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Zurückverweisung - Generalvollmacht - Ermessen


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 26. Senat Entscheidungsdatum 23.02.2017
Aktenzeichen L 26 AS 2626/16 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 73 Abs 6 S 1 SGG, § 159 Abs 1 S 1 SGG

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Juli 2016 aufgehoben, soweit es die Klägerin betrifft. Insoweit wird die Sache an das Sozialgericht Cottbus zurückverwiesen.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen. Insoweit sind außergerichtliche Kosten für die Verfahren erster und zweiter Instanz nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger, alleinerziehende Mutter und ihr minderjähriger Sohn (geb. 2003), begehren vom Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01. Dezember 2014 bis zum 31. Mai 2015 bzw. von höheren Leistungen als für diesen Zeitraum bislang bewilligt.

Die in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kläger hatten seinerzeit für die noch heute von ihnen bewohnte 60,13 qm große Wohnung mit dezentraler Warmwasserversorgung eine monatliche Miete von 495,91 € (264,91 € nettokalt zzgl. 113,- € kalte Betriebskosten zzgl. 118,- Heizkosten) zu zahlen. Für den Kläger wurden seinerzeit ein monatlicher Unterhalt von 327,- € sowie 215,- € Kindergeld gezahlt. Über weiteres Einkommen verfügten die Kläger nicht.

Auf den im November 2014 für die Zeit ab Dezember 2014 gestellten Antrag der Kläger bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 13. November 2014 für die Zeit vom 01. Dezember 2014 bis zum 31. Mai 2015 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich insgesamt 694,87 € (391,- € für den Regelbedarf zzgl. 46,92 € für den Mehrbedarf wegen Alleinerziehung zzgl. 8,99 € für den Mehrbedarf wegen dezentraler Warmwasserbereitung zzgl. Leistungen für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung, berechnet nach zwei „Kopfteilen“, in Höhe von 247,96 €). Ferner hieß es in diesem Bescheid, offenbar bezogen auf den Kläger, im Übrigen werde der Antrag abgelehnt.

Am 18. November 2014 teilte der hiesige Bevollmächtigte der Kläger dem Beklagten mit, er vertrete die rechtlichen Interessen der Klägerin und der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Ordnungsgemäße Bevollmächtigung werde anwaltlich versichert. Namens und in Vollmacht der Mandanten lege er Widerspruch ein. Begehrt würden Leistungen in rechtmäßiger Höhe, insbesondere die Erhöhung der bewilligten Leistungen um insgesamt 5,- €. Mit Schreiben vom 21. November 2014 teilte der Beklagte dem Bevollmächtigten mit, aus der Widerspruchsschrift gehe die Bevollmächtigung nicht eindeutig hervor. Er werde aufgefordert, bis zum 11. Dezember 2014 eine aktuelle Vertretungsvollmacht im Original vorzulegen, aus welcher sich zweifelsfrei ergebe, dass er durch die Klägerin sowie die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft bevollmächtigt worden sei.

Mit Änderungsbescheid vom 01. Dezember 2014 wurden die der Klägerin bewilligten Leistungen für die Regel- und Mehrbedarfe für die Zeit von Januar bis Mai 2015 wegen der Neufestsetzung der Regelbedarfe ab dem 1. Januar 2015 auf insgesamt 456,06 € (399,- € für den Regelbedarf zzgl. 47,88 € für den Mehrbedarf wegen Alleinerziehung zzgl. 9,18 € für den Mehrbedarf wegen dezentraler Warmwasserbereitung) erhöht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 02. Dezember 2014 wies der Beklagte den Widerspruch „nach Erlass des Änderungsbescheides vom 01.12.2014“ als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Leistungsermittlung sei nicht zu beanstanden, weder bei der Klägerin noch beim Kläger, der keinen Leistungsanspruch habe, weil sein Einkommen aus Unterhalt und Kindergeld seinen Bedarf übersteige.

