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Merkzeichen G - Nachteilsausgleich


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum 25.04.2013
Aktenzeichen L 13 SB 229/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 69 SGB 9

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. November 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

Der 1961 geborene Kläger, bei dem 2002 ein Grad der Behinderung von 60 festgestellt war, stellte am 14. Oktober 2008 einen Verschlimmerungsantrag. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen stellte der Beklagte bei dem Kläger mit Bescheid vom 6. Mai 2009 einen GdB von 80 fest, lehnte aber die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ ab. Dem legte er folgende (mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde:

a) Alkoholkrankheit, psychische Störungen (Neurosen), Persönlichkeitsstörung, außergewöhnliche Schmerzreaktion (80),
b) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden, operierte Bandscheibe, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule, Spinalkanalstenose (30),
c) Neurodermitis (10),
d) Schulter-Arm-Syndrom links (10),
e) chronische Entzündung der Speiseröhre bei kleinem Zwerchfellbruch (10).

Auf den Widerspruch des Klägers veranlasste der Beklagte das Gutachten des praktischen Arztes Dr. Y vom 21. Juli 2009, der die Voraussetzungen des Merkzeichens „G“ verneinte. Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2009 zurück.

Mit der bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Das Sozialgericht neben Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte das Gutachten des Allgemeinmediziners Dr. B vom 20. Juli 2010 eingeholt, der das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ verneint hat.

Mit Urteil vom 15. November 2011 hat das Sozialgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens „G“ habe. Der überzeugenden Bewertung des Sachverständigen sei zu folgen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er insbesondere vorbringt, dass die Insomnie, an welcher er leide, sich erheblich auf seine Gehfähigkeit auswirken würde. Zur Begründung hat der Kläger diverse ärztliche Unterlagen bei Gericht eingereicht.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Neurologen Br vom 20. Juni 2012. Der Sachverständige hat das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ nicht feststellen können.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. November 2011 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 6. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2009 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab 14. Oktober 2008 das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens „G“ festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält an seinen Entscheidungen fest.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage mit der angegriffenen Entscheidung zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 6. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung des von ihm begehrten Merkzeichens.

Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens "G" sind nicht erfüllt.

Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung. Über das Vorliegen der damit angesprochenen gesundheitlichen Merkmale treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 1 und 4 SGB IX). Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d.h. altersunabhängig von nichtbehinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 10. Dezember 1987, 9a RVs 11/87, BSGE 62, 273 = SozR 3870 § 60 Nr. 2). Allerdings ist es für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ nicht ausreichend, dass diese Wegstrecke nicht in dem genannten Zeitraum bewältigt werden kann.

Denn Nr. 30 Abs. 3 bis 5 der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) in der hier maßgeblichen Fassung von 2008 bzw. Teil D Nr. 1d der in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, um annehmen zu können, dass ein behinderter Mensch infolge einer Einschränkung des Gehvermögens in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Gehvermögen des Menschen von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also dem Körperbau und etwaigen Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die Anhaltspunkte diejenigen heraus, die außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen. Die Anhaltspunkte beschreiben dabei Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ als erfüllt anzusehen sind, und die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können (BSG, Urteil vom 13. August 1997, 9 RVs 1/96, SozR 3-3870 § 60 Nr. 2).

Die in Nr. 30 Abs. 3 der AHP bzw. in Teil D Nr. 1d der Anlage zu § 2 VersMedV aufgeführten Fallgruppen liegen hier nicht vor.

Die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr lässt sich insbesondere nicht auf eine behinderungsbedingte Einschränkung des Gehvermögens gründen, da bei dem Kläger keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen (vgl. Nr. 30 Abs. 3 Satz 1 der AHP bzw. Teil D Nr. 1d Satz 1 der Anlage zu § 2 VersMedV). Nach der überzeugenden Einschätzung der gerichtlichen Sachverständigen Dr. B sind die bei dem Kläger auftretenden Lumbalgien allenfalls mit einem GdB von 10 bis 20 zu veranschlagen.

Damit sind bei dem Kläger Behinderungen an den unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule mit einem GdB unter 50 gegeben, die nach Nr. 30 Abs. 3 Satz 2 der AHP bzw. Teil D Nr. 1d Satz 2 der Anlage zu § 2 VersMedV nur dann die Zuerkennung des Merkzeichens erlauben, wenn sie sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken. Dies ist beispielsweise bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arterielle Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 anzunehmen. Derartige Behinderungen liegen bei dem Kläger nicht vor.

Zwar kann nach Nr. 30 Abs. 3 Satz 3 AHP bzw. Teil D Nr. 1d Satz 3 der Anlage zu § 2 VersMedV die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ auch auf innere Leiden gestützt werden, jedoch ist hierfür nichts ersichtlich. Vor allem ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 anzunehmen (vgl. Nr. 30 Abs. 3 Satz 4 AHP bzw. Teil D Nr. 1d Satz 4 der Anlage zu § 2 VersMedV). Eine Herzerkrankung dieses Grades hat der Gutachter Dr. B ausdrücklich ausgeschlossen.

An hirnorganischen Anfällen mit mittlerer Anfallshäufigkeit oder häufigen hypoglykämischen Schocks bei Diabetes mellitus im Sinne der Nr. 30 Abs. 4 AHP bzw. Teil D Nr. 1e der Anlage zu § 2 VersMedV leidet der Kläger ebenso wenig wie an Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen. Nach der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen Dr. B sind weder die persistierenden Nebenwirkungen der Medikamente, die der Kläger einnehmen muss, noch die aus seiner Schlafstörung folgende Müdigkeit einer Orientierungsstörung gleichzusetzen.

Das Vorliegen von Behinderungen, die nicht unter die in Teil D Nr. 1 der Anlage zur VersMedV genannten Regelbeispiele fallen, sich aber vergleichbar – auch in Kombination mit anderen Behinderungen – auf die Gehfähigkeit auswirken, ist von dem Gutachter Dr. B ausdrücklich verneint worden.

Die nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG zu treffende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass der Kläger mit seiner Berufung keinen Erfolg hat.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.