Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 27. Senat | Entscheidungsdatum | 03.08.2012 | |
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Aktenzeichen | L 27 P 39/12 B ER | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 86b SGG, § 115 SGB 11 |
Auf den im Verfahren vor dem Landessozialgericht gestellten Antrag der Antragstellerin werden die Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Veröffentlichung der Ergebnisse der die stationäre Pflegeeinrichtung „“ betreffenden Qualitätsprüfung vom 24. Januar 2012 im Internet, insbesondere unter www.aok-pflegeheimnavigator.de sowie www.pflegelotse.de, unverzüglich zu beseitigen.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. April 2012 geändert.
Den Antragsgegnern wird vorläufig untersagt, die Ergebnisse der die stationäre Pflegeeinrichtung „“ betreffenden Qualitätsprüfung vom 24. Januar 2012 bis zum Ablauf des 31. Januar 2013, längstens jedoch bis zum Abschluss eines noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahrens, weiter zu veröffentlichen.
Im Übrigen werden die Beschwerde und der weiter gehende Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens vor dem Landessozialgericht haben die Antragstellerin zu einem Zehntel und die Antragsgegner als Gesamtschuldner zu neun Zehnteln zu tragen. Im Übrigen verbleibt es bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für das Verfahren vor dem Landessozialgericht auf 10.000,00 Euro festgesetzt. Im Übrigen verbleibt es bei der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung.
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes über die Veröffentlichung eines Transparenzberichtes nach § 115 Absatz 1 a Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI).
Die Antragstellerin ist Trägerin der stationären Pflegeeinrichtung „“, für das die zuständige Heimaufsichtsbehörde mit Bescheid vom 13. Juli 2011 einen Aufnahmestopp anordnete. Im Januar 2012 lebten in der Einrichtung, die über 139 Pflegeheimplätze verfügt, 109 Bewohner, davon 19 rüstige Personen, 50 Personen, für die die Pflegestufe I, 31 Personen, für die die Pflegestufe II und 9 Personen, für die die Pflegestufe III bestand. Mit Bescheid vom 10. Mai 2012 hob die zuständige Heimaufsichtsbehörde den angeordneten Aufnahmestopp für rüstige Bewohner sowie für solche der Pflegestufe 0 und I mit sofortiger Wirkung wieder auf.
Bereits am 18. August 2011 hatte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) eine Qualitätsprüfung bei der Antragstellerin durchgeführt. Den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Verhinderung der Veröffentlichung des darauf gestützten Transparenzberichtes hatte das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 mit der Begründung abgelehnt, angesichts des heimaufsichtsrechtlichen Aufnahmestopps bestünde kein eiliges Regelungsbedürfnis. Die dagegen von der Antragstellerin einlegte Beschwerde hatte der Senat durch Beschluss vom 27. März 2012 (L 27 P 10/12 B ER) unter Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen und ergänzend dargelegt, dass ein Eilbedürfnis auch deshalb fehle, weil die Antragsgegner erklärt hätten, den auf der Prüfung vom 18. August 2011 beruhenden Transparenzbericht zunächst nicht zu veröffentlichen. Der Transparenzbericht über die Prüfung vom 18. August 2011 wurde später jedoch im Internet veröffentlicht. Mit Schreiben vom 17. Juli 2012 forderte die Antragstellerin die Antragsgegner auf, diesen Transparenzbericht aus dem Internet zu entfernen und zu erklären, dass eine erneute Veröffentlichung endgültig unterbleiben werde.
