Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 15.06.2012 | |
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Aktenzeichen | L 3 U 167/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 8 SGB 7 |
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2009 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitig ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 23. Juli 2008 als Arbeitsunfall.
Der 1946 geborene Kläger ist Steuerberater und Rechtsbeistand und bei der Beklagten als Unternehmer freiwillig versichert.
Laut seiner eigenen Angaben begann seine Arbeitszeit am 23. Juli 2008 um 9 Uhr. Gegen 10 Uhr befand er sich in der A-Filiale am T-H-Platz in B-C, um dort Einkäufe für seinen Bürobetrieb, u. a. CD-/DVD-Leerhüllen aus dem aktuellen Sonderangebot (20 Stück zu 2,59 EUR) zu tätigen (vgl. die elektronische Unfallanzeige des Klägers vom 31. Juli 2008). Gemäß seinen telefonischen Angaben gegenüber der Beklagten vom 05. August 2008 wurde ihm im Supermarkt plötzlich übel, anschließend stürzte er zu Boden bzw. knickte beim Hinsetzen unglücklich um und erlitt eine Fraktur des Außenknöchels des rechten oberen Sprunggelenks (OSG). Er wurde mit dem Rettungswagen in die DRK Kliniken W gebracht, wo er zunächst untersucht und konservativ versorgt, anschließend im Rahmen einer stationären Behandlung in der Unfallchirurgischen und Orthopädischen Klinik der DRK Kliniken W vom 25. Juli bis zum 03. August 2008 operativ versorgt wurde.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15. August 2008 die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund des Unfalls vom 23. Juli 2008 ab, da es sich bei dem Unfall nicht um einen Arbeitsunfall handele. Der Unfall habe sich nicht infolge der versicherten Tätigkeit (Einkauf von Bürobedarf), sondern nur während dessen ereignet. Ursache des Sturzes sei ein plötzlich eingetretenes Unwohlsein gewesen, welches zufällig beim Einkauf aufgetreten sei. Der Einkauf selber habe jedoch nicht zu dem Sturz geführt, auch hätten sich an der Unfallstelle keine Besonderheiten gefunden, die zu Art und Schwere der Verletzung beigetragen hätten (z. B. Treppe, schadhafte Unfallstelle).
In seinem Widerspruch hiergegen machte der Kläger unter Beifügung des Entlassungsbriefs der DRK Kliniken W vom 01. August 2008 geltend, dass die Übelkeit wahrscheinlich folgenlos geblieben wäre, wäre er im Büro gewesen. Im Übrigen spreche der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Luftverhältnisse bei A ursächlich für das plötzliche Unwohlsein gewesen seien.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. August 2008 zurück.
Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben und geltend gemacht, die Argumentation der Beklagten sei unzutreffend. Zwar leide er unter einem niedrigen Blutdruck, dieser sei aber nicht krankhaft erniedrigt und daher nicht behandlungsbedürftig. Auch habe er seit seiner Kindheit keine Ohnmachten mehr erlitten. Im Übrigen liege hier nach der Legaldefinition ein Unfallgeschehen vor, da der Unfall nicht im dem plötzlichen Unwohlsein, sondern in dem Sturz zu sehen sei. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 18. März 2009 hat er zum Unfallgeschehen angegeben, am Unfalltag sei ihm plötzlich übel geworden. Innerhalb weniger Minuten sei ihm so übel gewesen, dass er nicht mehr habe stehen können. Er sei dann noch um eine Ecke gegangen und habe sich hinsetzen wollen. Dabei habe er das Bewusstsein verloren, sei aber wohl nicht mit dem Kopf oder den Armen aufgeschlagen. Jedenfalls seien in diesem Bereich keine Verletzungen festgestellt worden. Er wisse noch, dass er in diesem Moment in der Nähe von Auslagen gewesen sei, weil eine Verkäuferin aus dieser Küchenrollen genommen habe, um sie ihm unter die Beine zu legen. Er könnte auch beim Versuch sich zu setzen, gestolpert sein. Das ganze sei in der Nähe der Kasse passiert.