich auch an der Nutzung der Fläche durch Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO und damit erst recht an der Nutzung durch vergleichbare Anlagen, die eine Hauptnutzung darstellten. Hierzu verhält sich die Beschwerdebegründung nicht. Darauf, dass im Baunutzungsplan in Bezug auf das vom Antragsteller genutzte Grundstück ein allgemeines Wohngebiet festgesetzt ist, kam es für das Verwaltungsgericht nicht an.
3. Ohne Erfolg bleiben schließlich die Einwände der Beschwerde gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, das besondere Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiege das private Suspensivinteresse des Antragstellers. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass sich das besondere Vollzugsinteresse aus dem Ziel ergebe, die wirtschaftliche Ausnutzung der vom Antragsteller rechtswidrig angemaßten Rechtsposition unverzüglich zu unterbinden und damit Anreize für Nachahmer oder erneutes gleichartiges Tun des Antragstellers zu minimieren. Der Hinweis des Antragstellers, dass er die Baurechtswidrigkeit weder bewusst zu seinem wirtschaftlichen Vorteil ausnutze noch in den Genuss größerer Vorteile als bei einer genehmigten Nutzung komme, verfängt nicht. Das vom Verwaltungsgericht anerkannte besondere Vollzugsinteresse setzt keine subjektive Vorwerfbarkeit der baurechtswidrigen Nutzung voraus, sondern stellt lediglich darauf ab, ob im Falle der Suspendierung der Nutzungsuntersagung Anreize für den Antragsteller oder Dritte entstehen könnten, sich durch gleichartiges Tun ebenfalls Vorteile aus der wirtschaftlichen Nutzung eines Grundstücks ohne die erforderliche Baugenehmigung zu verschaffen. Damit ist – entgegen der Auffassung des Antragstellers - auch kein Unwerturteil über die gewinnbringende Nutzung des Grundstücks verbunden. Vielmehr rechtfertigt es der Umstand, dass der Antragsteller mit der Nutzung wirtschaftliche Vorteile erzielt, anzunehmen, dass im Falle der weiteren Zulässigkeit der Nutzung während eines Rechtsbehelfsverfahrens ein Anreiz für eine Nachahmung und damit eine negative Vorbildwirkung ausgehen könnte.
4. Auf die vom Verwaltungsgericht bejahte Rechtmäßigkeit der Anordnung der Entfernung der auf dem Grundstück vorhandenen Fahrzeuge und der zum Autohandel gehörenden Teile und Einrichtungen geht die Beschwerdebegründung nicht ein.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils entspricht es billigem Ermessen dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Nachdem der Antragsgegner bereits mit Schriftsatz vom 14. April 2011 Ziffer 4 der Verfügung vom 29. November 2010 aufgehoben und den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt hatte, hat der Antragsteller die gebotene Erledigungserklärung nicht rechtzeitig abgegeben und damit weitere Verfahrenskosten selbst verursacht. Eine Kostentragung des Antragstellers ist auch nicht deshalb unbillig, weil das Verwaltungsgericht diesen auf die Unzulässigkeit des Antrages im Hinblick auf den erledigten Teil des Streitgegenstandes hätte hinweisen müssen. Eine allgemeine Hinweispflicht des Gerichts besteht – wie bereits dargelegt – nicht. Auch lag keine Überraschungssituation vor, da zwischen der (Teil-)Erledigungserklärung des Antragsgegners, die das Verwaltungsgericht dem Antragsteller mit Verfügung vom 27. April 2011 zu Stellungnahme binnen zwei Wochen übersandt hatte, und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts fast drei Monate lagen.
6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte für die Wertbemessung ist hinsichtlich jedes der jeweils einen eigenständigen Streitgegenstand darstellenden Verfügungspunkte die Hälfte des Auffangwertes anzusetzen. Die Zwangsgeldandrohung bleibt bei der Wertbemessung außer Betracht (vgl. Nr. II.1.6.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327). Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes auch keine geeignete Grundlage für die Bemessung des Interesses an der Aufhebung der jeweils angefochtenen Verfügungspunkte.
7. Soweit sie sich gegen die Streitwertfestsetzung richtet, bleibt die Beschwerde ebenfalls ohne Erfolg. Zur Begründung wird auf Ziffer 6. verwiesen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).