Der MDK führte bei der Antragstellerin am 24. Januar 2012 im Rahmen einer Wiederholungsprüfung erneut eine Qualitätsprüfung durch. Es wurden dabei die Leistungen für elf Pflegekunden überprüft (sechs Personen mit Pflegestufe I, vier Personen mit Pflegestufe II und eine Person mit Pflegestufe III). Am 13. Februar 2012 wurde der Antragstellerin im Auftrag der Antragsgegner der auf Grundlage des Prüfberichts des MDK vom 6. Februar 2012 erstellte Transparenzbericht im Entwurf übermittelt und mitgeteilt, dass der Transparenzbericht spätestens 28 Tage nach dem ersten Entwurf veröffentlicht werde. Dabei erhielt die Antragstellerin folgende Bewertungen:
Qualitätsbereich 1:
Pflege und medizinische Versorgung
3,5 ausreichend
Qualitätsbereich 2:
Umgang mit demenzkranken Bewohnern
4,7 mangelhaft
Qualitätsbereich 3:
Soziale Betreuung und Alltagsgestaltung
1,3 sehr gut
Qualitätsbereich 4:
Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene
2,1 gut
Gesamtergebnis:
3,2 befriedigend
Qualitätsbereich 5:
Befragung der Bewohner:
1,4 sehr gut
Mit an die Antragsgegner gerichtetem Schreiben vom 29. Februar 2012 erhob die Antragstellerin gegen verschiedene Darstellungen des Prüfberichts Einwände und forderte die Antragsgegner auf, den Prüfbericht unter Einbeziehung dieser Einwände zu überarbeiten und den aus dem Prüfbericht abgeleiteten Transparenzbericht zu korrigieren.
Am 8. März 2012 hat die Antragstellerin das Sozialgericht Berlin um vorläufigen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Veröffentlichung des Transparenzberichts ersucht. Das Sozialgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 3. April 2012 mit der Begründung abgelehnt, ein Anordnungsgrund sei angesichts des bestehenden Aufnahmestopps für die Einrichtung weiterhin nicht glaubhaft gemacht worden. Erhebliche negative Auswirkungen der Veröffentlichung des Transparenzberichtes, die über die Außenwirkung des ohnehin heimaufsichtsrechtlich verfügten Aufnahmestopps hinausgingen, seien nicht erkennbar.
Mit ihrer am 2. Mai 2012 erhobenen Beschwerde gegen den ihr am 11. April 2012 zugestellten Beschluss vertritt die Antragstellerin die Ansicht, ungeachtet verfassungsrechtlicher Aspekte sei die Veröffentlichung des in Rede stehenden Transparenzberichtes rechtswidrig, weil die Antragsgegner bei der Ermittlung der jeweiligen Bereichsnote sowie der Gesamtbewertung nicht die Summe der Einzelnoten des Qualitätsbereichs bzw. der Qualitätsbereiche, sondern die Summe der Skalenmittelwerte als Ausgangspunkt zugrunde gelegt hätten und diese Berechnungsweise nicht im Einklang mit der „Pflege-Transparenzvereinbarung stationär“ (PTVS) stehe. Zudem behauptet die Antragstellerin, dass die im Prüfbericht benannten Mängel tatsächlich nicht in dem dargestellten Umfang bestünden, so dass der Transparenzbericht auf einer falschen Tatsachengrundlage beruhe. Angesichts des zwischenzeitlich teilweise aufgehobenen heimaufsichtsrechtlichen Aufnahmestopps bestünde auch das erforderliche Eilbedürfnis für die begehrte einstweilige Anordnung.
Die Antragstellerin beantragt zuletzt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. April 2012 aufzuheben und die Antragsgegner vorläufig, bis zur Rechtskraft einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren, zu verpflichten, die Ergebnisse der die Pflegeinrichtung „“ betreffenden Qualitätsprüfung vom 24. Januar 2012 wieder aus dem Internet zu entfernen, sowie den Antragsgegnern vorläufig, bis zur Rechtskraft einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren, zu untersagen, die Ergebnisse der die Pflegeinrichtung „“ betreffenden Qualitätsprüfung vom 24. Januar 2012 zu veröffentlichen.
Die Antragsgegner beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie halten die Entscheidung für zutreffend. Der Transparenzbericht sei aufgrund umfangreicher individueller Feststellungen, die schlüssig und nachvollziehbar die mangelnde Pflegequalität belegten, nach den gesetzlichen Bestimmungen korrekt erstellt worden. Trotz Maßnahmebescheid und Wiederholungsprüfung sei die Einrichtung nicht in der Lage, ein bereits zuvor nur mit einem Gesamtergebnis von 3,0 bewertetes und damit schlechtes Versorgungsniveau zu halten. Darüber hinaus sei ein Eilbedürfnis nicht erkennbar. Die Antragstellerin habe es versäumt, konkrete Auswirkungen durch die Veröffentlichung des vorangegangenen, bereits deutlich unter dem Durchschnitt liegenden Transparenzberichtes darzulegen, so dass konkrete Auswirkungen durch die in Rede stehende Veröffentlichung nicht nachvollziehbar seien.
