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Sorgfaltspflichten im Umsatzsteuerkarussell


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 24.11.2010
Aktenzeichen 7 K 2356/06 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 15 Abs 1 S 1 Nr 1 UStG, § 2 Abs 1 UStG

Leitsatz

1. Die in Rechnungen ausgedruckte Leistungsbeschreibung muss sich mit der tatsächlich gelieferten Ware decken.

2. Maßgeblich dafür, welche Ware tatsächlich geliefert werden muss, sind die zuvor zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen.

3. Die besonderen Sorgfaltspflichten als Voraussetzung für den Vorsteuerabzug (EuGH vom 06.07.2006 C-439, 440/04 - Kittel/Recolta Recycling) gelten auch, wenn nicht der Eingangsumsatz des Stpfl., sondern ein Vorumsatz hinterzogen wurde, der Folgeumsatz jedoch für den Tatplan wesentlich ist.

4. Ein Gutglaubensschutz kann nur im Rahmen eines gesonderten Billigkeitsverfahrens gewährt werden.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Tatbestand

Die Klägerin gehört zur Unternehmensgruppe A und ist dort als sog. Einkaufsgesellschaft tätig, treibt jedoch auch darüber hinaus Handel mit dritten Abnehmern.

Im Streitjahr übte sie ihren wesentlichen Geschäftsbetrieb von einer Filiale in M aus und unterhielt Geschäftsbeziehungen mit der B-GmbH -…-, von der sie laut der ihr erteilten Rechnungen 33mal jeweils 500 „Prozessoren PT4-E2“ (vgl. Anlage K 4, Bl. 107 Gerichtsakte -GA-; Anlage 2 zum Steuerlichen Bericht vom 31. August 2004; Urteil des Landgerichts -LG- Berlin vom 10. April 2008 (514) 1 St Js 528/02 KLs (6/06), Bl. 241, 243 GA) zu Nettopreisen von jeweils von 502,08 €/Stück = 251.040 € zuzüglich 40.166,40 € Umsatzsteuer bezog. Die Klägerin lieferte die von der B-GmbH bezogenen Bauteile (jedenfalls papiermäßig) wiederum an eine Firma C in Malaysia -…- gegen einen Gewinnaufschlag in Höhe von 3 v. H. auf die Nettopreise ohne Umsatzsteuerausweis weiter. In einer Email der Firma C vom 5. Oktober 2001 wird der Einsatzbereich des Prozessors als „der medizinische Bereich“ bezeichnet (Anlage AS 13 im Verfahren 2 B 5066/05). In diesem Zusammenhang erteilte die Klägerin der B-GmbH am 28. März 2002 eine Bestellung über 500 Prozessoren PT4-E2, wobei sie die Prozessoren als von der Firma AMD/Samsung hergestellt und ausschließlich zu medizinischen Zwecken einsetzbar charakterisierte (Anlage 1 zum Schriftsatz des Beklagten vom 5. März 2008, Bl. 194 GA). Nach einem nicht datierten Schreiben der Firma C an die Klägerin sollte der Prozessor PT4-E2 dual (zwei Stück auf einem Board) in einer selbst operierenden Einheit einer Operationsanlage zum Einsatz kommen, die ausschließlich in Krankenhäusern oder Kliniken zum Einsatz kommen (Anlage 4 zum Schriftsatz des Beklagten vom 5. März 2008, Bl. 197 GA). In den Ausfuhranmeldungen bezeichnete die Klägerin die Ware als Prozessor für medizinische Operationsmaschinen PT4-E2.

Die Ware gelangte nicht in die Geschäftsräume der Klägerin, sondern wurde von der Spedition D bei der B-GmbH abgeholt und an die Firma C versandt. Eine genaue Überprüfung der Ware nahm die Klägerin nicht vor, da nach den Angaben der B-GmbH und den Aufdrucken auf der sog. Umverpackung das Öffnen der Verpackung nur in Reinräumen erfolgen dürfe, da andernfalls die Beschädigung der Prozessoren drohe. Die Firma C nahm die Lieferungen der Klägerin beanstandungsfrei ab. Sämtliche Lieferungen wurden termingerecht im Wege der Vorkasse bezahlt. Dabei wurden die Geldbeträge von den Verantwortlichen der B-GmbH und weiteren Beteiligten im Kreislauf zwischen dem Konto der B-GmbH, dem Konto der Klägerin und zwei weiteren Konten bewegt. Ein Zugriff der Firma C auf diese Gelder bestand nicht (Urteil des LG Berlin vom 10. April 2008 (514) 1 St Js 528/02 KLs (6/06) betreffend den Geldgeber E, Bl. 233 ff. GA).

Die B-GmbH gab gegenüber den Finanzbehörden vor, die an die Klägerin (und eine weitere Abnehmerin) veräußerten Bauteile von der F-AG bezogen zu haben und unterlegte dies durch gefälschte Rechnungen. In ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen machte die B-GmbH die Vorsteuer aus den gefälschten F-AG-Rechnungen geltend und meldete andererseits die der Klägerin in Rechnung gestellte Umsatzsteuer an. Die Klägerin machte die ihr von der B-GmbH in Rechnung gestellte Vorsteuer im Rahmen ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldungen und ihrer Umsatzsteuerjahreserklärung 2002 geltend. Der Beklagte stimmte dieser Jahreserklärung zunächst am 9. August 2004 zu.

