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Türkei; Besuchsvisum; Visafreiheit bei Inanspruchnahme von Dienstleistungen; hilfsweises Begehren auf Verpflichtung zur Visumserteilung; Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage; Verweigerung einer Sachbefassung; Ablehnung der Entgegennahme des Visumsantrags wegen fehlender Unterlagen


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 20.01.2014
Aktenzeichen OVG 11 B 1.14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 41 Abs 1 ZP, Art 1 Abs 1 Visakodex, § 75 VwGO, § 113 Abs 5 VwGO, § 130a VwGO

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der türkische Kläger begehrt in der Hauptsache die Feststellung, dass er für den von ihm begehrten Besuchszweck keiner Aufenthaltserlaubnis in Form eines Touristenvisums bedarf, hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung eines solchen Visums.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat durch Urteil vom 22. Juni 2010 dieses Klagebegehren in vollem Umfang abgewiesen und zur Begründung Folgendes ausgeführt:

Die Feststellungsklage sei hinsichtlich des Feststellungsantrags nach seiner wörtlichen Fassung bereits unzulässig, da der Kläger keinen touristischen Aufenthalt anstrebe, sondern den Besuch seiner in Deutschland lebenden Kinder. Aber auch bei weitem Verständnis des Klagebegehrens im Sinne eines angestrebten Kurzaufenthalts sei die (Feststellungs-)Klage jedenfalls unbegründet. Denn die sog. Stand-Still-Klausel in Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei vom 23. November 1970 (Art. 41 Abs. 1 ZP) erfasse die Inanspruchnahme von Dienstleistungen, d.h. die passive Dienstleistungsfreiheit, nur insoweit, als die Einreise mit einer bestimmten, dienstleistungsbezogenen Zielsetzung erfolge und der touristische Zweck den Aufenthalt präge, nicht hingegen, wenn die wirtschaftliche Verhaltensweise im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden Sachverhalt von völlig untergeordneter Bedeutung sei, wie etwa beim Empfang von Dienstleistungen anlässlich eines Verwandtenbesuchs.

Auch der Hilfsantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung eines Visums sei unzulässig. Denn der Kläger habe zwar seinerzeit beim Generalkonsulat in Istanbul vorgesprochen gehabt, jedoch nicht auf einer Antragstellung bestanden, nachdem dieser Antrag mangels geforderter Unterlagen nicht angenommen worden sei.

Gegen das ihm am 25. Juni 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. Juli 2010 - einem Montag - die vom Verwaltungsgericht (in vollem Umfang) zugelassene Berufung eingelegt und diese am 24. August 2010 hinsichtlich des mit dem Hauptantrag weiter verfolgten Feststellungsbegehrens damit begründet, dass die gerichtlicherseits erfolgte Differenzierung nach einer im Wesentlichen dienstleistungsbezogenen Zielsetzung des Aufenthalts und die Unterscheidung von Touristen und sonstigen Besuchern weder überzeuge noch der Rechtsprechung des EuGH entspreche. Auch die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage sei zulässig, da die Beklagte sich nicht darauf berufen könne, ein Visumsantrag sei nicht gestellt worden, nachdem die Entgegennahme des Antrags bei der wiederholten Vorsprache im Generalkonsulat verweigert worden sei. Vorsorglich werde auf einen in Kopie beigefügten ablehnenden Bescheid des Generalkonsulats in Istanbul vom 17. März 2009 verwiesen, mit dem ein Visumsantrag vom 16. März 2009 abgelehnt worden sei.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. Juni 2010 festzustellen, dass er zum Besuchszwecke keine Aufenthaltserlaubnis in Form des Touristenvisums benötige,

hilfsweise für den Fall, dass das Oberverwaltungsgericht die Verpflichtungsklage für statthaft erachte,

den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis in der Form eines Touristenvisums zu erteilen.