Mit der Beschwerdeerwiderung hatten die Antragsgegner zunächst vorgetragen, den in Rede stehenden Transparenzbericht nach der erstinstanzlichen Entscheidung veröffentlicht zu haben. Tatsächlich scheint die Veröffentlichung zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht stattgefunden zu haben, da die Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin in einem Schreiben vom 25. Juli 2012 erklärten, die Veröffentlichung mit Blick auf das anhängige Beschwerdeverfahren vorerst zurückgestellt zu haben. Nachdem die Antragstellerin nach Ansicht der Antragsgegner mit dem Schreiben vom 17. Juli 2012 um Veröffentlichung des in Rede stehenden Transparenzberichtes ersucht hätte, werde dieser nunmehr zur Veröffentlichung freigegeben. Tatsächlich ist der Transparenzbericht jedenfalls seit dem 27. Juli 2012 im Internet unter www.aok-pflegeheimnavigator.de sowie www.pflegelotse.de zugänglich.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners zu 1) vorgelegen, auf die wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ebenso Bezug genommen wird wie auf die Schriftsätze der Beteiligten.
II.
Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang sowohl hinsichtlich des erstmals vor dem Landessozialgericht gestellten Antrages auf Beseitigung der Veröffentlichung als auch hinsichtlich des auf Unterlassung weiterer Veröffentlichung des in Rede stehenden Transparenzberichts gerichteten Beschwerdebegehrens Erfolg.
1. Angesichts des Umstands, dass die Antragsgegner nach Erlass des Beschlusses des Sozialgerichts zwischenzeitlich die Veröffentlichung des Transparenzberichts im Internet veranlasst haben, durfte die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren ihren ursprünglich gestellten Antrag, den Antragsgegnern im Wege der Sicherungsanordnung nach § 86 b Absatz 2 Satz 1 SGG vorläufig zu untersagen, die Ergebnisse der Qualitätsprüfung vom 24. Januar 2012 künftig zu veröffentlichen, zulässigerweise dahingehend erweitern, dass die Antragsgegner im Wege der Regelungsanordnung nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 SGG verpflichtet werden, die bestehende Veröffentlichung wieder zu beseitigen.
Der auf vorläufige Beseitigung der Veröffentlichung des die Pflegeeinrichtung „“ betreffenden Transparenzberichts aufgrund der Qualitätsprüfung vom 24. Januar 2012 im Internet, insbesondere unter www.aok-pflegeheimnavigator.de und www.pflegelotse.de, gerichtete Antrag ist begründet.
Nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 SGG ist eine einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Diese Voraussetzungen für die begehrte Anordnung liegen vor. Nach ständiger Rechtsprechung erscheint eine Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig, wenn die Rechtsverfolgung in der Sache erhebliche Erfolgsaussicht hat (Anordnungsanspruch) und bei Abwägung der Interessen der Beteiligten die Interessen des Antragstellers an der vorläufigen Regelung diejenigen der anderen Beteiligten überwiegen und für ihre Realisierung ohne die Regelung erhebliche Gefahren, wesentliche Nachteile für die Ausübung/Realisierung/Bewahrung von Rechten, drohen (Anordnungsgrund). Dabei sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund umso höher, je geringer die Erfolgsaussicht ist; sie sind umso niedriger, je größer die Erfolgsaussichten sind. Ist unklar, ob ein Anordnungsanspruch besteht, hat eine Folgenabwägung zu erfolgen. Eine solche verlangt, die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn die begehrte Anordnung nicht erginge, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren aber obsiegen würde, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die Anordnung erlassen würde, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren indes keinen Erfolg hätte. Dabei sind insbesondere die möglichen Folgen für die Grundrechte des jeweiligen Antragstellers zu bedenken.
