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TU Berlin; Wirtschaftsingenieur (Bachelor); Wintersemester 2010/11; Betreuungsaufwand für Bachelor- und Master- Abschlussarbeiten; Berücksichtigung als Curricularanteil; Lehrangebot; Lehrnachfrage; Bilanzierungsgedanke; Beschwerde der Hochschule; Stattgabe; Losbeschluss


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat Entscheidungsdatum 04.04.2011
Aktenzeichen OVG 5 NC 96.10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 123 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO, § 21 HSchulG BE, § 96 HSchulG BE, § 99 HSchulG BE, § 8 KapVO BE, § 9 KapVO BE, § 13 KapVO BE, § 3 LVerpflV BE, § 5 LVerpflV BE, § 9 LVerpflV BE

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. Dezember 2010 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

II. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet,

1. innerhalb von sechs Tagen unter den Antragstellern/Antragstellerinnen der Beschwerdeverfahren OVG 5 NC 96.10 - 98.10, OVG 5 NC 101.10 - 102.10, OVG 5 NC 104.10 - 110.10, OVG 5 NC 112.10 - 114.10, OVG 5 NC 116.10 - 123.10, OVG 5 NC 125.10 - 126.10, OVG 5 NC 128.10 - 130.10 und OVG 5 NC 132.10 ein Losverfahren durchzuführen und hierbei unter den Antragstellern/Antragstellerinnen eine Rangfolge zu ermitteln;

2. das Losverfahren unter Hinzuziehung eines gewählten studentischen Mitgliedes des Fakultätsrates der Antragsgegnerin - ersatzweise eines Notars - durchzuführen und die Antragsteller/Antragstellerinnen vom Ergebnis unverzüglich zu unterrichten;

3. den Antragsteller/die Antragstellerin vom Wintersemester 2010/2011 an vorläufig zum Studium im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen (Bachelor) im 1. Fachsemester zuzulassen, sofern bei dieser Verlosung auf ihn/sie einer der Rangplätze 1 bis 9 entfällt; anderenfalls ihn/sie entsprechend seinem/ihrem Rang unverzüglich nachrücken zu lassen, sofern einer/eine der zuzulassenden Bewerber/Bewerberinnen nicht zuzulassen ist bzw. innerhalb von sieben Arbeitstagen (Montag bis Freitag) nach Bekanntgabe der Zulassung durch Zustellung nicht unter gleichzeitiger Abgabe einer Versicherung an Eides Statt, dass er/sie an keiner anderen Hochschule in der Bundesrepublik Deutschland vorläufig oder endgültig zum Studium im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen (Bachelor) zugelassen ist, die Immatrikulation bei der Antragsgegnerin beantragt oder eine solche nachgewiesen hat.

III. Diese einstweilige Anordnung wird unwirksam, sofern der Antragsteller/die Antragstellerin im Falle der Zulassung nicht innerhalb von sieben Arbeitstagen nach Bekanntgabe der Zulassung die Immatrikulation unter Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung mit dem unter I 3 genannten Inhalt bei der Antragsgegnerin beantragt.

IV. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen.

V. Die Kosten der ersten Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten der zweiten Instanz trägt der Antragsteller/die Antragstellerin.

VI. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, den Antragsteller/die Antragstellerin vom Wintersemester 2010/2011 an vorläufig zum Studium Wirtschaftsingenieurwesen (Bachelor) im 1. Fachsemester zuzulassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass in dem Studiengang über die bereits vergebenen 272 Studienplätze hinaus weitere 101 Plätze zur Verfügung stünden, von denen der Antragsteller/die Antragstellerin einen Studienplatz für sich beanspruchen könne. Die Kapazitätsberechnung der Antragsgegnerin halte einer rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand. Insbesondere habe die Antragsgegnerin bei der Ermittlung der Lehrnachfrage zu Unrecht Curricularanteile für die Betreuung von Bachelor- und Masterabschlussarbeiten in den der Lehreinheit zugeordneten Studiengängen angesetzt. Die Antragsgegnerin verkenne, dass die Deputatstunde die Maßeinheit für die gesamte im Rahmen der Lehre zu erbringende Dienstleistung einer Lehrperson sei und daneben kein Raum für die gesonderte Erfassung von Teilleistungen aus dem Gesamtspektrum verbleibe. Letztere würden bei der dienstrechtlichen Bemessung der Lehrverpflichtung - und in einem weiteren Schritt bei der kapazitätsrechtlichen Ermittlung des Lehrangebots - nicht gesondert erfasst, sondern als mit der Lehrtätigkeit notwendig verbundene Belastungen durch die Deputatstunde pauschal miterfasst.

Die Antragsgegnerin richtet sich mit ihrer Beschwerde allein gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Kürzung der Curriculareigenanteile um die Curri-cularanteile für die Betreuung der Studienabschlussarbeiten in den der Lehreinheit zugeordneten Studiengängen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet.

