Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 10.02.2011 | |
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Aktenzeichen | L 9 KR 94/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 3 GG, § 229 SGB 5 |
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger aus den Kapitalzahlungen von 4 Lebensversicherungen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zu zahlen hat.
Der 1939 geborene Kläger war in den Jahren 1970 bis 2004 als Versicherungsvertreter für die N Lebensversicherungs-AG tätig und hatte für diese Tätigkeit beim Bezirksamt N ein Gewerbe angemeldet. Seit dem 1. November 2004 ist er als Rentner versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten.
In den Jahren 1977, 1979 und 1999 schloss er als Versicherungsnehmer insgesamt 4 Lebensversicherungen bei der N Lebensversicherungs-AG ab, welche während der gesamten Laufzeit der Verträge die jeweilige Versicherungsprämie zur Hälfte übernahm und sie dem bei ihr geführten Provisionskonto des Klägers gutschrieb. Aus steuerlichen Gründen wurden die 1977 bzw. 1979 abgeschlossenen Verträge unter Beibehaltung der vorhandenen Versicherungswerte auf eine neue vertragliche Grundlage gestellt.
Zum 1. Januar 2005 zahlte die N Lebensversicherungs-AG dem Kläger aus diesen 4 Versicherungsverträgen Kapitalleistungen i.H.v. insgesamt 160.348,39 € aus und übersandte jeweils eine diesbezügliche „Mitteilung über Versorgungsbezug“ der Beklagten. Diese errechnete eine monatliche Bemessungsgrundlage von (167.348,39 € : 120 =) 1.394,57 € und machte mit Bescheid vom 19. Januar 2005 gegenüber dem Kläger hieraus monatliche Beiträge zur Krankenversicherung i.H.v. 216,16 € (Beitragssatz 15,5 %) und zur Pflegeversicherung i.H.v. 23,71 € (Beitragssatz 1,7 %) für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2014 geltend. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 31. März 2006 zurück; wegen dessen Begründung wird auf Blatt 24 bis 27 der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Nachdem die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung des erstinstanzlichen Verfahrens übereingekommen waren, dass nur über die Beiträge zur Krankenversicherung entschieden werden solle und sie das rechtskräftige Ergebnis dieses Verfahrens auf die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung übertragen würden, wies das Sozialgericht mit Urteil vom 16. Februar 2009 die Klage ab und führte zur Begründung aus: Zu Recht habe die Beklagte nach § 237 Satz 1 Nr. 2, § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) Beiträge aus den zum 1. Januar 2005 erfolgten o.g. Kapitalzahlungen erhoben, denn diese stellten Renten der betrieblichen Altersversorgung im Sinne von § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V dar. Diese Kapitalzahlungen - unstreitig Teil der klägerischen Altersvorsorge - seien Bestandteil einer betrieblichen Gesamtversorgung. Es bestehe ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Erwerb der Leistungen aus der Lebensversicherung und der Tätigkeit des Klägers für die N Lebensversicherungs-AG, wie sich bereits aus dem von diesem vorgelegten Versicherungsschein Nr. AV 974/1 ergebe, der mit der Überschrift „Grundversicherung im Rahmen der Alters- und Hinterbliebenenversorgung der hauptberuflichen Versicherungsvertreter“ versehen sei. Für den Zusammenhang der abgeschlossenen Lebensversicherungsverträge mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers spreche auch, dass die N Versicherungs-AG jeweils die Hälfte der Beiträge übernommen habe. Unbeschadet der Unterschiede zwischen Arbeitnehmerlohn und der Vergütung der Dienste eines selbstständigen Versicherungsvertreters könne es keinen Unterschied machen, ob die Alterseinkünfte auf Beiträgen infolge einer früheren Arbeitnehmertätigkeit oder auf einem früheren beruflichen Verhältnis wie dem des Klägers zu „seinem“ Versicherungsunternehmen, für das er ausschließlich vermittelnd tätig gewesen sei, beruhten. Verfassungsrechtliche Bedenken habe die Kammer insoweit nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) existiere kein Grundsatz, demzufolge mit aus bereits der Beitragspflicht unterliegenden Einnahmen von Versicherten selbst finanzierte Versorgungsbezüge der Beitragspflicht überhaupt nicht oder jedenfalls nicht mit dem vollen Beitragssatz unterworfen werden dürften. Die Erweiterung der Beitragspflicht auf einmalige Zahlungen aus Lebensversicherungen wie den vom Kläger abgeschlossenen begegne auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes. Denn ein schutzwürdiges Vertrauen auf dem Fortbestand der Beitragsfreiheit der in Zukunft fällig werdenden einmaligen Leistungen habe angesichts der wiederholten gesetzlichen Änderung hinsichtlich der Krankenversicherungspflicht für Rentner und der Beitragspflicht von Versorgungsbezügen und Renteneinkünften nicht entstehen können. Die Beklagte habe die Beiträge auch der Höhe nach zutreffend berechnet.