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, da ihre Rechtsverfolgung in der Hauptsache erhebliche Aussicht auf Erfolg verspricht.
Allgemein anerkannt ist der Anspruch des Bürgers gegen die Verwaltung, der sich auf die Abwehr einer Beeinträchtigung einer geschützten Rechtsposition durch hoheitliches Handeln richtet, das der Betroffene nicht zu dulden braucht. Denn die Grundsätze des materiellen Rechtsstaats, zu denen die Grundrechte und die Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht gehören, gebieten, dass eine rechtswidrige Beeinträchtigung einer grundrechtlich oder gesetzlich geschützten Rechtsposition beseitigt und ihrer Wiederholung vorgebeugt wird. Es kann dahin stehen, ob dieser Beseitigungsanspruch aus einer Analogie zu §§ 1004 Absatz 1 Satz 1 und Abs. 2, 906 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), aus dem Rechtsstaatsprinzip oder aus den Freiheitsgrundrechten herzuleiten ist, da er gewohnheitsrechtlich anerkannt ist.
Vorliegend verletzt die Veröffentlichung des Transparenzberichts die Berufsfreiheit der Antragstellerin aus Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 GG.
Der Schutzbereich dieses Grundrecht kann nicht nur berührt sein, wenn eine berufliche Tätigkeit unterbunden wird, sondern auch dann, wenn der Markterfolg behindert wird, da in der bestehenden Wirtschaftsordnung das Freiheitsrecht des Artikels 12 Absatz 1 GG das berufsbezogene Verhalten der Unternehmen am Markt nach den Grundsätzen des Wettbewerbs umschließt (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 28. Juli 2004 – 1 BvR 2566/95). Die Verbreitung von Informationen über einen Unternehmer ist, obwohl sie ihn nicht grundsätzlich daran hindert, seinen Beruf auszuüben, geeignet, dessen Erfolg der Berufsausübung beeinflussen (vgl. BVerfG, a.a.O.). Damit ist sie jedoch nicht per se ausgeschlossen. Denn eine marktwirtschaftliche Ordnung setzt gerade voraus, dass die Markteilnehmer über ein möglichst hohes Maß an Informationen über marktrelevante Faktoren verfügen. Informationen, welche die Markttransparenz verbessern und den Marktteilnehmern eine an den eigenen Interessen orientierte Entscheidung über die Bedingungen der Marktteilhabe ermöglichen, berühren den Schutzbereich der Berufsfreiheit auch dann nicht, wenn sie sich auf die Wettbewerbsposition eines einzelnen Unternehmens nachteilig auswirken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91, 1 BvR 1428/91). Da die inhaltliche Richtigkeit einer Information allerdings grundsätzlich Voraussetzung dafür ist, dass sie die Transparenz am Markt und damit dessen Funktionsfähigkeit fördert, schützt Artikel 12 Absatz 1 GG Unternehmen in ihrer beruflichen Betätigung vor inhaltlich unzutreffenden Informationen oder vor Wertungen, die auf sachfremden Erwägungen beruhen (vgl. BVerfG, a.a.O.).
An diesen Maßstäben gemessen stellt die Veröffentlichung des Transparenzberichts aufgrund der Qualitätsprüfung vom 24. Januar 2012 durch die Antragsgegner einen Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit der Antragstellerin dar. Denn die Vergabe der Noten, eine Wertentscheidung des MDK, die sich die Antragsgegner mit deren Veröffentlichung zu Eigen gemacht haben, beruht auf einer unzureichend ermittelten Tatsachengrundlage und damit auf sachfremden Erwägungen im genannten Sinne. Damit kann offen bleiben, ob dem MDK im Rahmen der nach § 115 Absatz 1 a SGB XI vorzunehmenden Bewertungen Beurteilungsspielräume eröffnet sind, da ein derartiger Fehler im Abwägungsvorgang auch in diesem Fall gerichtlich vollständig überprüft werden darf und im Hinblick auf Artikel 19 Absatz 4 GG überprüft werden muss.
