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Insolvenzverfahren - Restschuldbefreiung - öffentlich-rechtliche Streitigkeit - sozialhilferechtliche Streitigkeit - Rückforderung - Rücknahme- und Rückforderungsbescheid - vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 26.10.2011
Aktenzeichen L 1 AR 5/11 B ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 17a Abs 4 GVG, § 185 InsO, § 51 Abs 1 Nr 6a SGG, § 174 Abs 2 InsO, § 302 Nr 1 InsO, § 304 Abs 1 InsO, § 45 SGB 10, § 50 SGB 10, § 823 Abs 2 BGB, § 263 StGB

Leitsatz

Die Klage auf Feststellung, dass ein Sozialhilferücknahme- und -rückforderungsbescheid auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung im Sinne der §§ 174 Abs. 2, 302 Nr. 1 InsO beruhe und die Forderung deshalb von der Restschuldbefreiung auszunehmen sei, ist eine sozialhilferechtliche Streitigkeit nach § 185 InsO i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 6 a SGG.

Tenor

Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2011 wird aufgehoben.

Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Die Beschwerde zum Bundessozialgericht wird zugelassen

Gründe

I.

Das klagende Sozialamt begehrt die Feststellung, dass der Rücknahme- und Rückforderungsbescheid des Bezirksamts H gegenüber der Beklagten vom 25. Januar 2000 auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruhe, damit die entsprechende Forderung über 529,92 € im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten von der Restschuldbefreiung nach §§ 304 Abs. 1 S. 1, 302 Nr. 1, 174 Abs. 2 Insolvenzordnung (InsO) ausgenommen werde.

Das Sozialgericht Berlin (SG) hat den Rechtsstreit nach vorangegangener Anhörung mit Beschluss vom 10. Mai 2011, zugestellt am 15. Juni 2011, an das Amtsgericht W verwiesen. Der Kläger mache keinen Anspruch aus den in § 51 SGG abschließend aufgeführten Rechtsgebieten geltend, vielmehr einen zivilrechtlichen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers vom 30. Juni 2011. Es handele sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Andere Kammern des SG hätten gleichartige Rechtsstreitigkeiten als sozialhilferechtliche Angelegenheiten angenommen (Bezugnahme auf das Verfahren SG Berlin S 90 SO 638/10)

II.

Die Beschwerde ist nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. 17 a Abs. 4 S. 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) zulässig und begründet.

Die begehrte Feststellung stellt sich als sozialhilferechtliche Streitigkeit im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 6 a SGG dar.

Die Zuständigkeit der Sozialgerichte ist nur gegeben, wenn es sich um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten handelt. Eine solche liegt vor.

Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn es - wie hier - an einer ausdrücklichen Sonderzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Die Abgrenzung muss von der Sache her getroffen werden. Ausgangspunkt für die Prüfung ist deshalb die Frage, welcher Art das Klagebegehren nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt ist (so weitgehend wörtlich Bundessozialgericht - BSG - B. v. 1.4.2009 - B 14 SF 1/08 R Rdnr. 8 - mit Rechtsprechungsnachweisen, insbesondere dem B. des Gemeinsamen Senats der obersten Bundesgerichte vom 04.06.1974 - GmS-OGB 2/73- sowie vom 10.04.1986 -GmS-OGB 1/85).

Hier geht der Kläger gegen die Beklagte als Schuldnerin nach § 184 Abs. 1 InsO „auf Feststellung der Forderung“ vor und begehrt die Feststellung, dass die Rückforderung geleisteter Sozialhilfe eine Verbindlichkeit aufgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung darstelle und deshalb von der Restschuldbefreiung ausgenommen sei, § 302 Nr. 1 InsO. Für derartige gerichtliche Feststellungen gilt nach § 185 InsO, dass sie vor dem zuständigen Gericht zu betreiben oder von der zuständigen Verwaltungsbehörde vorzunehmen sind, wenn der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht gegeben ist.

