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Witwerrente; Freibetrag; Rücknahme für die Vergangenheit; grobe Fahrlässigkeit; Einjahresfrist


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 15.08.2011
Aktenzeichen L 3 R 369/10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 46 SGB 6, § 97 SGB 6, § 24 SGB 10, § 45 SGB 10, § 48 SGB 10, § 50 SGB 10

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Erstattung überzahlter Rentenbeträge in Höhe von 1.706,69 Euro.

Der 1930 geborene Kläger ist Witwer der am verstorbenen Versicherten A Z. Aus der Ehe ist die 1980 geborene Tochter A hervorgegangen.

Der Kläger bezieht seit dem 01. Juni 1996 große Witwerrente nach der verstorbenen Versicherten (Bescheid vom 19. Juli 1996). Die Rente belief sich ab dem 01. September 1996 auf 827,53 DM monatlich brutto.

Auf Seite 4 des Bescheides unter Mitteilungspflichten hieß es u. a. „Der zusätzliche Freibetrag für waisenberechtigte Kinder wird grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes berücksichtigt. Über diesen Zeitpunkt hinaus ist eine Berücksichtigung längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres für ein Kind möglich, das sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet oder ein auf gesetzlichen Vorschriften beruhendes freiwilliges soziales Jahr / freiwilliges ökologisches Jahr leistet oder infolge körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. (…) Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns folgende Tatsachen unverzüglich mitzuteilen:

- Beendigung oder Unterbrechung der Schul- oder Berufsausbildung (…).“

(…)     

Soweit Änderungen Einfluss auf den Rentenanspruch oder die Rentenhöhe haben, werden wir den Bescheid – auch rückwirkend – ganz oder teilweise aufheben und zu Unrecht erbrachte Leistungen zurückfordern.“

In der Anlage 8 zu dem Bescheid findet sich die Ermittlung des auf die (Witwer-)Rente anzurechnenden Einkommens ab dem 01. Juni 1996 bzw. ab dem 01. Juli 1996. Auf der Seite 1 unten sowie auf der Seite 2 unten findet sich jeweils die Ausführung: „Der Freibetrag erhöht sich für jedes waisenberechtigte Kind um das 5,6-fache des aktuellen Rentenwertes: (…) Zu berücksichtigen ist ein Kind = 258,89 DM / 261,35 DM“.

Mit Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 1997 wurde der Tochter des Klägers ab dem 01. Juni 1996 bis zum 30. September 1998 Halbwaisenrente gewährt. Mit Schreiben vom 06. Juli 1998 beantragte der Kläger die Weiterzahlung der Halbwaisenrente der Tochter im Hinblick auf deren fortdauernde Ausbildung, woraufhin die Halbwaisenrente mit Bescheid vom 23. November 1998 zunächst befristet bis zum 31. Juli 2001 weiter gewährt wurde. Mit weiteren Bescheiden vom 26. November 1999 und 24. August 2001 wurde die Halbwaisenrente schließlich bis zum 31. März 2002 weiter gewährt.

Mit Bescheid vom 04. Juni 2002 wurde die Rente des Klägers ab dem 01. Juli 2002 im Hinblick auf den ab dem 01. Juli 2002 maßgebenden aktuellen Rentenwert neu berechnet und ein Bruttorentenanspruch in Höhe von 471,41 EUR ausgewiesen. Auf Seite 2 des Bescheides hieß es unter „Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten“: Die im früheren Rentenbescheid genannten Mitteilungspflichten gelten nach wie vor. Deshalb sind uns Umstände, die den Leistungsanspruch oder die Höhe der Leistung beeinflussen können, umgehend mitzuteilen. Wir behalten uns vor, überzahlte Beträge zurückzufordern.“ In der Anlage 8 wurde das auf die Rente anzurechnende Einkommen ab dem 01. Juli 2002 ermittelt. Auf der Seite 1 unten sowie auf der Seite 2 der Anlage 8 oben hieß es: „Der Freibetrag erhöht sich für jedes waisenberechtigte Kind um das 5,6-fache des aktuellen Rentenwertes: 25,86 EUR x 5,6 = 144,82 EUR. Zu berücksichtigen ist ein Kind = 144,82 EUR.“

Mit Schreiben vom 04. Juli 2002 teilte die Tochter mit, dass die Ausbildung am 17. Juni 2002 geendet habe. Mit Schreiben vom 10. Juli 2002 teilte auch der Kläger der Beklagten das Ausbildungsende mit. Daraufhin gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Juli 2002 Halbwaisenrente noch für die Zeit vom 01. April bis zum 30. Juni 2002.

