Gericht | VG Cottbus 7. Kammer | Entscheidungsdatum | 23.09.2010 | |
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Aktenzeichen | VG 7 L 186/10.A | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 27a AsylVfG, § 34a AsylVfG, § 123 Abs 1 VwGO |
In Ansehung der durch die einschlägigen Regelungsanordnungen des BVerfG hervorgerufenen Situation erfordert der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes die einstweilige Aussetzung von asylrechtlichen Zurückschiebungen nach Griechenland nach der Dublin-II-VO
Der Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig bis eine Woche nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerden in den Verfahren 2 BvR 2015/09, 2 BvR 2603/09 und 2 BvR 2879/09 oder anderweitiger Erledigung der Verfahren, untersagt, den Antragsteller nach Griechenland zurückzuschieben.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Antragsteller begehrt in Erwartung eines auf §§ 27 a, 34 a AsylVfG gestützten, seine Rückführung nach Griechenland beinhaltenden Bescheides den Erlass einer Sicherungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, seine Überstellung nach Griechenland weiter zu betreiben. Er war seinen Bekundungen gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zufolge von seiner afghanischen Heimat aus über den Iran und die Türkei nach Griechenland gereist, bevor er über Italien, Österreich, wiederum Italien und Frankreich schließlich nach Deutschland gelangte und sich hier im Januar 2010 in Oldenburg als Asylsuchender meldete. Am 18. Januar 2010 brachte er bei der Außenstelle C-Stadt des Bundesamtes einen Asylantrag an, über den bis heute nicht entschieden worden ist. Das Bundesamt befragte den Antragsteller am 18. Januar 2010 und erhielt in den folgenden Tagen die Nachricht darüber, dass er im EURODAC-System damit erfasst ist, am 30. August 2009 nach Griechenland eingereist zu sein. Daraufhin hörte es ihn am 4. Februar 2010 u.a. bezüglich seines Reiseweges an, wobei der Antragsteller bestätigte, von Griechenland aus über die genannten europäischen Staaten nach Deutschland weitergereist zu sein. Am 25. März 2010 ersuchte das Bundesamt die griechischen Behörden um Übernahme des Antragstellers; zugleich setzte es die zuständige Ausländerbehörde von dem Übernahmeersuchen in Kenntnis. Am 2. Juni 2010 erinnerte das Bundesamt die griechischen Stellen an das unbeantwortet gebliebene Übernahmeersuchen, ohne dass bis heute eine Antwort erfolgt ist.
Der Antrag hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange Erfolg (§ 123 Abs. 1 u. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Ein Anordnungsgrund folgt daraus, dass die Rückschiebung des Antragstellers nach Griechenland geplant ist und demnächst bevorsteht. Es liegt zwar nach telefonischer Rückfrage des Einzelrichters beim Bundesamt noch kein entsprechender Bescheid(entwurf) vor; jedoch besteht die Weisungslage gegenüber dem Bundesamt fort, wonach an dem Regelungsregime des Dublin-II-Verfahrens auch bezüglich Rückschiebungen nach Griechenland festgehalten wird und das Bundesamt verpflichtet ist, nach Ablauf der einschlägigen Fristen die Unzuständigkeit Deutschlands für das betreffende Asylverfahren festzustellen sowie die Abschiebung der betroffenen Person nach Griechenland anzuordnen. Nach der inzwischen eingetretenen Zuständigkeitsfiktion hinsichtlich Griechenlands als im vorliegenden Fall zuständiger Mitgliedstaat (vgl. Art. 18 Abs. 7 Dublin-II-VO), kann und muss daher jederzeit mit dem Erlass eines entsprechenden Bescheides des Bundesamtes, das durch die für diese Verfahrensart zuständige Außenstelle je nach Erledigungsfortschritt entscheidet, gerechnet werden, der zudem üblicherweise unmittelbar im Zusammenhang mit dem konkreten Abschiebungsvorgang bekannt gegeben zu werden pflegt.
Der Antragsteller hat für den Erlass einer einstweiligen Anordnung auch die (weiteren) speziellen Voraussetzungen einer Regelungsanordnung glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 u. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist zur Regelung des vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung zulässig, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder aus anderen Gründen, nötig erscheint. Das ist hier in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange der Fall.
In ausdrücklicher Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung zu den sog. Dublin-II-Fällen betr. Griechenland sieht das Gericht die im Tenor genannten (sowie die weiteren entsprechenden) Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts in Zusammenschau mit der hierdurch in der Praxis hervorgerufenen Stillstandssituation als sachlichen Grund für die vom Antragsteller begehrte einstweilige Regelung an. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 17. August 2010 im Verfahren 2 BvR 2015/09, wonach die von ihm – mit Bindungswirkung auch gegenüber den Gerichten – beabsichtigte Entscheidung über die umstrittene Rückschiebungsanordnung nach Griechenland weiter hinausgeschoben worden ist, dazu beigetragen, dass eine rechtliche Ungewissheit in Bezug auf die betroffene Verfahrensweise des Bundesamtes eingetreten ist, die es unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) als unerträglich erscheinen lässt, die betroffenen Asylbewerber hinsichtlich des Fortgangs ihres Flüchtlingsschutzgesuchs im Ungewissen zu lassen.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinen Beschlüssen in den genannten Fällen Regelungsanordnungen bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz erlassen, weil die Erfolgsaussichten der gegen eine Rückschiebung nach Griechenland gerichteten Verfassungsbeschwerden nicht von vornherein offensichtlich zu verneinen seien, wenn sie andererseits auch nicht offensichtlich zu bejahen seien. Auch im vorliegenden Fall geht es wie bei den beiden letzten genannten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht um die Rückschiebung eines afghanischen Asylbewerbers nach Griechenland als dem für die Durchführung des Asylverfahrens nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Staat. Auch die Regelungsanordnungen des Bundesverfassungsgerichts setzen sich über das gesetzliche und mit Verfassungsrang versehene Verbot in § 34 Abs. 2 AsylVfG hinweg, dass in Fällen der vorliegenden Art kein einstweiliger Rechtsschutz nach §§ 80 oder 123 VwGO gewährt werden darf. In der Praxis führt die derzeitige Praxis dazu, dass das Bundesamt die Rücküberstellung nach Griechenland im Rahmen der Dublin-II-Verordnung betreibt und das Bundesverfassungsgericht bei ablehnenden Eilrechtsschutzentscheidungen der Verwaltungsgerichte regelmäßig Regelungsanordnungen der zitierten Art trifft, so dass die Rückführungen nicht erfolgen dürfen.
Da es vornehmliche Aufgabe der erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte ist, den nötigen Rechtsschutz zu gewähren, um die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts entbehrlich zu machen, ist die aus dem Tenor ersichtliche Regelungsanordnung zu treffen (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 11. August 2010 - 2 V 930/10.A -, juris).
Die Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland wird nicht bis zur Entscheidung einer Klage in einem evtl. Hauptsacheverfahren ausgesetzt – das würde Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin-II-VO, wonach ein Rechtsbehelf gegen Überstellungsentscheidungen grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat, widersprechen – und die Entscheidung über die Frage einer Rückschiebung nach Griechenland wird erst Recht nicht in der Sache endgültig vorweggenommen.
Die Kostenfolge beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, 83 b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).