Im Rahmen des zuvor erwähnten Strafverfahrens gegen E (ebenso bereits in dem Strafverfahren, das den nominellen Geschäftsführer der B-GmbH G und deren früheren Mitarbeiter H, allerdings eine andere Zwischenhändlerin, betraf [Urteil des LG Berlin vom 7. Februar 2008 (514) 1 St Js 528/02 KLs (6a/06), Bl. 267 ff., 290 GA]) haben der nominelle Geschäftsführer der B-GmbH G und deren früherer Mitarbeiter H als Zeugen ausgesagt, dass die B-GmbH der Klägerin keine hochwertigen Prozessoren, sondern nur minderwertige Elektronikbauteile geliefert habe, die zwischen Europa und Asien hin und her geschickt worden seien (Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. April 2008 (514) 1 St Js 528/02 KLs (6/06), Bl. 255 GA). Dieses Urteil wurde durch Beschluss des Bundesgerichtshofs -BGH- vom 26. November 2009 5 StR 91/09, wistra – Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht -wistra- 2010, 146 (Bl. 359 ff. GA) aufgehoben und an das LG Berlin zurückverwiesen. Der BGH vertrat darin die Auffassung, dass der Klägerin kein Vermögensschaden i. S. des § 263 Strafgesetzbuch -StGB- entstanden sei, da sie einen Vorsteuererstattungsanspruch erhalten habe. Es komme allerdings in Betracht, dass aufgrund der tatsächlichen Umstände hinsichtlich der Realisierung der Vorsteuererstattung für die Klägerin in einem Ausmaß Schwierigkeiten bestanden hätten, dass von einer konkreten schadensgleichen Vermögensgefährdung ausgegangen werden müsse. Das zurückverwiesene Verfahren ist nach wie vor beim LG Berlin anhängig. Die Revisionen der Angeklagten G und H gegen das Urteil des LG Berlin vom 7. Februar 2008 (514) 1 St Js 528/02 KLs (6a/06) verwarf der BGH mit Beschlüssen vom 28. August 2008 1 StR 351/08 als unbegründet. Anhaltspunkte für die Lieferung gleichwertiger Prozessoren an die B-GmbH entdeckten die Strafverfolgungsbehörden nicht.

Auch das Finanzamt J - Steuerfahndungsstelle -Steufa- vertrat die Auffassung, dass die von der B-GmbH gelieferten Pakete keine hochwertigen Prozessoren PT4-E2 der Firma Athlon enthielten. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf den Steuerlichen Bericht der Steufa vom 31. August 2004 (Anlage AS 2 zur Antragsschrift im Verfahren 2 B 5066/05) Bezug.

Der Beklagte nahm die Feststellungen der Steufa zum Anlass, der Klägerin den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der B-GmbH zu versagen. Er vertrat die Auffassung, die B-GmbH sei kein Unternehmer, habe jedenfalls keine Umsätze an die Klägerin ausgeführt. Schließlich deckten sich die Angaben über die gelieferten Waren nicht mit den tatsächlich gelieferten Waren, bei denen es sich um bloße sog. Dummies gehandelt habe.

Dementsprechend erließ der Beklagte am 7. Oktober 2004 einen nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung -AO- geänderten Umsatzsteuerbescheid 2002, mit dem er die Umsatzsteuer auf ./. 1 538 020,69 € festsetzte, was zu einer Nachzahlung von 820 186,96 € führte.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 28. Oktober 2004 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 29.11.2006 als unbegründet zurückwies. In Anknüpfung an das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union -EuGH- vom 6. Juli 2006 C-439, 440/04 – Kittel/Recolta Recycling, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2006, 594 vertrat der Beklagte die Auffassung, die Klägerin hätte wissen müssen, dass sie sich mit ihren Erwerben an Umsätzen beteiligte, die in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen gewesen seien. Denn sie habe den Umstand, dass ihre Entgelte durch die angeblich in Malaysia ansässige Käuferin von einem deutschen Konto bezahlt wurden, nicht zum Anlass genommen, bei der angeblichen Empfängerin der Ware, der Firma C, nachzufragen, ob diese hinter den Aufträgen stehe. Jedenfalls entspreche die tatsächlich gelieferte Ware nicht der in den der Klägerin erteilten Rechnungen aufgeführten Ware. Denn nach den Gesamtumständen sei davon auszugehen, dass die von der Klägerin empfangenen und weiter gelieferten Packungen lediglich geringwertige Attrappen enthielten. Ein Gutglaubensschutz für die Klägerin komme nicht in Betracht.

