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Entscheidung 25 Sa 1801/10


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 25. Kammer Entscheidungsdatum 09.12.2010
Aktenzeichen 25 Sa 1801/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 174 BGB, § 180 BGB, § 626 BGB, § 34 TVöD, § 9 Berliner Betriebsgesetz

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14.07.2010 - 56 Ca 2591/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung wegen Arbeitsverweigerung sowie einer aus demselben Grund hilfsweise als außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ausgesprochenen Kündigung.

Der am ….. 1964 geborene, verheiratete aber getrennt lebende und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 01. Juli 1991 als Straßen- und Grünflächenreiniger bei der Beklagten mit einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommen in Höhe von 2.500,- € beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) vom 31. Januar 1962 mit den zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträgen sowie den an ihre Stelle tretenden Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung. Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Die Beklagte, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten; bei ihr ist ein Personalrat gebildet.

Im Jahr 2005 führten die Parteien einen Kündigungsrechtsstreit in dem der Kläger obsiegte und in dessen Folge der Kläger seit dem 16. Januar 2006 weiterbeschäftigt wurde. Danach verlief das Arbeitsverhältnis zunächst bis Mitte 2009 ohne weitere Belastung. Im Juli und Dezember 2009 erfolgten eine Ermahnung und eine Abmahnung des Klägers im Zusammenhang mit der Anzeigepflicht im Krankheitsfall.

Die Beklagte besorgt für das Land Berlin den Winterdienst. Dieser ist so organisiert, dass verschiedene Touren und Streupläne von Arbeitsgruppen abgearbeitet werden. Diese Arbeitsgruppen planen und regeln ihren Einsatz innerhalb der Touren und Streupläne hinsichtlich der Arbeitsorganisation und Aufgabenverteilung autonom und dokumentieren die erbrachten Leistungen. Am 13. Januar 2010 war der Kläger im Rahmen des Winterdienstes mit drei weiteren Kollegen für die Tour 24 im Bereich der Betriebstelle B. Damm eingeteilt und sollte mit seinen Kollegen verschiedene Handstreupläne abarbeiten. Ob und in welchem Umfang der Kläger an diesem Tag Arbeitsleistungen erbrachte, ist zwischen den Parteien streitig. Der Kläger füllte jedenfalls am 13. Januar 2010 eine Handstreuplan aus (Anlage B 15, Bl. 90 d. A.), der nach Ansicht der Beklagten allerdings gravierende Mängel aufweist.

Nach dem sich ein Kollege über den Kläger wegen nicht akzeptablen Verhaltens und wegen Bedrohung beschwerte, nahm die Beklagte Ermittlungen dazu auf. Dabei entstand für sie der Verdacht, der Kläger sei am 13. und 14. Januar 2010 seinen Arbeitspflichten nicht bzw. nur teilweise nachgekommen und hörte den Kläger dazu am 20. Januar 2010 und am 22. Januar 2010 im Beisein seiner Kollegen an. Diese gaben u. a. an, der Kläger habe am 13. Januar 2010 ganztägig nicht gearbeitet bzw. nicht das Räumfahrzeug verlassen. Seit dem 21. Januar 2010 ist der Kläger von der Beklagten freigestellt.

Nach Anhörung des bei ihr gebildeten Personalrats, der der Kündigung zustimmte, kündigte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 02. Februar 2010 außerordentlich fristlos sowie hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30. September 2010 wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung am 13. Januar 2010. Das Kündigungsschreiben ist unterzeichnet von einem für Personal, Soziales und technische Dienstleistungen zuständigen Vorstandsmitglied der Beklagten. Eine Vollmachtsurkunde war dem Kündigungsschreiben nicht beigefügt.

Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger noch am 02. Februar 2010 zu. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers wies die Kündigung wegen fehlender Vollmacht mit Schreiben vom 07. Februar 2010 per Telefax gemäß § 174 BGB zurück.

Mit seiner am 16. Februar 2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 22. Februar 2010 zugestellten Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigungen vom 02. Februar 2010.

Der Kläger hat gemeint, die Kündigung sei bereits aus formalen Gründen unwirksam, weil die Kündigung von einem nicht Alleinvertretungsberechtigten Vorstandsmitglied ohne Vollmacht unterzeichnet gewesen sei. Die Kündigung habe der Kläger rechtzeitig zurückgewiesen. Er hat weiter eine ordnungsgemäße Personalratsbeteiligung sowie und die Nichteinhaltung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB bestritten und im Übrigen gemeint, es fehle an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Er habe am 13. Januar 2010 sehr wohl gearbeitet und keine Arbeitsverweigerung begangen. Eine außerordentliche Kündigung sei nicht gerechtfertigt und auch unverhältnismäßig.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1.)festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die mit Schreiben vom 02. Februar 2010, zugegangen am 02. Februar 2010, ausgesprochene, fristlose Kündigung beendet worden ist,
2.)festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch die in dem Schreiben vom 02. Februar 2010, zugegangen am 02. Februar 2010, hilfsweise ausgesprochene außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 30. September 2010 enden wird,
3.)festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungsgründe aufgelöst worden ist und über den 02. Februar 2010 hinaus ungekündigt fortbesteht.

Die Beklagte hat zuletzt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags hat sie vorgetragen, die erhobene Vollmachtsrüge sei, weil erst nach fünf Tagen erhoben, verspätet erfolgt. Im Übrigen ergebe sich eine entsprechende Vollmacht für das die Kündigung unterzeichnende Vorstandsmitglied aus den Bestimmungen des Berliner Betriebegesetzes (BerlBG). Danach könne der Vorstand die Vertretungsmacht in Angelegenheiten des laufenden Betriebes auf einzelne Vorstandsmitglieder sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer übertragen. Dies sei hinsichtlich des u. a. für Personal zuständigen Vorstandsmitglieds und der Leiterin der Geschäftseinheit Personal im veröffentlichten Organisationshandbuch erfolgt. Im Übrigen ergäbe sie sich aus der Regelung des § 9 Abs. 2 Nr. 7 des Personalvertretungsgesetzes Berlin (PersVG Bln). Dies sei dem Kläger auch bekannt, weshalb die Zurückweisung unverständlich sei.

Auch die Kündigungserklärungsfrist sei eingehalten. Nach ersten Anhaltspunkten, von denen die Beklagte erst am 20. Januar 2010 erfahren habe, habe sie unverzüglich Ermittlungen aufgenommen, die am 26. Januar 2010 abgeschlossen worden seien.

