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Entscheidung S 20 KR 311/09 ER


Metadaten

Gericht SG Neuruppin 20. Kammer Entscheidungsdatum 01.03.2010
Aktenzeichen S 20 KR 311/09 ER ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet,

a) die Antragstellerin von Vergütungsansprüchen der Sozialstation Weise für den Zeitraum 10. Dezember 2009 bis 28. Februar 2010 wegen Leistungen der häuslichen Krankenpflege (Behandlungspflege) in einem Umfang von 4 Stunden täglich bei einem Stundensatz von 29,00 € freizustellen,

b) der Antragstellerin ab dem 1. März 2010 bis zum 11. April 2010 Leistungen der häuslichen Krankenpflege (Behandlungspflege) in einem Umfang von 4 Stunden täglich zu gewähren.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ein Sechstel ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Eine weitergehende Kostenerstattung findet nicht statt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiliger Anordnung die vorläufige Versorgung mit Leistungen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) im Umfang von 24 Stunden täglich.

1. Die Antragstellerin befand sich vom 28. August 2009 bis zum 22. Oktober 2009 in einer stationären neurologischen Rehabilitationsbehandlung und lebt seit der Entlassung in einer selbst angemieteten Wohneinheit. In dieser wird sie durch die Sozialstation D W auf Grundlage der ärztlichen Verordnungen von Herrn Dr. W vom 22. Oktober 2009, 2. November 2009 und 4. Januar 2010 pflegerisch betreut. Herr Dr. W verordnete als Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung Blutzuckermessung (2 x tgl.), s. c. Injektionen (5 x tgl.) und Medikamentengabe (3 x tgl.) sowie „24-Stunden-Behandlungspflege, PEG-Pflege durch Spülungen und Verbände“. Der aktuelle Verordnungszeitraum endet am 11. April 2010. Die Antragstellerin leidet u. a. unter einem Mediainfarkt rechts, atraumatischen subduralen Blutungen beidseits, absoluter Arrhythmie bei Vorhofflimmern, symptomatischer fokaler Epilepsie, Hyperthyreose mit Struma nodosa, essentieller Hypertonie, konorarer Herzkrankheit, linksherzinsuffizienz mit Dyspnoe, Aortenklappeninsuffizienz Grad 1, Mitralklappeninsuffizient Grad 2, Diabetes mellitus Typ IIb und Harn- und Stuhlinkontinenz.

Die Antragsgegnerin lehnte die Kostenübernahme für eine 24-Stunden-Behandlungspflege ab, wogegen die Antragstellerin mit Schreiben vom 26. November 2009 Widerspruch einlegte. Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass ein Anspruch auf Gewährung von 24-Stunden-Behandlungspflege auch auf Grundlage des mit dem Pflegedienst gemäß § 132 a Abs. 2 SGB V geschlossenen Vertrags nicht besteht.

Die Pflegekasse ordnete die Antragstellerin mit Wirkung ab dem 22. Oktober 2010 der Pflegestufe II zu.

2. Die Antragstellerin beantragte am 10. Dezember 2009 bei dem Sozialgericht Neubrandenburg den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das Verfahren wurde durch Beschluss des Gerichts vom 21. Dezember 2009 an das Sozialgericht Neuruppin verwiesen. Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin ab Antragstellung bei Gericht bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Widerspruchsverfahren Leistungen der 24-Stunden-Behandlungspflege zu bewilligen und sie insofern von den Kosten dieser Leistung i. H. v. 29,00 € pro Stunde freizustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Die Sozialstation hat mitgeteilt, dass die Antragstellerin in einer selbst angemieteten Wohneinheit lebt, die aus einem Zimmer mit Benutzung einer Gemeinschaftsküche und eines gemeinschaftlichen Bads besteht. Die Bewohner dieser Wohneinheiten würden je nach pflegerischem Bedarf grundsätzlich früh, mittags und abends durch die Pflegekräfte versorgt, während durch die Versorgung der Antragstellerin die Beschäftigung von (weiteren) fünf Pflegefachkräften und einer Pflegehilfskraft erforderlich geworden sei.