Am 21. Dezember 2006 hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie trägt vor, die streitbefangenen Lieferbeziehungen hätten sich in der Weise entwickelt, dass in der zweiten Jahreshälfte 2001 bei ihrer Firmengruppe eine Anfrage der Firma C eingegangen sei, nach der diese von der B-GmbH Prozessoren mit der Bezeichnung „PT 4-E2“ kaufen wolle. Die B-GmbH dürfe jedoch nur in Deutschland verkaufen, so dass sie, die Firma C, vorschlage, dass ein Unternehmen aus der Firmengruppe der Klägerin diese Prozessoren im eigenen Namen kaufe und dann als ungebundenes Unternehmen an die Firma C gegen eine Provision von 3 % exportiere.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen. Für die Frage, ob die B-GmbH als Unternehmerin Lieferungen an sie ausgeführt habe, sei der Inhalt der gelieferten Packungen unerheblich. Im Übrigen habe die B-GmbH auch noch andere Geschäfte ausgeführt. Eine etwaige Falschbezeichnung der Ware sei unbeachtlich, weil es ausreiche, dass aus der Rechnung erkennbar sei, dass Waren geliefert wurden, die dem normalen Steuersatz unterlagen. Es sei für den Beklagten auch möglich gewesen, anhand der Rechnungen die Lieferungen der B-GmbH bzw. der Klägerin an die Firma C zu identifizieren.

Selbst wenn – wie der Beklagte vermute – keine Prozessoren mit der in den Rechnungen ausgewiesenen Bezeichnung, sondern minderwertige elektronische Teile geliefert worden seien, stehe dies dem Vorsteuerabzug nicht entgegen. Denn wenn der Bundesfinanzhof -BFH- es als unschädlich ansehe, dass Leistungen in Form der Arbeitnehmerüberlassung als „Montage von Einbauschränken“ abgerechnet wurden, müsse dies für die Bezeichnung von minderwertigen elektronischen Teilen mit einer frei gewählten Typbezeichnung ebenfalls gelten. Die Angaben seien zur Identifizierung der gelieferten Teile ausreichend. Es sei auch davon auszugehen, dass es sich bei den gelieferten Gegenständen um Prozessoren, wenn auch womöglich preiswerte, gehandelt habe. Dafür sprächen die von den Speditionsmitarbeitern mitgeteilten Wahrnehmungen. Ein Mitarbeiter der von ihr beauftragten Spedition habe den Inhalt der von der B-GmbH gelieferten Kartons in Augenschein genommen. Dieser sei von Luftpolsterfolie umschlossen gewesen und habe in Silberfolie eingeschweißte Behälter enthalten. Durch einen Spalt in der Folie habe der Speditionsmitarbeiter die unregelmäßige Oberfläche eines Innenbehälters mit Vertiefungen und feinen Gestängen in grauer Farbe, wie es für Prozessoren üblich sei, erkennen können. Einer weiter gehenden Untersuchung habe der mit roter Farbe angebrachte Hinweis entgegengestanden, dass die Folie nicht beschädigt oder entfernt werden dürfe, da es sich um empfindliche elektronische Bauteile handele. Jedenfalls habe der Gesetzgeber darauf verzichtet, im aktuell geltenden UStG das Erfordernis der zutreffenden Bezeichnung des Leistungsgegenstands zu kodifizieren, was den Schluss erlaube, dass dies auch unter der früheren Fassung des Gesetzes nicht gefordert werden könne.

Zu berücksichtigen sei ferner, dass sie als Einkaufskommissionärin tätig geworden sei und es ihrer Kommittentin auf ein Produkt mit der Bezeichnung „Prozessor PT4-E2“ angekommen sei. Die von ihr, der Klägerin, gelieferten Produkte hätten offensichtlich diesen Anforderungen entsprochen. Die Beteiligten hätten die Definitionsmacht, wie sie die von ihnen gehandelte Ware bezeichneten.

Sie, die Klägerin, habe sich auch in vielfältiger Weise über die Existenz der B-GmbH und der Firma C vergewissert. So habe sie sich eine amtliche Registrierung der Firma C (Anlage AS 7 im Verfahren 2 B 5066/05) vorlegen lassen und durch Mitarbeiter die Geschäftsräume der B-GmbH aufgesucht, die auf eine normale Tätigkeit als Unternehmen des Elektronikhandels hingedeutet hätten. Die B-GmbH habe ihr auch andere Waren, z. B. DVD-Player, angeboten. Sie, die Klägerin, habe – wie dargelegt – durch Mitarbeiter der beauftragten Spedition den Inhalt der von der B-GmbH gelieferten Kartons in Augenschein nehmen lassen. Auch die aus Deutschland stammenden Zahlungen hätten keinen Anlass gegeben, Argwohn gegenüber der Firma C zu schöpfen. Denn diese habe angekündigt, dass die Zahlungen aus Deutschland erfolgten würden, da sie dort Geschäfte tätige und ein Konto bei einer Referenzbank unterhalte. Daher versage der Beklagte die Vorsteuer zu Unrecht mit dem Argument, die Klägerin hätte wissen können, dass sie Lieferungen empfange, die in einen Umsatzsteuerbetrug einbezogen seien. Auch das Landgericht gehe davon aus, dass die wahren Verhältnisse für die Klägerin nicht durchschaubar gewesen seien. Jedenfalls sei die von der B-GmbH begangene Umsatzsteuerhinterziehung von deren Lieferungen an die Klägerin unabhängig, da die Umsatzsteuerhinterziehung der B-GmbH darin bestanden habe, dass diese ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen gefälschte Eingangsrechnungen zugrunde gelegt habe.

