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Pflege; Sicherstellung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 27. Senat Entscheidungsdatum 30.05.2011
Aktenzeichen L 27 P 116/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 37 SGB 11

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. August 2008 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung im Zeitraum vom 15. April 2004 bis 28. Februar 2005.

Die 1922 geborene und bei der Beklagten pflegeversicherte Klägerin beantragte am 15. April 2004 die Gewährung von Pflegegeld. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung der Klägerin durch den medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Die Pflegefachkraft stellte im Gutachten vom 11. Oktober 2004 bei der Klägerin als pflegerelevante Diagnosen eine allgemeine Schwäche mit leichten kognitiven Störungen, Tinea Unguim sowie Verwahrlosungstendenz fest und gelangte zu den Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld aufgrund eines täglichen Hilfebedarfs im Bereich der Grundpflege von 33 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 43 Minuten nicht gegeben sind. Der Gutachter führte ferner aus, dass sich die Wohnung in einem verwahrlosten Zustand befindet und durch Gegenstände, Kleidung, Kartons und Tüten – teilweise mit verdorbenen Nahrungsmitteln - so zugemüllt ist, dass sich die Zimmertüren nur spaltweise öffnen lassen und ein Zutritt teilweise nicht möglich war. Spinngewebe hängt in allen Räumen bis auf Kopfhöhe herunter. Der ordentliche Gebrauch der sanitären Anlagen ist nicht vorstellbar, zumal auch das Wasser abgestellt sein soll.

Für die Klägerin wurde vom Amtsgericht Schöneberg ihre Tochter ab 21. September 2004 zur Betreuerin mit dem Aufgabenkreis der Wohnung- und Vermögensangelegenheiten sowie der Organisation und Regelung der häuslichen Pflege bestellt. Der Betreuungsbestellung lag u.a. eine häusliche sozialpsychiatrische Begutachtung vom 6. September 2004 zugrunde. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie verwies in seiner Stellungnahme vom 7. September 2004 auch auf die vorgefundene Vermüllung der Wohnung.

Die Beklagte wies den gutachterlichen Feststellungen des MDK folgend mit Bescheid vom 26. Oktober 2004 den Antrag der Klägerin ab. In dem dagegen gerichteten Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme des Gutachters vom 26. Januar 2005 sowie weitere gutachterliche Stellungnahmen des MDK vom 31. Januar 2005 und 12. April 2005 nach Aktenlage ein, wonach das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegestufe nicht festgestellt wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2005 wies die Beklagte gestützt auf die Feststellungen des MDK den Widerspruch der Klägerin zurück.

Mit der am 16. Juni 2005 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf Gewährung von Pflegegeld der Stufe I weiterverfolgt. Sie verwies darauf, dass die Beklagte ihren notwendigen Pflegebedarf nicht zutreffend erfasst habe.

Die Beklagte veranlasste eine weitere Begutachtung der Klägerin durch die Ärztin die in ihrem Gutachten vom 9. August 2005 bei Ermittlung eines täglichen Hilfebedarfs im Bereich der Grundpflege von 50 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 64 Minuten einen Pflegebedarf nach der Stufe I feststellte. Die Gutachterin verwies ferner darauf, dass sich die Wohnung in einem völlig verwahrlosten Zustand befindet. Es gebe keine Sitzgelegenheit. Die Klägerin esse im Stehen an einem Bügelbrett und liege in einem vermüllten Bett, dass ohne Klettern nicht zu erreichen ist. Die Beklagte erkannt daraufhin mit Schriftsatz vom 31. August 2008 die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe I nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ab 1. März 2005 an und verwies zur Begründung darauf, dass mit einem im März 2005 erlittenen Sturz der Klägerin eine Gesundheitsverschlechterung anzunehmen sei. Mit Ausführungsbescheid vom 8. September 2005 stellte die Beklagte bei der Klägerin das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit der Stufe I fest und führte aus, dass Pflegegeld nicht gewährt werden könne, da die häusliche Pflege nicht in geeigneter Weise sichergestellt sei. Alternativ bat die Beklagte die Gewährung von Pflegesachleistungen an.