Mit Bescheid vom 02. Juni 2003 wurde die Rente des Klägers ab dem 01. Juli 2003 im Hinblick auf den ab dem 01. Juli 2003 maßgebenden aktuellen Rentenwert neu berechnet und ein Bruttorentenanspruch in Höhe von 476,48 EUR ausgewiesen. Auf Seite 2 des Bescheides fanden sich unter „Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten“ dieselben Hinweise wie im Bescheid vom 04. Juni 2002. In der Anlage 8 wurde das auf die Rente anzurechnende Einkommen ab dem 01. Juli 2003 ermittelt. Auf der Seite 1 unten sowie auf der Seite 2 der Anlage 8 oben hieß es: „Der Freibetrag erhöht sich für jedes waisenberechtigte Kind um das 5,6-fache des aktuellen Rentenwertes: 26,13 EUR x 5,6 = 146,33 EUR. Zu berücksichtigen ist ein Kind = 146,33 EUR.“

Mit Bescheid vom 01. Juni 2005 wurde die Rente des Klägers ab dem 01. Juli 2005 im Hinblick auf den ab dem 01. Juli 2005 maßgebenden aktuellen Rentenwert sowie die Veränderung des Krankenversicherungsbeitrages neu berechnet und ein Bruttorentenanspruch in Höhe von 585,10 EUR sowie ein Rentenzahlbetrag in Höhe von 527,46 EUR ausgewiesen. Auf Seite 2 des Bescheides fanden sich unter „Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten“ dieselben Hinweise wie in den Bescheiden vom 04. Juni 2002 und 02. Juni 2003. Eine Anlage 8 war nicht Bestandteil des Bescheides, eine Einkommensanrechung wurde nicht durchgeführt.

Mit Bescheid vom 10. Juni 2005 wurde die Rente des Klägers erneut ab dem 01. Juli 2005 im Hinblick auf den ab dem 01. Juli 2005 maßgebenden aktuellen Rentenwert sowie die Veränderung des Krankenversicherungsbeitrages neu berechnet und ein Bruttorentenanspruch in Höhe von 480,43 EUR sowie ein Rentenzahlbetrag in Höhe von 435,27 EUR ausgewiesen. Auf Seite 2 des Bescheides fanden sich unter „Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten“ dieselben Hinweise wie in den Bescheiden vom 04. Juni 2002, 02. Juni 2003 und 01. Juni 2005. In der Anlage 8 wurde das auf die Rente anzurechnende Einkommen ab dem 01. Juli 2005 ermittelt. Auf Seite 1 unten sowie auf Seite 2 der Anlage 8 oben hieß es: „Der Freibetrag erhöht sich für jedes waisenberechtigte Kind um das 5,6-fache des aktuellen Rentenwertes: 26,13 EUR x 5,6 = 146,33 EUR. Zu berücksichtigen ist ein Kind = 146,33 EUR.“

Mit Formblatt vom 15. Dezember 2005 (Eingang bei der Beklagten am 16. Dezember 2005) wurde der Beklagten von Arbeitgeberseite die Aufnahme einer Beschäftigung durch den Kläger am 02. Oktober 2005 gemeldet. Die Beschäftigung sei zum 30. November 2005 wieder beendet worden.

Mit Bescheid vom 19. Mai 2006 wurde die Rente des Klägers ab dem 01. Juli 2006 wegen der jährlichen Überprüfung des zu berücksichtigenden Einkommens sowie im Hinblick auf die Veränderung des Krankenversicherungsbeitrages ab dem 01. Juli 2006 neu berechnet und ein Bruttorentenanspruch in Höhe von 480,12 EUR sowie ein Rentenzahlbetrag in Höhe von 435,47 EUR ausgewiesen. Auf Seite 2 des Bescheides fanden sich unter „Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten“ dieselben Hinweise wie in den Bescheiden vom 04. Juni 2002, 02. Juni 2003, 01. Juni 2005 und 10. Juni 2005. In der Anlage 8 wurde das auf die Rente anzurechnende Einkommen ab dem 01. Juli 2006 ermittelt. Auf Seite 2 der Anlage 8 oben hieß es: „Der Freibetrag erhöht sich für jedes waisenberechtigte Kind um das 5,6-fache des aktuellen Rentenwertes: 26,13 EUR x 5,6 = 146,33 EUR. Zu berücksichtigen ist ein Kind = 146,33 EUR.“

Mit weiterem Formblatt vom 08. August 2006 (bei der Beklagten eingegangen am 10. August 2006) meldete der Arbeitgeber wieder die Aufnahme einer Beschäftigung durch den Kläger. Aus der Bescheinigung ergab sich eine geringfügige Beschäftigung vom 01. bis zum 31. Dezember 2005 sowie vom 01. August bis zum 31. Oktober 2006 und bereits zuvor vom 01. Januar bis zum 31. Dezember 2004. Mit Schreiben vom 05. Oktober 2006 bestätigte der Kläger auf Nachfrage der Beklagten, seit Januar 2004 geringfügig beschäftigt zu sein. Im Rahmen der damit zusammenhängenden Prüfung des anzurechnenden Einkommens fiel bei der Beklagten im November 2006 auf, dass die Rente immer noch unter Berücksichtigung des erhöhten Freibetrags wegen waisenberechtigten Kindern bei der Einkommensanrechnung gewährt wurde.