Die Beklagte hat keinen Sachantrag gestellt und auch sonst keine Stellungnahme zur klägerischen Berufung abgegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Streitakte verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten im Beschlusswege gemäß § 130a VwGO, da er diese einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Dass das Verwaltungsgericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden hatte, steht dem nicht entgegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Juni 1999 - 9 B 257.99 -, juris Rz. 4).

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Das mit dem Hauptantrag geltend gemachte Begehren des Klägers auf Feststellung, dass er als türkischer Staatsangehöriger für die Einreise und den kurzzeitigen Aufenthalt zu Besuchszwecken im Bundesgebiet keines Visums bedürfe, da er hier Dienstleistungen in Anspruch nehmen wolle und sich deshalb auf die sog. Stand-Still-Klausel in Art. 41 ZP berufen könne, hat keinen Erfolg.

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 (ABl. EG Nr. L 81, S. 1) bedürfen türkische Staatsangehörige für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich der vorherigen Erteilung eines Visums. Das ist auch nicht im Hinblick auf die in den Mitgliedsstaaten unmittelbare Wirkung entfaltende sog. Stand-Still-Klausel in Art. 41 Abs. 1 ZP vom 23. November 1970 anders zu beurteilen, die es verbietet, neue Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs einzuführen. Zwar ist die allgemeine Visumspflicht für türkische Staatsangehörige zeitlich erst später, nämlich im Jahre 1980, eingeführt worden, jedoch umfasst der Begriff des „freien Dienstleistungsverkehrs“ in Art. 41 Abs. 1 ZP nicht die Freiheit türkischer Staatsangehöriger, sich als Dienstleistungsempfänger in einen Mitgliedsstaat (der EU) zu begeben, um dort eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 24. September 2013 in der Rechtssache C-221/11, Rz. 63). Dementsprechend kann sich der Kläger zur Begründung der Visumsfreiheit des von ihm begehrten Besuchsaufenthalts wegen der von ihm dabei beabsichtigten Inanspruchnahme von Dienstleistungen auch nicht auf Art. 41 Abs. 1 ZP berufen.

Auch das mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Begehren auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Form eines Touristenvisums hat keinen Erfolg.

Dabei kann letztlich dahinstehen, ob dieser ausdrücklich nur „für den Fall, dass das Oberverwaltungsgericht die Verpflichtungsklage für statthaft erachtet“, mithin bedingt, gestellte Antrag überhaupt zulässig ist. Denn das Begehren, den Beklagten zur Erteilung eines Touristen- bzw. eines Besuchsvisums zu verpflichten - maßgebliche Rechtsgrundlage ist nunmehr (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 - 1 C 1.10 -, juris Rz. 11 f.) Art. 1 Abs.1 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl EU vom 15. September 2009 Nr. L 243 S. 1) -, hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen. Es hat dies damit begründet, dass der Kläger nicht zuvor im Verwaltungsverfahren einen Antrag auf Visumserteilung gestellt habe. Zwar habe er zum Zweck der Visumsantragstellung beim Generalkonsulat in Istanbul „vorgesprochen“, jedoch habe er „auf einem Antrag … nicht bestanden“ - gemeint ist ersichtlich: auf der Entgegennahme des Antrags -, nachdem dieser mangels geforderter Unterlagen nicht angenommen worden sei.

Soweit der Kläger demgegenüber mit der Berufungsbegründung geltend macht, es sei „rechtsmissbräuchlich“, wenn die Beklagte sich in einem solchen Fall auf fehlende vorherige Antragstellung berufe, ist zunächst darauf zu verweisen, dass es vorliegend nicht auf das Vorbringen der Beklagten, sondern darauf ankommt, ob der Kläger im Hinblick auf das geschilderte Verhalten des Generalkonsulats berechtigt war, eine Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO zu erheben. Das ist vorliegend zu verneinen.

