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Passentziehung; Ausreiseverbot; Sofortvollzug; vorläufiges Rechtsschutzverfahren; Beschwerde; hinreichende Anhaltspunkte für beabsichtigte Ausreise in terroristisches Ausbildungslager zwecks Beteiligung am bewaffneten Dschihad


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat Entscheidungsdatum 07.03.2011
Aktenzeichen OVG 5 S 22.10, OVG 5 M 34.10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 80 Abs 5 VwGO, § 146 Abs 4 S 1 VwGO, § 146 Abs 4 S 3 VwGO, § 146 Abs 4 S 6 VwGO, § 8 PaßG, § 7 Abs 1 Nr 1 PaßG

Tenor

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Die Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. Juni 2010 werden zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten der Beschwerden zu tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,00 Euro EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügte Entziehung seines Reisepasses und Untersagung der Ausreise. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag zurückgewiesen und zugleich Prozesskostenhilfe für die erste Instanz versagt: Es bestehe nach summarischer Prüfung ein hinreichender Verdacht, dass der Antragsteller einen Passentziehungsgrund nach § 8 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 PaßG dadurch verwirklicht habe, dass er sich dem bewaffneten Dschihad anschließen und dafür ein Ausbildungslager in Afghanistan oder Pakistan aufsuchen wolle. Dieser Gefahrenverdacht rechtfertige eine Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers; es sei ihm zuzumuten, vor einer Ausreise aus dem Bundesgebiet zumindest das Ende des Klageverfahrens abzuwarten.

II.

Die gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO nur im Rahmen der fristgerechten Darlegungen des Antragstellers entscheidet, ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss hält einer auf das Vorbringen des Antragstellers bezogenen Überprüfung stand.

1. Das Verwaltungsgericht ist zu der Auffassung gelangt, dass ausreichende gerichtsverwertbare Tatsachen zur Verfügung stünden, die die Annahme eines Passentziehungsgrundes rechtfertigten. Dafür, dass sich der Antragsteller dem bewaffneten Dschihad anschließen wolle, spreche bereits seine regelmäßige Teilnahme an Treffen in der Rahman-Moschee, in deren Kontaktliste „Brüder der Sitzung“ er aufgeführt sei. Nach der islamwissenschaftlichen Bewertung des Bundeskriminalamtes deute diese Liste auf eine islamistisch-dschihadistische Ausrichtung der Zusammenkünfte hin, bei denen Koransuren mit zentralen Leitsätzen des militanten Dschihad besprochen worden seien. Der Charakter dieser Treffen werde ferner dadurch bestätigt, dass daran auch F… und A… teilgenommen hätten; deren Bereitschaft zur Beteiligung am bewaffneten Dschihad ergebe sich aus den Beschlüssen der Kammer vom 25. Januar 2010 (VG 23 L 314/09 betreffend …) und 8. März 2010 (VG 23 L 275/09 betreffend …).

Soweit die Beschwerde die Teilnahme des Antragstellers an den Treffen in der Rahman-Moschee lediglich unter Hinweis auf dessen Bekundungen in der Zeugenvernehmung durch das Bundeskriminalamt am 17. März 2010 in Abrede zu stellen versucht, überzeugt dies nicht. In der betreffenden Zeugenvernehmung hat der Antragsteller angegeben, „nichts von irgendeiner Liste“ zu wissen, und - nachdem ihm die Kontaktliste, in der er namentlich mit Telefonnummer und Mailadresse aufgeführt ist, vorgelegt worden war - geäußert, sich die Erwähnung seines Namens in der Liste nicht erklären zu können. Damit erschöpfen sich die Ausführungen des Antragstellers in einem bloßen Bestreiten, das vor dem Hintergrund der weiteren gegen ihn vorliegenden Anhaltspunkte nicht geeignet ist, die Indizwirkung der in Rede stehenden Kontaktliste für den Gefahrenverdacht zu entkräften.

2. Das Verwaltungsgericht hat darüber hinaus ausgeführt, für die fundamentalistische Einstellung des Antragstellers spreche außerdem der bei der Durchsuchung seiner Wohnung am 7. Oktober 2009 aufgefundene USB-Speicherstick, der unter anderem digitalisierte Bücher enthalte, in denen das Grundgesetz als eine mit dem Islam unvereinbare Religion dargestellt und auf die Pflicht jedes Moslems hingewiesen werde, die Demokratie abzulehnen und zu bekämpfen.

Das hiergegen gerichtete Vorbringen der Beschwerde stellt sich als verfahrensangepasste Schutzbehauptung dar, das der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen kann: Zunächst hat sich die Beschwerde dahingehend eingelassen, dass der USB-Speicherstick in der Wohnung der Mutter des Antragstellers gefunden worden und ihr zuzurechnen sei. Abgesehen davon, dass die mit Schriftsatz vom 18. Juni 2010 angekündigte eidesstattliche Versicherung der Mutter des Antragstellers bis heute nicht vorliegt, steht die Behauptung im offensichtlichen Widerspruch zu dem Durchsuchungsbericht des Landeskriminalamtes vom 7. Oktober 2009, demzufolge der USB-Speicherstick anlässlich der Durchsuchung der Wohnung des Antragstellers in dessen Kleidung aufgefunden worden ist. Mit diesem Widerspruch konfrontiert, hält die Beschwerde nunmehr an ihrem ursprünglichen Vortrag nicht mehr fest, sondern meint, die Frage, wem der USB-Speicherstick gehöre, letztlich dahingestellt bleiben lassen zu können, da dessen Inhalt ohnehin nicht auf die Gesinnung des Antragstellers schließen lasse. Dass dieser pauschale Einwand den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO nicht genügt, liegt auf der Hand.