Schließlich müsse ihr der Vorsteuerabzug aus Gründen des Vertrauensschutzes gewährt werden, weil die Täuschung, der sie unterlegen sei, für sie nicht durchschaubar gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

abweichend vom Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 7. Oktober 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. November 2006 die Umsatzsteuer auf ./. 2.984.007,69 € festzusetzen,

die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage für unbegründet.

Er verweist auf die Gründe der Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass es sich bei den von der Klägerin gehandelten Bauteilen um wertlose Prozessoren gehandelt habe, die im Kreislauf zwischen Asien und Europa hin- und hergeschickt worden seien. Dies ergebe sich aus Geständnissen der Verantwortlichen G und H bei der B-GmbH, ferner daraus, dass die Steufa bei der B-GmbH drei Eingangsrechnungen aus dem Zeitraum März und April 2002 über 3.500 electric spare parts (elektronische Ersatzteile) zu 0,25 $/Stück aufgefunden habe. Da kein weiterer Warenhandel der B-GmbH als mit den angeblichen PT4-E2 Chips bekannt geworden sei, liege es nahe, dass die spare parts zu hochwertigen Chips umgewidmet worden seien. Die im Namen der Klägerin aufgegebenen Sendungen hätten genau das gleiche Gewicht wie die Sendungen mit den spare parts gehabt. Anhand von Speditionsunterlagen werde der Kreislauf der Pakete deutlich. Die vom EuGH zu Umsatzsteuerkarussellen entwickelte Rechtsprechung sei jedenfalls auch auf andere Umsatzsteuerhinterziehungen, wie die im Streitfall, anzuwenden. Dabei ergebe sich, dass die Klägerin nicht ausreichende Erkundigungen eingezogen habe, insbesondere nicht stutzig geworden sei, dass die Firma C nicht über ein auf ihren Namen lautendes Konto verfügte. Die Klägerin habe auch nicht die Angaben des für die Firma C auftretenden Herrn H überprüft, wonach die Firma C einen wesentlichen Teil ihrer Umsätze im internationalen Handel erwirtschafte. Eine Internetrecherche hätte ergeben, dass die Firma C nicht mit Hardware, sondern allein mit Software gehandelt habe. Argwohn hätte auch hervorrufen müssen, dass die gerade erst gegründete B-GmbH die exklusiven Vertriebsrechte für Deutschland innegehabt haben solle. Ohnehin habe es keinen Sinn gemacht, Chips von Deutschland nach Asien auszuführen, da diese in Asien billiger als in Deutschland seien. Es habe auch in 2002 keine Chips auf dem Markt gegeben, die annähernd 500 € gekostet hätten.

Es sei auch für das Streitjahr zu fordern, dass die Leistungsbeschreibung in der Rechnung, aus der Vorsteuer geltend gemacht werde, die empfangene Leistung zutreffend beschreibe. Daran fehle es im Streitfall.

Nach Klageerhebung hat die Klägerin beim Beklagten beantragt, ihr den streitigen Vorsteueranspruch aus Billigkeitsgründen zu gewähren. Diesen Antrag hat der Beklagte abgelehnt, wogegen die Klägerin Einspruch eingelegt hat. Über diesen Einspruch hat der Beklagte nach Aktenlage noch nicht entschieden.

Dem Gericht haben die Streitakte des Verfahrens 2 B 5066/05 sowie je eine Umsatzsteuer- und Umsatzsteuer-Sonderprüfungsakte vorgelegen, die vom Beklagten für die Klägerin unter der Steuer-Nr. … geführt werden.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid nicht i. S. des § 100 Abs. 1 und 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- in ihren Rechten verletzt. Der Beklagte hat der Klägerin den Vorsteuerabzug aus den streitbefangenen Rechnungen der B-GmbH zu Recht versagt.

Die B-GmbH hat allerdings als Unternehmerin i. S. des § 2 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz -UStG- Leistungen an die Klägerin erbracht, da sie ungeachtet des tatsächlichen Werts der streitbefangenen Waren der Klägerin die wirtschaftliche Verfügungsmacht bei Übergabe an den von der Klägerin beauftragten Spediteur verschafft hat. Unbeachtlich ist, dass die Liefergegenstände in einen von den Verantwortlichen der B-GmbH organisierten Warenkreislauf einbezogen waren, der dazu diente, eine Steuerhinterziehung zugunsten der B-GmbH zu begehen. Zwar ist nach der Rechtsprechung des EuGH der Begriff der Lieferung bei einem mit einem Mehrwertsteuerbetrug behafteten Umsatz nicht erfüllt (vgl. Urteil vom 21. Februar 2006 Rs. C-255/02 --Halifax--, UR 2006, 232, Rz. 59). Es ist aber zu berücksichtigen, dass jeder Umsatz in einer Lieferkette für sich zu betrachten ist; Umsätze, die nicht selbst mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind, sind eine wirtschaftliche Tätigkeit eines Steuerpflichtigen und stellen Lieferungen dar (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Februar 2006 Rs. C-255/02 --Halifax--, UR 2006, 232, Rz. 47, 49 und 51). Die B-GmbH hat nach den Feststellungen des LG Berlin die Lieferungen an die Klägerin in ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen erklärt, sodass diese Umsätze nicht selbst mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind und Lieferungen i. S. des § 3 Abs. 1 UStG darstellen (Bundesfinanzhof -BFH-, Urteil vom 19. Mai 2010 XI R 78/07, BFH/NV 2010, 2132).

