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Einkommensteuer 2011


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum 20.01.2015
Aktenzeichen 13 K 13073/14 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Am 18.1.2011 kaufte der Kläger die „medizinische Therapieliege“ C… zu einem Preis von 2.616,00 €. Nach den Angaben des Herstellers auf seiner Internetseite handelt es sich um eine automatische Thermoliege, die eine Thermomassage durchführt. Die Anwendung soll zur Unterstützung der Muskelentspannungstherapie und der phasenweise Erleichterung kleinerer Muskel- und Gelenkschmerzen, Steifigkeit und Erhöhung der Blutzirkulation führen. Die Erzeugung der Ferninfrarotstrahlung, die die Liege vornimmt, wird durch das Aufheizen von kugelförmigen Jade-Steinen mit Hilfe von Halogenlampen erreicht. Diese Kugeln sind so auf einem Schlitten in der Mitte der Liege befestigt, dass sie –in der Regel dreimal während einer 40-minütigen Standardtherapie– rechts und links der Wirbelsäule entlang geführt werden. Anschließend werden gezielt 14 bestimmte Punkte entlang der Wirbelsäule angefahren, an denen es zu einer 2-minütigen lokalen Temperaturübertragung, verbunden mit einem Akupressureffekt, kommt.

Die Aufwendungen für die Liege erklärten die Kläger in ihrer Steuererklärung 2011 als außergewöhnliche Belastungen. Der Erklärung war ein Schreiben der Fachärztin für Allgemeinmedizin D… -undatiert, aber wohl vom 29.3.2012- beigefügt, wonach dem Kläger medizinische Massagen in Form einer medizinischen Therapieliege empfohlen werden. Mit Einkommensteuerbescheid vom 14.9.2011 versagte der Beklagte die Anerkennung dieser Aufwendungen mit der Begründung, dass allgemeine Gesundheitsvorsorge nicht steuerbegünstigt und ein amtsärztliches Attest nicht vorgelegt worden sei.

Im folgenden Einspruchsverfahren legten die Kläger ein von D… am 31.10.2012 ausgestelltes ärztliches Attest vor, wonach die Klägerin seit 1997 unter Rückenschmerzen leide. Der Erwerb einer medizinischen Therapieliege sei gerechtfertigt gewesen und empfohlen worden. Er habe den Erfolg gehabt, dass keine Arbeitsunfähigkeit mehr aufgetreten sei, Arztbesuche drastisch reduziert worden seien, der Medikamentenverbauch zurückgegangen sei und vom Hausarzt keine Heil- und Hilfsmittel mehr verordnet worden seien. Ferner legten die Kläger eine amtsärztliche Bescheinigung einer Ärztin des amtsärztlichen Dienstes des Landkreises E… vom 7.12.2012 vor, die der Klägerin chronische Wirbelsäulenbeschwerden seit Jahren bestätigte und feststellte, dass die medizinische Therapieliege geeignet sei, Rückenschmerzen durch muskuläre Verspannungen zu lindern. Die Liege diene damit der Gesunderhaltung.

Mit Einspruchsentscheidung vom 3.3.2014 wies der Beklagte den Einspruch mit der Begründung zurück, dass die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen durch ein im Vorhinein bestelltes amtsärztliches Gutachten nachzuweisen sei. Die vorgelegte amtsärztliche Bescheinigung vom 7.12.2012 entspreche nicht den formellen Nachweisverlangen von § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Einkommensteuer-Durchführungsverordnung -EStDV-.

Zur Begründung ihrer Klage machen die Kläger geltend, die Therapieliege sei auf Empfehlung der Hausärztin wegen starker Rückenprobleme angeschafft worden. Nach den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 11.11.2010 (VI R 17/09, VI R 16/09) sei nicht mehr zwingend vorgeschrieben, vor Beginn einer Behandlung ein amtsärztliches Attest einzuholen. Der Nachweis könne auch später geführt werden.

Wegen der Rückenprobleme seien bis heute keine Arztbesuche oder sonstigen Indikationen mehr notwendig gewesen. Die Liege habe folglich einen riesigen Nutzen gehabt. Bei ihr handele es sich um eine anerkannte medizinische Therapieliege. Soweit der Beklagte seine Ansicht auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg stütze, müsse berücksichtigt werden, dass es sich dabei um eine Klage gegen eine Krankenkasse handle, bei der nicht zu klären gewesen sei, ob die Liege steuerlich berücksichtigt werden könne.