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 18. März 2009 abgewiesen. Ein Arbeitsunfall liege nicht vor, da es am ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem eingetretenen Gesundheitsschaden fehle. Bei dem Kläger habe eine, den Unfall jedenfalls mit kausal im Sinne der Bedingungstheorie herbeiführende, krankheitsbedingte Anlage im Sinne einer langjährigen Hypotonie vorgelegen. Der Kläger selber habe angegeben, dass es zu dem Unfallereignis und –schaden aufgrund des ohne körperliche Einwirkung von außen entstandenen Schwächeanfalls und späteren Ohnmacht gekommen sei. Insoweit bedürfe es keiner sicheren diagnostischen Einordnung der krankheitsbedingten Ablage, entscheidend sei allein der autonome Kausalverlauf im Körper des Klägers. Diese innere Ursache sei auch im Sinne der Wesentlichkeitstheorie Ursache des Unfalls, denn die betriebsbedingten Umstände – etwa warmes Wetter, schlechte Luft -, die möglicherweise bei der Verursachung des Schwächeanfalls mitgewirkt hätten, seien als reine Gelegenheitsursache im Rahmen alltäglicher Belastung anzusehen und hätten die Schwere des Unfalls nicht maßgeblich beeinflusst.
Gegen das am 05. Mai 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03. Juni 2009 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) eingelegt und sein erstinstanzliches Begehren unter Fortführung und Vertiefung seines gesamten Vorbringens aufrechterhalten. Er betont weiterhin, dass er nicht unter einer krankhaften Hypotonie leide. Ebenso wenig bestünden andere internistische Erkrankungen. Eine innere Ursache für den Sturz sei nicht vollbeweislich gesichert. Im Übrigen sei es auch möglich, dass die Verwendung von Energiesparlampen in der A Filiale am T-H-Platz und davon ausgehende schädliche Effekte ursächlich für die Übelkeit gewesen seien. Er verweist hierzu auf die Veröffentlichung „Licht in das Dunkel – krank durch Energiesparlampen“ vom O P. Weiterhin ursächlich gewesen sein könnten gesundheitsschädliche Substanzen in der Luft wie Reinigungsmittel oder Lösungsmittel. Er habe am Unfalltag zuvor noch nichts gegessen, jedoch frisch gepressten Gemüsesaft getrunken gehabt. Die medizinischen Unterlagen nach dem Unfall enthielten keinen Hinweis auf eine Unterzuckerung als eventuelle Ursache für die Übelkeit und den Sturz. Er sei vor dem Einkauf schon auf dem Postamt in der Sstraße gewesen und habe mit seinem Hund einen Waldsparziergang von etwa einer halben Stunde Dauer gemacht. Belege für den Einkauf von Bürobedarf habe er nicht, da der Unfall vor dem Bezahlen geschehen und der Einkauf also nicht abgeschlossen worden sei. Er habe eine kurze Erinnerungslücke hinsichtlich des Sturzes, d. h. er wisse nicht genau, warum und wie er gestürzt sei. Die Annahme, dass ihm einfach so übel und schwindelig geworden sei (d. h. ohne äußere Einflüsse) beruhe auf reinen Mutmaßungen. Ferner habe es in der betreffenden Filiale von A weitere ähnliche Vorfälle gegeben, insbesondere sei am 16. November 2010 Herr J S, der als Zeuge benannt werde, ohne erkennbaren Grund ebenfalls ohnmächtig geworden und habe sich verletzt.
Im Erörterungstermin vom 26. November 2010 hat der Kläger ergänzend angegeben, er habe am Unfalltag in der sehr langen Schlange vor der Kasse geraume Zeit angestanden. Er habe dann den Wagen aus der Schlange geschoben, ihn stehen lassen und sei zur Bürotür gegangen. Er habe angenommen, dass in dem Büro jemand sei, der ihm helfen könne. Seine Erinnerung ende, nachdem er an die Bürotür geklopft und sich dann von dort zur nächsten Tür begeben habe.
Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2012 zahlreiche Anträge gestellt, zu deren Inhalt auf das Protokoll der Verhandlung Bezug genommen wird.