Daraufhin hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 12. Dezember 2006 zu ihrer Absicht, die Bescheide vom 04. Juni 2002, 02. Juni 2003, 01. Juni 2005, 10. Juni 2005 und 19. Mai 2006 mit Wirkung ab dem 01. Juli 2002 nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückzunehmen, die richtig berechnete Rente in Höhe von 266,29 EUR ab dem 01. März 2006 laufend zu zahlen und die Überzahlung für die Zeit vom 01. Juli 2002 bis zum 28. Februar 2007 in Höhe von 5.305,64 EUR nach § 50 Abs. 1 SGB X zurückzufordern, an. Der Anspruch auf Witwerrente kraft Gesetzes ab dem 01. Juli 2002 sei zu kürzen, weil dem Kläger bei der Einkommensanrechnung ein erhöhter Freibetrag für die Tochter A nicht mehr zugestanden habe, da diese nicht mehr waisenrentenberechtigt gewesen sei. Darüber hinaus sei festgestellt worden, dass bei der Einkommensanrechnung neben der Versicherten- und Verletztenrente auch das Einkommen aus der seit dem 01. Januar 2004 bis laufend geringfügig ausgeübten Beschäftigung zu berücksichtigen sei. Die Voraussetzungen für die beabsichtigte Entscheidung seien erfüllt, weil an der Herstellung des rechtmäßigen Zustandes ein überwiegendes öffentliches Interesse bestehe, das klägerische Vertrauen in den Bestand des Bescheides nicht schutzwürdig sei (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X) und weil er – der Kläger - aufgrund der ihm von ihr – der Beklagten - gegebenen Informationen die Fehlerhaftigkeit des Bescheides hinsichtlich des erhöhten Freibetrages bei der Einkommensanrechnung sowie der Einkommensanrechnung grundsätzlich gekannt habe bzw. habe erkennen müssen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X).

Der Kläger wandte hiergegen ein, er habe die in der Anhörung genannten Bescheide in gutem Glauben entgegen genommen. Die in den Bescheiden enthaltenen Berechnungen habe er nicht nachvollziehen können. Er habe der Beklagten alle seine Tochter betreffenden Angaben rechtzeitig und vollständig gemacht. Diese hätten der Beklagten bei Erlass der Bescheide vorgelegen, so dass er von deren Richtigkeit habe ausgehen können. Darüber hinaus habe er das Geld für seinen Lebensunterhalt verbraucht.