Dr. W hat unter dem 29. Januar 2010 und 15. Februar 2010 Stellung genommen. Neben den einzelnen Maßnahmen der Behandlungspflege sei eine regelmäßige Kontrolle der Atmung, des Kreislaufs und des Allgemeinzustands der Antragstellerin erforderlich, die einstundenweise erfolgen könne. Insoweit genüge die Beobachtung der Antragstellerin durch Pflegekräfte, die auch für andere hilfebedürftige Personen zuständig sind. Einer dauerhaften, ununterbrochenen Beobachtung der Antragstellerin unmittelbar am Bett bedürfe es nicht. Ein „sich-selbst-Überlassen“ der Antragstellerin über längere Zeit oder über Nacht sei nicht möglich. Die Verordnung der 24-Stunden-Behandlungspflege sei erfolgt, um eine Betreuung der Antragstellerin in der von ihr wahrgenommenen Wohnform sicherzustellen. Es sollte eine gleichwertig hohe Betreuungsqualität wie in einem Pflegeheim erreicht werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin, die dem Gericht vorlag und Gegenstand der Entscheidungsfindung war, Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.

1. Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung im Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Antragstellerin hat hinreichend geltend gemacht, dass ein Anspruch gegenüber der Antragsgegnerin besteht (Anordnungsanspruch) und sie ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Dies ist auch nicht offensichtlich ausgeschlossen.

2. Die einstweilige Anordnung ist grundsätzlich zu erlassen, wenn Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bestehen. Deren Vorliegen ist glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Eine Tatsache ist dann als glaubhaft gemacht anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 Zehntes Buch des Sozialgesetzbuchs; vgl. auch § 294 ZPO). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden dabei aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System und stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Die Anforderungen an den Anordnungsanspruch sind mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern und umgekehrt. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund (vgl. insgesamt: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, Rn. 27 ff. zu § 86 b m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben war dem Antrag nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben.

a) Die Antragstellerin hat nach dem Erkenntnisstand des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens einen Anspruch auf Behandlungspflege als häusliche Krankenpflege (§ 37 Abs. 2 SGB V). Dieser umfasst als Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sowohl die ausdrücklich verordneten Einzelmaßnahmen der Behandlungspflege, die zwischen den Beteiligten nicht im Streit stehen, als auch (allgemeine) Krankenbeobachtung. Für den Umfang dieser Krankenbeobachtung geht das Gericht einstweilen von 4 Stunden pro Tag aus.

aa) Nach § 37 Abs. 2 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt sowie in betreuten Wohnformen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Behandlungssicherungspflege, Sicherstellungspflege). Der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach §§ 14, 15 Elftes Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) zu berücksichtigen ist (§ 37 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V). Zur Behandlungssicherungspflege gehören alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden (krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen; vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 10. November 2005 - B 3 KR 38/04 R - m.w.N. [juris]). Die Hilfeleistungen umfassen Maßnahmen verschiedenster Art wie z. B. Injektionen, Verbandwechsel, Katheterisierung, Einläufe, Spülungen, Einreibungen, Dekubitusversorgung, Krisenintervention, Feststellung und Beobachtung des jeweiligen Krankenstandes und der Krankheitsentwicklung, die Sicherung notwendiger Arztbesuche, die Medikamentengabe sowie die Kontrolle der Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten (vgl. Bundessozialgericht a.a.O. unter Bezugnahme auf Gerlach, in Hauck/Haines, SGB V, Rn. 22 zu § 37).