Ihr stehe auch ein wichtiger Grund für die Kündigung zur Seite. Kündigungsgrund sei eine beharrliche Arbeitsverweigerung des Klägers am 13. Januar 2010. An diesem Tag habe der Kläger nicht gearbeitet. Er habe das Gruppenfahrzeug trotz Aufforderungen durch den Kraftfahrer und bestehender Notwendigkeit ganztägig nicht verlassen und seine von ihm geschuldete Tätigkeit als Straßenreiniger nicht erbracht. Aufgrund der Witterung seien an diesem Tag u. a von der Gruppe, der der Kläger angehört habe, Straßen und Überwege zu räumen und bei Bedarf abzustreuen gewesen. Hierzu hätte der Kläger aus dem Fahrzeug aussteigen müssen, sei aber an allen 99 Knotenpunkten – trotz zweier Aufforderungen durch den Kraftfahrer - im Fahrzeug sitzen geblieben und habe überwiegend geschlafen. Der Kraftfahrer habe dann den Kläger aufgefordert, wenigstens einen Streuplan zu schreiben. Diesen habe der Kläger nur widerwillig und auch inhaltlich fehlerhaft ausgefüllt. In den folgenden Tagen, insbesondere am 14. und 15. Januar 2010 habe der Kläger dann die Kollegen direkt bzw. durch Äußerungen gegenüber Dritten bedroht, was letztlich zu der Beschwerde über den Kläger geführt habe. Diese beharrliche und hartnäckige Arbeitsverweigerung stelle eine grobe Pflichtverletzung dar, die an sich für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund geeignet sei. Weiterhin habe der Kläger auf dem Rückweg zum Betriebshof den Fahrer aufgefordert anzuhalten, damit er Zigaretten kaufen könne und im Laufe des sich anschließenden Gesprächs seine Kollegen angebrüllt und ihnen damit gedroht, sich für diese etwas einfallen zu lassen. Auch nach Ausspruch der Kündigung habe der Kläger weiterhin Drohungen ausgesprochen und gegenüber der Personalreferentin erklärt, dass es für den Kraftfahrer blutig werde. Die Interessenabwägung müsse zu Lasten des Klägers ausfallen und habe auch nicht mehr mit dem Ausspruch einer Abmahnung geahndet werden können. Dem Kläger stünden keine Rechtfertigungsgründe zur Seite. Die Pflichtverletzung sei geeignet, das Ansehen der Beklagten in der Öffentlichkeit zu beschädigen und wiege schwer. Ihr sei eine Weiterbeschäftigung auch nur bis zum Ablauf einer sozialen Auslauffrist unzumutbar. Schließlich sei auch die Personalratsbeteiligung ordnungsgemäß erfolgt und nicht zu beanstanden. Der Personalrat sei umfassend informiert gewesen und habe der Kündigung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die dort gewechselten Schriftsätze und den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen.

Mit Urteil vom 14. Juli 2010 hat das Arbeitsgericht Berlin antragsgemäß festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die angegriffene Kündigung vom 02. Februar 2010 nicht beendet worden ist und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung, auf die zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei hinsichtlich des im Klageantrag zu 3.) enthaltenen allgemeinen Feststellungsantrags mangels Feststellungsinteresse unzulässig. Die Klage im Übrigen sei zulässig und begründet. Die Kündigung sei jedenfalls unwirksam, weil es an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB fehle. Den Vortrag der Beklagten zu ihren Gunsten als wahr unterstellt, liege keine beharrliche Arbeitsverweigerung vor, die ohne vorherige Abmahnung zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung berechtige. Der als Zeuge benannte Kraftfahrer sei dem Kläger gegenüber nicht weisungsbefugt gewesen und habe dem Kläger keine Weisungen erteilen können. Zwar sei das Verhalten des Klägers nicht vertragsgerecht gewesen, bedeute allerdings nur eine einfache und eben nicht eine beharrliche Arbeitsverweigerung. Dieses zugunsten der Beklagten unterstellte Fehlverhalten des Klägers sei nicht durch die für eine beharrliche Arbeitsverweigerung erforderliche Nachhaltigkeit im Willen geprägt. Der Vorprozess aus dem Jahr 2005 könne zur Begründung der Beharrlichkeit nicht herangezogen werden. Dort sei es um andere Pflichtverstöße im Zusammenhang mit den Anzeigepflichten nach § 5 EFZG im Krankheitsfalle gegangen. Abmahnungen aus diesem Bereich seien nicht (mehr) einschlägig oder dem aktuellen Vorwurf nicht zuzuordnen. Auch die weiteren von der Beklagten angeführten Gründe (Aufforderung zum Anhalten zum Zigarettenkauf, Drohungen) rechtfertigten ebenfalls die streitige Kündigung nicht.

Gegen das der Beklagten am 10. August 2010 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Berlin hat diese mit dem am 20. August 2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom selben Tage Berufung eingelegt und diese mit dem am 07. Oktober 2010 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte rügt im Wesentlichen eine fehlerhafte Anwendung des § 626 BGB. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, es liege keine beharrliche Arbeitsverweigerung seitens des Klägers und damit kein wichtiger Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB vor. Der Kläger habe am 13. Januar 2010 in der um 05:00 Uhr beginnenden Frühschicht die Arbeitsleistung komplett verweigert. In dieser in Berlin hochwinterlichen Phase habe die Aufgabe des Klägers darin bestanden, die vorgegebenen Handstreupläne abzuarbeiten und im Rahmen dieser Pläne die Straßen und Kreuzungen auf ihren Zustand hin zu überprüfen und ggf. zu räumen und zu streuen. Trotz objektiv bestehender Notwendigkeit und mehrmaliger Aufforderung durch den Kraftfahrer habe der Kläger das Fahrzeug nicht verlassen und sich während der gesamten Schicht geweigert, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Der Kläger habe dadurch seine arbeitsvertraglichen in grober Weise über einen ganzen Arbeitstag hinweg verletzt und die geschuldeten 7,5 Stunden nicht gearbeitet. Diese stelle entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts eine erhebliche Pflichtverletzung dar, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertige. Der Auffassung des Arbeitsgerichts, es habe lediglich eine einfache Arbeitsverweigerung vorgelegen, könne nicht gefolgt werden. Es läge vielmehr ein intensiver Fall einer Arbeitsverweigerung vor. Die Ansicht des Arbeitsgerichts, es fehle an einer erforderlichen Nachhaltigkeit, könne vor diesem Hintergrund nicht nachvollzogen werden. Die Beharrlichkeit habe sich vorliegend bereits durch die erfolglosen Aufforderungen des Kraftfahrers dokumentiert. Auch wenn hierin keine Abmahnung zu erblicken sei, seien diese Aufforderungen geeignet, die Beharrlichkeit nachzuweisen. Diese Pflichtverletzung würde durch die vergangenen Pflichtverletzungen des Klägers noch verstärkt. Auch der vorangegangene Kündigungsschutzprozess habe letztlich die Wirkung einer massiven und lange nachwirkenden Abmahnung. Die damaligen Pflichtverletzungen (Verspätungen, Verstoß gegen Meldepflichten) müssten auch als gleichwertig angesehen werden. Die anzustellende Interessenabwägung müsse angesichts des nicht störungsfreien Verlaufs des Arbeitsverhältnisses, der vom Kläger ausgestoßenen Drohungen und der sich stetig verkleinernden Lücke zwischen einzelnen Pflichtverletzungen sowie des sich dadurch verringernden Vertrauenspolsters zu Lasten Klägers ausgehen. Insgesamt sei das Vertrauensverhältnis zum Kläger nachhaltig und endgültig zerstört. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei für die Beklagte unzumutbar.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. Juli 2010 – 56 Ca 25911/10 – abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens die Entscheidung des Arbeitsgerichts als rechtlich zutreffend. Das Arbeitsgericht habe richtig erkannt, dass ein wichtiger Grund für die angefochtene außerordentliche Kündigung nicht vorgelegen habe. Er habe im Übrigen auch am 13. Januar 2010 seine Arbeitsleistung so wie von ihm geschuldet erbracht. Zwar habe das Arbeitsgericht – obwohl zwischen den Parteien streitig - als wahr unterstellt, dass der Kläger am 13. Januar 2010 nicht ausgestiegen sei und nicht gearbeitet habe. Es habe aber insoweit zutreffend angenommen, dass auch dann kein Fall einer beharrlichen Arbeitsverweigerung gegeben sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 07. Oktober 2010 (Bl. 173 – 181 d. A.) und vom 02. Dezember 2010 (Bl. 200 – 208 d. A.) sowie auf denjenigen des Klägers vom 10. November 2010 (Bl. 193 – 199 d. A.) ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist nach § 8 Abs. 2, § 64 Abs. 1 und 2 Buchstabe c ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht im Sinne von § 46 Abs. 6, § 66 Abs. 1 Satz 1, 2 und 5 ArbGG, § 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO eingelegt und begründet worden.