Sofern das Bestehen eines Anspruches auf Rückforderung von Sozialhilfe im Streit steht, hat danach ungeachtet eines Insolvenzverfahrens das zuständige Sozialamt einen entsprechenden Bescheid zu erlassen, da die Rückabwicklung keine bürgerlich-rechtliche Angelegenheit ist, sondern sich nach dem Sozialgesetzbuch richtet. Es handelt sich um öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit (§ 1 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 10. Buch - SGB X -), da nicht nur die Bewilligung von Sozialleistungen hoheitliche Tätigkeit darstellt, sondern auch die damit zusammenhängenden Rückabwicklungen: Der Bewilligungsbescheid muss aufgehoben werden - hier konkret hat das Bezirksamt H in dem bestandskräftigen Rücknahmebescheid vom 25. Januar 2000 Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X verneint - und der Erstattungsbetrag ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen, (vgl. § 50 Abs. 1 und Abs. 3 SGB X). Anstelle dieser Festsetzung tritt nach §§ 185, 181 InsO die entsprechende Feststellung.

Gleiches muss auch für die hier begehrte Feststellung, dass der Forderung eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung im Sinne der genannten Vorschriften der InsO zu Grunde liegt, gelten (ebenso SG Gelsenkirchen, U. v. 29.05.2006 - S 2 SO 26/05 -). Auch insoweit sind die ordentlichen Gerichte unzuständig, da die sozialrechtliche Prägung aus der Geschlossenheit des im Einzelnen in sich abgestimmten sozialrechtlichen Erstattungs- und Schadensersatzsystems folgt, das auch Regelungen über die Folgen von vorsätzlichem und grobfahrlässigem pflichtwidrigem Verhalten der Leistungsempfänger enthält

(so zutreffend BSG, U. v. 30.01.1990 -11 Rar 87/88- BSGE 66, 176, 179f unter Bezugnahme auf Bundesgerichtshof - BGH - BGHZ 103, 255). Für das Verhältnis § 5 Unterhaltsvorschussgesetz (UnterhVG) zu einem Anspruch aus unerlaubter Handlung aus § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. § 263 Strafgesetzbuch (StGB) und/oder § 6 UnterhVG hat dies der BGH allerdings anders gesehen (B. v. 02.12.2010 - IX ZB 271/09 -) und eine Zuweisung an das Verwaltungsgericht nach § 185 InsO verneint.

Im Verhältnis des Sozialleistungsempfängers zur Behörde besteht darüber hinaus kein Erfordernis, in Anspruchskonkurrenz zu den Aufhebungsvorschriften der §§ 44ff SGB X und dem Anspruch aus der Erstattungsnorm des § 50 SGB X die Rückforderung auch auf einen Schadensersatzanspruch in entsprechender Anwendung des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB zu stützen. Ein solcher deliktischer Schutz ist nämlich entbehrlich (BSG a.a.O. S. 183).

Dies unterscheidet Rückabwicklungsfälle aufgrund der §§ 44ff SGB X von dem Streit der Krankenkasse gegen Arbeitgeber bei Vorenthaltung von Arbeitgeberanteilen, welcher einem Beschluss des LSG Baden-Württemberg (B. v. 30.08.2005 - L 9 SF 863/05 B -) zugrunde lag, für welchen dieses LSG den Rechtsweg zu den Sozialgerichten verneint hat.

Ob die Klage möglicherweise unzulässig ist, weil der Kläger einen entsprechenden Bescheid erlassen könnte, ist dabei für die Statthaftigkeit der Klage vor dem SG ohne Belang.

Die Kostenentscheidung folgt aus analoger Anwendung des § 193 SGG.

Die weitere Beschwerde ist nach § 17 a Abs. 4 S. 5 GVG zuzulassen aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung im Hinblick auf die möglicherweise geänderte Rechtsposition des BGH.