Gegen dieses ihm am 25. Februar 2009 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 16. März 2009, zu deren Begründung er vorbringt: Die Kapitallebensversicherung sei nicht in einem betrieblichen Zusammenhang abgeschlossen worden, da er selbstständig und unabhängig als Versicherungsvertreter tätig gewesen sei. Bei der vom Sozialgericht in Bezug genommenen Überschrift des o.g. Versicherungsscheines handle es sich um eine Falschbezeichnung. Die selbstständigen Versicherungsvertreter seien immer mit einer klaren Distanz zum Auftraggeber tätig gewesen und mit Arbeitnehmern in keiner Weise vergleichbar. Auch wenn es grundsätzlich keine Gleichheit im Unrecht gebe, so sei im vorliegenden Fall doch festzustellen, dass seine sämtlichen ehemaligen Kollegen offenbar nicht beitragspflichtig seien. Schließlich sei die Beitragserhebung wegen Rückwirkung grundrechtswidrig, da zum Zeitpunkt des Abschlusses der Versicherungen keine Beitragspflicht bestanden habe, sondern erst im Jahre 2004 begründet worden sei. Ferner sei eine doppelte Verbeitragung nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Wie sich aus einem seine Ausgleichsansprüche nach § 89 b Handelsgesetzbuch (HGB) betreffenden Schreiben der N Lebensversicherungs-AG vom 15. November 2004 ergebe, handele es sich um bei ihm - dem Kläger - um einen atypischen Fall, so dass eine Verbeitragung nicht rechtens sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Februar 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2006 aufzuheben, soweit darin ein monatlicher Beitrag zur Krankenversicherung gefordert wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die dem Senat vorgelegen hat, verwiesen.
Der Senat durfte gemäß § 155 Abs. 4, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten dieser Vorgehensweise zugestimmt haben.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Denn die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig.
Zur Begründung verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des sozialgerichtlichen Urteils, denen er sich nach eigener Prüfung in vollem Umfange anschließt. Ergänzend weist er auf Folgendes hin:
Dass die aus den o.g. Lebensversicherungsverträgen resultierende Kapitalleistungen Bestandteil einer betrieblichen Gesamtversorgung durch die N Lebensversicherungs-AG sind und die Lebensversicherungen gerade aufgrund der früheren beruflichen Tätigkeit des Klägers für die N Lebensversicherungs-AG geschlossen wurden, kann nicht ernsthaft bestritten werden, da zahlreiche von der Klägerseite in das Verfahren eingeführten diesbezüglichen Schreiben und Dokumente der N Lebensversicherungs-AG ausdrücklich einen Zusammenhang zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung des Klägers herstellen. Dies gilt zunächst für die beiden Versicherungsscheine Nr. AV 974 und AV 974/1, welche schon ausweislich ihrer Überschrift „im Rahmen der Alters- und Hinterbliebenenversorgung der hauptberuflichen Versicherungsvertreter“ geschlossen wurden und bezüglich der weiteren vertraglichen Regelungen ebenso ausdrücklich auf „die Bestimmungen für die Alters- und Hinterbliebenenversorgung der selbstständigen hauptberuflichen Versicherungsvertreter“ verweisen. Auch der Nachtrag zum Versicherungsschein AV 974 vom 6. Februar 1997 sowie das die Umstellung der Verträge im Jahr 1999 betreffende Schreiben vom September 1999 stellen jeweils explizit den Bezug zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung der (selbstständigen) hauptberuflichen Versicherungsvertreter her. Angesichts dieser Häufung und angesichts der ausdrücklichen Bezugnahme auf die für die Alters- und Hinterbliebenenversorgung geltenden Versicherungsbestimmungen ist für eine (versehentliche) Falschbezeichnung kein Raum.
Dass die Regelungen im § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V auch für Versicherungspflichtige gelten, die ihre berufliche Tätigkeit immer nur als Selbstständige ausgeübt haben, ergibt sich bereits aus dem von der Beklagten in das Verfahren eingeführten Urteil des BSG vom 10. März 1994 (Az.: 12 RK 30/91), auf welches der Senat verweist. Nach dieser Entscheidung ist auch der Umstand, dass auf den Ausgleichsanspruch des selbstständigen Versicherungsvertreters nach § 89 b HGB anderweitige Leistungen des Unternehmers zur Altersversorgung des Versicherungsvertreters angerechnet werden, für die Beitragspflicht nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V ohne Bedeutung; diese Auffassung teilt der Senat.