Die Berufung der Beklagten hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist zutreffend. Zu Recht hat es auf die Unwirksamkeit der Kündigung vom 02. Februar 2010 erkannt. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine Abänderung des erstinstanzlichen Urteils. Die zulässige und rechtzeitig innerhalb der materiellen Ausschlussfrist der §§ 13, 4, 7 KSchG i. V. m. § 167 ZPO erhobene Kündigungsschutzklage des Klägers ist zulässig und begründet. Denn die außerordentliche Kündigung vom 02. Februar 2010 ist unwirksam. Sie hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht wirksam beendet.

I.

Die außerordentliche Kündigung vom 02. Februar 2010 ist schon gemäß §§ 174, 180 Satz 1 BGB unwirksam. Nach § 174 Satz 1 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, unwirksam, wenn der Bevollmächtigte keine Vollmachtsurkunde vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grund unverzüglich zurückweist. Das Zurückweisungsrecht ist nach § 174 Satz 2 BGB nur dann ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber demjenigen, gegenüber dem das einseitige Rechtsgeschäft vorgenommen werden soll, die Bevollmächtigung (vorher) mitgeteilt hat. Folge der Zurückweisung ist - unabhängig vom Bestehen der Vollmacht - die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts; eine Heilung oder Genehmigung nach § 177 BGB scheidet aus (BAG, Urteil vom 10. Februar 2005 - 2 AZR 584/03 – AP Nr. 18 zu § 174 BGB = EzA Nr. 3 zu § 174 BGB 2002 = ZTR 2005, 658; BAG, Urteil vom 20. September 2006 - 6 AZR 82/06 – BAGE 119, 311 = AP Nr. 19 zu § 174 BGB = NZA 2007, 377). Die Voraussetzungen einer wirksamen Zurückweisung liegen vor. Die Kündigung vom 02. Februar 2010 ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die das Vorstandsmitglied Sch.-F. als Bevollmächtigter der Beklagten aussprach, ohne seine Bevollmächtigung durch Vorlage einer Vollmachtsurkunde nachzuweisen. § 174 BGB ist auf den Ausspruch von Kündigungen durch Organe anwendbar (dazu 1.). Die Vertretungsbefugnis des Herrn Sch.-F. ergab sich nicht aus einer gesetzlichen oder organschaftlichen Stellung als Vorstandsmitglied der Beklagten. Der Kläger war von der Bevollmächtigung des Herrn Sch.-F. nicht in Kenntnis gesetzt worden; insbesondere hat Herr Sch.-F. keine Position inne, die mit der Kündigungsbefugnis typischerweise verbunden ist (dazu 2.). Der Kläger wies die Kündigung am 07. Februar 2010 wegen Fehlens der Originalvollmacht zurück. Die Zurückweisung erfolgte auch unverzüglich (dazu 3.).

1.

§ 174 BGB ist auch im öffentlichen Dienst und somit auch vorliegend anwendbar. Diese Vorschrift will es dem Geschäftsgegner ermöglichen, die Ungewissheit, ob das ihm gegenüber vorgenommene einseitige Rechtsgeschäft wegen fehlender Vertretungsmacht nach § 180 Satz 1 BGB unzulässig ist, zu beseitigen und klare Verhältnisse zu schaffen. Die Unsicherheit, ob ein einseitiges Rechtsgeschäft von einem wirklich Bevollmächtigten ausgeht und der Vertretene dieses Rechtsgeschäft gegen bzw. für sich gelten lassen muss, besteht im gleichen Maß, wenn der Bevollmächtigte eines privaten Arbeitgebers oder der eines öffentlichen Arbeitgebers handelt. In beiden Fällen können beispielsweise eine Vollmachtsüberschreitung, ein Vollmachtsmissbrauch oder überhaupt nur Zweifel am Bestehen einer Vollmacht vorliegen, so dass der Dritte geschützt werden muss (BAG, Urteil vom 29. Juni 1989 - 2 AZR 482/88 – AP Nr. 7 zu § 174 BGB = NZA 1990, 63 = ZTR 1989, 497; BAG, Urteil vom 20. September 2006 - 6 AZR 82/06 – a. a. O.). Die Feststellung, ob das Vollmachtverhältnis besteht, ist für den gekündigten Arbeitnehmer eines privaten Arbeitgeber mit den gleichen oder ähnlichen Schwierigkeiten verbunden wie für den Angestellten einer Behörde. Dies rechtfertigt die Anwendung des § 174 BGB im öffentlichen Dienst.

a) Die Möglichkeit der Zurückweisung nach § 174 BGB besteht allerdings nicht, wenn die Vertretungsmacht nicht auf der Erteilung einer Vollmacht durch den Vertretenen, sondern auf gesetzlicher Grundlage beruht oder auf der Bestellung des Vertreters zum Organ einer juristischen Person (BAG, Urteil vom 10. Februar 2005 - 2 AZR 584/03 – AP Nr. 18 zu § 174 BGB = ZTR 2005, 658; BGH, Urteil vom 09. November 2001 - LwZR 4/01 – NJW 2002, 1194). Eine solche Konstellation liegt hier aber nicht vor. Wird eine Ermächtigung eines einzelnen Organsmitglieds durch die zusammen mit ihm gesamtvertretungsberechtigten Organmitglieder zur Alleinvertretungsmacht erweitert, ist vielmehr eine analoge Anwendung des § 174 BGB anerkannt (BAG, Urteil vom 10. Februar 2005 – 2 AZR 584/03 – AP Nr. 18 zu § 174 BGB = EzA Nr. 3 zu § 174 BGB 2002 = ZTR 2005, 658; BAG, Urteil vom 18. Dezember 1980 – 2 AZR 980 – AP Nr. 4 zu § 174 BGB = EzA Nr. 4 zu § 174 BGB =DB 1991, 1044; LAG Köln, Urteil vom 04. Mai 2002 – 4 Sa 1285/01 – NZA-RR 2003, 194). So können beispielsweise nach § 125 Abs. 2 Satz 2 HGB und § 78 Abs. 4 AktG – wie hier nach § 9 Abs. 2 BerlBG – die zur Gesamtvertretung Berechtigten einzelne von ihnen zur Vornahme bestimmter Rechtsgeschäfte ermächtigen. Sinn und Zweck des § 174 BGB rechtfertigt die Anwendung auf solche Konstellationen, weil die Ermächtigung des Gesamtvertreters die gleiche Rechtsfolge wie die Vollmacht bei der rechtsgeschäftlichen Vertretung auslöst. § 174 BGB geht davon aus, dass der Erklärungsempfänger bei einem einseitigen Rechtsgeschäft nicht mitwirkt und deshalb wenigstens sicher sein soll, ob der Vertreter befugt gehandelt hat. Deshalb besteht bei der Vornahme eines einseitigen Rechtsgeschäfts durch einen ermächtigten Gesamtvertreter für den Adressaten das gleiche Interesse wie bei einer Stellvertretung (BAG, Urteil vom 18. Dezember 1980 – 2 AZR 980/78 – a. a. O.).

b) Die Vertretungsmacht in diesem Sinne des Herrn Sch.-F. ist weder organschaftlich noch gesetzlich begründet. Nach § 9 Abs. 1 des Berliner Betriebegesetzes (BerlBG) wird die Beklagte als Anstalt des öffentlichen Rechts durch ihren Vorstand vertreten, wobei das Vertretungsrecht durch zwei Vorstandsmitglieder gemeinsam ausgeübt wird. Die streitgegenständliche Kündigung wurde jedoch entgegen § 9 Abs. 1 Satz 2 BerlBG nicht von zwei Vorstandsmitgliedern unterzeichnet, sondern einzig durch Herrn Sch.-F.. Das Kündigungsschreiben vom 02. Februar 2010 wurde somit nicht von einem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet, da Herrn Sch.-F. lediglich eine Gesamtvertretung eingeräumt war.