Die Klägerin verfolgte danach ihr Begehren auf Gewährung von Pflegegeld der Stufe I beschränkt auf den Zeitraum vom 15. April 2004 bis 28. Februar 2005 weiter.

Das Sozialgericht hat zur weiteren Sachverhaltsaufklärung das Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 25. Mai 2006 eingeholt. Die Sachverständige ermittelte einen täglichen Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von 55,5 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 60 Minuten und führte aus, dass betreffend den Zeitraum vom 15. April 2004 bis 28. Februar 2005 die Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegeleistungen nach der Pflegestufe I vorgelegen haben und von einer unzureichenden Selbstpflege und Selbstversorgung auszugehen ist. Mit Urteil vom 28. August 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass dahinstehen könne, ob die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum vom 15. April 2004 bis 28. Februar 2005 die Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegeleistungen der Pflegestufe I erfüllt habe, denn ein Anspruch scheitere jedenfalls an § 37 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI). Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin die erforderliche Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung nicht in geeigneter Weise selbst sichergestellt habe. Dies ergebe sich insbesondere auf Grund der Angaben der Ärztin im Gutachten vom 9. August 2005.

Gegen das am 12. September 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. September 2008 unter Verweis auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Berufung zum Landessozialgericht eingelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. August 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2005 in der Fassung des Bescheides vom 08. September 2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 15. April 2004 bis zum 28. Februar 2005 Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben, jedoch nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage für den streitbefangenen Zeitraum vom 15. April 2004 bis zum 28. Februar 2005 mit Urteil vom 28. August 2008 abgewiesen haben. Der Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2005 in der Fassung des Bescheides vom 08. September 2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin kann die begehrte Gewährung von Pflegegeld der Stufe I nicht beanspruchen.

Nach § 37 SGB XI setzt der Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfe nach der Pflegestufe I u. a. voraus, dass der Anspruchsteller pflegebedürftig ist und der Pflegestufe I zugeordnet werden kann. Pflegebedürftigkeit liegt hierbei nach § 14 Abs. 1 SGB XI vor, wenn der Betroffene wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Erkrankung oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate in erheblichen oder höheren Maße der Hilfe bedarf, die nach § 14 Abs. 3 SGB XI in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht. Als außergewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im vorgenannten Sinne gelten nach § 14 Abs. 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege, der neben den Bereichen der Ernährung und der Mobilität zur Grundpflege gehört, das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren oder die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und das Zubettgehen, das An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung, das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.

Die Zuordnung zur Pflegestufe I setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XI voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei verrichten, aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, hat hierbei wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten zu betragen, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen.

Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob bei der Klägerin nach den vorgenannten gesetzlichen Vorgaben im streitbefangenen Zeitraum vom 15. April 2004 bis 28. Februar 2005 an sich die Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegeleistungen der Stufe I vorgelegen haben, denn der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld scheitert jedenfalls an der Regelung des § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB XI, worauf auch das Sozialgericht zutreffend abgestellt hat.

Nach § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB XI setzt der Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellt. Danach ist die Zahlung des Pflegegeldes davon abhängig, dass der Pflegebedürftige die von ihm benötigten Hilfeleistungen für die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung in Eigenverantwortung und Selbstbestimmung ohne Inanspruchnahme von Pflegesachleistungen durch geeignete Maßnahmen – insgesamt – sicherstellt. Wenn die erforderliche Pflege nur unzureichend oder gar nicht durchgeführt wird und daher nicht sichergestellt ist, besteht ein Anspruch auf Pflegegeld auch dann nicht, wenn die Pflegebedürftigkeit selbst festgestellt ist (vgl. Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 P 5/08 R, bei juris). So liegt der Fall auch hier.

Nach den tatsächlichen Feststellungen der MDK-Gutachter F und W sowie der Sachverständigen ist für den streitbefangenen Zeitraum von einer defizitären Pflegesituation auszugehen. Die Klägerin verfügte zur Überzeugung des Senats über keine Pflegeperson, die sie kontinuierlich und im erforderlichen Umfang bei den Verrichtungen der Grundpflege und der Hauswirtschaft unterstützte, sondern erledigte dies trotz ihrer körperlichen Funktionseinschränkungen völlig unzureichend allein oder auch gar nicht. Dies folgt bereits aus den aktenkundigen verwahrlosten Wohnverhältnissen durch Vermüllung, Ungeziefer und Gestank, wobei insbesondere auch Hygienemaßnahmen aufgrund des Zustandes der sanitären Anlagen nur unzureichend durchführbar waren. So war die Wohnung ausweislich der Feststellungen des Gutachters in seinem Gutachten vom 11. Oktober 2004 übervoll mit Möbeln und diversen Gegenständen und hingen in allen Räumen Spinngewebe bis auf Kopfhöhe herunter. Das Badezimmer war nicht zu erkennen, die Toilette nicht zu finden und das Wasser soll abgestellt gewesen sein, so dass ein ordentlicher Gebrauch der sanitären Anlagen nicht möglich gewesen sein kann. Die Wohnung war schon längere Zeit nicht mehr belüftet und ein längerer Aufenthalt wurde vom Gutachter als Zumutung angesehen. Derartige Verhältnisse wurden auch ausweislich eines am 6. September 2004 im Rahmen des Betreuungsverfahrens erfolgten Hausbesuches durch den sozialpsychiatrischen Dienstes festgestellt.

Zudem stand die Klägerin ihrer Tochter und jetzigen Betreuerin nach den aktenkundigen Feststellungen der MDK-Gutachter F und W und des sozialpsychiatrischen Dienstes sowie der Sachverständigen G aber auch misstrauisch gegenüber und lehnte die angebotene Hilfeleistung bei Verweigerung des Zutritts zur Wohnung überwiegend ab. Zwar wurde die Tochter der Klägerin zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Klägerin ab 21. September 2004 zur Betreuerin bestellt. Dass sich der desolate Zustand der Wohnung und damit auch die Pflegesituation in der Folgezeit bis Februar 2005 geändert hat, lässt sich nach den Feststellungen der MDK – Begutachtung durch die Ärztin am 9. August 2005 sowie auch den aktenkundigen Schreiben der W-Hausverwaltung vom 19. Juli und 23. August 2005 und einem an die Betreuerin gerichteten Schreiben des sozialpsychiatrischen Dienstes vom 29. August 2005 nicht feststellen. Selbst die Sachverständige stellte beim Hausbesuch am 22. Oktober 2005 fest, dass die Wohnung der Klägerin bis auf einzelne freigelassene Gänge bis in Schrankhöhe vollgeräumt war. Die Betreuerin räumt überdies selbst noch in einem an das Amtsgericht Schöneberg gerichteten Schreiben vom 13. Februar 2006 zur Wohnungssituation der Klägerin ein, dass ein geordneter Zustand noch nicht hergestellt ist und insbesondere die Schädlingsbekämpfung nicht erfolgen konnte, da die Klägerin außer ihr und dem Enkel alle Personen aus der Wohnung verweist. Auch in der mündlichen Verhandlung hat die Betreuerin dies nochmals bestätigt und ausgeführt, dass sie trotz der Bestellung zur Betreuerin bis in das Jahr 2007 hinein nicht das Aufenthaltsbestimmungsrecht über die Klägerin hatte und deshalb an der Wohnsituation und den Pflegeverhältnissen nichts ändern konnte. Die von der Betreuerin ferner beschriebenen Pflegeleistungen durch einmal wöchentliche Versorgung der Klägerin außerhalb ihrer eigenen Wohnung sowie das tägliche Bringen von Essen waren zur Abdeckung des vollständigen Pflegebedarfs nach den gesetzliche Vorgaben in §§ 14, 15 SGB XI nicht ausreichend.

Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Pflege der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum vom 15. April 2004 bis 28. Februar 2005 durch ihre Betreuerin tatsächlich kontinuierlich und vollständig sichergestellt worden ist, auch wenn diese im Antrag auf Gewährung von Pflegegeld als Pflegeperson benannt worden ist und offensichtlich - soweit die Klägerin dies zugelassen hat - um Hilfe bemüht war. Angesichts der defizitären Pflegesituation kann die Klägerin das begehrte Pflegegeld daher nicht beanspruchen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision war mangels Vorliegen der Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.