Die Kläger beantragen,

unter Änderung des Bescheids vom 14.9.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3.3.2014 die Einkommensteuer 2011 unter Berücksichtigung weiterer außergewöhnlicher Belastungen i.H.v. 2.616 € festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen sei formell nach § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStDV nachzuweisen. Diese Vorschrift sei in Reaktion auf die von den Klägern erwähnte Rechtsprechung eingeführt worden und entspreche der vorherigen langjährigen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis. Da die oben genannten Urteile erst am 19.1.2011 veröffentlicht worden seien und die Kläger die Liege bereits am 18.1.2011 erworben hätten, könne der Erwerb nicht im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung erfolgt sein. Bei der von den Klägern angeschafften Massageliege handle es sich um ein Hilfsmittel im weiteren Sinne, das auch von gesunden Steuerpflichten aus Gründen der Vorsorge oder zur Steigerung des Wohlbefindens genutzt würde. Wie das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in einem dasselbe Liegen-Modell betreffenden Urteil vom 19.1.2011 (L 9 KR 142/08) festgestellt habe, handle es sich bei einer C…-Massageliege um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens im Sinne des § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch -SGB V-. Aufgrund der ausdrücklichen Verweisung auf § 33 Abs. 1 SGB V in § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStDV sei sich an der sozialrechtlichen Rechtsprechung zu orientieren und nicht an der engeren Definition, die der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 6.2.2014 (VI R 61/12) aufgestellt habe.

Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung neben der Verfahrensakte die Einkommensteuerakte der Kläger (Band 2011) vorgelegen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Rechte der Kläger nicht (§ 100 Absatz 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Zu Recht hat der Beklagte die Anerkennung der geltend gemachten Aufwendungen für die Anschaffung der Massageliege als außergewöhnliche Belastungen versagt und dies auf die fehlende Ausstellung einer ärztlichen Bescheinigung vor Erwerb der Liege gestützt.

Nach § 33 Abs. 1 Einkommensteuergesetz -EStG- wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 S. 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (BFH-Urteil vom 6.2.2014, VI R 61/12, BStBl II 2014, 458).

In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten -ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung- dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl. Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne das es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 S. 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf. Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten. Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden, also medizinisch indiziert sind (BFH-Urteil vom 6.2.2014, VI R 61/12, BStBl II 2014, 458, m.w.N.).

Allerdings hat der Steuerpflichtige die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall in einer Reihe von Fällen formalisiert nachzuweisen. Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 SGB V) ist dieser Nachweis nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen; bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a bis f in einer abschließenden Aufzählung ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V). Ein solcher qualifizierter Nachweis ist -aufgrund der in § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 angeordneten verfassungsrechtlich unbedenklichen rückwirkenden Geltung des § 64 EStDV - bei medizinischen Hilfsmitteln, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens i.S. von § 33 Abs. 1 SGB V anzusehen sind (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. e EStDV), erforderlich (BFH-Urteil vom 6.2.2014, VI R 61/12, BStBl II 2014, 458, m.w.N.).

Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens i.S. von § 33 Abs. 1 SGB V sind nach der Rechtsprechung des BFH nur solche technischen Hilfen, die getragen oder mit sich geführt werden können, um sich im jeweiligen Umfeld zu bewegen, zurechtzufinden und die elementaren Grundbedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen (BFH-Urteile vom 6.2.2014, VI R 61/12, BStBl II 2014, 458 [Treppenlift] und vom 29.03.2012, VI R 21/11, BStBl II 2012, 574 [Umbau eines Hauses] unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG-)

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze wäre im Streitfall kein qualifizierter Nachweis der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen erforderlich. Bei der Massageliege handelt es sich nach den Angaben der Kläger und den Bestätigungen der Ärzte um ein medizinisches Hilfsmittel, da es dazu dient, Rückenbeschwerden zu lindern oder zu heilen. Die Liege ist kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens nach der vom BFH aufgestellten Definition, da sie die Kläger nicht mit sich führen, um sich im jeweiligen Umfeld zu bewegen, zurechtzufinden und die elementaren Grundbedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen.