Eine entsprechende organschaftliche Vertretungsmacht ergibt sich auch nicht aus § 9 Abs. 2 BerlBG. Danach kann der Vorstand die Vertretungsmacht in Angelegenheiten des laufenden Betriebs auf einzelne Vorstandsmitglieder, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer übertragen. Diese Bevollmächtigungen sind nach § 9 Abs. 4 BerlBG öffentlich bekannt zu geben. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die Kündigung von Arbeitnehmer überhaupt eine Angelegenheit des laufenden Betriebes darstellt. Schließlich ist nach § 15 Abs. 4 BerlBG für Personalangelegenheiten eine Entscheidungsbefugnis ausschließlich des Vorstandes vorbehalten. Nach dieser Wertung des § 15 Abs. 4 BerlBG, wonach der Vorstand über alle Angelegenheiten der Beschäftigten entscheidet, gehören Personalangelegenheiten nicht zu den Aufgaben des laufenden Betriebes (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. September 2009 – OVG 60 PV 18.07 – juris, zur außerordentlichen Kündigung eines Personalrats). Geschäfte des laufenden Betriebes im Sinne jener Bestimmung in Verbindung mit § 15 Abs. 4 BerlBG sind jedenfalls solche, die weder auf die Eingehung noch auf die außerordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte abzielen (vgl. dazu BAG, Urteil vom 29. Juni 1988 – 7 AZR 180/87 – BAGE 59, 93 = AP Nr. 6 zu § 174 BGB = NVwZ 1988, 1165; BAG, Urteil vom 06. August 1970 – 2 AZR 427/69 – AP Nr. 7 zu § 125 BGB). Für eine Bevollmächtigung des Vorstandsmitglieds Sch.-F. gemäß § 9 Abs. 2 BerlBG ist aber auch nichts ersichtlich. Nach der Bekanntmachung der Beklagten vom 12. Oktober 2009 über die rechtsgeschäftliche Vertretung (Amtsblatt für Berlin vom 20. November 2009, S. 2638) sind für den Vorstand jeweils zwei der dort aufgeführten Vorstandsmitglieder sowie ein dort genannter Prokurist zusammen mit einem Vorstandsmitglied vertretungsberechtigt. Nimmt man aber eine von der Beklagten behauptete Ermächtigung des Herrn Sch.-F. zu ihren Gunsten als existierend an, besteht ein Bedürfnis für die analoge Anwendung des § 174 BGB auf die Gesamtvertretung (BAG, Urteil vom 18. Dezember 1980– 2 AZR 980/78 – a. a. O.). Wird die Vertretung – wie hier - nicht durch eine Person allein, sondern im Rahmen der Gesamtvertretung von zwei oder mehr Personen ausgeübt, dann kann der Erklärungsempfänger diese Gewissheit nur erhalten, wenn jeder der Vertreter seine Vollmacht nachweist. Ohne dass dies ausdrücklich thematisiert wird, wendet die Rechtsprechung bei einer Vertretung durch mehrere Personen § 174 BGB auf jede dieser Personen an (BAG vom 30. Mai 1978 – 2 AZR 633/76 – AP Nr. 22 zu § 174 BGB; LAG Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 2005 – 10 Sa 165/05 – juris). Dem steht nicht die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts entgegen, wonach bei einer intern erforderlichen Zustimmung durch eine weitere Person diese keine Vollmacht nach § 174 BGB vorzulegen braucht (BAG vom 29. Oktober 1992 – 2 AZR 460/92 – NZA 1993, 307). Ein derartiges Zustimmungserfordernis wirkt sich nur intern aus. Nach außen reicht die Unterschrift einer Person. Vorliegend in § 9 Abs. 1 BerlBG jedoch geregelt, dass die Beklagte nach außen durch zwei Vorstandsmitglieder gemeinsam vertreten wird.

Weder aus dem PersVG Bln noch aus dem Organisationshandbuch (Nr. 2.1.8, Bl. 38 d. A.) ergibt sich im Übrigen eine entsprechende Kündigungsvollmacht. Dort geht es vielmehr um die Aufgaben, die nach dem PersVG gegenüber dem bei der Beklagten gebildeten Personalrat wahrzunehmen sind. Über die Kündigungsbefugnisse eines Vorstandsmitgliedes besagen diese Regelungen nichts. Lediglich der Leiterin Personal wird dort im Organisationshandbuch auch die Befugnis zum Ausspruch von Kündigungen eingeräumt. Die Leiterin Personal hat jedoch die streitige Kündigung nicht unterzeichnet.

Die Vorlage einer Vollmachtsurkunde im Original oder einer Ermächtigungsurkunde im Original war deshalb im gegebenen Fall notwendig, um der Kündigung vom 02. Februar 2010 formell zur Wirksamkeit zu verhelfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (Urteil vom 18. Dezember 1980 - 2 AZR 980/78 – a. a. O.) können zwei Geschäftsführer, die nur zusammen zur Vertretung einer GmbH berechtigt sind, ihre Gesamtvertretung in der Weise ausüben, dass ein Gesamtvertreter den anderen intern formlos zur Abgabe einer Willenserklärung ermächtigt und der zweite Gesamtvertreter allein die Willenserklärung abgibt. Eine Ermächtigung in diesem Sinne ist eine Erweiterung der gesetzlichen Vertretungsmacht, auf die die Vorschriften über die rechtsgeschäftliche Stellvertretung entsprechend anzuwenden sind. Das gilt auch für §§ 174, 180 BGB, so dass ein Arbeitnehmer, dem einer von mehreren Gesamtvertretern einer GmbH kündigt, die Kündigung unverzüglich mit der Begründung zurückweisen kann, eine Ermächtigungsurkunde sei nicht vorgelegt worden. Aus dieser Rechtsprechung wird deutlich, dass eine interne Ermächtigung eines Gesamtvertreters durch einen weiteren gesamtvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied nicht dazu führt, dass im Außenverhältnis bei der Abgabe der einseitigen Willenserklärung auf die Vorlage einer Ermächtigungsurkunde im Original verzichtet werden kann. Wenn nach dieser Rechtsprechung § 174 BGB entsprechend anzuwenden ist, falls zwei gesetzliche Vertreter einer juristischen Person handeln, muss dies auch im vorliegenden Fall gelten.

2.

Die Zurückweisung scheitert auch an der Regelung des § 174 Satz 2 BGB. Danach ist eine Zurückweisung ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hat. Der Vollmachtgeber - hier die Beklagte - hat den anderen, nämlich den Kläger nicht von der Bevollmächtigung des Herrn Sch.-F. in Kenntnis gesetzt. Der Kündigungsempfänger soll entsprechend § 174 BGB nur dann zur Zurückweisung der Kündigungserklärung berechtigt sein, wenn er keine Gewissheit hat, ob der Erklärende wirklich bevollmächtigt ist und der Vertretene die Erklärung gegen sich gelten lassen muss (BAG, Urteil vom 20. August 1997 – 2 AZR 518/96 – NZA 1997, 1343). Weiterhin führt das Bundesarbeitsgericht in dieser Entscheidung aus, dass eine solche Ungewissheit bei Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung dann nicht bestehen kann, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer allgemein darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass ein bestimmter Mitarbeiter zu derartigen Erklärungen wie einer Kündigung bevollmächtigt ist. Dies könne etwa dadurch geschehen, dass der betreffende Mitarbeiter in eine Stellung berufen wird, mit der das Kündigungsrecht regelmäßig verbunden ist. Dies sei bei der Berufung eines Mitarbeiters in die Stellung als Leiter der Personalabteilung, als Prokurist oder als Generalbevollmächtigter in der Regel der Fall, so dass die Arbeitnehmer des Betriebes auch im Sinne des § 174 Satz 2 BGB davon in Kenntnis gesetzt sind, dass der Betreffende zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen berechtigt ist. Dies ist jedoch stets unabhängig von der jeweiligen Bezeichnung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles festzustellen. Hierbei kommt es darauf an, wie sich die Position des Erklärenden für einen objektiven Betrachter darstellt, ob also mit einer derartigen Darstellung die Kündigungsbefugnis verbunden zu sein pflegt (BAG a. a. O.). Nach der Bekanntmachung der Beklagten vom 12. Oktober 2009 über die rechtsgeschäftliche Vertretung (Amtsblatt für Berlin vom 20. November 2009, S. 2638) sind für den Vorstand jeweils zwei der dort aufgeführten Vorstandsmitglieder sowie ein dort genannter Prokurist zusammen mit einem Vorstandsmitglied vertretungsberechtigt. Nach dem oben gesagten hatte das Vorstandsmitglied Sch.-F. wegen der einschränkenden Regelung im § 9 Abs. 1 Satz 2 BerlBG auch keine Stellung inne, die regelmäßig mit einer Kündigungsvollmacht verbunden ist. Mit der Berufung als Vorstandsmitglied für den Bereich Personal, Soziales und technische Dienstleistungen ist auch nicht der Fall einer Bekanntgabe im Sinne des § 174 Satz 2 BGB gegeben. Denn im gegebenen Fall ist den Regelungen im § 9 Abs. 1 BerlBG i. V. m. der Bekanntmachung der Beklagten vom 12. Oktober 2009 über die rechtsgeschäftliche Vertretung (Amtsblatt für Berlin vom 20. November 2009, S. 2638) lediglich zu entnehmen, dass Herr Sch.-F. zusammen mit einem weiteren Vorstandsmitglied oder einem der dort genannten Prokuristen Erklärungen für die Beklagte abgeben kann. Infolgedessen war die zweite Unterschrift eines weiteren Gesamtvertreters unter der Kündigungserklärung vom 02. Februar 2010 erforderlich, um über § 174 Satz 2 BGB zur Wirksamkeit dieser Erklärung zu führen.