Mit Bescheid vom 26. Oktober 2007 berechnete die Beklagte die bisherige große Witwerrente ab dem 01. Juli 2002 neu. Für die Zeit ab dem 01. Dezember 2007 seien monatlich laufend 392,01 EUR zu zahlen (Bruttorente in Höhe von 432,21 EUR). Für die Zeit vom 01. Juli 2002 bis zum 30. November 2007 werde eine Überzahlung in Höhe von 1.706,69 EUR festgestellt, die zu erstatten sei. Die Rentenbescheide vom 04. Juni 2002, 02. Juni 2003, 01. Juni 2005, 10. Juni 2005 und 19. Mai 2006 würden hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01. Juli 2002 nach § 45 zurückgenommen, die Überzahlung sei nach § 50 SGB X vom Kläger zu erstatten. Die Rücknahme sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft sei zulässig, weil der Kläger sich zum einen auf Vertrauen in den Bestand der Rentenbescheide nicht berufen könne (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X) und zum anderen die Fristen des § 45 Abs. 3 bzw. Abs. 4 SGB X nicht abgelaufen seien. Die vom Kläger im Rahmen der Anhörung aufgeführten Gründe hätten zwar nicht bei der Vertrauensschutzprüfung, wohl aber bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt werden können. Auf Vertrauen in den Bestand der Rentenbescheide könne er sich nicht berufen, weil er aufgrund der ihm vorliegenden Informationen gewusst habe, dass ihm ein erhöhter Freibetrag seit dem 01. Juli 2002 nicht mehr zugestanden habe. Er habe daher anhand der erstellten Bescheide erkennen können und müssen, dass bei der Einkommensanrechnung dennoch der erhöhte Freibetrag berücksichtigt worden und somit die Einkommensanrechnung fehlerhaft gewesen sei. Insoweit habe er weder die Bescheide in gutem Glauben hinnehmen noch die Zahlung in gutem Glauben verbrauchen können. Allerdings seien die von ihm dargelegten Gründe im Wege des Ermessens insoweit berücksichtigt worden, als die Bescheide nur teilweise zurückgenommen würden. Die Reduzierung erfolge auf 50%, weil das Mitverschulden der Beklagten auf der einen Seite und das Erkennen-Müssen der falschen Einkommensanrechnung durch den Kläger auf der anderen Seite gleichwertig zu beurteilen seien. Vermögensdispositionen, die nur unter erheblichen finanziellen Nachteilen rückgängig gemacht werden könnten, habe er nicht geltend gemacht. Zur Feststellung des Erstattungsbetrages wegen des seit dem 01. Januar 2004 geänderten Einkommens ergehe noch ein weiterer Bescheid. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 03. März 2009 zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben unter Aufrechterhaltung seines Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 23. Februar 2010 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien nicht zu beanstanden. Die Rücknahme der Rentenbescheide sei rechtmäßig erfolgt, Rechtsgrundlage sei § 45 SGB X. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach dieser Vorschrift für die Vergangenheit seien hinsichtlich der Bescheide vom 02. Juni 2003, 01. Juni 2005, 10. Juni 2005 und 19. Mai 2006 erfüllt. Der Kläger könne sich nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen i. S. d. § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X berufen. § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 SGB X enthalte eine Definition des Begriffs der groben Fahrlässigkeit. Diese liege vor, wenn der Begünstigte im Rahmen seiner persönlichen Einsichts- und Kritikfähigkeit schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb nicht beachtet habe, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsse. Die hier streitigen Rentenbescheide bestünden neben der Mitteilung der geänderten Rentenhöhe lediglich aus den Anlagen 1 und 8, wobei die Anlage 1 jeweils die Berechnung der Monatsrente widerspiegele und die Anlage 8 die Ermittlung des auf die Rente anzurechnenden Einkommens darstelle. Letztere zu überprüfen erfordere auch in der Laiensphäre lediglich eine durchschnittliche Einsichts- und Kritikfähigkeit. Denn in der Anlage 8 sei am Ende der Seite 1 ebenso wie auf Seite 2 deutlich, unmissverständlich und zweifelsfrei festgehalten, dass sich der zur Einkommensermittlung heranzuziehende Freibetrag für jedes waisenrentenberechtigte Kind erhöhe. Es erfordere nur einfachste Überlegungen, in Kenntnis des Fortfalls der Waisenrente der Tochter A zu erkennen, dass der Freibetrag fehlerhaft erhöht angewandt worden sei. Soweit der Kläger geltend mache, die streitigen Bescheide nicht auf ihre Richtigkeit überprüft zu haben, muss er sich diese Obliegenheitsverletzung vorwerfen lassen. Soweit er geltend mache, die Falschberechnung nicht erkannt zu haben, werte die Kammer dies als Schutzbehauptung, da die Fehlerhaftigkeit ins Auge springe. Zudem ergebe sich aus den Akten, dass der Kläger durchaus in der Lage sei, komplexere Sachverhalte zu durchdringen. Denn bereits im Juni 2000 habe er sich an die Beklagte zwecks Überprüfung des Rentenbescheides gewandt, da seine Rente weiterhin unter Berücksichtigung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 berechnet worden sei, obwohl bei ihm inzwischen ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt worden war. Zwar habe der GdB nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) im Gegensatz zur MdE im Bereich des Unfallversicherungsrechts keinen Einfluss auf die Einkommensanrechnung und die Berechnung der Rente, gleichwohl belege das Gesuch des Klägers, dass er in der Lage sei, einzelne Komponenten der Rentenberechnung einer Überprüfung zu unterziehen. Ermessensfehler der Beklagten bei ihrer Entscheidung seien nicht ersichtlich. Soweit die Beklagte ihr Mitverschulden an der Überzahlung im Umfang von 50% berücksichtige, stelle sich dies als ermessensfehlerfrei dar. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei der Bescheid vom 04. Juni 2002 hingegen nicht nach § 45 SGB X, sondern nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X zurückzunehmen, da erst nach dem Erlass des Bescheides mit dem Fortfall der Waisenrentenberechtigung der Tochter eine wesentliche Änderung eingetreten sei, die ab dem 01. Juli 2002 einen teilweisen Wegfall des Anspruchs des Klägers zur Folge gehabt habe. Insoweit gälten die vorstehenden Ausführungen zu § 45 SGB X entsprechend. Gleiches gelte für die im vorliegenden Fall aufgrund seiner Atypik anzustellenden Ermessenserwägungen der Beklagten.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er vorträgt, die Auffassung des SG, er habe sich grob fahrlässig verhalten, sei falsch. Es sei ihm unverständlich, weshalb die Beklagte überhaupt fehlerhafte Rentenbescheide erstellt habe, obwohl er ausdrücklich mitgeteilt habe, dass die Ausbildung seiner Tochter beendet worden sei. Dies hätte von der Beklagten beachtet werden müssen und er habe natürlich geglaubt, dass die Beklagte dies tue. Vom Empfang seines Schreibens vom 10. Juli 2002 an habe die Beklagte positiv gewusst, dass kein waisenrentenberechtigtes Kind mehr bei den Bescheiden zu berücksichtigen gewesen sei. Es verstoße gegen den auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben, als Täter des Fehlers dem Opfer die Schuld zuzuweisen. Die Rentenbescheide seien nicht so einfach zu verstehen, wie das SG suggeriere. Schon die Nummerierung der Anlagen sei verwirrend und es fänden sich auch keine Hervorhebungen der für den Bescheidempfänger wichtigen Stellen im Text. Man könne die Anforderung an das Verständnis eines Senioren jenseits des 70. Lebensjahres nicht überspannen. Eine Pflicht des Bürgers, Verwaltungsbescheide zu überprüfen, bestehe im Übrigen nicht, insbesondere dann nicht, wenn die Verwaltung darin nicht darauf hinweise, dass der Bescheidempfänger dies tun müsse. Im Übrigen habe die Beklagte bereits im August 2006 ihren Fehler bemerkt, so dass die einjährige Frist für die Rücknahme schon abgelaufen gewesen sei, ehe der angefochtene Bescheid erlassen worden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. März 2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Soweit der Kläger ausführe, ein Versicherter, der der Behörde alle maßgeblichen Tatsachen mitgeteilt habe, müsse stets auf die Richtigkeit der Arbeit der Verwaltung vertrauen dürfen und die Rentenbescheide seien derart kompliziert, dass sie für den Normalbürger nicht zu durchschauen seien, laufe diese Argumentation im Ergebnis darauf hinaus, dass die Bestimmungen der §§ 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 und 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X – jedenfalls für den Bereich des Rentenrechts – überhaupt keinen Anwendungsbereich mehr haben würden. Dies könne offensichtlich nicht richtig sein. Einem Bescheidempfänger obliege es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zumindest, an ihn adressierte Bescheide vollständig zu lesen, so dass auffällige Unrichtigkeiten erkennbar würden. Ferner sei die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X im vorliegenden Fall nicht versäumt. Denn nach der Rechtsprechung des BSG sei für den Beginn der Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X der Zeitpunkt der positiven Kenntnis über die Rechtswidrigkeit sowie über die Begünstigung des Bescheides und über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 oder Abs. 3 Satz 2 SGB X maßgebend. Die Frage, wann positive Kenntnis über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 oder Abs. 3 Satz 2 SGB X bestehe, hänge von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab. Grundsätzlich sei nach der Rechtsprechung des BSG davon auszugehen, dass positive Kenntnis erst im Zeitpunkt des Eingangs des Anhörungsergebnisses vorliege. Die erforderliche Anhörung sei hier mit Schreiben vom 12. Dezember 2006 durchgeführt worden.