Die Beschwerde rügt mit Erfolg die vom Verwaltungsgericht versagte Anerkennung von Curricularanteilen für die Betreuung von Studienabschlussarbeiten in den der Lehreinheit zugeordneten Studiengängen. Hierauf entfallen 92 der vom Verwaltungsgericht ermittelten zusätzlichen 101 Studienplätze, so dass hinsichtlich der verbleibenden 9 Studienplätze, die auf den übrigen von der Beschwerde nicht angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Feststellungen beruhen, die Durchführung eines Losverfahrens zur Vergabe der freien Plätze angeordnet wird.

Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Betreuung von Bachelor- und Master-Abschlussarbeiten keinen Eingang in den Curricular-eigenanteil finden könne, nicht. Sie wird dem kapazitätsrechtlichen Bilanzierungsgedanken nicht gerecht. Ziel der Kapazitätsberechnung nach der KapVO ist die Ermittlung der Zahl der Studienplätze, die eine Lehreinheit für Studienanfänger in einem Studiengang zu einem Vergabetermin zur Verfügung zu stellen vermag. Die jährliche Aufnahmekapazität ist das Ergebnis einer Bilanzierung von Lehrangebot und Lehrnachfrage. Während die Berechnung des Lehrangebots lehrpersonalbezogen erfolgt (§ 8 KapVO), drückt der Curriculareigenanteil die Lehrnachfrage aus, d.h. den Aufwand der Lehreinheit, der für die ordnungsgemäße Ausbildung eines Studenten oder einer Studentin in dem jeweiligen Studiengang erforderlich ist (§ 13 KapVO). Maßeinheit in diesem Bilanzierungsmodell ist die Deputat-stunde, die sowohl das Lehrangebot (§ 9 KapVO) als auch die Lehrnachfrage (§ 13 KapVO) quantifiziert und eine systemgerechte Aufteilung des in Depu-tatstunden ausgedrückten Lehrangebots auf die ebenfalls in Deputatstunden gemessene und im Curriculareigenanteil anteilig ausgewiesene Lehrnachfrage je Studenten oder Studentin ermöglicht. Zur Sicherstellung des Lehrangebots statuieren §§ 96 und 99 BerlHG eine Lehrverpflichtung des wissenschaftlichen Personals, deren Umfang in der LVVO geregelt ist. Die in Lehrveranstaltungsstunden vorgegebene Regellehrverpflichtung (§ 5 LVVO) prägt wiederum das Lehrangebot im kapazitätsrechtlichen Sinne, indem § 9 Abs. 1 KapVO dieses zum Lehrdeputat erklärt, das in Deputatstunden zu messen ist.

Dem Verwaltungsgericht ist insoweit zuzustimmen, als mit der Maßeinheit Deputatstunde die gesamte im Rahmen des Dienstrechts festgelegte Regellehrverpflichtung erfasst wird (§ 9 Abs. 1 KapVO) und daneben kein Raum für den gesonderten Ansatz von Teilleistungen verbleibt. Das entspricht dem Bilanzierungsgedanken der Kapazitätsberechnung, der eine Quantifizierung von Lehr-angebot und –nachfrage nur auf der Grundlage der Berechnungseinheit De-putatstunde zulässt und eine Berücksichtigung von Leistungen ausschließt, die in dieser Eingabegröße nicht erfasst sind und daher auch nicht als Teilgröße im Curriculareigenanteil enthalten sein können. Die Deputatstunde kann ihrer Funktion als maßgeblicher Parameter für die Kapazitätsberechnung nur dann gerecht werden, wenn sich in ihr der gesamte Lehraufwand für eine ordnungsgemäße Ausbildung eines Studenten oder einer Studentin in einem Studiengang widerspiegelt. Zu einer ordnungsgemäßen Ausbildung gehört auch die Betreuung der Studenten und Studentinnen bei Studienabschlussarbeiten, da diese Tätigkeit durch die zur Lehre gehörenden Elemente der Anleitung und Hilfestellung bei der eigenständigen Bearbeitung einer komplexen Aufgabenstellung gekennzeichnet ist (vgl. § 21 BerlHG). Dementsprechend muss der dafür erforderliche Lehraufwand in der Bemessungsgröße Deputatstunde seinen Niederschlag finden.

Soweit das Verwaltungsgericht hingegen unter Verweis auf den Regelungsgehalt der LVVO meint, dass die in Rede stehende Betreuungstätigkeit durch die Deputatstunde pauschal miterfasst sei und daher nicht gesondert ins Gewicht falle, kann ihm nicht gefolgt werden. Diese Sichtweise widerspricht dem kapazitätsrechtlichen Bilanzierungsgedanken. Die kapazitätsrechtliche Bemessung des Lehraufwandes (Lehrnachfrage) ist nicht Aufgabe der LVVO. Deren Bedeutung erschöpft sich vielmehr darin, die Berechnungsgrundlagen für das Lehrangebot bereitzustellen. Die Quantifizierung des Lehraufwandes (Lehrnachfrage) und die Verteilung des zur Verfügung stehenden Lehrangebots erfolgt dagegen ausschließlich nach kapazitätsrechtlichen Grundsätzen und insoweit entkoppelt von den Vorschriften der LVVO. Die danach vorzunehmende Kapazitätsbemessung ist keine von den tatsächlichen Gegebenheiten abhängige Größe, sondern eine vorrangig normativ bestimmte. Deutlich wird das insbesondere in der dabei fingierten Austauschbarkeit aller im Studienverlauf nachgefragten Lehre (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. November 1987 - BVerwG 7 C 103.86 u.a. -, Buchholz 421.21 Nr. 35 [S. 41, 44]), die keinen Raum für die Frage nach der konkreten Qualifikation oder den dienstrechtlichen Verhältnissen des Lehrpersonals innerhalb des zur Verfügung stehenden Lehrdeputats (§ 9 KapVO) lässt. Folgerichtig sehen die vom Verwaltungsgericht zur Stützung seiner Auffassung herangezogenen Verminderungstatbestände in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Abs. 2 LVVO keine Ermäßigung für die den Lehraufwand berührende Betreuung von Studienabschlussarbeiten, sondern lediglich für die damit nicht gleichzusetzende Prüfungstätigkeit vor. Auch die in § 3 LVVO vorgesehene Möglichkeit einer dienstrechtlichen Anrechnung von Lehrveranstaltungen (vgl. § 3 Abs. 6 LVVO zu dem insoweit weit gefassten Begriff der Lehrveranstaltung) sowie einer überdurchschnittlichen Belastung durch die Betreuung von Studienabschlussarbeiten (§ 3 Abs. 6 LVVO) lässt den Umfang der Regellehrverpflichtung und somit die Bilanzierung unberührt.

Daran, dass sich die Betreuung von Studienabschlussarbeiten als Lehraufwand quantitativ in einem Deputatstundenanteil ausdrücken muss, besteht aus kapazitätsrechtlicher Sicht kein Zweifel. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die geltende KapVO keine Rechtsvorschriften darüber enthält, welche Kriterien und Berechnungsmethoden für die Ermittlung des Ausbildungsaufwandes und damit des Curricularwertes anzuwenden sind und deshalb auf die Kapazitätsverordnungen vom 3. Dezember 1975 - KapVO II - (GVBl. S. 3014) und vom 4. April 1977 - KapVO III - (GVBl. S. 810) sowie die Vorgaben der Entschließung des 204. Plenums der Hochschulrektorenkonferenz vom 14. Juni 2005 („Empfehlung zur Sicherung der Qualität von Studium und Lehre in Bachelor- und Masterstudiengängen“, ), zurückgegriffen werden kann. Bereits die KapVO II und die KapVO III beschrieben jeweils in ihrer Anlage 2 Teil 1 eine Lehrveranstaltungsart I (Zusatz: nicht in Studiengängen mit dem Abschluss Staatsexamen, jedoch unter Einschluss der Lehrämter) wie folgt:

„Eigenständige Anwendung wissenschaftlicher oder künstlerischer Methoden, erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten auf neue Problemstellungen in Studien- und Studienabschlussarbeiten;

Lehrender unterrichtet sich in bestimmten Zeitabständen über den Stand der Arbeiten und gibt Anregungen;

Student arbeitet weitgehend selbständig;“

Zu dieser Lehrveranstaltungsart I gehörte als Untergruppe k = 24 die Diplomarbeit in Ingenieurwissenschaften mit dem Betreuungsfaktor 0,45.

Von der kapazitätsrechtlichen Notwendigkeit, die Betreuung von Bachelor- und Master-Abschlussarbeiten in den Lehraufwand einzurechnen, geht auch die Hoch-schulrektorenkonferenz in der Entschließung vom 14. Juni 2005, a.a.O., aus. Dort wird im III. Abschnitt („Berechnung des Lehraufwandes“) die Bachelor- bzw. Masterarbeit als eigenständiger Lehrveranstaltungstypus beschrieben, der wie folgt erläutert wird:

Abschlussarbeit

- Selbständige wissenschaftliche Arbeit eines einzelnen Teilnehmers

- Dozent stellt Aufgabe, führt Zwischenbesprechungen durch, bewertet

- Je nach Fach, Ausgestaltung (z.B. Laborarbeiten), Dauer (Umfang von Credits) und Abschlussart unterschiedliche Anrechnungsfaktoren f“

Nach alldem bestehen gegen den Ansatz eines „Anrechungsfaktors“ für die Be- treuung von Bachelor- und Masterabschlussarbeiten dem Grunde nach keine Bedenken. Es spricht zudem nichts dafür, dass die von der Antragsgegnerin angesetzten Curricularanteile von 0,2 (Bachelorarbeit) und 0,4 (Masterarbeit) in den der Lehreinheit zugeordneten Bachelor- und Masterstudiengängen unangemessen hoch quantifiziert sein könnten. Dagegen spricht bereits, dass die im Streit stehenden Anteile den unteren Rand der in der Entschließung der Hochschulrektorenkonferenz vom 14. Juni 2005 a.a.O., im III. Abschnitt („Berechnung des Lehraufwandes“) empfohlenen Spannweite von 0,2-0,3 für die Bachelor- bzw. von 0,3-0,6 für die Master-Abschlussarbeit bilden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).