3.

Der Kläger hat die Kündigung der Beklagten wegen fehlender Vollmachtsvorlage unverzüglich im Sinne des § 174 Satz 1 BGB zurückgewiesen. Die Zurückweisung ist unverzüglich, wenn sie ohne schuldhaftes Zögern erfolgt (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Zurückweisung muss daher nicht sofort erfolgen. Dem Erklärungsempfänger ist vielmehr eine gewisse Zeit einzuräumen zur Überlegung und zur Einholung des Rates eines Rechtskundigen darüber, ob er das Rechtsgeschäft wegen fehlender Bevollmächtigung zurückweisen soll. Innerhalb welcher Zeitspanne der Erklärungsempfänger das Rechtsgeschäft wegen der fehlenden Bevollmächtigung zurückweisen muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles (BAG, Urteil vom 05. April 2001 - 2 AZR 159/00 – AP Nr. 171 zu § 626 BGB = NZA 2001, 954 unter B II 2 a). Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger hier am 02. Februar 2010 zu. Er hat am 07. Februar 2010 durch seine Prozessbevollmächtigte reagiert und die Kündigung mit diesem Schreiben vorab per Fax zurückgewiesen. Die Zeit bis zur Zurückweisung der Kündigung durch das Schreiben vom 07. Februar 2010 ist als angemessene Überlegungsfrist anzusehen. Ihm ist eine Überlegungsfrist und auch eine kurze Zeit für die Inanspruchnahme anwaltlicher Beratung zu zugestehen. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Kläger zunächst einen Besprechungstermin vereinbaren muss. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger von der Regelung des § 174 BGB Kenntnis hatte oder sich schon wesentlicher früher mit einem Anwalt über die Kündigung beraten hatte. Wenn der Kläger sich innerhalb weniger Tage um eine arbeitsrechtliche anwaltliche Beratung kümmerte, hat er ohne schuldhaftes Zögern die gebotenen Schritte unternommen. Das Zurückweisungsschreiben ging der Beklagten per Fax zu. Auf den Zugang des Originalschreibens kommt es somit nicht an; die Zurückweisung kann per Telefax erfolgen. Zudem schadet es nicht, dass dem Zurückweisungsschreiben keine Originalvollmacht des Anwalts beigefügt war, da die Beklagte das Fax nicht ihrerseits zurückgewiesen hat. Die Zurückweisung genügt auch den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat die fristlose Kündigung vom 02. Februar 2010 mit der Begründung zurückgewiesen, es fehle die für die Kündigung erforderliche Vollmachtsurkunde im Original.

II.

Unabhängig von der dargestellten formellen Unwirksamkeit der Kündigung ist die Kündigung auch aus dem vom Arbeitsgericht angenommenen Gründen unwirksam. Der Beklagten steht kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zur Seite.

1.

Zutreffend gehen die Parteien von der Anwendbarkeit des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) auf ihr Arbeitsverhältnis aus. Die Anwendbarkeit ergibt sich nach § 3 Abs. 1 TVG wegen beiderseitiger Tarifgebundenheit jedenfalls aber aufgrund der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme. Da die Parteien in ihrem Arbeitsvertrag vom 27. Dezember 1991 die Geltung des damals noch nicht existierenden TVöD für das Arbeitsverhältnis nicht vereinbart haben, kann dieser aufgrund einer einzelvertraglichen Vereinbarung nur Anwendung finden, wenn die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel in § 2 des Arbeitsvertrages so auszulegen ist, dass sie auch den TVöD erfasst. Dies ist vorliegend zu bejahen. Nach § 2 Abs. 1 des von der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeber und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sowie der dbb Tarifunion abgeschlossenen Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der Kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) ersetzt der TVöD u. a. den Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe – BMT-G-II – vom 31. Januar 1962. Da auch die den vereinbarten BMT-G ersetzenden Tarifverträge gelten sollen, ist der TVöD ein den BMT-G ersetzender Tarifvertrag. Damit haben die Parteien in § 2 des Arbeitsvertrages auch die Geltung des TVöD für das Arbeitsverhältnis vereinbart.

2.

Nach § 34 Abs. 2 TVöD kann einem Beschäftigten, der das 40. Lebensjahr vollendet hat, für den die Regelung des Tarifgebietes West gelten und der dem Betrieb mindestens fünfzehn Jahre angehört, nur noch aus einem wichtigen Grund gekündigt werden. Der Kläger genießt nach § 34 Abs. 2 TVöD besonderen Kündigungsschutz. Denn er ist seit dem 01. Juli 1991 und damit mehr als fünfzehn Jahre bei der Beklagten beschäftigt; auf ihn finden gemäß § 38 Abs. 1 Buchstabe b TVöD die Regelungen des Tarifgebietes West Anwendung und hatte im Kündigungszeitpunkt das 45. Lebensjahr vollendet. Ihm konnte daher nur aus wichtigem Grund gekündigt werden. Soweit die Tarifvertragsparteien in § 34 Abs. 2 TVöD vom Erfordernis des wichtigen Grundes für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitnehmern sprechen, wird ohne eigenständige Definition die in § 626 Abs. 1 BGB gebrauchte Formulierung verwendet. Da der Gesetzgeber in § 626 BGB geregelt hat, unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung aus wichtigem Grund gerechtfertigt ist, sind die in § 626 BGB enthaltenen und daraus abgeleiteten Regeln zur Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung auch im Rahmen des § 34 Abs. 2 TVöD anzuwenden. Der Tarifvertrag schließt somit die Möglichkeit, einem solchen Arbeitnehmer außerordentlich fristlos zu kündigen, nicht aus, sondern nimmt vielmehr auf § 626 BGB Bezug.

3.