Der Kläger hält die Auffassung, die Einjahresfrist beginne erst mit dem Eingang des Anhörungsergebnisses, für falsch. Spätestens am 08. Oktober 2006 – dem Zeitpunkt des Eingangs des Schreibens des Klägers vom 05. Oktober 2006 – habe die Beklagte über Kenntnis aller entscheidungsrelevanter Tatsachen verfügt. Der Aufhebungsbescheid sei jedoch erst über ein Jahr später, nämlich am 26. Oktober 2007, erstellt worden.

Mit Schreiben vom 21 Juni 2011 ist den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Entscheidung des Senats durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.

Die Berufung des Klägers ist zulässig aber unbegründet. Zutreffend hat das SG entschieden, dass der Bescheid vom 26. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. März 2009, mit dem die Rentengewährung mit Wirkung ab dem 01. Juli 2002 hinsichtlich der Rentenhöhe teilweise zurückgenommen und die festgestellte Überzahlung zurückgefordert werden ist, nicht zu beanstanden ist.

Soweit der Bescheid vom 26. Oktober 2007 auch den Bescheid vom 01. Juni 2005 erfassen soll, geht die Rücknahme insoweit ins Leere, denn dieser Bescheid ist zuvor bereits durch den Bescheid vom 10. Juni 2005 vollständig ersetzt und somit gegen-standslos geworden.

Die Aufhebungsentscheidung der Beklagten ist hinsichtlich der Bescheide vom 02. Juni 2003, 10. Juni 2005 und 19. Mai 2006 an § 45 SGB Xzu messen. Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter Einschränkungen ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X), wobei Schutzwürdigkeit in der Regel dann vorliegt, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder Vermögensdispositionen getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte allerdings u. a. dann nicht berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). In diesen Fällen wird der Verwaltungsakt nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Rücknahme für die Vergangenheit ist nur innerhalb der in Abs. 3 der Vorschrift genannten Fristen möglich, d. h. gemäß Satz 1 kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt nach Abs. 2 grundsätzlich nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Abweichend hiervon kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung u. a. nach Abs. 2 bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 gegeben sind. Nach Abs. 4 Satz 2 derselben Vorschrift muss die Behörde dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

Zutreffend ist die Beklagte von der Rechtswidrigkeit der Bescheide vom 02. Juni 2003, 10. Juni 2005 und 19. Mai 2006 zum Zeitpunkt ihres jeweiligen Erlasses ausgegangen, weil der Ermittlung der Höhe der Witwerrente des Klägers nach § 46 Abs. 2 SGB VI im Rahmen der Einkommensanrechnung nach § 97 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 SGB VI über den 30. Juni 2002 fehlerhaft weiterhin ein erhöhtes nicht anrechenbares Einkommen des Klägers (erhöhter Freibetrag) nach § 97 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB VI zugrunde gelegt worden ist, obwohl die Waisenrentenberechtigung der Tochter A bereits mit dem 30. Juni 2002 geendet hatte (vgl. den letzten bewilligenden Halbwaisenrentenbescheid vom 17. Juli 2002).

Der Kläger kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn die subjektiven Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der o. g. Bescheide nach § 45 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X liegen vor. Im Sinne der Vorschrift verhält sich grob fahrlässig, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. Urteile des BSG vom 11. Juni 1987 - 7 RAr 105/85 –, in SozR 4100 § 71 Nr. 2 und vom 31. August 1976 - 7 RAr 112/74 -, in SozR 4100 § 152 Nr. 3). Dabei ist jedoch nicht ein objektiver Maßstab anzulegen, sondern auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten der Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falles abzustellen (vgl. z. B. Urteil des BSG vom 27. Juli 2000 – B 7 AL 88/99 R -, in SozR 3-1300 § 45 Nr. 42). Bezugspunkt für das grobfahrlässige Nichtwissen ist schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes - also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde (vgl. Urteil des BSG vom 08. Februar 2001 – B 11 AL 21/00 R -, in SozR 3-1300 § 45 Nr. 45). Im Allgemeinen besteht für den Betroffenen kein Anlass, einen Verwaltungsakt auf Richtigkeit zu überprüfen, wenn im Verwaltungsverfahren zutreffende Angaben gemacht worden sind. Anderenfalls würde das Risiko der rechtmäßigen Umsetzung der korrekten Angaben des Begünstigten von der Behörde auf diesen übergewälzt (vgl. Urteil des BSG vom 08. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R -, a. a. O.). Allerdings sind die Beteiligten im Sozialrechtsverhältnis verpflichtet, sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren (vgl. Urteile des BSG vom 14. Dezember 1995 - 11 RAr 75/95 –, in SozR 3-4100 § 105 Nr. 2 und vom 23. März 1972 - 5 RJ 63/70 -, in SozR Nr. 25 zu § 29 RVO). Daher ist der Adressat eines Verwaltungsakts rechtlich gehalten, einen ihm günstigen Bewilligungsbescheid auch zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (vgl. Urteil des BSG vom 08. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R -, a. a. O.). Die Unkenntnis ist daher grob fahrlässig, wenn der Adressat, hätte er den Bewilligungsbescheid gelesen und zur Kenntnis genommen, auf Grund einfachster und nahe liegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht besteht (vgl. Urteil des BSG vom 26. August 1987 - 11a RA 30/86 -, in SozR 1300 § 48 Nr. 39). Davon ist bei Fehlern auszugehen, die sich erstens aus dem begünstigenden Verwaltungsakt selbst oder anderen Umständen ergeben und zweitens für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind (vgl. Urteil des BSG vom 08. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R -, a. a. O.).