Die Klage ist jedoch unbegründet, weil die Rechnungen der B-GmbH nicht die erforderliche Leistungsbeschreibung enthalten.

Im Streitzeitraum galten noch nicht die nach § 14 Abs. 4 UStG 2005 bestehenden Formvorschriften. Es ist jedoch schon zuvor nach dem Sinn und Zweck des § 15 UStG und seiner Anknüpfung an die Rechnung im Sinne des § 14 UStG anerkannt, dass der Vorsteuerabzug nur aufgrund einer Rechnung geltend gemacht werden kann, die eine eindeutige und leicht prüfbare Feststellung der Leistung ermöglicht, über die abgerechnet worden ist (BFH, Urteile vom 24. September 1987 V R 50/85, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFHE- 153, 65, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1988, 688; vom 10. November 1994 V R 45/93, BFHE 176, 472, BStBl II 1995, 395; vom 8. Oktober 2008 V R 59/07, BFHE 222, 189, BStBl II 2009, 218; Beschluss vom 5. Februar 2010 XI B 31/09, BFH/NV 2010, 962). Dabei ist auf die praktischen Bedürfnisse nach Abkürzungen und Kurzformeln Rücksicht zu nehmen. Die an die Klägerin ausgeführte Leistung muss mit der in der Rechnung bezeichneten Leistung identisch sein (BFH, Urteile vom 24. September 1987 V R 50/85, BFHE 153, 65, BStBl II 1988, 688; Beschluss vom 8. Dezember 1987 V B 54/85, BStBl II 1988, 700; Urteile vom 10. September 1992 V R 123/87, BFH/NV 1995, 831; vom 8. September 1994 V R 70/91, BFHE 175, 463, BStBl II 1995, 32). Denn anderenfalls wäre die Forderung nach einer eindeutigen und leicht prüfbaren Leistungsbeschreibung ein bloßer Formalismus. Diese Anforderungen sind mit dem Unionsrecht vereinbar (BFH, Urteile vom 10. November 1994 V R 45/93, BFHE 176, 472, BStBl II 1995, 395; vom 8. Oktober 2008 V R 59/07, BFHE 222, 189, BStBl II 2009, 218; vgl. auch EuGH, Urteil vom 15. Juli 2010 – Pannon Gép Centrum, UR 2010, 693 zur aktuellen Rechtslage).

Im Streitfall ist schon zweifelhaft, ob die Bezeichnung des Liefergegenstands als „Prozessor PT4-E2“ hinreichend bestimmt ist. Jedenfalls stimmt die Bezeichnung nicht mit den tatsächlichen Liefergegenständen überein.

Gegen die hinreichende Bestimmtheit der Leistungsbeschreibungen in den streitbefangenen Rechnungen spricht, dass nach Aktenlage die Typbezeichnung „PT4-E2“ keine Bezeichnung ist, mit der im allgemeinen Geschäftsverkehr eine Identifizierung des Liefergegenstandes möglich wäre. Denn die Klägerin hat nicht vorgetragen, welcher Prozessorhersteller seinerzeit Prozessoren mit der Typbezeichnung „PT4-E2“ am Markt angeboten hätte. Die gegenüber den Abnehmern der Bauteile von der B-GmbH gemachten uneinheitlichen Angaben zum Hersteller (gegenüber der Klägerin: keine genaue Angabe, gegenüber der ACG AG: AMD) deuten darauf hin, dass es sich um eine bloße Fantasiebezeichnung handelt.

Da Umsatzgeschäfte sich auch auf Gegenstände beziehen können, die nur in einem sehr kleinen Kreis von Anbietern und Abnehmern gehandelt werden, muss es jedoch auch insoweit möglich sein, hinreichend bestimmte Leistungsbeschreibungen zu erstellen, die einem mit den Verhältnissen nicht vertrauten fremden Dritten nicht unmittelbar erkennen lassen, was Gegenstand der Leistung ist. Denn der BFH hat den praktischen Bedürfnissen genügende Kurzbezeichnungen stets ausreichen lassen. Daher kommt im Streitfall in Betracht, den Inhalt der Leistungsbeschreibung „Prozessor PT4-E2“ unter Einbeziehung des zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftverkehrs zu bestimmen. Kern dieser Schriftstücke (Email der Firma C vom 5. Oktober 2001, Anlage AS 13 im Verfahren 2 B 5066/05, Bestellung der Klägerin bei der B-GmbH vom 28. März 2002 über 500 Prozessoren PT4-E2, wobei sie die Prozessoren als von der Firma AMD/Samsung hergestellt und ausschließlich zu medizinischen Zwecken einsetzbar charakterisierte, Anlage 1 zum Schriftsatz des Beklagten vom 5. März 2008, Bl. 194 GA, und nicht datiertes Schreiben der Firma C an die Klägerin, Anlage 4 zum Schriftsatz des Beklagten vom 5. März 2008, Bl. 197 GA) ist, dass es sich um einen Prozessor für medizinische Operationsmaschinen handeln sollte, wie die Klägerin die Ware selbst in ihren Ausfuhranmeldungen bezeichnete.