In diesem Rahmen steht der Antragstellerin ein Anspruch insbesondere auch auf Krankenbeobachtung, PEG-Sondenernährung und entsprechende Versorgung sowie Versorgung mit Verbänden zu. Diese Maßnahmen wurden durch Herrn Dr. W als sonstige Maßnahmen der Behandlungspflege verordnet. Das Gericht geht dabei auf Grundlage der ärztlichen Verordnungen vom 22. Oktober 2009, 2. November 2009 und 4. Januar 2010 unter Einschluss der Stellungnahmen von Herrn Dr. W vom 29. Januar 2010 und 15. Februar 2010 einstweilen davon aus, dass mit der Begrifflichkeit „24-Stunden-Behandlungspflege“ letztlich eine etwa stündliche Krankenbeobachtung der Antragstellerin zur Kontrolle der Atmung, des Kreislaufs und des Allgemeinzustands verordnet worden ist, anlässlich derer auch die weiteren gesondert verordneten Einzelmaßnahmen der Behandlungspflege (Blutzuckermessung, Injektionen und Medikamentengabe) vorzunehmen sind, bzw. dass über die mit der Vornahme der verordneten Einzelmaßnahmen der Behandlungspflege einhergehende Kontrolle der Antragstellerin eine weitergehende, etwa stündliche Krankenbeobachtung der Antragstellerin verordnet worden ist. Herr Dr. W hat insoweit nachvollziehbar dargelegt, dass die Verordnung der 24-Stunden-Behandlungspflege nur deshalb erfolgte, um der Antragstellerin eine Betreuung bzw. Versorgung zu ermöglichen, wie sie in Pflegeheimen üblich ist. Er hat auf Nachfrage mitgeteilt, dass eine ununterbrochene Beobachtung der Antragstellerin gerade nicht erforderlich ist.

Dem Anspruch auf Gewährung von Krankenbeobachtung steht nach vorläufiger Beurteilung der Sach- und Rechtslage einstweilen nicht entgegen, dass der maßgebliche Vertrag (§ 132 a Abs. 2 SGB V) keine dahingehende Leistungsvereinbarung enthält. Zwar trifft es zu, wenn die Antragsgegnerin darauf hinweist, dass die Voraussetzungen für die in dem Abschnitt „Behandlungspflege V: Spezielle Krankenbeobachtung“ bezeichnete Krankenbeobachtung nicht vorliegen. Der Vertrag regelt die im Rahmen der Behandlungspflege zu übernehmenden Leistungen insoweit aber nicht abschließend, sondern enthält lediglich keine ausdrückliche Vereinbarung über die hier begehrten Leistungen der häuslichen Krankenpflege. Der Anspruch der Antragstellerin bestimmt sich vielmehr nach § 37 Abs. 2 SGB V i.V.m. § 92 SGB V.

Das Bundessozialgericht hat mit Bezug auf die Häusliche Krankenpflege-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses ausgeführt (Urteil vom 10. November 2005 - B 3 KR 38/04 R - [juris]):

„Der Einwand der Beklagten, die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) über die Verordnung von ‚häuslicher Krankenpflege’ nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V vom 16. Februar 2000 (BAnz. Nr. 91 vom 13. Mai 2000) in der Fassung der Änderung vom 24. März 2003 (BAnz. Nr. 123 vom 8. Juli 2003) - HKP-Richtlinien - sähen die Krankenbeobachtung in der hier streitigen Form nicht vor, greift ebenfalls nicht durch. In Abschnitt I Nr. 3 der HKP-Richtlinien heißt es allerdings, die verordnungsfähigen Maßnahmen würden in der Anlage aufgeführt; dort nicht genannte Maßnahmen seien als häusliche Krankenpflege nicht verordnungsfähig. In der Anlage wird unter Nr. 24 nur eine spezielle Krankenbeobachtung genannt. Diese soll nur bei akuten Verschlechterungen einer Krankheit zur Kontrolle der Vitalfunktionen begründet sein, während die allgemeine Krankenbeobachtung Bestandteil jeder pflegerischen Leistung sei. Ferner sieht die Anlage in Nr. 8 die Verordnungsfähigkeit einer speziellen Krankenbeobachtung in Form der Überwachung eines Beatmungsgerätes bei Beatmungspatienten vor. Die Richtlinien sehen also eine enumerative Aufzählung und Beschreibung der verordnungsfähigen Leistungen vor, die eine dauernde Krankenbeobachtung in der hier erforderlichen Form nicht erfassen.