Dem Kläger war bereits aus dem Rentenbescheid vom 19. Juli 1996 grundsätzlich bekannt, dass im Rahmen der Einkommensanrechnung bei der Witwerrente für waisenrentenberechtigte Kinder ein erhöhter Freibetrag gewährt wird. Unter den „Mitteilungspflichten“ auf der Seite 4 des Rentenbescheides ist er hierüber ausführlich aufgeklärt worden. Er ist dementsprechend auch seinen Mitteilungspflichten hinsichtlich der Beendigung der Ausbildung seiner Tochter mit Schreiben vom 10. Juli 2002 nachgekommen. Es musste ihm deswegen bewusst sein, dass das Ende der Ausbildung zu einer Minderung des Freibetrags beim anrechenbaren Einkommen und somit zu einer letztlich erhöhten Einkommensanrechnung und zu einer Minderung seiner Witwerrente führen würde. Im Bewusstsein dessen sprang bei der vollständigen Lektüre der jeweils nur drei Blätter bzw. sechs Seiten umfassenden Bescheide vom 02. Juni 2003, 10. Juni 2005 und 19. Mai 2006 ohne weiteres ins Auge, dass dort jeweils auf Seiten 1 und 2 der Anlage 8 (d. h. dem 3. Blatt des Bescheides) der zuvor errechnete Freibetrag für ein waisenberechtigtes Kind weiter erhöht wurde:

„Der Freibetrag erhöht sich für jedes waisenberechtigte Kind um das 5,6-fache des aktuellen Rentenwertes: 26,13 EUR x 5,6 = 146,33 EUR. Zu berücksichtigen ist ein Kind = 146,33 EUR.“

Soweit der Kläger vorträgt, die Rentenbescheide seien an sich unverständlich, in der Nummerierung der Anlagen verwirrend und für einen über 65- bzw. über 70-jährigen Mann mit altersbedingten Problemen bei der geistigen Beweglichkeit oder Sehfähigkeit nicht zu erfassen, so spricht dies nicht gegen eine grobe Fahrlässigkeit. Denn eine konkrete Betrachtung der streitigen Bescheide zeigt, dass diese nur wenige Seiten umfassen und sich auf wenige wesentliche Elemente beschränken, nämlich die Ausweisung des Rentenzahlbetrags (Nettorente), die Errechnung der Brutto- und Nettorente unter Verwendung des aktuellen Rentenwerts und Abzug der Kranken- bzw. Pflegeversicherungsbeiträge und die Ermittlung des anrechenbaren Einkommens. Die Darstellung in den Bescheiden ist gleich geblieben über die Jahre, abgesehen von Änderungen beim anrechenbaren Einkommen und den Beiträgen hat es keine gravierenden tatsächlichen Änderungen gegeben. Es handelt sich gerade nicht um lange komplizierte Bescheide mit umfänglichen Berechnungen wie etwa der Erstbescheid vom 19. Juli 1996. Wie das SG zutreffend aufgezeigt hat, war der Kläger zumindest im Jahre 2000 noch geistig rege genug, um selber eine Überprüfung seiner Rente zu beantragen. Konkrete gesundheitliche Störungen, die ihn vom Lesen der Bescheide oder vom Verständnis derselben hätten abhalten können, hat der Kläger nicht vorgetragen. Alleine die Tatsache, dass der Kläger zum Zeitpunkt der aufgehobenen Bescheide das 70. Lebensjahr überschritten hatte, bedeutet nicht, dass er diese Bescheide nicht lesen musste und nicht einfachste Überlegungen zu deren Verständnis anstellen konnte. Auch der Vortrag des Klägers, die Beklagte hätte die für ihn wichtigen Stellen im Text hervorheben müssen, überzeugt nicht, denn derartige Bescheide enthalten keine unwichtigen Textelemente, so dass eine weitere Unterscheidung nicht möglich ist. Zudem findet sich die relevante Stelle zum Freibetrag in der Anlage 8 gerade nicht in einem Fließtext, der eventuell zum Überlesen verleiten könnte. Im Übrigen hat der Kläger selbst wiederholt auf seine vielfältigen sozialpolitischen und ehrenamtlichen Tätigkeiten hingewiesen, was gerade nicht auf ein ausgeprägtes intellektuelles Defizit schließen lässt.