Es begegnet bereits Zweifeln, ob die PTVS vom 17. Dezember 2008 den gesetzlichen Vorgaben des § 115 Absatz 1 a Satz 6 SGB XI gerecht wird, wonach neben den Kriterien der Veröffentlichung auch „die Bewertungssystematik“ zu vereinbaren ist, und damit als Normsetzungsvereinbarung überhaupt Bindungswirkung für die einzelne Pflegeeinrichtung entfalten kann (vgl. zum Ganzen für die „Pflege-Transparenzvereinbarung ambulant“ (PTVA) bereits Beschlüsse des Senats vom 29. März 2010 – L 27 P 14/10 B ER, vom 11. Mai 2010 – L 27 P 18/10 B ER und vom 15. März 2011 – L 27 P 75/10 B ER). Derartige Zweifel ergeben sich insbesondere deswegen, weil die Vertragsparteien im Vorwort der PTVS selbst einräumen, dass derzeit keine pflegewissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über valide Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität vorliegen.
Der Träger der Staatsgewalt kann allerdings zur Verbreitung von Informationen unter besonderen Voraussetzungen auch dann berechtigt sein, wenn ihre Richtigkeit noch nicht abschließend geklärt ist. In solchen Fällen hängt die Rechtmäßigkeit der staatlichen Informationstätigkeit davon ab, ob der Sachverhalt vor seiner Verbreitung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung verfügbarer Informationsquellen, gegebenenfalls auch unter Anhörung Betroffener, sowie in dem Bemühen um die nach den Umständen erreichbare Verlässlichkeit aufgeklärt worden ist. Verbleiben dennoch Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht, ist der Staat an der Verbreitung der Informationen gleichwohl jedenfalls dann nicht gehindert, wenn es im öffentlichen Interesse liegt, dass die Marktteilnehmer über einen für ihr Verhalten wichtigen Umstand, etwa ein Verbraucherrisiko, aufgeklärt werden (vgl. BVerfG, a.a.O.). Vorliegend liegen diese besonderen Voraussetzungen jedoch nicht vor. Anders als etwa bei der Veröffentlichung einer Liste diethylenglykolhaltiger Weine unter Nennung der betroffenen Abfüllbetriebe zielt die Veröffentlichung der Transparenzberichte durch die Antragsgegner nicht darauf ab, auf eine aktuelle Krise schnell und sachgerecht zu reagieren sowie den Bürgern durch rechtzeitige Informationen zu Orientierungen zu verhelfen. Vielmehr soll die Veröffentlichung der Qualitätsprüfungen die Transparenz stationärer Pflegeeinrichtungen für die Verbraucher hinsichtlich der Leistungen und deren Qualität verbessern. Die Publikation von Benotungen, die auf Grundlage nicht valider Daten vorgenommen wurden, ist hierfür offensichtlich nicht geeignet (a.A. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. November 2010 – L 10 P 76/10 B ER).
Rechtliche Bedenken bestehen daneben auch insoweit, als nach der PTVS die verschiedenen Bewertungskriterien unterschiedslos gleich gewichtet werden und damit Verzerrungen der Bewertungsergebnisse, insbesondere im Hinblick auf die Ergebnisqualität, zu befürchten sind.
Ferner bestehen aus der Sicht des Senats Zweifel an der in § 115 Absatz 1 a Satz 1 SGB XI vorausgesetzten Vergleichbarkeit der zu veröffentlichenden Leistungen und deren Qualität. Denn ein sachgerechter Vergleich setzt die hinreichende Aussagekraft der heranzuziehenden Daten voraus. Dementsprechend bestimmt § 2 PTVS zwar, dass die auszuwertende Patientengruppe eine bestimmte Mindestgröße haben muss, doch enthält die gemäß § 3 Absatz 2 PTVS in Verbindung mit Ziffer 2.1. der Anlage 2 anzuwendende Bewertungssystematik zugleich eine Bestimmung, wonach ein Kriterium, das für einen pflegebedürftigen Menschen nicht zutrifft, nicht in die Bewertung und Mittelwertberechnung einzubeziehen sei. Dies ermöglicht eine Bewertung von Kriterien auch bei Unterschreitung der in § 2 PTVS vorgesehenen Mindestanzahl auszuwertender Fälle und vergrößert so die Wahrscheinlichkeit nicht repräsentativer Zufallsergebnisse. Die bereits bei abstrakter Betrachtung der Regelung bestehenden Bedenken werden im konkreten Fall bestätigt. So hat der MDK von den 33 bewohnerbezogenen Kriterien des Qualitätsbereichs 1 nur elf unter Heranziehung aller elf ausgewählten Bewohner bewerten können. Bei fünf Kriterien basiert die Bewertung hingegen auf nur jeweils einem Fall.