Geht man davon aus, dass auf diese Weise die in den streitbefangenen Rechnungen enthaltene Leistungsbeschreibung noch hinreichend bestimmbar sein sollte, würde es jedoch an der Identität von bezeichneter und erbrachter Leistung fehlen, da die B-GmbH der Klägerin keine Prozessoren für medizinische Operationsmaschinen geliefert hat.

Dies steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der Feststellungen des LG Berlin in den Urteilen gegen die Angeklagten G, H und E fest. Die Angeklagten G und H haben im Rahmen von Geständnissen bzw. als Zeugen ausgesagt, dass in den im Namen der Klägerin nach Malaysia beförderten Sendungen keine hochwertigen, für den Einsatz in komplexen medizinischen Geräten geeignete Hochleistungsprozessoren mit einem Marktwert von ca. 500 €/Stück, sondern nur minderwertige Bauteile enthalten waren. Diese Feststellungen hat das Landgericht durch weitere Indizien, wie z. B. Rechnungen an die B-GmbH über „spare parts“ zu 0,25 €/Stück und fehlende Eingangsrechnungen über Hochleistungsprozessoren, untermauert. Dem hält die Klägerin ohne Erfolg entgegen, bei einem Einsatz minderwertiger Bauteile sei nicht nachvollziehbar, warum die Ware immer wieder von Asien nach Europa zurückgeschickt worden sei. Denn die Verpackung der minderwertigen Teile wie Hochleistungsprozessoren war für die B-GmbH mit einem gewissen finanziellen und zeitlichen Aufwand verbunden und hinterließ aus Sicht der B-GmbH unerwünschte Spuren, so dass es als effektiver erschienen sein dürfte, die fertig präparierten Bauteile immer wieder zu verwenden. Soweit die hinsichtlich des Inhalts der nach Malaysia beförderten Sendungen feststellungsbelastete Klägerin im Übrigen bestreitet, dass es sich beim Inhalt der Sendungen um minderwertige Bauteile handelt, bleibt ihr Vortrag unsubstantiiert (vgl. Bl. 355, 387 ff. GA). Insbesondere kann ihr Vortrag, der Mitarbeiter der von ihr beauftragten Spedition habe die unregelmäßige Oberfläche eines Innenbehälters mit Vertiefungen und feinen Gestängen in grauer Farbe, wie es für Prozessoren üblich sei, erkennen können, die Feststellungen des LG Berlin, dass es sich nicht um hochwertige, für den Einsatz in komplexen medizinischen Geräten geeignete Prozessoren gehandelt, nicht in Frage stellen.

Unbeachtlich ist ferner, dass die Klägerin als Kommissionärin zwischen die B-GmbH und die Firma C geschaltet war, da nach § 3 Abs. 3 UStG der Kommissionär Empfänger einer Lieferung ist und seinerseits ebenfalls eine Lieferung an den Kommittenten erbringt. Dem müssen die Leistungsbeschreibungen der in der Kommissionskette erbrachten Leistungen Rechnung tragen.

Schließlich ist es unbeachtlich, dass den gegenüber der Klägerin für die Firma C auftretenden Personen vermutlich der Inhalt der an die Firma C adressierten Sendungen bekannt war. Denn maßgeblich ist, was nach dem Inhalt der mit der Klägerin geschlossenen Vereinbarungen unter einem „Prozessor PT4-E2“ zu verstehen war. Dies ergibt sich daraus, dass nur aus diesen Vereinbarungen für einen objektiven Dritten überhaupt bestimmbar war, was ein „Prozessor PT4-E2“ sein sollte. Ferner ergibt es sich daraus, dass Sinn und Zweck der Bestimmtheitsanforderungen an die Leistungsbeschreibung ist, dass für die Finanzbehörden eine Überprüfung ermöglicht werden soll, was Gegenstand von umsatzsteuerlich relevanten Lieferungen ist (Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 14 Rz 283; Weiß, UR 1988, 205 [206]; Zaumseil, Umsatzsteuer-Berater -UStB- 2010, 226). Daher müssen die tatsächlichen Lieferungen dem entsprechen, was nach den für einen mit den Gesamtumständen vertrauten objektiven Dritten als Inhalt der in den streitbefangenen Rechnungen enthaltenen Leistungsbeschreibungen erschien. Danach waren – wie ausgeführt – Gegenstände der Lieferungen hochwertige, für den Einsatz in komplexen medizinischen Geräten geeignete Prozessoren.