Mit Eingang beim Sozialgericht Cottbus am 02. Januar 2015 hat sich Rechtsanwalt L unter Bezugnahme auf die in den Leistungsakten (LA) befindliche allgemeine Vollmacht zum Prozessbevollmächtigten der Kläger bestellt und in deren Namen gegen den Bescheid vom 13. November 2014 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 01. Dezember 2014 der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Dezember 2014 Klage erhoben. Tatsächlich finden sich in den LA zwei von der Klägerin unterschriebene Vollmachten für Rechtsanwalt L, eine für ihre eigenen Sachen gegen den Beklagten und eine in Sachen ihres Sohnes gegen den Beklagten. Diese Vollmachten hatte Rechtsanwalt L dem Beklagten am 04. September 2014 im Zusammenhang mit einem anderen Verfahren per Telefax übersandt. In den Vollmachten heißt es jeweils u.a., dem Rechtsanwalt werde in Sachen gegen den Beklagten wegen sämtlicher in Betracht kommender Ansprüche Vollmacht erteilt. Die Vollmacht gelte sowohl für das Verwaltungs-, das Widerspruchs- als auch das gerichtliche Verfahren in sämtlichen Instanzen. Sie erstrecke sich auf sämtliche – auch zukünftige – Verfahren, insbesondere auch auf die Führung von Untätigkeitsklagen. Rechtsanwalt L werde mit der Führung sämtlicher Widerspruchs- und Klageverfahren beauftragt, die nach seiner Auffassung erfolgversprechend seien (Bd. V, Bl. 935f. LA).

Das Sozialgericht hat den Bevollmächtigten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung aufgefordert, die Prozessvollmacht spätestens im Termin im Original vorzulegen. Im Termin am 13. Juli 2016 ist Rechtsanwalt M für die Klägerseite (mit Terminsvertretervollmacht) erschienen. Auf die zu Beginn erfolgte Aufforderung des Vorsitzenden, eine Prozessvollmacht im Original vorzulegen, hat Rechtsanwalt M mitgeteilt, dass dies nicht möglich sei, und auf die bereits vorliegende Faxkopie verwiesen, deren Übersendung im Übrigen auch jetzt im Verhandlungstermin noch möglich sei. Ausweislich des Protokolls hat das Gericht sodann ohne weitere Verhandlung beraten und im Anschluss das Urteil verkündet, mit dem die Klage „zurückgewiesen“ worden ist. Das schriftliche Urteil beginnt nach dem Urteilstenor – ohne Tatbestand – mit den Entscheidungsgründen, in denen es heißt: Die Klage sei unzulässig, da der als Prozessbevollmächtigter auftretende Rechtsanwalt seine Bevollmächtigung nicht nachgewiesen habe. Rechtsanwalt L sei der gerichtlichen Aufforderung zur Vorlage der Prozessvollmacht im Original nicht nachgekommen, nur so könne jedoch vorliegend ein entsprechender Nachweis erfolgen. Gegen die Entscheidung sei ein Rechtsmittel nicht gegeben; es sei nicht erkennbar, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,- EUR übersteige.

Der Senat hat auf die Beschwerde der Kläger die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts wegen des Verfahrensfehlers eines nicht mit einem Tatbestand versehenen Urteils – insbesondere sei der erhobene Anspruch nicht gekennzeichnet worden – gemäß § 145 i.V.m. § 144 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Beschluss vom 11. November 2016 zugelassen.


Kläger und Beklagte haben konkrete Anträge nicht gestellt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, insbesondere die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, und die vorliegenden LA des Beklagten (sechs Bände) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Juli 2016 in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang und der insoweit erfolgten Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht begründet.

Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung liegen insoweit bereits gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG vor. Danach kann das Berufungsgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses (zu Unrecht) die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.