Die Beklagte hat bei ihrer Rücknahmeentscheidung auch das erforderliche Ermessen nach § 45 Abs. 1 SGB X ausgeübt. Nach dem Inhalt des angefochtenen Bescheides vom 26. Oktober 2007 (Anlage 10) war sich die Beklagte ihres Ermessensspielraums erkennbar bewusst. Sie hat im Rahmen der Ausübung ihres Ermessens insbesondere ihr eigenes Mitverschulden berücksichtigt und den Vortrag des Klägers aus dem Anhörungsverfahren gewürdigt. Bereits im Anhörungsschreiben vom 12. Dezember 2006 hat sie auf die Möglichkeit der Prüfung einer unbilligen Härte hingewiesen, der Kläger hat jedoch im Verwaltungsverfahren hierzu keinen konkreten Vortrag unter Vorlage von Nachweisen gemacht.

Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass zwar die die teilweise Aufhebung des Bescheides vom 04. Juni 2002 ab dem 01. Juli 2002 durch den angefochtenen Bescheid vom 26. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. März 2009 letztlich rechtmäßig ist, jedoch maßgebliche Rechtsgrundlage nicht § 45 SGB X, sondern § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 4 SGB X ist, denn der Bescheid ist erst nach seinem Erlass am 04. Juni 2002 mit dem Entfallen der Waisenrentenberechtigung der Tochter ab dem 01. Juli 2002 rechtswidrig geworden. Soweit in § 48 SGB X nämlich auf Änderungen nach „Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung“ abgestellt wird, ist jede Änderung nach der Aufgabe des schriftlichen Verwaltungsaktes zur Post gemeint (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar, Randnr. 18 zu § 39 SGB X).

Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach Satz 2 der Vorschrift soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse u. a. aufgehoben werden, soweit

1. …
2. …
3. …
4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Die Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit ist damit („soll“) einem eingeschränkten Ermessen unterworfen.

Nach Absatz 4 der Vorschrift gilt § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X entsprechend; danach muss die Behörde den Verwaltungsakt innerhalb eines Jahres sei Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen, zurücknehmen. Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.

Die Beklagte durfte den Bescheid vom 04. Juni 2002 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X grundsätzlich mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise aufheben, denn auch bzgl. dieses Bescheides bestand jedenfalls ab der eigenen Kenntnis des Klägers vom Ende der Ausbildung seiner Tochter am 17. Juni 2002, zumindest ab dem 10. Juli 2002 (Zeitpunkt seines Mitteilungsschreibens an die Beklagte) Bösgläubigkeit dahingehend, dass ihm klar sein musste, dass nunmehr eine ungünstigere Einkommensanrechnung stattfinden würde und ihm seine Witwerrente in der bisherigen Höhe nicht mehr zustehen würde, also der Bescheid vom 04. Juni 2002 in der vorliegenden Form nicht mehr rechtmäßig sein konnte. Im Übrigen gelten hinsichtlich der Bösgläubigkeit die zur groben Fahrlässigkeit bei § 45 SGB X bereits gemachten Ausführungen.

Die Beklagte hat auch ein im Rahmen eines hier aufgrund ihres Mitverschuldens anzunehmenden atypischen Falls erforderliches Ermessen hinreichend ausgeübt. Insbesondere ist sie sich einer Pflicht zur Ermessensausübung bewusst gewesen, wie sich sowohl aus der Anhörung als auch aus dem angefochtenen Bescheid und dem Widerspruchsbescheid ergibt, und sie hat ihr eigenes Mitverschulden berücksichtigt.

Entgegen der Ansicht des Klägers hat die Beklagte die Jahres-Frist für eine rückwirkende Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes eingehalten. Nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X bzw. § 48 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X muss die Behörde dann, wenn der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X zurückgenommen wird, dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Die Frist beginnt also mit der Kenntnis der Rücknahmegründe, wozu nicht allein die Tatsachen gehören, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des früheren Verwaltungsakts ergibt (vgl. z. B. das Urteil des BSG vom 08. Februar 1996 - 13 RJ 35/94 -, in SozR 3-1300 § 45 Nr. 27). Vielmehr verlangt dies sowohl eine Kenntnis des rechtserheblichen äußeren Sachverhaltes als auch die Kenntnis der so genannten inneren Tatsachen, sofern diese ebenfalls zu den normierten Tatbestandsvoraussetzungen gehören (vgl. etwa die Urteile des BSG vom 27. Juli 2000 - B 7 AL 88/99 R -, in SozR 3-1300 § 45 Nr. 42, und vom 25. April 2002 - Az.: B 11 AL 69/01 R -, in juris).