3. Einen gewichtigen Anhaltspunkt dafür, dass der Antragsteller seine politische Einstellung durch den Besuch eines entsprechenden Ausbildungslagers umsetzen will, hat das Verwaltungsgericht in dessen Verbindungen zu T… und K… gesehen, die Gleiches vorhätten. Der Antragsteller habe bei seiner Vernehmung durch das Bundeskriminalamt beide als nähere Bekannte und K… sogar als Freund bezeichnet; beide Namen fänden sich zudem ebenfalls auf der Kontaktliste „Brüder der Sitzung“. Während T… trotz des von der Kammer gerichtlich bestätigten Ausreiseverbotes am 12. Februar 2010 versucht habe, nach Istanbul auszureisen und sich seit dem 20. Februar 2010 wegen des dringenden Tatverdachts, eine ausländische terroristische Vereinigung - die „Islamistische Jihad Union“ (IJU) - unterstützt oder für diese Mitglieder oder Unterstützer geworben zu haben, in Untersuchungshaft befinde, bestehe gegen K… ein Haftbefehl des Bundesgerichtshofs wegen des dringenden Tatverdachts, im November und Dezember 2009 Geldbeträge über einen Mittelsmann der IJU, die mehrere dschihadistische Ausbildungslager im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet betreibe, zur Verfügung gestellt zu haben.

Diese Feststellungen des Verwaltungsgerichts vermag die Beschwerde nicht mit dem Einwand in Zweifel zu ziehen, sowohl der Antragsteller als auch K… hätten ihre Kontakte zu T… wegen persönlicher Differenzen abgebrochen. Unbeschadet dessen, dass dadurch die freundschaftliche Beziehung zwischen dem Antragsteller und K… nicht in Frage gestellt wird, berührt dieser Einwand nicht die Annahme einer unveränderten gemeinsamen politischen Gesinnung, bei der das einschlägige Verhalten des einen Rückschlüsse auf die politischen Absichten des anderen zulässt. Dass im Übrigen gegen K…derartig schwerwiegende Vorwürfe“ wie gegen T… nicht erhoben worden sein sollen, entbehrt mit Blick darauf, dass gegen Ersteren sowohl ein Haftbefehl des Bundesgerichtshofs besteht als auch - laut Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes vom 25. August 2010 - Anklage wegen der Unterstützung der IJU erhoben worden ist, jeder Grundlage.

4. Schließlich hat das Verwaltungsgericht ein Indiz für den Willen des Antragstellers zur Unterstützung des militanten Dschihad darin erblickt, dass dieser unter Mitwirkung von Kahraman am 6. August 2009 über Western Union einen Betrag von 1.335,00 Euro in die Türkei überwiesen habe, zu dessen Herkunft und Verwendungszweck der Antragsteller keine Angaben gemacht habe. Es sei nicht fern liegend, dass die getätigte Überweisung der IJU habe zugutekommen sollen.

Die Rüge der Beschwerde, der Antragsteller habe bereits im Rahmen der Zeugenvernehmung durch das Bundeskriminalamt ausgeführt, dass der überwiesene Geldbetrag für seine Großcousine in der Türkei bestimmt gewesen und von seiner Familie gesammelt worden sei, dringt nicht durch. Zum einen ist diese Behauptung nicht, auch nicht durch das Beweisangebot für die Identität der Großcousine, belegt. Zum anderen liegt die Annahme nahe, dass der Geldbetrag angesichts der Mitwirkung von K… an der Überweisung sowie des Umstandes, dass der unmittelbare Überweisungsempfänger in der Türkei seinerseits im Verdacht steht, als Mittelsmann der IJU zu fungieren, auch Letzterer zugeflossen ist. Mithin ist das Vorbringen der Beschwerde nicht geeignet, die indizielle Wirkung der Geldüberweisung für den Gefahrenverdacht zu beseitigen. Aus welchen Gründen die Strafverfolgungsbehörden in diesem Zusammenhang (bisher) von der Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Antragsteller abgesehen hat, entzieht sich der Kenntnis des Senats, ist für die Entscheidung über die Beschwerde allerdings auch nicht maßgeblich, weil die nach dem PaßG vorzunehmende Gefahrenprognose einer selbständigen, von einem etwaigen strafprozessualen Tatverdacht unabhängigen verwaltungsgerichtlichen Würdigung unterliegt und auch ein noch nicht hinreichend belegbares strafbares Verhalten einbeziehen kann.

Ob die nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist von der Beschwerde erstmals eingeführten Äußerungen des Zeugen P… im Hinblick auf § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO überhaupt noch Berücksichtigung finden können, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls sind dessen Bekundungen, K…und T… zu kennen, den Antragsteller hingegen nie persönlich kennengelernt zu haben, nicht geeignet, die von dem Verwaltungsgericht herangezogenen Indizien und somit den gegen den Antragsteller bestehenden Gefahrenverdacht zu erschüttern.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsteller aus den dargestellten Gründen zu Recht mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung Prozesskostenhilfe verweigert (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO). Für die Rechtsverfolgung in der zweiten Instanz kann nichts anderes gelten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Einer gesonderten Streitwertfestsetzung für die Entscheidung über die Prozesskostenhilfebeschwerde bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr nicht; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).