Dies steht indes dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Zwar handelt es sich bei den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V um untergesetzliche Normen, die auch innerhalb des Leistungsrechts zu beachten sind (grundlegend BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr. 6, und BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr. 7; im Anschluss daran etwa BSGE 82, 41 = SozR 3-2500 § 103 Nr. 2 und BSGE 81, 240 = SozR 3-2500 § 27 Nr. 9). Ein Ausschluss der im Einzelfall gebotenen Krankenbeobachtung aus dem Katalog der verordnungsfähigen Leistungen verstößt aber gegen höherrangiges Recht. Ebenso wenig wie der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt ist, den Begriff der Krankheit in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr. 11), ist er befugt, medizinisch notwendige Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege auszunehmen, wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 17. März 2005 - B 3 KR 35/04 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR bestimmt; unveröffentlichter Beschluss vom 17. August 2005 - B 3 KR 22/05 B -). Die HKP-Richtlinien binden die Gerichte insoweit nicht.“

Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen an und sieht in deren Fortführungen jedenfalls einstweilen einen Anspruch auf allgemeine Krankenbeobachtung nach Lage des Falls als gegeben an. Diese allgemeine Krankenbeobachtung zeichnet sich in Abgrenzung zu der speziellen Krankenbeobachtung dadurch aus, dass keine ununterbrochene Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich ist. Die Häusliche Krankenpflege-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses setzt in Nr. 24 des Leistungsverzeichnisses für die spezielle Krankenbeobachtung „die permanente Anwesenheit der Pflegekraft über den gesamten Versorgungszeitraum“ voraus. Da auf Grundlage der Ausführungen von Herrn Dr. W aber für den Fall, dass gar keine oder eine zu langfristige Beobachtung der Antragstellerin erfolgt, von einer akuten Gefahr für Leib und Leben der Antragstellerin auszugehen ist, ist für das einstweilige Rechtsschutzverfahren jedenfalls im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. Februar 2007 - 1 BvR 3101/06 - m.w.N. [juris]; vgl. auch Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, Rn. 29 a zu § 86 b) von einem Anspruch auf allgemeine Krankenbeobachtung als Leistung der häuslichen Krankenpflege auch für den Fall auszugehen, dass ärztliche oder pflegerische Maßnahmen zur Abwendung von Krankheitsverschlimmerungen eventuell erforderlich, aber nicht konkret voraussehbar sind (offengelassen: Bundessozialgericht, Urteil vom 10. November 2005 - B 3 KR 38/04 R - [juris, Rn. 16]).

bb) Das Gericht geht im Rahmen des ihm für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zustehenden Ermessens (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, Rn. 30 zu § 86 b; vgl. ferner § 202 SGG i. V. m. § 287 Abs. 2 ZPO) auf Grundlage der Ausführungen von Herrn Dr. W, der Pflegedokumentation der Sozialstation Weise sowie von Erfahrungswerten davon aus, dass eine stündliche Beobachtung der Antragstellerin geboten ist und die dafür erforderliche Zeit - unter Einschluss der verordneten Einzelmaßnahmen - jeweils mit zehn Minuten im Tagesschnitt in Ansatz zu bringen ist. Der zeitliche Gesamtaufwand für die häusliche Krankenpflege beläuft sich danach auf 4 Stunden täglich (24 Stunden x 10 Minuten). Die Erforderlichkeit einer stündlichen Beobachtung ergibt sich aus den Stellungnahmen von Herrn Dr. W. Der Zeitaufwand von 10 Minuten je Stunde im Tagesschnitt berücksichtigt die insgesamt 10 x tgl. vorzunehmenden verordneten Einzelmaßnahmen, erforderlich werdende Lageänderungen, erforderlich werdende PEG-Maßnahmen sowie Verbandswechsel und auch, dass sich ggf. die Krankenbeobachtung innerhalb etwa ein bis zwei Minuten mit der Feststellung erledigen kann, dass nichts zu veranlassen ist. Das Gericht geht insoweit zu Gunsten der Antragstellerin insbesondere auf Grundlage der eidesstattlichen Versicherung von Herrn D W vom 16. Februar 2010 davon aus, dass sich der Umfang der in Anspruch genommenen Pflegeleistungen nicht abschließend aus der überreichten Pflegedokumentation ergibt, sondern die Behandlungspflege letztlich wie ärztlich für erforderliche gehalten auch tatsächlich vorgenommen worden ist.