Zur Sache beantragt der Kläger,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. Oktober 2008 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 23. Juli 2008 ein Arbeitsunfall war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Den Unfallhergang mit vorliegender innerer Ursache in Form plötzlicher Übelkeit mit kurzzeitigem Bewusstseinsverlust und nachfolgendem Sturz sehe sie auf der Grundlage der eigenen Angaben des Klägers und der vorliegenden medizinischen Berichte als nachgewiesen an. Eine sichere diagnostische Einordnung der inneren Ursache in ein bestimmtes Krankheitsbild sei ebenso wenig notwendig wie dass die auslösende innere Ursache vor dem Unfall Krankheitswert besessen habe. Im Übrigen seien die Ausführungen des Klägers zu möglichen Auslösern des Sturzes (Energiesparlampen, schlechte Luft etc.) reine Spekulation.
Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Allgemeinmedizinerin Dr. B vom 10. September 2009 nebst Ergänzung vom Januar 2010 sowie des Neurologen Dr. D B vom 07. Februar 2010 und Auskünfte der A GmbH & Co. KG vom 18. Mai sowie 04. Juni 2010 eingeholt. Des Weiteren hat der Senat ein Vorerkrankungsverzeichnis der D K AG, eine Kopie der Patientenakte der DRK Kliniken W einschließlich des Erste-Hilfe-Berichts vom 23. Juli 2008 und des Anamnese-/Statusbogens für die Unfallchirurgische und Chirurgische Klinik vom 25. Juli 2008, den Einsatzbericht der B Feuerwehr vom 13. Juli 2008 und den Rettungseinsatzbogen der B Feuerwehr vom 23. Juli 2008 beigezogen. Außerdem hat der Senat die Temperaturmesswerte für den betreffenden Tag, gemessen in T sowie in T, in den Rechtsstreit eingeführt.
Schließlich hat die Berichterstatterin die Zeuginnen B B und D S im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 26. November 2010 zu dem streitigen Ereignis befragt. Hinsichtlich des Ergebnisses der Zeugenbefragung wird auf die Anlagen 1 und 2 zum Protokoll vom 26. November 2010 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (2 Bände) und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Die fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das Urteil des SG Berlin vom 18. März 2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 15. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. Oktober 2008 sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Nach § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheits(erst)schaden oder zum Tod führen (Satz 2). Ein Arbeitsunfall eines Versicherten setzt danach voraus, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls einen gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden unmittelbaren oder mittelbaren Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Tatbestandsvoraussetzung eines Arbeitsunfalls (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts <BSG> vom 04. September 2007 - B 2 U 24/06 R -, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 24).
Alle rechtserheblichen Tatsachen bedürfen des vollen Beweises mit Ausnahme derjenigen, die einen Ursachenzusammenhang (Unfallkausalität, haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität) ergeben; für diese genügt angesichts der hier typischen Beweisschwierigkeiten die hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG in SozR 2200 § 548 Nrn. 70 und 84). Voll bewiesen sein müssen aber auch hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs immer die Ursache selbst und der ihr zuzurechnende Erfolg; die hinreichende Wahrscheinlichkeit bezieht sich nur auf die kausalen Zwischenglieder. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (Urteil des BSG vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R –, in Juris m. w. N.). Zu den voll zu beweisenden Tatsachen gehören damit z. B. die Erfüllung des Versicherungsschutztatbestandes nach §§ 2 ff SGB VII, die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, das äußere Ereignis, ein Körperschaden und die Plötzlichkeit als Unfallmerkmale. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Aufl. 2012, Randnr. 3b zu § 128 m. w. N.).