Ausgehend von der vorliegenden BFH-Rechtsprechung wäre die Klage überdies auch dann abzuweisen, wenn die streitbefangenen Rechnungen – abweichend von der Auffassung des erkennenden Gerichts – ausreichende Leistungsbeschreibungen aufgewiesen hätten. Denn der Vorsteuerabzug der Klägerin wäre ausgehend von der BFH-Rechtsprechung deswegen zu versagen, weil die Klägerin mit ihren Lieferungen durch die B-GmbH in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war.

Der Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 6. Juli 2006 C-439, 440/04 – Kittel/Recolta Recycling, UR 2006, 594, Rz. 56, 59 f.) ein Steuerpflichtiger, der wusste oder hätte wissen können, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist, für die Zwecke der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern -6. EG-Richtlinie- als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen ist. Demnach habe das nationale Gericht den Vorteil des Rechts auf Vorsteuerabzug zu verweigern, wenn aufgrund objektiver Umstände feststehe, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen können, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (dem folgend BFH, Urteile vom 19. April 2007 V R 48/04, BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315; vom 12. August 2009 XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259; vom 19. Mai 2010 XI R 78/07, BFH/NV 2010, 2132). Ferner weist der EuGH (a. a. O., Rz. 51) darauf hin, dass Wirtschaftsteilnehmer, die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht in einen Betrug einbezogen sind, auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen können, ohne Gefahr zu laufen, ihr Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren. Im Urteil Optigen u. a. (vom 12. Januar 2006 C-354/03, C-355/03 und C-484/03, UR 2006, 157, Rz. 52) betont der EuGH, dass einem Steuerpflichtigen, der nicht mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftete Umsätze ausführt, das Recht auf Vorsteuerabzug erhalten bleibt, wenn in der Lieferkette, zu der diese Umsätze gehören, ohne dass dieser Steuerpflichtige hiervon Kenntnis hat oder haben kann, ein anderer Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet ist.

Die Besonderheit im Streitfall besteht darin, dass die den Vorsteuerabzug dem Grunde nach legitimierenden Lieferungen der B-GmbH an die Klägerin in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen der B-GmbH erklärt wurden, also die Umsatzsteuer darauf nicht hinterzogen wurde. Allerdings waren diese Umsätze gewissermaßen das notwendige Übel, um die Umsatzsteuerhinterziehung aus den gefälschten F-AG-Rechnungen zu ermöglichen. Denn ohne entsprechende Ausgangsumsätze wäre der B-GmbH mutmaßlich der Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen nicht gewährt worden, weil das für die B-GmbH zuständige Finanzamt bezweifelt hätte, dass die angeblichen Prozessoren für vorsteuergünstige Umsätze verwendet werden sollten. Das von der B-GmbH initiierte Modell rechnete sich deshalb für sie, weil die Klägerin ihr Bruttobeträge zahlte (in der Annahme nur mit den Nettobeträgen wirtschaftlich belastet zu sein) und die B-GmbH nur die Provision der Klägerin, die Frachtkosten von Malaysia nach Deutschland und die laufenden Kosten für den Geschäftsbetrieb als Aufwand hatte. Daher waren die Lieferungen an die Klägerin und deren (vermeintlicher) Vorsteuerabzug Grundlage für die Umsatzsteuerhinterziehung der B-GmbH und daher in die von den Verantwortlichen der B-GmbH begangene Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen.

Wenngleich im Urteil Kittel die Sachlage wohl anders war (Hinterziehung der Eingangsumsätze der dortigen Kläger durch den Lieferanten), hat der BFH (Urteil vom 19. Mai 2010 XI R 78/07, BFH/NV 2010, 2132) auch die vorgelagerte Mehrwertsteuerhinterziehung, von der der Steuerpflichtige Kenntnis haben konnte oder musste als vorsteuerschädlich angesehen. Dafür, dass dies im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung steht, spricht die Passage im Urteil Optigen u. a., in der der EuGH die Gewährung des Vorsteuerabzugs von der Gutgläubigkeit des Steuerpflichtigen abhängig macht, ohne dass es sich um Mehrwertsteuerhinterziehungen handelte, die unmittelbar die Eingangsumsätze der Kläger Optigen u. a. betrafen.