Die Erhebung von Beiträgen aus Kapitalleistungen, denen vor dem 1. Januar 2004 geschlossene Lebensversicherungsverträge zugrunde liegen, verstößt auch nicht – wie vom Sozialgericht bereits zutreffend dargestellt – gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. Insbesondere begegnet die erst zum 1. Januar 2004 begründete Beitragspflicht für die am 1. Januar 2005 ausgeschüttete Versicherungsleistung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in zwei Entscheidungen aus dem Jahre 2008 hervorgehoben hat (Beschlüsse vom 28. Februar 2008, Az.: 1 BvR 2137/06, und vom 07. April 2008, Az.: 1 BvR 1924/07, beide veröffentlicht unter www.bundesverfassungsgericht.de; jeweils m.w.N.). Demzufolge beurteilt sich die Einführung der Beitragspflicht für alle nicht regelmäßig wiederkehrenden Leistungen nach den Grundsätzen über die unechte Rückwirkung von Gesetzen; denn die angegriffene Regelung greift mit Wirkung für die Zukunft in ein öffentlich-rechtliches Versicherungsverhältnis ein und gestaltet dies zum Nachteil für die betroffenen Versicherten um. Solche Regelungen sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig und genügen dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiegt.
Zwar ist das Vertrauen insbesondere der älteren und gesundheitlich beeinträchtigten Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Fortbestand einer günstigen Rechtslage in der Regel hoch einzuschätzen. Vorliegend ist dieses Vertrauen aber nur eingeschränkt schutzwürdig, weil die ihm zugrunde liegende Rechtslage nicht für die Zukunft gesichert erscheinen konnte. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung steht bereits seit langem unter erheblichem Kostendruck. Angesichts der vielfältigen Bemühungen des Gesetzgebers in den vergangenen Jahren, sowohl auf der Einnahmenseite als auch auf der Ausgabenseite auf Gefährdungen des Systems zu reagieren, konnten die Versicherten in den Fortbestand privilegierender Regelungen nicht uneingeschränkt vertrauen. Der Gesetzgeber hatte zudem bereits mit der beabsichtigten Einschränkung des Zugangs zur Krankenversicherung der Rentner (§ 5 Abs.1 Nr. 11 SGB V in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes - GSG - vom 21. Dezember 1992, BGBl I S. 2266) versucht, die Beitragslast gerade hinsichtlich der Versorgungsbezüge bei einem größeren Teil von Rentenbeziehern zu vergrößern; diesem Personenkreis sollte nur noch der Zugang zur freiwilligen Krankenversicherung mit der dort geltenden umfassenden Heranziehung aller Einkünfte offen stehen. Das BVerfG hat schon bei der Beanstandung von § 5 Abs.1 Nr. 11 SGB V in der Fassung des GSG die Erhöhung der Beitragslast bei den versicherungspflichtigen Rentnern als eine Möglichkeit zur Beseitigung der verfassungswidrigen Ungleichbehandlung bezeichnet.
Zudem müssen die mit der Regelung verfolgten öffentlichen Belange im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung als gewichtiger angesehen werden. Die Regelung trägt als Teil eines im GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) enthaltenen Bündels von Maßnahmen zur Erhöhung der Beitragseinnahmen und damit zur Erhaltung der Stabilität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung bei. Diesem Gemeinwohlziel kommt große Bedeutung bei (BVerfG a.a.O.).
Auch die Entscheidung des BVerfG vom 28. September 2010 (AZ: 1 BvR 1660/08, veröffentlicht in juris) rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Nach dieser Entscheidung verstößt es gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz, dass auch Kapitalleistungen, die auf Beiträgen beruhen, die ein Arbeitnehmer nach Beendigung seiner Erwerbstätigkeit aus dem Lebensversicherungsvertrag unter Einrücken in die Stellung des Versicherungsnehmers eingezahlt hat, der Beitragspflicht nach § 229 SGB V unterworfen werden. Denn mit der Vertragsübernahme durch den Arbeitnehmer sei der Kapitallebensversicherungsvertrag vollständig aus dem betrieblichen Bezug gelöst worden und unterscheide sich hinsichtlich der dann noch erfolgten Einzahlungen nicht mehr von anderen privaten Lebensversicherungen, die nach der gesetzlichen Konzeption ausdrücklich nicht der Beitragspflicht unterliegen. Eine dieser Konstellation vergleichbare Lösung aus dem betrieblichen Bezug hat im Falle des Klägers nicht stattgefunden, da die N Lebensversicherungs-AG während der gesamten Laufzeit der Lebensversicherungsverträge die anfallenden Prämien zur Hälfte getragen hat. Einem Versicherungsnehmer, der im Rahmen der privaten Altersvorsorge die hierfür anfallenden Beiträge / Versicherungsprämien alleine aufbringt, ist der Kläger gerade nicht gleichzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Entgegen der klägerischen Auffassung sind durch die o.g. Entscheidungen des BVerfG und des BSG alle entscheidungserheblichen Rechtsfragen geklärt.