Das Ereignis vom 23. Juli 2008 stellt keinen Arbeitsunfall dar, da nicht alle der zuvor genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt als selbständiger Unternehmer nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII freiwillig versichert. Auf der Grundlage seiner eigenen Angaben kann derzeit auch davon ausgegangen werden, dass die von ihm vor und zum Unfallzeitpunkt vorgenommene Verrichtung – Einkauf von CD-/DVD-Leerhüllen für sein Büro - der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (§ 8 Abs. 2 Nr. 5 SGB VII). Durch den Sturz mag er auch einen Unfall erlitten haben. Das von außen auf den Körper einwirkende Ereignis liegt nicht nur bei einem besonders ungewöhnlichen Geschehen, sondern auch bei einem alltäglichen Vorgang, wie das Stolpern über die eigenen Füße oder das Aufschlagen auf den Boden vor, weil hierdurch ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkt (vgl. z. B. die Urteile des BSG vom 30. Januar 2007 – B 2 U 23/05 R – und 17. Februar 2009 – B 2 U 18/07 -, m. w. N., jeweils in Juris). Infolge des Sturzes hat der Kläger auch eine Verletzung des rechten OSG und damit einen Gesundheitserstschaden erlitten.
Es fehlt jedoch an der Unfallkausalität, d. h. der Kausalität zwischen der mit der versicherten Tätigkeit im inneren Zusammenhang stehenden Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis. Insoweit gilt ebenso wie für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. Urteil des BSG vom 17. Februar 2009 – B 2 U 18/07 -, m. w. N., a. a. O.).
Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/07 R -, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Da Verschulden bei der Prüfung eines Versicherungsfalles in der gesetzlichen Unfallversicherung unbeachtlich ist, weil verbotswidriges Handeln einen Versicherungsfall nicht ausschließt (§ 7 Abs. 2 SGB VII), erfolgt im Sozialrecht diese Unterscheidung und Zurechnung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Nach dieser werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (grundlegend: Reichsversicherungs-amt, AN 1912, S 930 f; übernommen vom BSG in BSGE 1, 72, 76; BSGE 1, 150, 156 f; stRspr vgl. u. a. Urteile des BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R -, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, sowie vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, a. a. O.). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, a. a. O.).
Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der vorgenommenen Verrichtung – Einkauf von CD-/DVD-Leerhüllen für sein Büro – und dem Sturz des Klägers allein kann hier einen Kausalzusammenhang im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht begründen. Sonstige Indizien für einen durch die mit dem Einkauf verbundenen Handlungen des Klägers (Anstehen an der Kasse, Gehen im Markt etc.) ausgelösten Sturz liegen nicht vor. Weder sind ein schadhafter Boden, eine Unebenheit des Bodens, eine feuchte Stelle auf dem Boden, ein Hängenbleiben an Gegenständen noch ein Vertreten oder Stolpern des Klägers belegt. Der Kläger selber hat hierzu auch keine Erinnerung. Seine Mutmaßungen zum Unfallhergang (eventuelles Hängenbleiben an einer Palette) haben sich nicht erweisen lassen.
(Weitere) Zeugen, die ein Stolpern bzw. Vertreten beobachtet haben könnten, existieren nicht. Vielmehr hat die einzige Zeugin, die den Sturz gesehen hat, d. h. die damalige Kassiererin Frau B B, angegeben, der Kläger habe ihr unmittelbar vor dem Sturz noch gesagt, ihm sei nicht gut. Dann sei er mit ihr - die versuchte, ihn zu halten - umgefallen, wobei er nicht ansprechbar und ganz gelb im Gesicht gewesen sei. Ein Hängenbleiben an einer Palette konnte sie nicht bestätigen. Die Zeugin D S hat den Sturz nicht beobachtet.
Der Senat legt seiner Beurteilung des Sachverhaltes vor allem die Angaben der angehörten Zeuginnen B und S zugrunde. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeuginnen begründen könnten, lassen sich weder aus dem Vernehmungsprotokoll vom 26. November 2010 noch aus den Akten oder dem Vortrag des Klägers entnehmen.