Die Voraussetzungen dieser Norm sind bezogen auf die Klägerin erfüllt. Das Sozialgericht hat ihre Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen, ohne eine Sachentscheidung zu treffen.

Insbesondere scheitert die Zulässigkeit der von ihr erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) nicht am fehlenden Nachweis der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung des für sie auftretenden Rechtsanwalts L.

Die Klägerin hat Rechtsanwalt L mit der von ihr am 03. September 2014 unterzeichneten Vollmacht, auf die bei Klageerhebung wie im Verhandlungstermin Bezug genommen wurde (vgl. dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 73 Rdnr 64), eine so genannte Generalvollmacht erteilt. Dazu hat der 10. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg im Parallelfall L 10 AS 2495/16 bzw. S 24 AS 2495/166, in dem dieselbe Kammer des Sozialgerichts Cottbus die Klage eines ebenfalls von Rechtsanwalt L vertretenen Klägers, der im Verwaltungsverfahren eine entsprechende Vollmacht vorgelegt hatte, am selben Verhandlungstag mit nahezu gleichlautender Begründung als unzulässig „zurückgewiesen“ hatte, mit Urteil vom 11. Januar 2017, mit dem Sache gleichfalls an das Sozialgericht zurückverwiesen wurde, ausgeführt: Es handle sich um eine Generalvollmacht, die

„keinen Zweifel im Sinne der an eine ordnungsgemäße Vollmacht nach § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG zu stellenden Anforderungen daran lässt, wer bevollmächtigt hat, wer bevollmächtigt ist, und wozu bevollmächtigt worden ist, nämlich der Kläger Rechtsanwalt L ua zur Erhebung der Klage (vgl BSG, Beschluss vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 188/15 B, juris RdNr 6 und Beschluss vom 17. März 2016 – B 4 AS 684/15 B, juris RdNr 6). Es begegnet auch keinen Bedenken, dass diese Vollmacht per Telefax eingereicht worden ist (siehe Leitherer, aaO, RdNr 62 zu § 73, Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12. Juni 2014 – L 6 AS 522/13, juris RdNr 7 zu § 13 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch). Anlass dafür, diese Vollmacht entgegen der ständigen Rechtsprechungspraxis aller obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Wirksamkeit von Generalvollmachten als Prozessvollmacht ausnahmsweise nicht als beachtlich anzusehen und von Rechtsanwalt L daher zusätzlich die Vorlage einer weiteren, auf das Klageverfahren konkret bezogenen Vollmacht zu verlangen, bestanden nicht. Zwar mögen Fälle denkbar sein, in denen Zweifel am ordnungsgemäßen Nachweis einer Prozessvollmacht durch Generalvollmacht angebracht sein können. Unter Berücksichtigung ihrer weitreichenden Auswirkungen für den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelinstanzen wird die Annahme, dass eine als Prozesshandlung erteilte Prozessvollmacht entgegen ihres äußeren Anscheins überhaupt nicht oder nicht mehr gelten soll, unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes gemäß Art 19 Abs 4 Grundgesetz und des Rechtsstaatsprinzips allerdings nur unter außerordentlich gelagerten Umständen angenommen werden können (BSG, Beschluss vom 20. Januar 2016, aaO, RdNr 7, BSG, Beschluss vom 17. März 2016, aaO, RdNr 7).

Raum für Zweifel an einer erteilten Prozessvollmacht für einen Rechtsanwalt besteht seit der Neufassung des § 73 SGG durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007 (BGBl I 2840)prozessual nur noch, wenn entsprechende Umstände von dem anderen Beteiligten gestützt auf § 73 Abs 6 Satz 4 SGG substantiiert in das Verfahren eingeführt worden sind oder Anlass für Zweifel von Amts wegen nach § 73 Abs 6 Satz 5 SGG besteht (BSG, Beschluss vom 20. Januar 2016, aaO, RdNr 8, BSG, Beschluss vom 17. März 2016, aaO, RdNr 8), woran es hier fehlt. Denn solche Umstände lassen sich weder der Niederschrift über die am 13. Juli 2016 vom SG durchgeführte mündliche Verhandlung noch den Feststellungen im Urteil des SG entnehmen. Der Annahme solcher Umstände stand hier im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch entgegen, dass mit dem ersichtlichen Willen des Klägers erst kurz zuvor ein Prozesskostenhilfeantrag für das Klageverfahren mit dem Begehren der Beiordnung von Rechtsanwalt L gestellt worden war.“