Soweit die Antragstellerin einen weiteren pflegerischen Aufwand von 20 Stunden täglich geltend macht, liegt nach Überzeugung des Gerichts ein Anordnungsanspruch nicht - auch nicht einstweilen nach den Maßstäben des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens - vor. Weder aus der eingereichten Pflegedokumentation noch aus den Ausführungen von Herrn Dr. W ergibt sich ein nachvollziehbarer weiterer pflegerischer Zeitaufwand. So hat Herr Dr. W insbesondere mitgeteilt, dass eine ununterbrochene Beobachtung der Antragstellerin nicht erforderlich ist und er die „24-Stunden-Behandlungspflege“ nur aus Gründen der mittelbaren Sicherstellung einer faktisch vollstationären Pflege verordnet hat. Weder diese ärztliche Einschätzung noch die durch die Sozialstation Weise dargelegten finanziellen Anstrengungen haben jedoch eine weitergehende Kostenfreistellung bzw. Leistungsgewährung zur Folge. Denn ersatzfähig können nur solche pflegerischen Maßnahmen sein, die konkret dem individuellen Pflegebedürfnis der Antragstellerin entspringen. Dass eine Pflegeperson auf Grundlage der hier vorgenommenen Schätzung nur zehn Minuten einer Stunde auf die Pflege der Antragstellerin verwendet und 50 Minuten ohne Tätigkeit ist, kann nicht zu Lasten der Antragsgegnerin gehen. Die vollzeitliche Auslastung von Pflegepersonen und damit letztlich ihr wirtschaftlicher Einsatz obliegt allein dem Pflegedienst. Allein dieser ist für einen unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten tragbaren Einsatz der Pflegepersonen zuständig und für die dafür erforderliche Organisation verantwortlich. Die Antragsgegnerin hat weder im Rahmen des § 37 Abs. 2 SGB V noch sonst für Mehrkosten einzustehen, die letztlich durch eine quasi stationäre Pflege im Rahmen einer betreuten Wohnform mit ambulanter Pflege entstehen. Inhalt und Umfang des Anspruchs auf Behandlungspflege der Antragstellerin bestimmen sich allein nach deren individuellem Pflegebedarf und nicht nach den organisatorischen Rahmenbedingungen des beauftragten Pflegedienstes (§ 12 Abs. 1 SGB V).

b) Der Antragstellerin steht auch ein Anordnungsgrund zur Seite. Es bestehen keine Zweifel, dass die Antragstellerin die monatlichen Kosten nicht aus eigener Kraft tragen kann und dass vor dem Hintergrund der durch den Pflegedienst geschilderten wirtschaftlichen Situation ggf. ein Abbruch der Pflege in der bisherigen Form zu befürchten ist.

c) Inhalt und Umfang des vorläufigen Anspruchs ergeben sich wie folgt:

Das Gericht hält den durch den Pflegedienst unter dem 30. Dezember 2009 in Rechnung gestellten Stundensatz von 29,00 € jedenfalls nicht für schlechthin unangemessen und legt ihn daher einstweilen zu Grunde, auch wenn sich aus dem maßgebliche Vertrag (§ 132 a Abs. 2 SGB V) ein solcher nicht ergibt.