Diese Fragen können im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden. Die Entscheidung über die Gültigkeit der PTVS muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Jedenfalls sind im vorliegenden Fall schon die Vergaben der PTVS bei der Notenbildung missachtet worden. Die Notenbildung hinsichtlich der Bereichs- und der Gesamtbewertung soll nach Ziffer 2.2 der Anlage 2 zur PTVS durch Errechnung des jeweiligen arithmetischen Mittels der Bewertungen der einzelnen Kriterien erfolgen. Eine Notenbildung aufgrund von vorherigen Punkt-/Skalenbewertungen erfolgt nach den Vorgaben der Anlage 2 ausschließlich im Rahmen der Bewertung der Einzelkriterien und nicht erneut auf Ebene der Qualitätsbereiche oder der Gesamtbewertung. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil mit der von der Anlage 2 zur PTVS vorgesehenen Notenbildung aufgrund vorheriger Punkt-/Skalenbewertungen eine von der Bildung des arithmetischen Mittels der Einzelnoten deutliche Abweichung der Gewichtung erfolgt. Mangels anderer Bestimmungen in der PTVS muss deshalb die Notenbildung für die Qualitätsbereiche und die Gesamtnote durch Errechnen des Notendurchschnitts erfolgen. Vorliegend sind die im Transparenzbericht ausgewiesenen Notenbildungen der Qualitätsbereiche 1 bis 4 sowie des Gesamtergebnisses falsch, weil diese in keinem Fall dem arithmetischen Mittel entsprechen. Die Veröffentlichung von Noten, die sich selbst nach der Bewertungslage der Antragsgegner so nicht errechnen lässen, bedeutet einen schweren Fehler, der schon für sich dazu führen muss, den Transparenzbericht nicht zu veröffentlichen.
Mit der Feststellung der Beeinträchtigung des Schutzbereichs steht vorliegend zugleich die Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung fest (vgl. BVerfG, a.a.O.), weshalb sie von der Antragstellerin nicht zu dulden ist. Eine Rechtfertigung der Weiterverbreitung unrichtiger Informationen bzw. – wie hier – von Wertungen, die auf sachfremden Erwägungen beruhen, ist ausgeschlossen. Es ist daher für die Zulässigkeit öffentlicher Bewertungen nicht ausreichend, dass keine groben Fehler oder Bewertungsmängel bzw. keine schwerwiegenden Verstöße gegen die rechtlichen Vorgaben vorliegen (a.A. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – L 8 P 29/10 B ER; vgl. auch zur PVTA: Landessozialgericht Sachsen, Beschluss vom 24. Februar 2010 – L 1 P 1/10 B ER, und Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, a.a.O). Zum Einen hat die Öffentlichkeit grundsätzlich Anspruch auf zutreffende Information. Dies gilt auch wegen des öffentlichen Interesses an einer fairen Marktsituation. Zum Anderen verlangt der Schutz des Grundrechts der Berufsausübungsfreiheit, dass die veröffentlichten Daten und Bewertungen auf zutreffender Tatsachengrundlage zustande kommen.
Es liegt angesichts der mangelnden Rechtstreue der Antragsgegner, die während des laufenden Beschwerdeverfahrens, ohne dessen Ausgang abzuwarten, den in Rede stehenden Transparenzbericht veröffentlicht haben und dies mit dem Begehren der Antragstellerin zur Entfernung des vorangegangenen Transparenzberichts zu begründen versuchen, nunmehr auch ein Anordnungsgrund vor, nachdem zeitlich nach dem angegriffenen erstinstanzlichen Beschluss der heimaufsichtsrechtliche Aufnahmestopp teilweise aufgehoben wurde. Eilbedürftigkeit ist hier zudem deshalb zu bejahen, weil durch die Veröffentlichung des Transparenzberichts eine Verletzung der Berufsfreiheit der Antragstellerin bereits eingetreten ist und durch die weiter bestehende Einsichtsmöglichkeit perpetuiert wird.