Nach §§ 34 Abs. 2 TVöD, 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Nach dieser Bestimmung ist bei allen Kündigungsgründen eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und eine Abwägung der jeweiligen Interessen beider Vertragsteile erforderlich. Dieses Erfordernis schließt es aus, bestimmte Tatsachen ohne Rücksicht auf die Besonderheit des Einzelfalls stets als wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung anzuerkennen; es gibt demnach im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB keine absoluten Kündigungsgründe (vgl. BAG, Urteil vom 23. Januar 1963 – 2 AZR 278/62 – BAGE 14, 42 = BArbBl. 1963, 693 = AP Nr. 8 zu § 124 a GewO; BAG, Urteil vom 15. November 1984 – 2 AZR 613/83 - AP Nr. 87 zu § 626 BGB = NZA 1985, 661;). Im Rahmen der Prüfung einer außerordentlichen Kündigung ist nach der Spruchpraxis des Bundesarbeitsgerichts zunächst zu prüfen, ob ein arbeitsvertraglicher Pflichtenverstoß bzw. der Kündigungssachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung abzugeben. In einer zweiten Prüfungsstufe ist sodann zu klären, ob es dem Arbeitgeber im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände des Einzelfalles und der beiderseitigen Interessen zumutbar ist, den Arbeitnehmer auch nur für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen (BAG, Urteil vom 27. April 2006 – 2 AZR 386/05 – BAGE 118, 104 = NZA 2006, 977; BAG, Urteil vom 07. Juli 2005 – 2 AZR 581/04 – BAGE 115, 195 = AP Nr. 192 zu § 626 BGB = NZA 2006, 98; BAG, Urteil vom 15. November 1995 – 2 AZR 974/94 – AP Nr. 73 zu § 102 BetrVG 1972 = NZA 1996, 419). Keinem rechtlichen Zweifel kann es dabei unterliegen, dass eine nachhaltige rechtswidrige und schuldhafte Arbeitsverweigerung an sich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet ist. Aufgrund seines Weisungsrechts kann der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer einseitig bestimmte Arbeiten unter Beachtung billigen Ermessens im Sinne von § 106 Satz 1 GewO zuweisen, soweit das Weisungsrecht nicht durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag eingeschränkt ist. Weigert sich der Arbeitnehmer, die ihm im Rahmen des Weisungsrechts zugewiesene Tätigkeit auszuführen, so kann dies, wie das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, im Falle der sog. beharrlichen Arbeitsverweigerung den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen (BAG, Urteil vom 31. Januar 1985 - 2 AZR 486/83 – AP Nr. 6 zu § 8a MuSchG 1968 = EzA Nr. 5 zu § 8a MuSchG; BAG, Urteil vom 21. November 1996 - 2 AZR 357/95 – AP Nr. 130 zu § 626 BGB = EzA Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; BAG, Urteil vom 05. April 2001 – 2 AZR 580/99 – BAGE 97, 276 = AP Nr. 32 zu § 99 BetrVG = NZA 2001, 893; KR-Fischermeier, 9. Auflage 2009, § 626 BGB Rn. 412 m. w. N.). Danach setzt die beharrliche Arbeitsverweigerung in der Person des Arbeitnehmers Nachhaltigkeit im Willen voraus; der Arbeitnehmer muss die ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es nicht genügt, dass er eine Weisung des Arbeitgebers nicht befolgt, vielmehr muss eine intensive Weigerung vorliegen. Insoweit ist eine Negativprognose erforderlich, aus der sich ergibt, dass der Arbeitnehmer auch zukünftig seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen wird (BAG, Urteil vom 21. November 1996 - 2 AZR 357/95 – a. a. O.). Es muss also die Willensrichtung erkennbar werden, Arbeitsanweisungen auch zukünftig nicht befolgen zu wollen. Das Moment der Beharrlichkeit ergibt sich aus einer wiederholten Weigerung nach ein- bzw. mehrmaliger Abmahnung und der daraus abzuleitenden Schlussfolgerung, der Arbeitnehmer werde Anweisungen nicht mehr erfüllen (Preis in Staudinger, BGB, Bearbeitung 2002, § 626 BGB Rn. 143).

a) In Anwendung dieser Grundsätze ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 02. Februar 2010 nicht vorliegt. Aufgrund des dem Kläger zustehenden besonderen Kündigungsschutzes ist davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis des zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs 45-jährigen Klägers regulär erst mit dem Erreichen des Renteneintrittsalters endet. Im Rahmen der Prüfung, ob die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 2 TVöD, 626 Abs. 1 BGB für eine fristlose Kündigung des ordentlich unkündbaren Klägers vorliegen und die Beklagte vorliegend nicht in erster Linie eine außerordentliche Kündigung mit einer der Frist für eine ordentliche Kündigung entsprechenden Auslauffrist ausgesprochen hat, ist darauf abzustellen, ob der Beklagten die Weiterbeschäftigung nicht einmal bis zum Ablauf der fiktiven Frist zur ordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist (vgl. BAG, Urteil vom 27. April 2006 – 2 AZR 386/05 – NZA 2006, 977 = NJW 2006, 2939 = DB 2006, 1849). Diese beträgt hier sechs Monate zum Quartal (§ 34 Abs. 1 Satz 2 TVöD).

b) Unter Berücksichtigung dieser fiktiven Kündigungsfrist liegen keine ausreichenden Gründe für eine außerordentliche fristlose Kündigung vor, die der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer dieser Kündigungsfrist als unzumutbar erscheinen lassen.