Bei einer Rücknahmeentscheidung, die sich auf den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit stützt, beginnt die Jahresfrist mithin dann zu laufen, wenn die Beklagte Kenntnis davon hatte, dass der Kläger die (teilweise) Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Maßgeblich ist damit der Zeitpunkt, zu dem die Beklagte aufgrund des ermittelten Sachverhalts Kenntnis von der Bösgläubigkeit des Klägers hatte. Die Frage, wann die Behörde die Tatsachen, die eine abschließende Prüfung der Rücknahmevoraussetzung erlauben, kennt, ist weder ausschließlich anhand objektiver Kriterien noch allein aufgrund der subjektiven Einschätzung der Behörde zu beantworten. Die zeitliche Begrenzung der Rücknahmebefugnis für die Vergangenheit dient der Rechtssicherheit. Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes ist die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht. Hierbei ist hinsichtlich der erforderlichen Gewissheit über Art und Umfang der entscheidungserheblichen Tatsachen in erster Linie auf den Standpunkt der Behörde, und zwar des für die Rücknahmeentscheidung zuständigen Sachbearbeiters, abzustellen, es sei denn, deren sichere Kenntnis liegt bei objektiver Betrachtung bereits zu einem früheren Zeitpunkt vor (vgl. das Urteil des BSG vom 27. Juli 2000 – B 7 AL 88/99 R -, a. a. O. m. w. N).

Zwar lagen hier die Tatsachen, aus denen die Beklagte die grobe Fahrlässigkeit des Klägers abgeleitet hat, bereits im Wesentlichen schon bei Erlass der Bewilligungsbescheide vor. Grobe Fahrlässigkeit ist jedoch nur dann anzunehmen, wenn der Begünstigte – der Kläger - die erforderliche Sorgfalt im besonders schweren Maße verletzt hat. Hierfür muss aber – wie bereits aufgezeigt - eine Sorgfaltspflichtverletzung in einem besonders hohen Ausmaße vorliegen, zu deren Feststellung auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten der Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falles abzustellen ist. Die Behörde kann deshalb nicht allein auf den Akteninhalt abstellen, sondern muss vielmehr vor einer Rücknahme- bzw. Aufhebungsentscheidung dem Betroffenen zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu den entscheidungserheblichen Tatsachen geben, abgesehen davon, dass eine solche Anhörungspflicht grundsätzlich aus § 24 SGB X folgt. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X kann daher regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen beginnen (vgl. das Urteil des BSG vom 27. Juli 2000 – B 7 AL 88/99 R -, a. a. O. m. w. N). Von diesem Grundsatz lässt der vorliegende Fall keine Ausnahme zu. Insbesondere sind keine Umstände ersichtlich, die nach dem Grundsatz von Treu und Glauben einen anderen Zeitpunkt des Beginns der Jahresfrist rechtfertigen könnten, etwa, wenn die Beklagte bewusst davon abgesehen hätte, sich die erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen.

Im vorliegenden Fall konnte die Beklagte, nachdem ihr im Oktober/November 2006 bewusst geworden war, dass bei der Einkommensanrechnung fälschlicherweise ein zu hoher Freibetrag angerechnet worden war, nicht ohne weitere Überprüfung davon ausgehen, dass der Kläger hinsichtlich der erhaltenen Witwerrenten-Zahlbeträge bösgläubig war. Um dem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff und den bei dessen Prüfung zu beachtenden Kriterien Rechnung tragen zu können, musste sich die Beklagte zunächst zu aufklärenden Maßnahmen veranlasst sehen. Sie konnte nicht von vornherein ausschließen, dass der Kläger aus seiner Sphäre nicht noch Tatsachen geltend machen konnte bzw. würde, nach denen möglicherweise die Annahme einer groben Fahrlässigkeit nicht gerechtfertigt war. Die Gelegenheit zu einer solchen Stellungnahme hat die Beklagte dem Kläger mit dem Anhörungsschreiben vom 12. Dezember 2006 eröffnet. Frühestens mit dem Eingang der Rückäußerung des Klägers vom 26. März 2007 verfügte die Beklagte somit – i. V. m. dem Akteninhalt - über die notwendigen tatsächlichen Informationsgrundlagen, um die Rücknahmeentscheidung treffen zu können.

Der Kläger ist schließlich auch ordnungsgemäß nach § 24 Abs. 1 SGB X angehört worden, darüber hinaus ist der Bescheid vom 26. Oktober 2007 hinreichend bestimmt i. S. d. § 33 SGB X.

Auch die von der Beklagten zugleich mit der Rücknahme geltend gemachte Erstattungsforderung in Höhe von 1.706,69 EUR begegnet nach ausführlicher rechnerischer Überprüfung keinen Bedenken. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Wie in dem angefochtenen Bescheid vom 26. Oktober 2007 im Einzelnen – wenn auch ohne Kenntnis der Einzelberechnungen aus den Verwaltungsakten nur schwer nachvollziehbar - ausgeführt worden ist (vgl. Anlage 1 des Bescheides, insbesondere Seite 5f), erklärt sich der Erstattungsbetrag aus der Gegenüberstellung des ab dem 01. Juli 2002 bis zum 30. November 2007 jeweils monatlich zu Recht – d. h. ohne erhöhten Freibetrag – zu beanspruchenden Rentenzahlbetrag mit den tatsächlich erhaltenen Rentenzahlbeträgen, wobei die monatliche Überzahlung jeweils um 50% reduziert wurde, so dass sich letztlich aus einer Gesamtüberzahlung für den Zeitraum vom 01. Juli 2002 bis zum 30. November 2007 in Höhe von 3.413,56 EUR nur noch eine Überzahlung in Höhe von 1.706,69 EUR errechnet.

Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.