Voraussetzung für die Erhebung einer Untätigkeitsklage ist, dass über einen Widerspruch oder einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts, d.h. hier Visumserteilung, ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Zeit sachlich nicht entschieden wurde. Das ist - unabhängig vom Vorliegen eines zureichenden Grundes - aber auch dann der Fall, wenn eine Behörde sich weigert, sich mit der Sache zu befassen (Brenner in: Nomos Kommentar, VwGO, 3. Auflage, § 75 Rz. 26; Kopp, VwGO, Kommentar, 18. Auflage, § 75 Rz. 15).

Gleichzustellen wäre dem trotz Fehlens des im Grundsatz erforderlichen Antrags auf Vornahme eines Verwaltungsaktes der Fall, dass diese Antragstellung - und damit letztlich auch die Sachentscheidung hierüber - behördlicherseits verhindert wird, das allerdings nur dann, wenn ein solches Verhalten als (endgültige) Weigerung zu verstehen ist, sich mit der Sache zu befassen. Nur ein solches Verständnis wäre mit dem Inhalt und Normzweck der Untätigkeitsklage vereinbar, wonach verhindert werden soll, dass die Behörde untätig bleibt, obwohl „der Kläger das seinerseits Erforderliche getan hat“ bzw. der Antrag „die der Sache nach erforderlichen Angaben und Unterlagen“ enthält (Brenner, a.a.O., § 75 Rz. 9, 25).

Ein solcher Fall einer (endgültigen) Verweigerung der Sachbefassung liegt hier nicht vor. Denn das Generalkonsulat in Istanbul hat den Visumsantrag des Klägers nach seinen eigenen Angaben zur Klagebegründung unter Hinweis darauf nicht entgegengenommen, dass bei den dortigen Vorsprachen am 15. Februar und 13. Mai 2008 die „Einladung aus Deutschland“ zum begehrten Besuch der Kinder sowie „sämtliche Unterlagen, die sein Einkommen nachweisen“, fehlten. Hierbei handelt es sich jedoch um Unterlagen, die zur Prüfung seines hiesigen Aufenthaltszwecks und insbesondere auch der Feststellung seiner Rückkehrbereitschaft unerlässlich sind. Derartige Belege beizubringen, entspricht zudem den verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten eines Antragstellers zur Vorbereitung einer Sachentscheidung der Behörde. Zwar könnte ein Antrag auf Erteilung eines Besuchsvisums auch beschieden werden, wenn die für die Sachentscheidung notwendigen Unterlagen vom Antragsteller nicht beigebracht werden, an einer in einem solchen Fall nur möglichen ablehnenden Entscheidung besteht jedoch regelmäßig kein Interesse. Wenn das deutsche Generalkonsulat in Istanbul in einem derartigen Fall - und zudem vor dem Hintergrund der dortigen bekanntermaßen starken Belastung mit Visumsanträgen - die Antragstellung mit zumindest den wesentlichen Unterlagen verlangt und die Annahme eines dem - wie vorliegend - nicht entsprechenden Antrags zunächst einmal ablehnt, kann hierin nicht die endgültige Verweigerung einer Sachbefassung gesehen werden, die bereits die Erhebung einer Untätigkeitsklage rechtfertigt.

Ob das anders zu beurteilen wäre, wenn das Generalkonsulat die Entgegennahme des Visumsantrags weiterhin verweigert hätte, nachdem der Kläger auf einer Antragsstellung trotz der fehlenden Unterlagen bestanden hätte, wie vom Verwaltungsgericht als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klageerhebung gefordert, mag dahinstehen. Denn dafür hat der Kläger auch im Berufungsverfahren nichts vorgetragen.

Soweit der Kläger in seiner Berufungsbegründung vom 24. August 2010 erstmals auf die Ablehnung eines Visumsantrags vom 16. März 2009 seitens der Beklagten durch Bescheid des Generalkonsulats in Istanbul vom 17. März 2009 verweist, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass sich dieser Bescheid überhaupt auf das streitgegenständliche Visumsbegehren bezieht und dass der Kläger ihn vor Eintritt seiner Bestandskraft in das Verfahren einbezogen hätte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.