Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 60. Fachsenat für Personalvertretungssachen | Entscheidungsdatum | 12.12.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 60 PV 11.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 21 Abs 1 S 1 BBiG, § 22 Abs 2 Nr 1 BBiG, § 79 Abs 1 PersVG BE, § 79 Abs 2 S 3 PersVG BE, § 79 Abs 2 S 4 PersVG BE, § 87 Nr 8 PersVG BE |
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
I.
Im Streit ist die Beachtlichkeit der Verweigerung der Zustimmung des Antragstellers zur fristlosen Kündigung des Ausbildungsverhältnisses mit dem Auszubildenden J für den Beruf des Gleisbauers nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG wegen krankheitsbedingter körperlicher Untauglichkeit.
Das Ausbildungsverhältnis begann am 1. September 2009 und endete am 31. August 2012. Nachdem der Auszubildende ein Attest seiner behandelnden Ärztin vorgelegt hatte, wonach er auf Grund einer Handgelenkverletzung sowie einer Sehnenscheidenentzündung rechts nicht mehr für den Beruf des Gleisbauers tauglich sei und eine berufliche Umorientierung benötige, fanden mehrere betriebsärztliche Untersuchungen statt, die zuletzt am 14. Juni 2011 zu der Feststellung führten, es bestünden gesundheitliche Bedenken auf Dauer. Nachdem der Beteiligte einen ersten Zustimmungsantrag zurückgezogen hatte, beantragte er am 22. Juli 2011 erneut die Zustimmung des Antragstellers zur geplanten fristlosen Kündigung des Ausbildungsverhältnisses wegen dauerhafter gesundheitlicher Untauglichkeit des Auszubildenden und nahm dabei im wesentlichen auf die beigefügten ärztlichen Unterlagen sowie das beabsichtigte Kündigungsschreiben Bezug. Am 26. Juli 2011 teilte der Antragsteller dem Beteiligten mit, dass er der Kündigung nicht zustimme. Er rügte eine unvollständige ärztliche Abklärung der Ursache der Erkrankung, die aus seiner Sicht in einer Verletzung beim Berufsschulsport zu suchen sei, was die Einstufung als Dienstunfall nach sich ziehe. Es fehle außerdem an einer Einschätzung der Heilungschancen und einem Angebot einer anderen Ausbildungsmöglichkeit. Daraufhin brach der Beteiligte das Mitbestimmungsverfahren ab und kündigte das Ausbildungsverhältnis wie beabsichtigt mit Schreiben vom 1. August 2011 fristlos. Auf Nachfrage des Antragstellers führte er aus, die Ablehnungsgründe seien nicht geeignet, den Kündigungsgrund infrage zu stellen. Der Antragsteller greife mit den Einwänden gegen die betriebsärztlichen Feststellungen in den Beurteilungsspielraum des Dienstherrn ein. Die Verweigerung sei daher als unbeachtlich und die Zustimmung als erteilt anzusehen. Am 12. August 2011 hat der Antragsteller das personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren eingeleitet und beantragt, die Verletzung seines Mitbestimmungsrechts festzustellen.
Mit Beschluss vom 8. Februar 2012 hat das Verwaltungsgericht Berlin den Antrag als unzulässig zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Das für den konkret gefassten Antrag notwendige Rechtsschutzbedürfnis bestehe nicht mehr, nachdem die fragliche Maßnahme vollzogen worden sei. Bei der Kündigung handelt es sich um eine einseitige Willenserklärung, die mit ihrem Ausspruch zur Maßnahme und mit dem Zugang an den Arbeitnehmer wirksam werde. Das Kündigungsverfahren habe keine aufschiebende Wirkung. Die Arbeitsgerichte höben im Falle einer Kündigungsschutzklage die Kündigung nicht auf, sondern stellten gegebenenfalls deren Unwirksamkeit fest. Eine ohne die notwendige Zustimmung des Personalrats ausgesprochene Kündigung sei unheilbar nichtig. Daher könnten auch eine nach der Kündigung erteilte Zustimmung des Personalrats oder ein Spruch der Einigungsstelle keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der Kündigung mehr haben. Beabsichtige der Arbeitgeber nach einer unwirksamen Kündigung erneut eine Kündigung auszusprechen, handele es sich nicht um einen „zweiten Durchgang“ einer Maßnahme. Vielmehr stelle die erneute Kündigung eine andere Maßnahme dar. So sich aus dem Mitbestimmungsverfahren hinsichtlich der ersten Kündigung klärungsbedürftige Rechtsfragen ergäben, bestünde an deren Klärung weiter ein Rechtsschutzbedürfnis. Sie wären aber zu benennen. Ob anderes für den Fall gelten könne, dass eine Kündigung unter identischen Voraussetzungen mehrmals ausgesprochen werden solle, könne hier offen bleiben. Im vorliegenden Fall beruhe die Kündigung auf der Einschätzung der gesundheitlichen Eignung eines Auszubildenden, die sich im konkreten Fall in relevanter Weise ändern könne.