Auf die einstweilen zuerkannten Leistungen nach § 37 Abs. 2 SGB V sind die Leistungen der Pflegeversicherung nicht anzurechnen. Der Anspruch auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung lässt den Anspruch auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege unberührt (§ 13 Abs. 2 SGB XI, § 37 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V), während sich der Anspruch wegen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung allein gegen die Pflegekasse richtet (§ 37 Abs. 2 Satz 6 SGB V). Insoweit besteht ein eigenständiger Anspruch, der nicht in den Leistungen der häuslichen Krankenpflege ganz oder teilweise aufgeht. Das Gericht nimmt auf den Beschluss des Bundesverfassungsgericht vom 10. März 2008 - 1 BvR 2925/07 - [juris] Bezug: Aus der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts kann kein allgemein geltender Rechtsatz in dem Sinne entnommen werden, dass für die Zeiten, welche in die Leistungspflicht der Pflegekasse fallen, kein Anspruch auf Leistungen der Sicherstellungspflege besteht. Für ein Zurücktreten der erforderlichen Sicherstellungspflege hinter Leistungen nach dem SGB XI für Zeiten der Grundpflege bedarf es vor dem Hintergrund von § 13 Abs. 2 SGB XI einer näheren, die Umstände des konkreten Falles einbeziehenden Begründung, die für das erkennende Gericht vorliegend nicht ersichtlich ist (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - L 1 B 346/08 KR ER - [juris]).

Für den Zeitraum ab Antragstellung bei Gericht bis zur gerichtlichen Entscheidung wandelt sich der zunächst gegebene Sachleistungsanspruch in einen Anspruch auf Freistellung der Antragstellerin von der Verbindlichkeit gegenüber dem Pflegedienst (§ 13 Abs. 3 SGB V). Denn in diesem abgelaufenen Zeitraum hat sich die Antragstellerin die notwendigen Leistungen letztlich selbst beschafft. Es ist insoweit nicht ersichtlich, dass es an einer wirksamen zivilrechtlichen Verpflichtung der Antragstellerin fehlt. Auch die weiteren Voraussetzungen des Freistellungs- und Erstattungsanspruches liegen vor. Hiernach hat die Krankenkasse dem Versicherten die Kosten für eine selbst beschaffte notwendige Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Diese Voraussetzungen sind für den genannten Zeitraum anteilig erfüllt. Für den Zeitraum ab der gerichtlichen Entscheidung besteht der Sachleistungsanspruch anteilig.

Das Gericht hält die Befristung des vorläufigen Anspruchs mit Ablauf der ärztlichen Verordnung vom 4. Januar 2010 - mithin bis zum 11. April 2010 - für geboten, da zum einen ein darüber hinausgehender Anordnungsanspruch derzeit nicht nachgewiesen ist. Zum anderen dürfte für eine Folgeverordnung jedenfalls nunmehr der genaue Inhalt der medizinisch gebotenen Versorgung der Antragstellerin nach Maßgabe dieses Beschlusses ärztlicherseits zu bestimmen sein (zeitlicher Umfang, genaue Maßnahme), um letztlich Auslegungsprobleme zukünftiger Verordnungen zu vermeiden.

Lediglich ergänzend weist das Gericht die Beteiligten darauf hin, dass für die Sicherstellung der pflegerischen Betreuung der Antragstellerin für die Zukunft - insbesondere mit Blick auf eine ggf. erforderliche stationäre Pflege - die Einschaltung der Pflegekasse geboten sein dürfte (§§ 7, 7 a, 12, 69 SGB XI). Auch wird der zuständige Pflegedienst jedenfalls zukünftig auf eine ordnungsgemäße und vollständige Dokumentation zu achten haben, um Streitigkeiten über den Umfang der in Anspruch genommenen Leistungen zu vermeiden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.