Es ist ferner zu berücksichtigen, dass der Klägerin hinsichtlich der Kenntnis oder des "Kennenmüssens" der objektiven Umstände, wonach sie an einem Umsatzsteuerkarussell beteiligt war, nicht nur das etwaige Wissen ihres Geschäftsführers als ihres gesetzlichen Vertreters nach § 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung -GmbHG-, sondern auch das ihrer sonstigen Angestellten in analoger Anwendung von § 166 des Bürgerlichen Gesetzbuchs -BGB- zuzurechnen ist. Dies beruht auf der Erwägung, dass derjenige, der sich zur Erfüllung seiner Verpflichtungen eines anderen bedient, nicht besser stehen darf als derjenige, der diese Verpflichtungen selbst erfüllt. Daher ist für die entsprechende Anwendung von § 166 BGB das Bestehen eines Vertretungsverhältnisses nicht maßgeblich (vgl. BFH, Urteile vom 29. Juli 2003 VII R 3/01, BFHE 203, 222, Deutsches Steuerrecht – Entscheidungsdienst -DStRE- 2003, 1244 und vom 26. April 1988 VII R 124/85, BFHE 153, 463, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 1988, 558). Eine Wissenszurechnung kommt jedoch nach wertender Beurteilung nur für die Kenntnisse in Betracht, welche die Mitarbeiter infolge der vorgesehenen Arbeitsteilung und Organisation des Betriebs im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit erlangt haben oder hätten erlangen müssen (BFH, Urteil vom 19. Mai 2010 XI R 78/07, BFH/NV 2010, 2132).

Geht man von diesen Rechtsgrundsätzen aus, ergibt sich Folgendes: Es gab eine Reihe von Umständen, die den mit den streitigen Vorgängen befassten Mitarbeiter der Klägerin (K und L) Anlass zur Skepsis hätten geben müssen: Die angeblichen Prozessoren sollen in Asien hergestellt worden sein. Jedenfalls ist die Klägerin dem dahin gehenden Vortrag des Beklagten nicht entgegengetreten. Es erscheint fraglich, welchen wirtschaftlichen Sinn es machen sollte, Mikrochips, die in Asien hergestellt werden, nach Deutschland zu transportieren und dann nach Asien zu reimportieren. Dies bedingte nicht nur mehrfache Transport- und Versicherungskosten, sondern auch den mehrfachen Einsatz von Zwischenhändlern, die sich ihre Tätigkeit erfahrungsgemäß vergüten lassen. Dem Einwand des Beklagten, dass Mikrochips in Asien grundsätzlich günstiger seien als in Europa, ist die Klägerin nicht substantiiert entgegen getreten. Gleiches gilt für den Vortrag des Beklagten, dass seinerzeit keine Mikrochips zu einem so hohen Preis wie 500 €/Stück am Markt gewesen seien (vgl. Bl. 192, 222 GA). Was marktübliche Stückpreise waren, hätte sich auch 2002 durch einfache Internetrecherchen feststellen lassen. Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, dass sie sich nach dem Namen des Herstellers der Mikrochips erkundigt hat. Dann hätte sie feststellen können, dass solche Chips von diesem so gar nicht angeboten werden. Schließlich hat sie nicht vorgetragen, sie habe eine Website der Firma C gesucht. Die im hiesigen Verfahren vorgetragenen Fundstücke (Bl. 119-122, 151 GA) deuten darauf hin, dass die Firma C sich seinerzeit auf die Entwicklung von Software konzentriert hat, was nicht zu den streitigen Geschäften passt. Der Beklagte weist auch zu Recht darauf hin, dass es Anlass zu Argwohn hätte geben müssen, dass ein neu gegründetes Unternehmen wie die B-GmbH exklusive Vertriebsrechte für Hochleistungsprozessoren gehabt haben soll.

All dies hätte sich den Verantwortlichen der Klägerin aufdrängen müssen, selbst wenn der Handel mit Computerbauelementen nicht zu ihrem Kerngeschäft gehörte. Das Gericht räumt ein, dass die o. g. Ungereimtheiten noch nicht unmittelbar den Blick darauf eröffneten, dass die gehandelten Bauteile keine hochwertigen 500-€-Chips waren. Andererseits wäre der steuerliche Schaden vermutlich nicht eingetreten, wenn die Klägerin von den streitigen Geschäften Abstand genommen und die B-GmbH keine Abnehmer für ihre Pseudo-Chips gefunden hätte. Denn ohne Abnehmer hätte für die B-GmbH nur eine geringe Aussicht bestanden, den geltend gemachten Vorsteuerabzug bei dem für sie zuständigen Finanzamt geltend zu machen.

Ein Gutglaubensschutz ist der Klägerin im hier streitigen Festsetzungsverfahren nicht zu gewähren, da dies allenfalls in einem gesonderten Billigkeitsverfahren nach §§ 163, 227 AO in Betracht kommt (BFH, Urteile vom 8. Oktober 2008 V R 63/07, BFH/NV 2009, 1473; vom 30. April 2009 V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744; vom 8. Juli 2009 XI R 51/07, BFH/NV 2010, 256; vom 12. August 2009 XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259). Im Übrigen legen die vorstehenden Erwägungen nahe, dass der gute Glaube der Klägerin, sie erhalte von der B-GmbH den Vorsteuerabzug legitimierende Rechnungen nicht schutzwürdig war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere hat der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Denn die Rechtslage ist durch die erörterte BFH-Rechtsprechung geklärt. Abweichendes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass der BGH (Urteil vom 26. November 2009 5 StR 91/09, wistra 2010, 146) die Rechtslage abweichend beurteilt hat, weil der BGH die problematischen Aspekte des Vorsteuerabzugs nicht (erkennbar) geprüft hat.