Gericht | OLG Brandenburg 1. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 14.03.2011 | |
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Aktenzeichen | 1 AR 8/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Zuständig ist das Landgericht Neuruppin.
I.
Die Klägerin, ein Versorgungsunternehmen, nimmt den Beklagten auf Zahlung von 389,00 € nebst Zinsen für die Lieferung von Gas und Strom in Anspruch. Der Beklagte macht geltend, dass die der Forderung zu Grunde liegenden Preiserhöhungen unbillig und daher unwirksam seien. Die Klägerin stützt sich auf das in § 4 Abs. 2 AVBGasV bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV geregelte Preisanpassungsrecht und vertritt außerdem die Auffassung, dass die Preisanpassungen der Billigkeit entsprechen würden.
Mit Verfügung vom 26. August 2010 hat das Amtsgericht Oranienburg darauf hingewiesen, dass gemäß § 102 Abs. 1 EnWG das Landgericht Neuruppin ausschließlich sachlich zuständig sei. Die Klägerin hat mit ihrem Schriftsatz vom 17. September 2010 dieser Rechtsauffassung widersprochen, jedoch hilfsweise einen Antrag auf Verweisung an das Landgericht Neuruppin - Kammer für Handelssachen - gestellt. Der Beklagte hat sich der Auffassung des Gerichts mit Schriftsatz vom 24. September 2010 angeschlossen. Daraufhin hat sich das Amtsgericht Oranienburg mit Beschluss vom 27. September 2010 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Neuruppin verwiesen. Mit Beschluss vom 28. Januar 2011 hat sich das Landgericht Neuruppin seinerseits für unzuständig erklärt und die Sache zur Entscheidung über die Zuständigkeit dem Brandenburgischen Oberlandesgericht vorgelegt.
II.
1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, weil es für die am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichten das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht ist.
2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Oranienburg als auch das Landgericht Neuruppin haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für sachlich unzuständig erklärt, ersteres durch nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 27. September 2010 und letzteres durch den seine Zuständigkeit abschließend verneinenden Vorlagebeschluss vom 28. Januar 2011, der als solcher den Anforderungen genügt, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es insoweit allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekannt gemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler Senat NJW 2004, 780; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 36 Rdnrn. 24 f.).
3. Zuständig ist das Landgericht Neuruppin.
Seine Zuständigkeit folgt aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Oranienburg vom 27. September 2010 (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO kann die Bindungswirkung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-) Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfallen. Im Interesse einer baldigen Klärung der Gerichtszuständigkeit und der Vermeidung von wechselseitigen (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler wie das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung demzufolge grundsätzlich nicht. Hinzu kommen muss dafür vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder sonst grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (statt vieler Senat JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; MDR 2006, 1184; NJW 2004, 780; eingehend ferner Tombrink NJW 2003, 2364, 2364 f.; jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Den derart zu konkretisierenden (verfassungsrechtlichen) Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Oranienburg stand:
Der Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör ist beachtet worden.
Der Verweisungsbeschluss entbehrte auch nicht der gesetzlichen Grundlage.
Zwar teilt der Senat die vom Amtsgericht Oranienburg vertretene Rechtsauffassung, wonach sich für das streitgegenständliche Verfahren aus § 102 EnWG eine ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte ergibt, nicht. Gemäß § 102 Abs. 1 EnWG sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus diesem Gesetz ergeben, ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die Landgerichte ausschließlich zuständig. Dies gilt gemäß § 102 Abs. 2 EnWG auch dann, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach diesem Gesetz zu treffen ist. Mit ihrer Klage macht die Klägerin Versorgungsentgelte gegenüber dem Kläger geltend, die dieser bisher nicht bezahlt hat, da er die zu Grunde liegende Preiserhöhung für unwirksam hält. Derartige Zahlungsanprüche werden von der Zuständigkeitsregelung des § 102 EnWG jedoch nicht erfasst, da hier nicht der Anspruch auf Grundversorgung Streitgegenstand ist (so auch die bisher wohl einhellige Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte: OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. Januar 2011, Az. 5 AR 35/10, zitiert nach juris; OLG Celle, Beschluss vom 23. Dezember 2010, Az. 13 AR 9/10, zitiert nach juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. Dezember 2010, Az. 11 AR 3/10, zitiert nach juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10. Juli 2009, Az. 2 AR 23/09; OLG München, Beschluss vom 15. Mai 2009, Az. AR (K) 7/09, zitiert nach juris; wohl auch KG, Beschluss vom 9. Oktober 2009, Az. 2 AR 48/09, zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 3. April 2008, Az. 8 W 19/08, zitiert nach juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 15. August 2008, Az. 1 W 43/07, zitiert nach juris).