aa) Die Kündigung ist nicht wegen einer beharrlichen Arbeitsverweigerung am 13. Januar 2010 gerechtfertigt. Selbst wenn der Sachvortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt wird, auch insoweit, wie ihn der Kläger im Einzelnen bestritten hat, ist vorliegend nicht davon auszugehen, dass im Willen des Klägers die zu Recht geforderte Nachhaltigkeit gegeben ist; zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung konnte die gebotene, zuvor dargestellte Prognose nicht zum Nachteil des Klägers angestellt werden. Es liegt keine beharrliche Arbeitsverweigerung im Sinne der Rechtssprechung vor. Eine Verletzung der Arbeitspflicht durch Nicht-Wahrnehmung von Teilaufgaben kommt grundsätzlich nach vorheriger Abmahnung zunächst nur als Grund für eine ordentliche Kündigung in Betracht (BAG, Urteil vom 07. Dezember 2006 – 2 AZR 182/06 – BAGE 120, 293 = AP Nr. 56 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = NZA 2007, 617; KR- Griebeling, 9. Auflage 2009, § 1 KSchG Rn. 433, 434). Ein Grund für eine außerordentliche Kündigung kann nur bestehen, wenn die Voraussetzungen einer sog. beharrlichen Arbeitsverweigerung vorliegen, die allerdings in der Person des Arbeitnehmers im Willen eine Nachhaltigkeit voraussetzt. Umstände, die mit ausreichender Sicherheit den Schluss zulassen, der Kläger wolle seine Arbeitsaufgaben nachhaltig und bewusst nicht wahrnehmen, bestehen nicht. Der Kläger hat – den Vortrag der Beklagten zu ihren Gunsten als wahr und erwiesen unterstellt – eine schwere Pflichtverletzung begangen, wenn er einen ganzen Arbeitstag seine Arbeitsleistung zurückgehalten und keine Arbeitsleistungen erbracht hat. Dabei kann die Kammer zunächst unberücksichtigt lassen, das die Gruppe die Arbeitsorganisation autonom regelt und der Kläger jedenfalls – wenn auch aus Sicht der Beklagten mit gravierenden Fehlern – einen Handstreuplan ausgefüllt und somit Arbeitsleistung erbracht hat. Gleichwohl ist dieses Fehlverhalten des Klägers nach Lage aller Dinge nicht so gravierend, dass es einen an sich wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abgeben könnte. Denn es fehlt trotz dieser intensiven Arbeitsverweigerung am Merkmal der Beharrlichkeit. Der Kläger hat jedenfalls am 14. Januar 2010 und danach bis zur Freistellung seine Arbeitsleistungen erbracht. Es kann deshalb aufgrund dieses bislang einmalig gebliebenen Vorfalls am 13. Januar 2010 nicht geschlossen werden, der Kläger werde auch in Zukunft seine Arbeit verweigern. Eine solche Prognose ist vorliegend erst gerechtfertigt, wenn der Kläger ein solches Verhalten nach einschlägiger Abmahnung erneut wiederholen würde. Aufgrund des im Kündigungsschutzrecht allgemein geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des für verhaltensbedingte Kündigungen geltenden Prognoseprinzips wird vor jeder Kündigung, die wegen eines steuerbaren Fehlverhaltens des Arbeitsnehmers ausgesprochen wird, grundsätzlich eine Abmahnung gefordert. Dies gilt jedenfalls dann, wenn damit gerechnet werden kann, dass die Abmahnung zu vertragsgemäßem Verhalten in der Zukunft führen wird und eine Wiederherstellung des Vertrauens zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erwartet werden kann (BAG, Urteil vom 23. Juni 2009 – 2 AZR 103/08 – AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = NZA 2009, 1198 m. w. N.). Dies gilt auch hier. Zwar kann das Moment der Beharrlichkeit auch darin zu sehen sein, dass in einem einmaligen Fall der Arbeitnehmer eine Anweisung nicht befolgt. Das muss dann aber z. B. durch eine vorhergehende, erfolglose Abmahnung verdeutlicht werden. Wie dem Hinweis auf eine vorhergehende erfolglose Abmahnung zu entnehmen ist, geht damit die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, dass zu besorgen ist, der Arbeitnehmer werde in Zukunft seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen; insbesondere ist dieser Rechtsprechung nicht zu entnehmen, die Kündigung werde allein deshalb als gerechtfertigt angesehen, weil es sich um eine zulässige Sanktion des Arbeitgebers handelt. Das Gegenteil ist der Fall. Das Bundesarbeitsgericht hat zumindest seit 1988 (vgl. u. a. Urteil vom 10. November 1988 - 2 AZR 215/88 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung; BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – DB 2010, 2395 = NZA 2010, 1227)) deutlich herausgestellt, auch im Bereich der verhaltensbedingten Kündigung gelte das Prognoseprinzip (ebenso BVerfG Beschluss vom 21. Februar 1995 - 1 BvR 1397/93 - AP Nr. 44 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX); der Kündigungszweck sei zukunftsbezogen ausgerichtet, weil mit der verhaltensbedingten Kündigung das Risiko weiterer Vertragsverletzungen ausgeschlossen werden solle; entscheidend sei, ob eine Wiederholungsgefahr bestehe oder ob das vergangene Ereignis sich auch künftig weiter belastend auswirke. Die Kündigung ist somit gerade keine Sanktion für begangenes Unrecht, sondern soll ein Vertragsverhältnis beenden, mit dessen vertragsgerechter Durchführung in Zukunft nicht mehr gerechnet werden kann (BAG, Urteil vom 23. Juni 2009 – 2 AZR 103/08 – AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = NZA 2009, 1198). Dies kann vorliegend nicht angenommen werden. Die einmalige Verletzung der Arbeitspflicht für einen Arbeitstag rechtfertigt noch nicht die Annahme, der Kläger wolle seine Arbeitspflicht nachhaltig auch zukünftig nicht erfüllen.

Danach war vorliegend eine Abmahnung vor Ausspruch einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung nicht entbehrlich.

bb) Selbst wenn man dies – wie die Beklagte – anders sehen wollte, erweist sich die Kündigung als unwirksam. Auch wenn man zu Gunsten der Beklagten vom Vorliegen eines an sich wichtigen Kündigungsgrundes ausginge, ist die außerordentliche Kündigung keinesfalls nach der gebotenen umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu rechtfertigen. Es ergibt sich im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Überwiegen der Gesichtspunkte, die für eine Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sprechen. Zu Gunsten des Klägers sind die beträchtliche, weitgehend störungsfrei verlaufene Beschäftigungszeit, das Fehlen einer konkreten Vermögens- oder signifikanten Rufschädigung der Beklagten ebenso einzusetzen wie der Umstand, dass er eine nicht herausgehobene Stellung im Betrieb hat. Das Interesse der Beklagten, sich vom Kläger zu trennen, wiegt dessen Bestandsschutzinteresse nicht auf. Dabei ist zunächst die lange Beschäftigungszeit des Klägers zu berücksichtigen. Er war zum Zeitpunkt der Kündigung 19 Jahre beschäftigt, ist tariflich ordentlich unkündbar und hat bis zu diesem Zeitpunkt einen Großteil seines Arbeitslebens bei der Beklagten verbracht. Zudem ist zugunsten des Klägers in die Abwägung einzustellen, dass er gegenüber einem Kind und der von ihm getrennt lebenden Ehefrau unterhaltspflichtig ist. Die Unterhaltspflichten und der Familienstand haben bei einer verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigung eher marginale Bedeutung, sind jedoch von der Einbeziehung in die Interessenabwägung nicht generell ausgeschlossen, weil sie das Gewicht des Arbeitnehmerinteresses an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes mit prägen (BAG, Beschluss vom 16. Dezember 2004 – 2 ABR 7/04 – AP Nr. 191 zu § 626 BGB). Bezogen auf das betriebliche Beendigungsinteresse des Arbeitgebers sind in erster Linie die Schwere der begangenen Pflichtverletzung, das Bestehen einer Wiederholungsgefahr und auch das Maß der dem Arbeitgeber entstandenen Schädigung von Bedeutung. Außerdem ist zu berücksichtigen, ob dem Verhalten des Arbeitnehmers eine besondere Verwerflichkeit und ein hoher Verschuldensgrad inne wohnt. Hingegen ist eine vom Arbeitgeber intendierte Generalprävention gegenüber anderen Mitarbeitern als kündigungsrechtlicher Belastungsfaktor ein nur begrenzt tragfähiger Gesichtspunkt (BAG, Beschluss vom 16. Dezember 2004 – 2 ABR 7/04 – a. a. O.). Bei der gebotenen umfassenden Interessenabwägung ist schließlich zu prüfen, ob anstelle der außerordentlichen Kündigung eine mildere Maßnahme angemessen und ausreichend gewesen wäre, z.B. eine Ermahnung, Abmahnung, eine Änderungs- oder ordentliche Beendigungskündigung (vgl. BAG, Urteil vom 18. Oktober 2000 – 2 AZR 131/00 – AP Nr. 169 zu § 626 BGB = NZA 2001, 383). In diesem Zusammenhang hat der Arbeitgeber auch Umsetzungs- und Versetzungsmöglichkeiten zu prüfen (BAG Urteil vom 31. März 1993 – 2 AZR 492/92 – BAGE 73, 42 = AP Nr. 32 zu § 626 BGB = NZA 1994, 409). Das Arbeitsverhältnis ist weitgehend ohne rechtlich relevante Störung verlaufen. Daran ändert zunächst der vorangegangene Kündigungsschutzprozess und die Ermahnung und Abmahnung nichts. Denn die dortigen Pflichtverletzungen stehen im Zusammenhang mit der Anzeige- und Nachweispflicht im Krankheitsfall und stehen mit dem hier im Raum stehenden Kündigungsvorwurf nicht in Zusammenhang. Der Kündigungsrechtsstreit liegt einige Zeit zurück und hat offenbar auch zu einer Änderung im Verhalten des Klägers geführt hat. Schäden sind der Beklagten nicht entstanden. Schließlich war zugunsten des Klägers der Ausschluss der ordentlichen Kündigung zu berücksichtigen. Ein tariflicher oder in den Wirkungen tarifähnlicher Ausschluss der ordentlichen Kündigung und die hierdurch in der Regel bedingte langfristige Vertragsbindung stellen Umstände dar, die bei einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers im Rahmen der einzelfallbezogenen Interessenabwägung entweder zugunsten oder zuungunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sind. Welche Betrachtungsweise im Einzelfall den Vorrang verdient, ist insbesondere unter Beachtung von Sinn und Zweck des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung sowie unter Berücksichtigung der Art des Kündigungsgrundes zu entscheiden. Bei einmaligen Vorfällen ohne Wiederholungsgefahr wirkt sich die längere Vertragsbindung zugunsten des Arbeitnehmers aus. Bei Dauertatbeständen oder Vorfällen mit Wiederholungsgefahr kann die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung unter Umständen eher unzumutbar sein als bei einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer. Ein Dauerzustand steht vorliegend nicht in Frage. Nach Auffassung der Kammer ist aber - wie bereits ausgeführt - unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles auch noch nicht eine hinreichend gesicherte Prognose gerechtfertigt, dass hinsichtlich des genannten Vorfalls eine Wiederholungsgefahr besteht. Angesichts des langjährigen störungsfreien Verlaufs des Arbeitsverhältnisses ist es der Beklagten unter Berücksichtigung der genannten, im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten des Klägers sprechenden Gesichtspunkte und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen und dem Kläger ggf. durch eine Abmahnung die ihm obliegenden Pflichten zu verdeutlichen. Des Weiteren erscheint es auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit angezeigt, die bereits in der Anhörung des Klägers angedachte Versetzung auf einen anderen Betriebshof in die Überlegungen der Beklagten einfließen zu lassen.

Das während der Dauer der Beschäftigungszeit vom Kläger erworbene Vertrauen in die Korrektheit seiner Aufgabenerfüllung ist hoch zu bewerten. Demgegenüber sind die für die Beklagte erlittenen Nachteile nicht ausschlaggebend. Die Handstreupläne wurden erfüllt und die Räum- und Streuarbeiten wurden erbracht. Sonstige Nachteile sind – nachdem die Beklagte bereits in der Anhörung des Klägers angekündigt hat, den Lohn für den 13. Januar 2010 abzuziehen – nicht ersichtlich. Die zugunsten des Klägers sprechenden Umstände sind im Ergebnis höher zu bewerten als der Wunsch der Beklagten, nur solche Mitarbeiter zu beschäftigen, die in jeder Hinsicht ohne Fehl und Tadel sind. Dabei hat die Kammer zugrunde gelegt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – a. a. O.) einer langjährigen Betriebszugehörigkeit und dem dadurch gebildeten Vertrauenskapital im Rahmen der Interessenabwägung ein solch hoher Wert zukommt, dass auch eine erhebliche Pflichtverletzung im Erstfall nicht ohne weiteres zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen muss. Insgesamt erscheint der Kammer (noch) nicht die Prognose gerechtfertigt, der Kläger werde auch zukünftig, ggf. nach einer Abmahnung seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzen. Es war der Beklagten deshalb zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

cc) Eine außerordentliche fristlose Kündigung kommt auch nicht aus anderen Gründen in Betracht. Aus der Bitte des Klägers, den Wagen anzuhalten um Zigaretten kaufen zu können, kann kein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung abgeleitet werden. Auch nach dem Vortrag der Beklagten ist es dazu nicht gekommen, so dass eine entsprechende Pflichtverletzung nicht vorliegt.

Die Äußerung des Klägers gegenüber den ihn auslachenden SWK-Kräften („Für Euch lasse ich mir auch noch etwas einfallen“) lässt bereits nicht auf eine die außerordentliche Kündigung rechtfertigende Drohung schließen. Und auch die vom Kläger bestrittene Äußerung gegenüber der Mitarbeiterin der Personalstelle („Es wird blutig“) kann nicht als Kündigungsgrund herangezogen werden. Selbst dann, wenn der Kläger die ihm von der Beklagten zur Last gelegten Äußerungen auch tatsächlich getätigt hätte, ist nach Auffassung der Kammer allein hieraus nicht zwingend, auf eine grobe Beleidigung oder Drohung zu schließen, die die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könnte. Diese Äußerungen sind in einer für den Kläger belastenden Situation gefallen und nach Auffassung der Kammer nicht auf die „Goldwaage“ zu legen. Er soll diese Äußerungen getätigt haben, als ihn seine Kollegen auslachten, also nicht Ernst genommen haben bzw. nach dem Erhalt der streitgegenständlichen Kündigung. Jedenfalls reicht allein die Mitteilung von aus dem Zusammenhang gerissenen Worten bzw. Sätzen nicht zum Nachweis für Drohungen aus. Die Beklagte hätte nach Auffassung der Kammer vielmehr darlegen müssen, in welchem Zusammenhang die inkriminierten Äußerungen des Klägers jeweils gefallen sind, ferner auch, dass der Kläger sie nicht als dem Grunde nach berechtigte, wenn auch überzogene Kritik oder z. B. in momentaner berechtigter oder nachvollziehbarer Verärgerung/Erregung von sich gegeben hat. Solchen Vortrag hat die Beklagte nicht vorgebracht. Für die Feststellung, ob eine Äußerung eine Drohung / Beleidigung darstellt, ist eine umfassende Aufklärung aller Umstände erforderlich, unter denen sie gefallen ist (LAG Hessen, Urteil vom 02. Oktober 2001 - 2 Sa 879/01 -, LAG-Report 2002, 165). Ziel der Deutung, ob der Sinn einer Äußerung zutreffend erfasst worden ist, ist die Ermittlung des objektiven Sinnes einer Äußerung. Maßgeblich ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt den Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch vom sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird daher den Anforderungen an eine zuverlässige Sachverhaltsermittlung regelmäßig nicht gerecht (BVerfG, Beschluss vom 25. August 1994 - 1 BVR 1423/92 - NJW 1994, 2943; BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 - 1 BVR 1476/91 -, NJW 1995, 3300). Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, ob ggf. wechselseitig Provokationen oder Beleidigungen ausgetauscht werden. Daher ist es nicht ausreichend, aus dem Zusammenhang gerissene Äußerungen mitzuteilen. Vielmehr kommt den Begleitumständen und dem Zusammenhang, in dem diese Äußerungen gefallen sind, große Bedeutung für die vorzunehmende umfassende Interessenabwägung zu.

III.

Auch die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung unter Wahrung einer im Falle der ordentlichen Kündigung zu wahrenden Auslauffrist liegen aus den genannten Gründen (s. o.) nicht vor. Auch die hilfsweise ausgesprochene Kündigung mit sozialer Auslauffrist erweist sich deshalb als rechtsunwirksam, weil ungeachtet der genannten voraussichtlichen Vertragsbindungsdauer bis zur Erreichung des Renteneintrittsalters des Klägers eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar ist. Das gesamte Verhalten des Klägers gab der Beklagten keinen berechtigten Anlass zu der Annahme, dass nach einer Belehrung oder Abmahnung künftige gleichartige Verstöße auftreten werden. Danach bestand keine Wiederholungsgefahr. Da insbesondere eine Abmahnung jedenfalls dann vor Ausspruch der Kündigung erforderlich ist, wenn ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht und erwartet werden kann, dass das Vertrauen wiederhergestellt wird, stellt sich die Kündigung vom 02. Februar 2010 als voreilige und unverhältnismäßige Reaktion dar.

Die Umdeutung der außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung nach § 1 KSchG kommt vorliegend aufgrund des besonderen Kündigungsschutzes des Klägers gemäß § 34 Abs. 2 TVöD nicht in Betracht.

Da die Kündigung sich insgesamt als unwirksam erweist, kommt es auch nicht mehr darauf an, ob die Beklagte die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten hat und ob die Personalratsanhörung ordnungsgemäß erfolgt ist.

Nach alledem war die gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin gerichtete Berufung der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat die Beklagte als vollumfänglich unterlegene Partei die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

V.

Für die Zulassung der Revision bestand kein gesetzlicher Grund, weil die Voraussetzungen des § 72 ArbGG nicht vorliegen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung. Das Berufungsgericht ist der höchstrichterlichen Rechtsprechung gefolgt.