Ausgehend von den aktenkundigen Angaben des Klägers gegenüber der Beklagten, dem Notarzt, den Ärzten in den DRK Kliniken W, dem SG und dem LSG sowie den Bekundungen der Zeuginnen B und S hat sich das Ereignis wie folgt abgespielt:
Der Kläger befand sich vor 10 Uhr am Morgen des 23. Juli 2008 in der Filiale von A am T-H-Platz, nachdem er zuvor bereits auf dem Postamt und mit dem Hund spazieren gewesen war. Zu diesem Zeitpunkt herrschte in Berlin eine Außentemperatur von ca. 20°C. Bei A stand er in der Schlange an der Kasse an, die von der Zeugin B bedient wurde. Nachdem er einige Minuten angestanden hatte, trat bei ihm eine Übelkeit auf. Der Kläger verließ die Schlange, um zur Bürotür zu gehen, weil er dort Hilfe holen wollte. Als sich dort niemand meldete, bewegte er sich wieder von der Tür weg. Danach endet seine Erinnerung. Die Zeugin B bemerkte den Vorgang und ging zu ihm hin. Bevor sie bei ihm angelangt war, sagte der Kläger noch sinngemäß zu ihr, dass ihm nicht gut sei und fiel dann um. Die Zeugin versuchte, ihn von hinten noch zu halten, stürzte aber mit ihm. Der Kläger war während des Sturzes und danach zunächst nicht ansprechbar. Jemand legte ihm Küchenrollen unter die Beine und etwas anderes unter den Kopf. Als die Zeugin S dazu kam, war der Kläger noch nicht wieder bei Bewusstsein. Die Zeugin S holte Wasser für ihn, ebenso wie ein kleines Behältnis. Dem Kläger wurde nach Wiedererlangen des Bewusstseins schlecht. Um 9:57 Uhr wurde die Feuerwehr alarmiert. Bei Eintreffen der Feuerwehr war der Kläger bei Bewusstsein. Im Einsatzbogen wurde aufgenommen „Kreislaufschwäche mit leichtem Sturz in Supermarkt“, „Pulsfrequenz 72“ und „Blutdruck 90/60“. Um 10:31 Uhr traf der Kläger mit dem Rettungswagen in der Ersten Hilfe der DRK Kliniken W ein. Dort wurde zum Hergang aufgenommen: „Heute im Supermarkt plötzliche Übelkeit, danach zusammengesackt, keine Synkope, 1 x Erbrechen von Speiseresten…“, „Symptomatik am Ehesten im Rahmen einer orthostatischen Dysregulation zu sehen.“
Für den Senat steht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 SGG), insbesondere den Aussagen der Zeugin B und den medizinischen Unterlagen (Rettungsdienst-Einsatzbogen vom 23. Juli 2008 und Erste-Hilfe-Bericht vom 23. Juli 2008) fest, dass der Kläger am 23. Juli 2008 gegen 10 Uhr eine mit Übelkeit und Bewusstseinsverlust verbundene Kreislaufschwäche mit Sturz erlitten hat. Insbesondere steht auf dieser Grundlage fest, dass dem Kläger erst übel wurde, er dann bewusstlos wurde und in der Folge stürzte. Dabei ist es – wie die Beklagte zutreffend ausführt – unerheblich, wie die Übelkeit und der Bewusstseinsverlust diagnostisch (etwa wie im Erste-Hilfe-Bericht vom 23. Juli 2008 als Orthostatische Dysregulation I95.1 ICD-10) genau einzuordnen waren. Von einer krankheitswertigen und behandlungsbedürftigen Hypotonie kann allerdings anhand des Befundberichtes der behandelnden Allgemeinmedizinerin Dr. B vom 10. September 2009 sowie der aktenkundigen Blutdruckmesswerte nicht ausgegangen werden, lediglich von einem erniedrigten bis optimalen Blutdruck. Soweit der Kläger zum Beweis der Tatsache, dass er nicht an einer Hypotonie leide, auf das Zeugnis der Frau Dr. B bzw. die Einholung eines Sachverständigengutachtens verweist, brauchte der Senat diesen Anträgen nicht nachzukommen, weil sie nicht erheblich sind, sondern der Senat vielmehr die zum Beweis angebotenen Tatsachen seiner Beurteilung zugrunde legt. Ebenso ohne Belang ist, ob der Kläger bereits zuvor derartige Zustände hatte und ob diesbezüglich eine Behandlungsbedürftigkeit vorlag. Soweit der Kläger des Weiteren die Übergehung seines Beweisangebotes aus dem Schriftsatz vom 12. April 2010 (Sachverständigengutachten) rügt, handelt es sich bei diesem Angebot nicht um einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag, da es bereits an der Benennung eines konkreten geeigneten Sachverständigen sowie des konkreten Beweisthemas fehlt.