Eine Rechtsstreitigkeit im Sinne des § 102 Abs. 1 EnWG liegt schon deshalb nicht vor, da sich der mit der Klage geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht auf eine Anspruchsgrundlage des EnWG oder des auf dem EnWG beruhenden Regelwerks stützten lässt und sich mithin nicht aus dem EnWG ergibt (vgl. Britz/Hellermann/Hermes-Hölscher, EnWG, 2. Aufl., § 102 Rdnr. 12). Vielmehr handelt es sich um einen Anspruch, der seine Grundlage gegebenenfalls in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag hat.
Auch § 102 Abs. 2 EnWG ist nicht einschlägig, da die Entscheidung des Rechtsstreits nicht von einer Entscheidung abhängt, die nach diesem Gesetz zu treffen ist. Der von der Klägerin geltend gemachte Zahlungsanspruch hängt davon ab, ob die von ihr vorgenommene Preiserhöhung wirksam ist. Auch diese Entscheidung ist jedoch nicht nach den Regelungen des EnWG, sondern allein nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu treffen. Ob die Klägerin sich auf das Preisanpassungsrecht nach der AVBGasV bzw. GasGVV berufen kann oder ob die Preiserhöhung nach § 315 BGB der Billigkeit entspricht, ergibt sich nicht aus dem EnWG, und zwar auch nicht aus § 1 Abs. 1 EnWG. § 1 Abs. 1 EnWG enthält lediglich die programmatische Umschreibung des Gesetzeszweckes einer möglichst sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas und stellt keine Regelung dar, nach der die Vorfrage der Anwendung der AVBGasV bzw. GasGVV oder der Billigkeit zu entscheiden wäre, sondern zeigt lediglich allgemein Gesichtpunkte auf, die in diese Abwägung einzufließen haben (vgl. OLG Oldenburg, a. a. O.; OLG Frankfurt, a. a. O.; Britz/Hellermann/ Hermes-Hölscher, a. a. O., § 102 Rdnr. 13). Was der Billigkeit gemäß § 315 BGB entspricht, ergibt sich nicht aus dem EnWG, sondern aus einer Abwägung der beiderseitigen Vertragsinteressen.
Auch aus der Begründung des EnWG ergibt sich nichts anderes. So verweist der Gesetzgeber (vgl. BT-Drs. 15/3917, S. 75) allein darauf, dass die Vorschrift dem § 87 GWB entspreche, was schon insoweit ungenau ist, als dort von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, „die die Anwendung dieses Gesetzes […] betreffen“ die Rede ist, während in § 102 EnWG die Zuständigkeit für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, „die sich aus diesem Gesetz ergeben“, geregelt ist. Aus der in § 87 GWB „zur Wahrung der Rechtseinheitlichkeit“ (vgl. BR-Drs. 441/04, S. 122) getroffenen Regelung kann jedoch nicht darauf geschlossen werden, dass durch § 120 EnWG jegliche Verfahren, an denen Energieversorger beteiligt sind, bei den Landgerichten konzentriert sein sollen. Darauf würde eine derart weite - nach hiesiger Auffassung- über den Wortlaut hinausgehende Auslegung, wie sie das Amtsgericht Oranienburg in seinem Verweisungsbeschluss vertritt, jedoch hinauslaufen. Einer Konzentration bedarf es jedoch nur hinsichtlich über den Einzelfall hinausgehender, grundsätzlicher Fragen und nicht für individuelle Streitigkeiten über einzelvertragliche Ansprüche (vgl. OLG Köln, a. a. O., Rdnr. 22).
Dennoch erscheint die Verweisung hier weder offenbar gesetzwidrig noch grob rechtsfehlerhaft. Das Amtsgericht Oranienburg hat sich zur Begründung seiner Rechtsauffassung auf eine auch von anderen Amts- und Landgerichten sowie in der Literatur vereinzelt vertretene weite Auslegung des § 102 EnWG gestützt, die auch auf der Grundlage des Gesetzeswortlautes jedenfalls nicht als schlechthin unvertretbar und willkürlich angesehen kann. Es hat sich im Rahmen seiner Begründung auch mit den Argumenten der Klägerseite, mit der Gesetzesbegründung sowie mit der entgegenstehenden obergerichtlichen Rechtsprechung auseinandergesetzt. Eine diesbezügliche Entscheidung des hiesigen Oberlandesgerichts zu dieser Streitfrage lag - soweit ersichtlich - noch nicht vor, sodass dem Amtsgericht auch nicht vorgehalten werden kann, eine etwa entgegenstehende Rechtsprechung des zuständigen Obergerichts ignoriert zu haben, mit der möglichen Folge des Wegfalls der Bindungswirkung.