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers mit im Wesentlichen folgender Begründung: Die den Anlass für das Verfahren bildende Kündigung und der anschließende Kündigungsrechtsstreit vor dem Berliner Arbeitsgericht (60 Ca 15784/11) seien noch nicht erledigt. Das Arbeitsgericht habe eine Einigung auf der Grundlage eines einzuholenden Sachverständigengutachtens über die Ausbildungstauglichkeit des Auszubildenden angeregt. Dem seien die Parteien gefolgt. Das Verfahren ruhe derzeit bis zum Eingang des Gutachtens. Komme eine Einigung nicht zustande, sei nach wie vor die Frage akut, ob die Kündigung schon wegen der Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Antragstellers unwirksam sei oder nicht. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es in den herangezogenen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen stets der Arbeitgeber gewesen sei, der nachträglich vom Gericht die Ersetzung der Zustimmung zur Kündigung habe erlangen wollen. In diesen Fällen sei tatsächlich kein Rechtsschutzbedürfnis mehr vorhanden. Denn selbst wenn die Zustimmung des Personalrats erstritten würde, könnte dies den zur Nichtigkeit führenden Fehler der Kündigung nicht rückwirkend heilen. Hier sei aber nicht der Arbeitgeber, sondern der Arbeitnehmer Kläger. In diesem Fall habe die begehrte Feststellung auch konkrete Auswirkungen. Denn wenn im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren festgestellt würde, dass die Kündigung das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers verletzt habe, werde der Kündigung damit der Anschein der Wirksamkeit genommen. Das Verfahren diene also der Klärung der vom Arbeitsgericht noch nicht beantworteten Frage, ob die Kündigung schon wegen Verletzung des Mitbestimmungsrechts unwirksam sei oder nicht. Außerdem bestünden bei einer Wiederholungskündigung keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass sich der Sachverhalt zwischenzeitlich geändert habe. Eine Klärung im anhängigen personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren würde einen weiteren Prozess vermeiden. Schließlich könne die Feststellung einer Rechtsverletzung im Mitbestimmungsverfahren Ansprüche des Auszubildenden auf Vergütung oder auf Schadensersatz begründen.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Februar 2012 zu ändern und festzustellen, dass der Beteiligte das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers aus § 87 Nr. 8 PersVG Berlin dadurch verletzt hat, dass er das Ausbildungsverhältnis mit dem Auszubildenden J mit Schreiben vom 1. August 2011 fristlos gekündigt hat, obwohl der Antragsteller der Kündigung unter Angabe der dagegen sprechenden Gründe nicht zugestimmt hat und ein Einigungsverfahren nicht durchgeführt worden ist.
Der Beteiligte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Beteiligte verteidigt den angefochtenen Beschluss und führt ergänzend aus: Das Arbeitsgericht entscheide im Rahmen der Überprüfung der Kündigung auch über die Frage, ob im konkreten Fall die Zustimmung des Personalrats zur Kündigung mit beachtlichen Gründen verweigert worden sei. Diese Frage besitze nur noch Relevanz im Verhältnis des Arbeitgebers zum Auszubildenden, nicht aber im Verhältnis zur Personalvertretung. Denn die Kündigung sei ausgesprochen worden, und das Mitbestimmungsverfahren könne auch nicht wieder aufgenommen werden. Schließlich sei das Ausbildungsverhältnis unabhängig von der Kündigung durch Zeitablauf beendet. Denn der Auszubildende habe keinen Antrag auf Verlängerung gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten einschließlich Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers bleibt erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat den Feststellungsantrag zu Recht als unzulässig angesehen.
Das Rechtsschutzinteresse für eine Feststellung der Verletzung des Mitbestimmungsrechts bei der Kündigung des Ausbildungsverhältnisses mit dem Auszubildenden J besteht nicht (mehr).
