Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 10.01.2012 | |
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Aktenzeichen | L 1 KR 281/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 200 Abs 1 RVO, § 44 Abs 1 SGB 5 |
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren.
Die Revision wird zugelassen.
Im Streit zwischen den Beteiligen ist ein Anspruch auf Mutterschaftsgeld der Klägerin für die Zeit vom 10. Januar 2009 bis zum 01. Mai 2009.
Die im Jahre 1966 geborene Klägerin war bei der M GmbH in B tätig und bei der AOK Niedersachsen pflichtversichert. Dieses Beschäftigungsverhältnis endete aufgrund einer vorherigen Befristung am 09. Januar 2009. Seit 10. Januar 2009 ist sie freiwilliges Mitglied der Beklagten.
Am 13. Januar 2009 bescheinigte ihre behandelnde Frauenärztin auf dem entsprechenden Formblatt den mutmaßlichen Tag der Entbindung auf den 21. Februar 2009. Die seit dem 09. Oktober 2008 mit Wirkung zum 10. Januar 2009 arbeitslos gemeldete Klägerin hatte gegenüber der beigeladenen Bundesagentur für Arbeit angegeben, wegen der bestehenden Schwangerschaft könne sie bestimmte Beschäftigungen nicht mehr bzw. nur zeitlich eingeschränkt ausüben. Diesen Antrag lehnte die Beigeladene mit Bescheid vom 11. Februar 2009 ab: Der Leistungsanspruch ruhe, da ein Anspruch auf Mutterschaftsgeld ab dem 10. Januar 2009 zuerkannt worden sei. Die Beigeladene bescheinigte, dass bei Bestehen des Anspruchs ein Bemessungsentgelt von 41,90 Euro eine entsprechende Leistungshöhe von 11,63 Euro täglich ergeben würde.
Den Antrag auf Mutterschaftsgeld lehnte die Beklagte mit Bescheid ohne Rechtsmittelbelehrung vom 11. Februar 2009 ab: Die Klägerin gehöre nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis, da sie nicht mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert sei.
Das Kind der Klägerin wurde am 06. März 2009 geboren und die Klägerin erhielt Elterngeld in Höhe von 518,36 Euro monatlich.
Die Klägerin legte am 16. November Widerspruch gegen den Versagungsbescheid ein und hat mit der am 20. November 2009 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage die Zahlung von Mutterschaftsgeld begehrt. Die Beklagte ist dem unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid entgegengetreten. Sie hat während des Klageverfahrens das Widerspruchsverfahren durchgeführt und den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 02. Februar 2010 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 19. August 2011 verurteilt, der Klägerin unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide Mutterschaftsgeld vom 10. Januar 2009 bis 01. Mai 2009 zu zahlen. Die Klägerin gehöre zu dem Personenkreis, dem nach § 200 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung - RVO - Mutterschaftsgeld zustehe. Dies ergebe sich aus § 44 Abs. 1 1. Alternative Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V -. Sie gehöre nicht zu den Personengruppen gemäß § 44 Abs. 2 Nrn. 1 bis 4 SGB V. Aufgrund ihrer Arbeitslosmeldung habe die vom Bundessozialgericht - BSG - geforderte fortbestehende Beziehung zum Erwerbsleben (Hinweis auf Urteil des BSG vom 08. August 1995 - 1 RK 21/49) weiter bestanden. Durch die rechtmäßige und bestandskräftige Ablehnung von Arbeitslosengeld bestünde keine Sicherung gegen den durch die Mutterschaft bedingten Ausfall von Erwerbseinkommen. Diese Sicherungslücke müsse durch die Gewährung von Mutterschaftsgeld nach § 200 Abs. 1 1. Alternative RVO geschlossen werden. Ein anderes Ergebnis verstieße gegen Art. 6 Abs. 4 Grundgesetz.
Gegen dieses der Beklagten am 24. August 2011 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 23. September 2011, mit der sie ihre Auffassung wiederholt und vertieft, zwar gehörten nach dem Wortlaut des § 44 Abs. 1 SGB V alle Versicherten zu dem Personenkreis, der grundsätzlich Anspruch auf Krankengeld habe. Hierbei handele es sich jedoch um ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers, wie sich in § 53 SGB V zeige.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. August 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen, insbesondere bezüglich des Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakten sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Der Senat sieht zunächst von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da er die Berufung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Dies ist schon deshalb zweckmäßig, weil die Beklagte im Wesentlichen die Argumentation aus den angefochtenen Bescheiden im Berufungsverfahren wiederholt hat.
Die Vertiefung dieses Vorbringens im Berufungsverfahren gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung:
Die grammatikalische Auslegung des § 44 Abs. 1 SGB V ergibt, dies gesteht die Beklagte zu, dass im Gegensatz zu früherem Recht nicht mehr zwischen verschiedenen Versichertengruppen unterschieden wird. Vielmehr sollen jetzt „Versicherte“, also alle Versicherten, Anspruch auf Krankengeld haben, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär behandelt werden.
Die systematische Auslegung hingegen, der Beklagten ist insoweit grundsätzlich zuzustimmen, zeigt, dass es von dem Postulat des § 44 Abs. 1 SGB V durchaus Ausnahmen als lex specialis gibt, nämlich für bestimmte Personengruppen in der Künstlersozialversicherung (§ 53 Abs. 6 SGB V) sowie für die in § 44 Abs. 2 SGB V genannten Personen.
Für eine erweiternde Auslegung dieser Ausnahmeregelungen gegen den Wortlaut des Gesetzes jedoch sieht der Senat, ebenso wie das Sozialgericht, keine Veranlassung. Die Klägerin gehört eindeutig weder zur Künstlersozialversicherung noch zu den Personengruppen des § 44 Abs. 2 SGB V. Sie hätte anders als die dort genannten Personen keine Möglichkeit, durch Wahltarife einen Krankengeldanspruch zu erwerben mit dem Ergebnis, dass sie als werdende Mutter und in der unmittelbar auf die Geburt folgenden Zeit ohne Kranken- bzw. Mutterschaftsgeld bliebe und wegen der sich aus der Schwangerschaft ergebenden Vermittlungsprobleme auf dem Arbeitsmarkt auch kein Arbeitslosengeld beziehen könnte. Zu beachten ist ferner, dass Ausnahmeregelungen grundsätzlich eng auszulegen sind.
Dass der Gesetzgeber dieses, wie das Sozialgericht zu Recht darlegt, verfassungsrechtlich bedenkliche Ergebnis gewollt hat, erschließt sich dem Senat auch im Wege der teleologischen Auslegung unter Beachtung der von der Beklagten zitierten Zitate aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; sie entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision wird gemäß § 160 Abs. 2 SGG zugelassen. Da nach dem Vortrag der Beklagten die Spitzenverbände der Krankenversicherung deren Auffassung teilen, liegt eine grundsätzliche Bedeutung vor.