Soweit der Kläger beantragt, die A-Filiale zum Beweis der Tatsache, dass sich an dem Ort seines Sturzes Holzpaletten befinden, an denen man leicht hängen bleiben kann, in Augenschein zu nehmen, brauchte der Senat dem mangels Erheblichkeit nicht nachzugehen. Auch wenn der Senat unterstellt, dass sich in der Nähe des Sturzortes derartige Paletten befinden (was die Zeuginnen im Übrigen bereits bestätigt haben), begründet dies nicht den Nachweis, dass der Kläger tatsächlich hängengeblieben ist. Vielmehr hat die Zeugin B ein Hängenbleiben an einer Palette oder Stolpern über eine solche gerade nicht beobachtet.
Für die am 23. Juli 2008 zum Sturz des Klägers führende Kreislaufschwäche sind äußere Ursachen nicht feststellbar. Es sind keine betriebsbedingten Umstände erkennbar, die eine Gefahrenlage geschaffen hätten, die sich in ihrem Grad von denjenigen, denen der Kläger auch im privaten Bereich ausgesetzt war, unterschieden hätte, zumal der Kläger nach eigenen Angaben auch privat in der betreffenden A-Filiale einkaufen ging und geht. So herrschten an dem betreffenden Tag zwar ausweislich der vom Senat in den Rechtsstreit eingeführten Temperaturmessprotokolle warme Temperaturen (ca. 20° C), aber morgens um kurz vor 10 Uhr noch keine Hitze. Die Zeuginnen B und S konnten keine besonderen Temperaturbedingungen erinnern. Allgemein gaben sie an, dass es im Sommer durchaus warm geworden sei in der Filiale, allerdings gerade im Bereich der Kassen kühler gewesen sei (so die Zeugin B). Im Übrigen würde es sich auch bei Hitze um eine alltägliche Bedingung handeln, der der Kläger in jeder – auch privaten Verrichtung – ausgesetzt war. Darüber hinaus ist nicht nachgewiesen, dass am 23. Juli 2008 in der fraglichen A-Filiale besondere Bedingungen etwa in Form von „schlechter“ Luft geherrscht hätten. Weder konnte der Kläger hierfür irgendeinen greifbaren Beweis führen noch konnten die Zeuginnen Anhaltspunkte liefern. Auch die Auskünfte der Firma A ergaben keine Hinweise für irgendwelche Besonderheiten der Belüftung an dem Tag. Hierbei kann im Hinblick auf den Antrag des Klägers, die betreffende Filiale zum Beweis der Behauptung, dass dort keine Oberlichter vorhanden sind, in Augenschein zu nehmen, der Beurteilung durch den Senat zugrunde gelegt werden, dass es in der Filiale keine Oberlichter i. S. v. Deckenfenstern gibt. Selbst dies unterstellt, verfügt die Filiale jedoch über eine reguläre Heizungs-/Lüftungsanlage (Auskunft der Firma A vom 18. Mai 2010), die nach der Auskunft der Firma A vom 04. Juni 2010 nicht defekt war. Des Weiteren ist zu bedenken, dass die Filiale öffentlich zugänglich ist und dort täglich zahlreiche Menschen einkaufen bzw. regulär beschäftigt sind. Das Unternehmen unterliegt ferner den üblichen Verkehrssicherungs- und Arbeitsschutzpflichten, die auch die Gewährleistung einer hinreichenden Belüftung der Betriebsräume beinhalten.
Es existieren außerdem keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dort gesundheitsschädliche Bedingungen etwa in Form von Lösungsmitteldünsten oder Strahlen von Energiesparlampen herrschten. Der Kläger ergeht sich insoweit in vagen Spekulationen. Seinem Antrag, den Heilpraktiker P zum Beweis der Tatsache zu hören, dass die bei ihm aufgetretene plötzliche Übelkeit und Ohnmacht durch Energiesparlampen ausgelöst sein können, musste so nicht nachgegangen werden. Der von ihm vorgelegte Artikel des Heilpraktikers O P, veröffentlicht auf einer von diesem selbst betriebenen Webseite www.engon.de, spiegelt keinen erst zu nehmenden und breit diskutierten wissenschaftlichen Forschungsstand wider. Darüber hinaus ist seitens des Klägers nicht dargetan worden, dass in der betreffenden A-Filiale überhaupt Energiesparlampen (und ggf. welchen Typs sowie in welcher Menge) im Einsatz waren. Selbst dies unterstellt, ließe dies keine positive Schlussfolgerung im Sinne des Klägerbegehrens zu, zumal eine bloße Möglichkeit der Verursachung von Übelkeit und Ohnmacht noch keine (hinreichende) Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs im konkreten Fall begründet.
Die Härte von Steinfußboden begründet jedenfalls keine „besondere Gefahr“ (vgl. Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 72. Ergänzungslieferung 2012, Randnr. 81 zu § 8 SGB VII). Der Kläger war auch nicht zuvor mit körperlich besonders belastenden beruflichen Verrichtungen beschäftigt, die etwa zu einer Entkräftung o. ä. Zuständen geführt haben könnten.
Entgegen der Auffassung des Klägers existiert hier auch kein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass nur eine äußere Einwirkung zu seinem Sturz geführt haben konnte. Ein solcher Beweis des ersten Anscheins ermöglicht es bei so genannten typischen Geschehensabläufen, nach der Lebenserfahrung z. B. von einer festgestellten Ursache auf einen bestimmten Erfolg oder von einem festgestellten Erfolg auf eine bestimmte Ursache zu schließen. Er setzt einen Sachverhalt voraus, der nach der Lebenserfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf hinweist und es rechtfertigt, besondere Umstände des Einzelfalls in ihrer Bedeutung zurücktreten zu lassen. Voraussetzung ist, dass der betreffende Vorgang nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten Muster abzulaufen pflegt (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. A. 2012, Randnr. 9a zu § 128). Ein solcher Ablauf liegt hier gerade nicht vor, insbesondere da der konkrete Ablauf der Ereignisse keine Hinweise für einen wesentlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Einkauf von CD-/DVD-Leerhüllen und dem Sturz des Klägers liefert, sondern vielmehr klar auf eine körperinnere Dynamik als Ursache hinweist.
Soweit der Kläger beantragt hat, den Herrn J S als Zeugen zu laden, war dem ebenfalls nicht nachzukommen. Denn dieser kann keinerlei Aussagen zu den Bedingungen in der A-Filiale am 23. Juli 2008 bzw. zum Ereignis vom 23. Juli 2008 machen. Welche Bedingungen am Tag des Sturzes des Herrn Schulze in der A-Filiale am 16. November 2010 herrschten bzw. ob irgendwelche körperinneren Ursachen für dessen Sturz existieren oder nicht, ist nicht entscheidungserheblich für den hiesigen Rechtsstreit. Gleiches gilt für den Antrag des Klägers, die Zeuginnen B und S erneut zu hören und zwar diesmal zur Frage, ob es „ähnliche“ Vorfälle gegeben hat wie die Übelkeit und Ohnmacht des Klägers.
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Soweit der Kläger gemäß § 191 2. Halbsatz SGG die – nachträgliche - Feststellung der Notwendigkeit seines persönlichen Erscheinens begehrt, bestand hierzu kein Anlass. Bei der Anordnung des persönlichen Erscheinens nach § 111 Abs. 1 SGG handelt es sich um eine prozessleitende Anordnung im Interesse der Sachverhaltsaufklärung und der Beschleunigung des Verfahrens, auf die kein Anspruch besteht (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., Randnr. 2 b zu § 111 m. w. N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, insbesondere weicht der Senat nicht von der ständigen Rechtsprechung des BSG ab (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG).