Gericht | FG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 21.03.2013 | |
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Aktenzeichen | 5 K 5106/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Umsatzsteuer 2007 wird unter Änderung des Bescheides vom 24.02.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.03.2012 dahingehend neu festgesetzt, das Umsätze in Höhe von 105.209,00 € mit dem ermäßigten Steuersatz zu versteuern sind.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist die Planung, das Lektorat und der Vertrieb von Werken der Literatur, Kunst und Wissenschaft. In den Streitjahren stellte sie die Druckschrift „Praxisratgeber …“ bzw. „Praxisratgeber …“ her und verkaufte diese an auf Zahnimplantologie spezialisierte Zahnärzte. Zu diesem Zweck schloss sie mit dem Zahnarzt einen „Herausgebervertrag über ein populärwissenschaftliches Werk“ über zahnärztliche Implantologie ab, in dem der Zahnarzt eine individualisierte Ausgabe in einer bestimmten Auflage bestellte und sich verpflichtete, die zur Individualisierung des Ratgebers erforderlichen Inhalte (Editorial, Vorstellung der Praxis und Darstellung mehrerer Praxisbeispiele) bereitzustellen. Die allgemeine Konzeption des Ratgebers übernahm die Klägerin. Auf die in der Rechtsbehelfsakte (Bd. 1) befindlichen Verträge sowie die beispielhaft eingereichten Broschüren wird Bezug genommen. Die Zahnärzte gaben den Ratgeber kostenlos an Patienten ab, denen eine zahnprothetische Operation bevorstand. Die Klägerin unterwarf die Umsätze aus dem Verkauf der Broschüren dem ermäßigten Steuersatz für Druckerzeugnisse.
Im Ergebnis einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung sowie nach Einholung einer unverbindlichen Zolltarifauskunft bei der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt, die den Ratgeber als Werbedruck einstufte, änderte der Beklagte den Umsatzsteuerbescheid 2007 dahingehend, dass die Verkaufsumsätze dem regulären Steuersatz von 19 % unterworfen wurden. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Klage geltend, der Ratgeber stelle ein steuerbegünstigtes Druckerzeugnis nach Nr. 49 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) dar. Der Beklagte gehe von falschen Annahmen aus, wenn er vortrage, der Ratgeber werde von dem Zahnarzt an „potentielle“ Patienten ausgehändigt, um ihr Interesse an einer Implantation in dessen Praxis zu „wecken“. Richtig sei vielmehr, dass der Ratgeber als wesentlicher Bestandteil der notwendigen zahnärztlichen Aufklärung Verwendung finde. Der „Individualteil“ ändere nichts an der Eigenschaft des Ratgebers als Informations- und Aufklärungsschrift, dessen in jeder Ausgabe inhaltsgleicher redaktioneller Hauptteil von einem überregional anerkannten Fachmann für Implantologie verfasst worden sei. Er ermögliche es dem Patienten, sich zu Hause mit den einzelnen Behandlungsschritten vertraut zu machen und auf dieser Grundlage den Eingriff grundsätzlich oder bezüglich einzelner Behandlungsschritte mit dem behandelnden Zahnarzt besprechen zu können. Der Ratgeber liege daher auch nicht in den Arztpraxen zur Mitnahme aus, sondern werde dem Patienten nach einem Beratungsgespräch vom Zahnarzt zur Verfügung gestellt, wie mehrere Zahnärzte eidesstattlich versichert hätten. Zwar trage eine solche Verfahrensweise im Ergebnis zu einer Patientenbindung bei, jedoch sei der Ratgeber weder nach seiner Aufmachung und seinem Inhalt noch nach seinem Herausgabezweck auf Werbung ausgerichtet. In Bezug auf seinen Inhalt sei der Ratgeber mit den im Buchhandel angebotenen Ratgebern vergleichbar. Die wenigen individualisierten Bestandteile rechtfertigten nicht die Annahme, dass der Ratgeber „überwiegend Werbezwecken diene“, wie es die Ausnahmeregel in Nr. 49 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vorsehe.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2007 vom 24.02.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.03.2012 Umsätze in Höhe von 105.209,00 € mit dem ermäßigten Steuersatz zu versteuern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, der Ratgeber diene nach Aufbau, Inhalt und Zweck überwiegend Werbezwecken. Die Gestaltung lasse den Zahnarzt als besonders professionell auf dem Gebiet der Implantationstechnik erscheinen. Durch den der persönlichen Vorstellung des Zahnarztes übergangslos folgenden Sachteil werde das Interesse des potentiellen Patienten an der modernen zahnärztlichen Leistung „Implantologie“ geweckt. Dem (zahlungskräftigen) Patienten werde nahegelegt, den herausgebenden Zahnarzt mit der besonders einträglichen Implantationsbehandlung zu beauftragen. Der von der Antragstellerin behauptete Zweck – zahnärztliche Information und Aufklärung – ließe sich vollen Umfangs auch mit einem Standardratgeber ohne Individualteil erreichen. Dies bestätigten auch die vorgelegten protokollierten Erklärungen eines Zahnarztes sowie eines Laborbetriebs. Aus den Vernehmungsprotokollen ergebe sich, dass diese die individualisierte Broschüre auch als Werbemittel einsetzten. Eine entsprechende Zeugeneinvernahme werde beantragt.
Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Die Umsätze aus der Veräußerung der streitigen Ratgeber unterliegen dem ermäßigten Steuersatz von 7 %.
Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit Nr. 49 der Anlage 2 zum UStG ermäßigt sich die Steuer für die Lieferung von Büchern, Zeitungen und anderen Erzeugnissen des grafischen Gewerbes, u. a. Broschüren und ähnliche Drucke, auf 7 %, sofern die Veröffentlichungen nicht überwiegend Werbezwecken dienen. Überwiegend Werbezwecken dient eine Veröffentlichung, wenn sie in erster Linie wegen der darin enthaltenen Werbung herausgegeben wird. Für die Abgrenzung ist nicht entscheidend auf das Raumverhältnis zwischen werbendem und anderem Text, sondern auf die Art der Aufmachung, den Inhalt und den Herausgabezweck des Druckerzeugnisses abzustellen, sofern diese Kriterien in dem Druckerzeugnis ihren Niederschlag gefunden haben (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28.9.1988 X R 49/81, BStBl II 1989, 208;Husmann in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 12 Rn. 661).
Unter Werbung ist im Allgemeinen wie im wirtschaftswissenschaftlichen Sprachgebrauch zu verstehen eine "zwangfreie und absichtliche Form der Beeinflussung, welche die Menschen zur Erfüllung des Werbeziels veranlassen soll". Es kommt nicht darauf an, auf welche Weise die Einflussnahme im Einzelnen verwirklicht werden soll, sondern nur darauf, dass sie (erkennbar) beabsichtigt ist. Werbezwecken dient deshalb auch eine in die Form einer Sachinformation gekleidete positive Darstellung eines Objekts, die dem Adressaten eine bestimmte Entscheidung im Sinne des jeweiligen Werbeziels nahelegen soll (vgl. BFH vom 28.9.1988 X R 49/81, BStBl II 1989, 208).
Nach diesen Rechtsgrundsätzen dient die in Rede stehende Broschüre nicht überwiegend Werbezwecken. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss betreffend die Aussetzung der Vollziehung vom 16.8.2012 (5 V 5134/12) ausgeführt hat, verfolgt der Ratgeber zwar auch den Zweck der Werbung für die Implantationstechnik und den behandelnden Zahnarzt, da er die funktionale und insbesondere auch ästhetische Bedeutung von Zahnersatz hervorhebt, die Implantationstechnik als moderne und optimale Behandlungsmethode darstellt und den Zahnarzt als Spezialisten derselben empfiehlt. Diese Werbung ist jedoch nicht überwiegender Zweck des Ratgebers. Im Vordergrund stehen vielmehr Information und Aufklärung zum Thema Implantologie. Denn nach Inhalt und Aufmachung geht es primär darum, dem Patienten zu erläutern, was Implantologie ist, für wen sie sich eignet, welche Risiken und Alternativen bestehen und wie das operative Verfahren ist. Insbesondere aus der Darstellung der Risiken lässt sich ersehen, dass die Broschüre auch nicht den Hauptzweck hat, für Implantationsverfahren zu werben. Die Ratgeber werden auch nicht, wie die Klägerin unter Vorlage eidesstattlicher Versicherungen seitens verschiedener Zahnärzte glaubhaft vorgetragen hat, in den Arztpraxen zur kostenlosen Mitnahme ausgelegt, sondern erst nach einem Beratungsgespräch mit dem Zahnarzt von diesem persönlich an den Patienten ausgehändigt, damit dieser sich zu Hause in Ruhe informieren kann. Der sehr detaillierte Sachteil prägt die Broschüre als Informationsbroschüre, bei der der Werbecharakter für den Zahnarzt sowohl quantitativ als auch qualitativ von untergeordneter Bedeutung erscheint. Der Werbezweck ist im Übrigen schon deshalb zu vernachlässigen, weil der Ratgeber von dem Zahnarzt an bereits vorhandende Patienten ausgehändigt wird und somit nicht der Werbung von neuen Patienten dient. Schließlich ist die Broschüre geeignetes Mittel zur Erfüllung der seitens der Zahnärzte bestehenden gesetzlichen Aufklärungs- und Informationspflichten und wird nach dem unbestrittenen Vorbringen der Klägerin auch als solches eingesetzt.
Dieser Beurteilung widersprechen nicht von dem Beklagten eingereichten Protokolle über die Vernehmung eines Zahnarztes und der Betreiber eines Labors. Dass die Broschüren überwiegend Werbezwecken dienen, lässt sich den protokollierten Aussagen gerade nicht entnehmen, dass sie auch der Werbung dienen, ist unstreitig, steht aber – wie ausgeführt – der begünstigten Besteuerung nicht entgegen. Dem beantragten Zeugenbeweis des Beklagten musste aus diesem Grunde nicht entsprochen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.