Diesen Ausführungen schließt sich der hier erkennende Senat vollumfänglich an.

Der Senat hat bezüglich der Klägerin sein in § 159 Abs. 1 SGG eingeräumtes Ermessen – wie im erwähnten Parallelfall L 10 AS 2495/16 der 10. Senat mit entsprechenden Erwägungen – dahin ausgeübt, die Sache an das Sozialgericht zurückzuverweisen. Er hat dabei berücksichtigt, dass die Entscheidung des Sozialgerichts, die keinen Tatbestand und damit auch keine Anträge enthält und in der folglich auch keine Beschäftigung mit den erhobenen Ansprüchen erfolgt ist, schon nicht den Mindestanforderungen genügt, die jedenfalls an einen Tatbestand zu stellen sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 159 Rdnr. 5a). Wesentlich war auch die Erwägung, dass über die hier erhobenen Ansprüche der Kläger nach den Wertungen des Prozessrechts durch das Sozialgericht zu entscheiden ist. Das Landessozialgericht hat sich bei einem ordnungsgemäßen Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens grundsätzlich nicht mit einem solchen Rechtsstreit in der Sache zu befassen, weil die Klägerin durch das Urteil weder in dem in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG vorausgesetzten Maße beschwert ist, noch – angesichts der Dauer des streitbefangenen Zeitraums – ein Fall des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG gegeben ist. Es wäre sachwidrig, das Landessozialgericht nur deshalb einen Rechtsstreit entscheiden zu lassen, weil das Sozialgericht zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen hat. Welches dieser Gerichte entscheidet, kann auch unter Berücksichtigung dessen, dass erstinstanzlich im Regelfall nach der Richterzahl ein von Laien dominierter Spruchkörper besteht, nicht unerhebliche Auswirkungen auf Ablauf und Ergebnis des Rechtsstreits haben. Der Prozessökonomie ist durch die zügige Entscheidung im Berufungsverfahren Rechnung getragen worden.

Hingegen war die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen. Seine Klage hat das Sozialgericht im Ergebnis zutreffend abgewiesen. Sie war indes nach den oben stehenden Ausführungen nicht mangels Nachweises der Bevollmächtigung von Rechtsanwalt L unzulässig. Vielmehr war die Klage des Klägers zulässig, aber unbegründet. Es ist nicht erkennbar und im Übrigen auch zu keiner Zeit konkret geltend gemacht worden, dass er in dem in Streit stehenden Zeitraum Anspruch auf Sozialgeld (vgl. § 23 SGB II) gehabt hat. Denn er konnte mit dem (unstreitigen) monatlichen Einkommen aus Kindergeld (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II) in Höhe von 215,- € und Unterhalt in Höhe von 327,- € seinen Regelbedarf von 261,- € bis Ende 2014 bzw. von 267,- € ab 2015 zzgl. Mehrbedarf wegen dezentraler Warmwasserbereitung in Höhe von 3,13 € bzw. 3,20 € zzgl. Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen von 247,96 € (s.o.) decken. Vor diesem Hintergrund hat der Senat insoweit im Ermessenswege von einer Zurückverweisung abgesehen.

Eine Kostenentscheidung hat bezüglich der Klägerin nicht zu ergehen; sie bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten (Keller, a.a.O., § 159 Rdnr. 5f.).

Bezüglich des Klägers beruht die Kostenentscheidung auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).