Nach § 87 Nr. 8 PersVG Berlin hat der Personalrat bei der Kündigung eines Arbeitnehmers mitzubestimmen. Als Arbeitnehmer gelten gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 PersVG Berlin auch Angehörige des öffentlichen Dienstes, die sich wie Herr J in einer beruflichen Ausbildung befinden. § 79 Abs. 1 PersVG Berlin bestimmt, dass eine Maßnahme, die der Mitbestimmung der Personalvertretung unterliegt, ihrer vorherigen Zustimmung bedarf. Im Fall einer außerordentlichen Kündigung gilt die Maßnahme als gebilligt, wenn nicht die Personalvertretung innerhalb einer Frist von einer Woche seit Zugang des Zustimmungsantrags ihre Ablehnung schriftlich begründet (§ 79 Abs. 2 Satz 3 und 4 PersVG Berlin). Dem Fehlen einer Begründung steht es gleich, wenn die Personalvertretung die Zustimmung aus Gründen verweigert, die im Mitbestimmungsrecht keine Stütze finden. Sieht der Dienststellenleiter die Zustimmungsverweigerung in diesem Sinne als unbeachtlich an und spricht er die beabsichtigte Kündigung aus, kann ein Rechtsschutzinteresse der Personalvertretung für einen konkreten Feststellungsantrag im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren nur anerkannt werden, wenn die Kündigung noch nicht „vollzogen“ ist oder noch rückgängig gemacht werden kann.
Beides ist hier möglicherweise der Fall: Ficht der Auszubildende eine nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG ausgesprochene fristlose Kündigung des Ausbildungsverhältnisses vor dem Arbeitsgericht an, ist die Kündigung solange nicht „vollzogen“ wie über sie im Arbeitsgerichtsprozess noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Das Arbeitsgericht wäre im Verfahren 60 Ca 15784/11 an eine rechtskräftige Entscheidung im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren, dass der Beteiligte das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers infolge der Zustimmungsfiktion gem. § 79 Abs. 2 Satz 3 und 4 PersVG Berlin nicht verletzt habe, gebunden. Im Falle einer rechtskräftigen Feststellung, dass der Beteiligte das Mitbestimmungsrecht verletzt habe, weil er das Mitbestimmungsverfahren nicht habe abbrechen dürfen, könnte der Beteiligte möglicherweise erreichen, dass die Einigungsstelle in einem „zweiten Durchgang“ die Zustimmung des Antragstellers zu der beabsichtigten Kündigung ersetzt. Dies reicht in der Regel für das Rechtsschutzbedürfnis zur Weiterverfolgung des konkreten Feststellungsbegehrens aus (vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juni 2010 - BVerwG 6 PB 4.19 -, juris Rn. 5).
Ob, wie die Fachkammer angenommen hat, der besondere Kündigungsgrund der gesundheitlichen Untauglichkeit das Rechtsschutzbedürfnis für eine Kündigung „im zweiten Durchgang“ gleichwohl entfallen lässt und ob es für das Rechtsschutzinteresse ausreicht, dass die Kündigung nur mit Einverständnis oder Zustimmung des Auszubildenden vom Beteiligten zurückgenommen werden kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn jedenfalls war das Berufsausbildungsverhältnis hier am 31. August 2012 beendet. Das ergibt sich aus § 21 Abs. 1 Satz 1 BBiG, wonach das Berufsausbildungsverhältnis mit Ablauf der Ausbildungszeit endet (vgl. hierzu Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. März 2007 - 9 AZR 494/06 -, juris Rn. 14 ff.). Eine Verlängerung des Berufsausbildungsverhältnisses findet nur statt, wenn der Auszubildende die Abschlussprüfung nicht bestanden hat. Ansonsten kann nur die zuständige Stelle die Ausbildungszeit auf Antrag verlängern, wenn dies erforderlich ist, damit der Auszubildende das Ausbildungsziel erreicht. Da sich im vorliegenden Fall der Auszubildende der Abschlussprüfung nicht unterzogen und er nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Beteiligten auch keinen Antrag auf Verlängerung der Ausbildung nach § 8 Abs. 2 BBiG bei der IHK Berlin gestellt hat, war das Berufsausbildungsverhältnis mit Ablauf des 31. August 2012 beendet. Eine etwaige Feststellung der Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Antragstellers wäre mithin für das Kündigungsschutzverfahren allenfalls noch insoweit von Belang, als dem Auszubildenden daraus Vergütungs- oder Schadensersatzansprüche erwüchsen. Es ist aber nicht Aufgabe des personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahrens, Ansprüche der von mitbestimmungspflichtigen Personalmaßnahmen betroffenen Arbeitnehmern oder Auszubildenden zu generieren. Vielmehr erschöpft sie sich in der Klärung der sich aus dem Personalvertretungsgesetz ergebenden Rechtsbeziehungen der Parteien der Dienststellenverfassung. Kann aber eine Kündigung infolge anderweitiger Beendigung des Ausbildungsverhältnisses weder rückgängig gemacht noch in einem „zweiten Durchlauf“ vollzogen werden, ist der konkrete Mitbestimmungsfall erledigt.
Die Rechtsbeschwerde war mangels Zulassungsgrundes nicht zu eröffnen.