2. Die gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. April 2012 ist zulässig und hat insoweit Erfolg, als sie die vorläufige Unterlassung der weiteren Veröffentlichung des betreffenden Transparenzberichts aufgrund der Prüfung vom 24. Januar 2012 begehrt.
Nach § 86 b Absatz 2 Satz 1 SGG ist eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand zu treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Ihre Rechtsverfolgung in der Hauptsache hat erhebliche Erfolgsaussicht: Die Voraussetzungen des gewohnheitsrechtlich anerkannten Unterlassungsanspruch (entsprechend dem in den §§ 1004 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2, 906 BGB verkörperten Rechtsgedanken), der sich auf die Abwehr einer drohenden Beeinträchtigung einer geschützten Rechtsposition durch hoheitliches Handeln richtet, das der Betroffene nicht zu dulden braucht, sind nach dem bereits Ausgeführten erfüllt. Die weitere Veröffentlichung des Transparenzberichts würde einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Berufsfreiheit der Antragstellerin darstellen, den sie nicht zu dulden hätte. Hinsichtlich des Anordnungsgrundes berücksichtigt der Senat insbesondere die schwer zu korrigierenden Folgen einer Veröffentlichung der fehlerhaften Bewertungen für die Berufsausübung der Antragstellerin im Rahmen des Wettbewerbs der Pflegeeinrichtungen.
3. Bei der für die Anordnungen auf Beseitigung bzw. auf Unterlassung der Veröffentlichung festzusetzenden Frist geht der Senat davon aus, dass die Hauptsache von der Antragstellerin oder auch von den Antragsgegnern zügig anhängig gemacht wird. Eine Verpflichtung der Antragstellerin zur Klageerhebung nach § 86 b Absatz 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 926 Zivilprozessordnung (ZPO) konnte nicht ausgesprochen werden, weil die Antragsgegner keinen entsprechenden Antrag gestellt haben. Schließlich war bei der Fristsetzung zu berücksichtigen, dass ein Hauptsacheverfahren besonders zügig zu entscheiden ist und auch entschieden werden kann. Sollte das Verfahren in der Hauptsache bis zu dem hier gesetzten Termin noch nicht abgeschlossen sein, wäre ggf. auf entsprechenden Antrag durch das dann zuständige Gericht der Hauptsache über die weitere Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu entscheiden.
4. Im Übrigen waren die Beschwerde und der Antrag zurückzuweisen, da das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin auf eine Wirkung der einstweiligen Anordnung bis zum rechtskräftigen Abschluss eines noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahrens gerichtet war, aus den vorstehend genannten Gründen jedoch lediglich eine befristete Anordnung in Betracht kam.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 197 a SGG in Verbindung mit § 155 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und berücksichtigt den überwiegenden Erfolg der Beschwerde. Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 197 a SGG, 63, 53 Abs. 3 Nr. 4, 52 Absatz 2 GKG. Sie berücksichtigt den ausdrücklichen Verweis des § 53 Abs. 3 Nr. 4 GKG für das sozialgerichtliche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf § 52 Absatz 2 GKG, weshalb eine Reduzierung des Auffangstreitwertes für derartige Verfahren ausgeschlossen erscheint. Da mit dem Beschwerdebegehren in Form der Beseitigung der Veröffentlichung und Unterlassung künftiger Veröffentlichungen zwei selbständige Streitgegenstände geltend gemacht werden, war der Auffangstreitwert nach der ständigen Rechtsprechung des Senats entsprechend dem Rechtsgedanken des § 5 ZPO doppelt in Ansatz zu bringen (vgl. Beschluss vom 5. Oktober 2011 – L 27 P 23/11 B).
6. Dieser Beschluss kann nicht angefochten werden (§ 177 SGG).