Dieser Rechtsprechung folgt das Gericht nicht, da die Definition des BFH zum allgemeinen Gebrauchsgegenstand zu eng gefasst ist und nur Teilaspekte der einschlägigen Rechtsprechung des BSG berücksichtigt.

Die vom BFH als Legaldefinition bezeichnete Auslegung des Begriffs des allgemeinen Gebrauchsgegenstandes kann nach Auffassung des Gerichts nicht für alle in Betracht kommenden medizinischen Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V maßgeblich sein. Denn das Urteil des BSG vom 6.8.1998 (B 3 KR 14/97 R), auf das der BFH in seinen beiden einschlägigen Entscheidungen (VI R 61/12 und VI R 21/11) Bezug nimmt, hat die in das Steuerrecht übernommene Definition nur für die Hilfsmittel des „Behinderungsausgleichs“ (konkret ging es um einen Treppenlift und Hausumbau) aufgestellt. § 33 Abs. 1 SGB V erfasst aber neben den Hilfsmitteln, die auf Vorbeugung oder Ausgleich einer Behinderung gerichtet sind noch andere Hilfsmittel, nämlich solche, die den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern sollen. Die Definition des BFH ist für diese Fälle zu eng gefasst, da es nicht in jedem Fall darauf ankommen kann, ob das Hilfsmittel mit sich geführt wird. Hierfür spricht die sozialrechtliche Rechtsprechung, welche von einem weiten Typusbegriff des allgemeinen Gebrauchsgegenstandes ausgeht und auf die Zweckbestimmung des Hilfsmittels aus Hersteller- und Benutzersicht abstellt (BSG-Urteil vom 16.9.1999, B 3 KR 1/99, juris Rn. 14, zum Luftreinigungsgerät). Danach sind Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt werden, nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen; das gilt selbst dann, wenn sie millionenfach verbreitet sind (z.B. Brillen, Hörgeräte). Umgekehrt ist ein Gegenstand auch trotz geringer Verbreitung in der Bevölkerung und trotz hohen Verkaufspreises als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen, wenn er schon von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte gedacht ist. Unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechungsgrundsätze ist das Landesozialgericht Berlin-Brandenburg im Falle einer C…-Massageliege zu dem Ergebnis gekommen, bei dieser handle es sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V, weil es sich um ein „Wellness-Produkt“ handle, welches nicht speziell für kranke oder behinderte Menschen konzipiert worden sei (Urteil vom 19.1.2011, L 9 KR 142/08, juris).

Dieser auf Grundlage der BSG-Rechtsprechung zu § 33 Abs. 1 SGB V getroffenen Einschätzung folgt das Gericht, da die Liege sowohl von Gesunden als auch Kranken genutzt werden kann und soll und nur dieses Kriterium -im Gegensatz zum Tragenkönnen oder Mitsichführen- eine sachgerechte Einordnung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand ermöglicht. Die öffentliche Anpreisung der Liege ist sowohl auf kranke als auch gesunde Menschen ausgerichtet. So ist auf der Internetseite einer F… C…-Niederlassung, bei der die Kläger die Liege erworben haben, davon die Rede, dass die Gesundheit über die ganze Welt verstreut werden solle und „wir“ dafür sorgen, dass Sie sich wohlfühlen und gesund bleiben. Eine spezielle Ausrichtung auf Krankenbehandlungen kann das Gericht darin nicht erkennen.

Die Zwangläufigkeit war nach alledem formell durch ein vor dem Erwerb der Liege zu erbringendes amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nachzuweisen (§ 64 Abs. 1 S. 2 EStDV). Dies ist nicht geschehen, so dass der Abzug der Aufwendungen für die Liege als außergewöhnliche Belastungen nicht möglich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war im Hinblick auf die weitere Auslegung des Begriffs des allgemeinen Gebrauchsgegenstandgegenstandes des täglichen Lebens durch das BSG (Urteil vom 16.9.1999, B 3 KR 1/99) -der das Gericht gefolgt ist- im Vergleich zum BFH (Urteile vom 6.2.2014, VI R 61/12 und 29.3.202, VI R 21/11) gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen.