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Abwasser- und Trinkwassergebühren


Metadaten

Gericht VG Potsdam 8. Kammer Entscheidungsdatum 09.11.2011
Aktenzeichen VG 8 L 225/11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 6 KAG

Leitsatz

Ist davon auszugehen, dass die bezogene Trinkwassermenge wegen eines Wasserrohrbruchs nicht in vollem Umfang in die Schmutzwasserbeseitigungsanlage gelangt ist, ist die gebührenpflichtige Schmutzwassermenge in entsprechender Anwendung der satzungsrechtlichen Regelung durch Schätzung zu ermitteln.

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage VG 8 K 1060/11 gegen den Gebührenbescheid des Antragsgegners vom 18. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2011 wird angeordnet, soweit der Antragsteller mit ihm zu Schmutzwassermengengebühren in Höhe von 3.593,80 € herangezogen wird. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens zu 69%, der Antragsteller zu 31%.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.302,61 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage VG 8 K 1060/11 gegen den Gebührenbescheid des Antragsgegners vom 18. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2011 anzuordnen,

hat in dem tenorierten Umfang Erfolg.

Der Antrag ist zulässig, insbesondere sind die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO gegeben, nachdem der Antragsteller mit dem Widerspruchsschreiben vom 24. Februar 2011 gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung beantragt hat.

Der Antrag ist, soweit der Antragsteller mit dem angefochtenen Bescheid zu Schmutzwassermengengebühren in Höhe von 3.593,80 € herangezogen wird, auch begründet. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO haben Widerspruch und Klage gegen Verwaltungsakte, mit denen öffentliche Abgaben oder Kosten gefordert werden, von Gesetzes wegen zwar keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht der Hauptsache kann in diesem Fall aber nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag ganz oder teilweise die aufschiebende Wirkung anordnen. Die hierbei durch das Gericht vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Gebührenbescheides des Antragsgegners und dem Interesse des Antragstellers, von einer sofortigen Vollziehung verschont zu bleiben, hat am Maßstab des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO zu erfolgen. Dieser Prüfungsmaßstab findet auf die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entsprechende Anwendung. Demzufolge setzt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs durch das Verwaltungsgericht voraus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder die Vollziehung des Bescheides für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hat. Ernstliche Zweifel sind allerdings erst dann zu bejahen, wenn ein Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher erscheint als ein Misserfolg (vgl. auch OVG Berlin - Brandenburg, Beschluss vom 20. Mai 2009 - OVG 9 S 10.08 und OVG 9 S 45.08 -, zitiert nach juris). Denn nach der Wertung des Gesetzgebers besteht bei den von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO umfassten Verwaltungsakten generell ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung, welches das Aufschubinteresse des Bürgers überwiegt.

Nach diesen Maßstäben bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Gebührenbescheides in dem tenorierten Umfang. Der Antragsteller hat die zentrale öffentliche Schmutzwasseranlage nicht in dem von dem Antragsgegner veranschlagten Umfang von 1.107m³ im Jahr 2010 in Anspruch genommen.

Grundsätzlich wird gemäß § 1 Abs. 1 der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Entwässerung der Grundstücke im Verbandsgebiet des Wasser- und Abwasserverbandes „Havelland“ (Schmutzwassergebührensatzung - SWGS -) vom 5. November 2008 (Amtsblatt für den Wasser- und Abwasserverband „Havelland“ 2009, Nr. 24, S. 6) für die Inanspruchnahme der zentralen öffentlichen Schmutzwasseranlage die Benutzungsgebühr gemäß § 6 KAG erhoben. Die Verbrauchsgebühr wird gemäß § 3 Abs. 1 SWGS nach der Schmutzwassermenge bemessen, die in die öffentliche Anlage gelangt. Dabei gilt nach § 3 Abs. 2 SWGS die den Grundstücken zugeführte, durch den Wasserzähler ermittelte Wassermenge als in die öffentliche Schmutzwasseranlage eingeleitet. Wassermengen, die nachweislich nicht in diese gelangt sind, werden gemäß § 3 Abs. 3 SWGS auf Antrag abgesetzt. Als eine Form der Nachweisführung verweist der Antragsgegner in seiner Satzung auf die durch Wasserzähler ermittelte Wassermenge (§ 3 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 3 Abs. 3 Satz 2 - 4 SWGS).

Der Antragsteller macht geltend, im Veranlagungszeitraum habe in seinem Gebäude ein Rohrbruch der Trinkwassserleitung hinter dem Wasserzähler vorgelegen, der zunächst unentdeckt geblieben sei. Die nach dem Wasserzähler bezogene Trinkwassermenge sei folglich nicht in die öffentliche zentrale Schmutzwasseranlage gelangt, sondern im Erdreich versickert. Er hat hierzu die Rechnung der Reparaturfirma über "das Finden und Beseitigen der Undichtigkeit in der Wasserversorgung Ihres Mietshauses" sowie eine schriftliche Bestätigung der Firma vom 27. September 2011 eingereicht, „wonach sehr große Wassermengen durch eine erhebliche Leckage an der Wasserleitung im Keller im Erdreich versickert sind". Über längere Zeit, so heißt es in der Bestätigung weiter, sei aus ca. 10-12 mm großen Löchern Wasser heraus gespritzt, habe starke Ausspülungen am Mauerwerk und im Fußboden hinterlassen und sei dann versickert.

Damit hat der Antragsteller nachgewiesen, zumindest tragfähige Indizien (vgl. dazu VG Köln, Urteil vom 15. März 2011 - 14 K 5869/09 -, zit. nach juris) dafür vorgetragen, dass nicht die gesamte bezogene Trinkwassermenge in die öffentliche Schmutzwasseranlage gelangt ist. Wie im Termin im November 2011 mit den Beteiligten erörtert wurde, kann schon bei einem 2 mm großen Loch in einer Wasserleitung ein erhöhter Wasserabfluss von 136 m³ monatlich möglich sein. Bei einem Leck in dem von der Reparaturfirma des Antragstellers festgestellten Ausmaß ist in Abhängigkeit von dem Wasserdruck ein Abfluss von Trinkwasser im Umfang von über 1000 m³ im Jahr durchaus realistisch. Der Sache nach hat der Antragsgegner dies auch anerkannt, indem er mit Bescheid vom 3. März 2011 die ursprünglich festgesetzten Vorausleistungen auf die Schmutzwasserentsorgungsgebühren von 381,85 € pro Monat auf 26,64 € pro Monat reduziert hat.

Ist davon auszugehen, dass die bezogene Trinkwassermenge nicht im vollen Umfang in die Schmutzwasseranlage gelangt ist, so hat der Antragsteller allerdings nicht den genauen Umfang des versickerten und damit nicht der Schmutzwasseranlage des Antragsgegners zugeführten Wassermenge nachgewiesen, wie es die Schmutzwassergebührensatzung indes vorsieht. Ein solcher - zahlenmäßig genauer - Nachweis ist jedoch bei einer über einen längeren Zeitraum unentdeckt gebliebenen Havarie kaum möglich. Darauf weist auch die Bescheinigung der Reparaturfirma vom 27. September 2011 ausdrücklich hin. Es kann bezweifelt werden, dass ein genauer Nachweis durch ein Sachverständigengutachten geführt werden kann, wie der Antragsgegner meint. Die in die Schmutzwasseranlage des Antragsgegners gelangte und damit gebührenpflichtige Schmutzwassermenge kann jedenfalls nach der, bei der gegebenen Sachlage entsprechend heranzuziehenden, Regelung des § 3 Abs. 5 Satz 2 SWGS im Wege der Schätzung ermittelt werden. Nach dieser Vorschrift ergibt sich die Befugnis bzw. Pflicht einer Schätzung unter Berücksichtigung des Schmutzwasseranfalls des Vorjahres und begründeter Angaben des Gebührenpflichtigen im Fall der Unbrauchbarkeit der Messeinrichtung. Der vorliegende Fall eines Wasserrohrbruchs ist der in § 3 Abs. 5 S. 2 SWGS geregelten Unbrauchbarkeit der Messeinrichtung weitgehend vergleichbar. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von demjenigen, der der vom Antragsgegner herangezogenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Beschluss vom 5. Oktober 2006 - 2 S 1256/06 -, juris) zugrunde lag. Da allerdings die für das Jahr 2009 angesetzte Schmutzwassermenge bereits auf einer Schätzung beruhte, hält es die Kammer jedenfalls im vorläufigen Rechtsschutzverfahren für sachgerecht, neben der so ermittelten Verbrauchsmenge (38 m³) noch die durch Zähler ermittelten Mengen der Jahre 2007 und 2008 (64 m³ und 46 m³) mit heranzuziehen.

Auf dieser Grundlage und angesichts des Umstandes, dass in den so in den Blick genommenen Zeiträumen ebenso wie im Jahre 2010 in dem Mehrfamilienhaus des Antragstellers nur noch eine ältere Dame wohnte, kann die gebührenpflichtige Schmutzwassermenge auf 50 m³ geschätzt werden. Für das Jahr 2010 folgt daraus bei einem Gebührensatz von 3,40 € pro Kubikmeter (§ 4 SWGS) ein Gebührenbetrag von 170 €. Soweit der Bescheid eine darüber hinausgehende Verbrauchsgebühr für Schmutzwasser in Ansatz bringt, erweist sich seine Rechtmäßigkeit als ernstlich zweifelhaft, so dass insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen ist.

Dem steht schließlich nicht die in § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 SWGS geregelte Frist entgegen, da der Antragsteller den geforderten Antrag auf Absetzung eines Teils der Schmutzwassergebühren innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf des Bemessungszeitraumes 2010 am 24. Februar 2011 gestellt hat.

Im Übrigen war der Antrag abzuweisen, da die Trinkwasserverbrauchsgebühren in der durch den Wasserzähler gemessenen Höhe durch den Antragsgegner zu Recht nach §§ 1, 3 Abs. 1 und 2 der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Versorgung der Grundstücke mit Trinkwasser im Verbandsgebiet des Wasser- und Abwasserverbandes „Havelland“ (Trinkwassergebührensatzung), veröffentlicht im Amts-blatt für den Wasser- und Abwasserverband „Havelland“ vom 20. November 2009, Nr. 24, S. 4 erhoben wurden. Für die Gebührenpflichtigkeit ist es unerheblich, wozu das Wasser verwendet worden ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Februar 2008 - OVG 9 N 57.07 -; VGH München, Urteil vom 27. November 2003 - 23 B 03.2369 -, BayVBl. 2004, 375).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 3, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG, wobei das Gericht den im Hauptsacheverfahren anzusetzenden streitigen Geldbetrag (5.210,45 €) im Hinblick auf die Vorläufigkeit des Verfahrens in Anlehnung an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327, Ziff. 1.5) auf ein Viertel reduziert hat.