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Entscheidung 6 Sa 2330/10


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 5. Kammer Entscheidungsdatum 04.03.2011
Aktenzeichen 6 Sa 2330/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 615 S 3 BGB, § 22 Abs 1 UAbs 1 S 3 MTV-DP

Leitsatz

1. Der Arbeitgeber trägt gem. § 615 Satz 3 BGB das Risiko, wenn er eine tarifvertragliche Verlängerung der Arbeitszeit infolge einer Verkürzung bezahlter Pausenzeiten wegen Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erst zu einem späteren Zeitpunkt durch einen neuen Dienstplan umsetzen kann.

2. Es stellt einen Verstoß gegen den arbeitsvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz dar, wenn der Arbeitgeber sich darauf beschränkt, durch eine verzögerte Umsetzung einer tarifvertraglichen Arbeitszeitverlängerung entstandene Minuszeiten lediglich mit vorhandenen Arbeitszeitguthaben der Arbeitnehmer und damit in unterschiedlicher Höhe zu verrechnen.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 14.09.2010 – 2 Ca 1261/09 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin steht als Codiererin mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 28 Stunden in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten, auf das deren Tarifverträge kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung finden.

Bis zum 31. März 2008 sah TV Nr. 111 eine Erholungszeit von 3,50 Minuten pro Stunde vor, wovon 3,14 Minuten als bezahlte Kurzpause galten. Durch TV Nr. 142a wurden Erholungszeit und Kurzpausenanteil mit Wirkung vom 1. April 2008 auf 2,25 bzw. 2,03 Minuten pro Stunde gekürzt. Die sich daraus ergebene Verlängerung der Arbeitszeit wurde für die Betriebsstätte der Klägerin erst durch neue Dienstpläne ab 1. August 2008 umgesetzt. Das sich daraus errechnende Arbeitszeitminus von 8,96 Stunden brachte die Beklagte unter dem 31. Oktober 2008 von dem zu dieser Zeit auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin ausgewiesenen Guthaben von 10,37 Stunden in dieser Höhe in Abzug, wogegen sich die Klägerin mit Schreiben vom 18. Dezember 2008 wandte.

Das Arbeitsgericht Neuruppin hat die Beklagte verurteilt, auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin eine Zeitgutschrift von 10,37 Stunden vorzunehmen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte für eine korrekte Einarbeitung der verkürzten Kurzpausen in die Dienstpläne beweisfällig geblieben sei, weshalb der Vortrag der Klägerin als richtig zu unterstellen sei, dass sich nach dem 31. März 2008 zunächst keine Änderung ihrer Tätigkeit ergeben habe. Außerdem hätte die Beklagte mit einer einseitigen Änderung der Dienstpläne gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verstoßen, wodurch sich die Rechtsstellung der Klägerin nicht hätte verschlechtert werden dürfen.

Gegen dieses ihr am 6. Oktober 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 4. November 2010 eingelegte und am 6. Januar 2011 nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist begründete Berufung der Beklagten. Sie betont, die bisherigen Dienstpläne gerade nicht einseitig an die neuen tarifvertraglichen Regelungen angepasst zu haben. Dies habe zur Folge gehabt, dass die Klägerin weniger als die geschuldete Wochenarbeitszeit erbracht habe. Diese Arbeitszeitschuld sei entweder gemäß § 22 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 3 MTV–DP AG innerhalb von 12 Monaten nachzuarbeiten gewesen oder hätte mit bereits erbrachten Arbeitszeiten verrechnet werden können. Soweit es in unterschiedlichem Umfang zu Kürzungen der Arbeitszeitkonten gekommen sei, beruhe dies darauf, dass sich nur im Umfang der jeweiligen Zeitguthaben gleichartige Forderungen gegenüber gestanden hätten. Sie sei der Klägerin gegenüber nicht verpflichtet, ihre Rechte gegenüber anderen Arbeitnehmern geltend zu machen, sofern überhaupt die rechtliche Möglichkeit eines Minussaldos auf den Arbeitszeitkonten bestehe.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, in der Zeit ab 1. April 2008 nicht weniger gearbeitet zu haben als zuvor. Lediglich der bezahlte Anteil der gleich langen Pause habe sich verringert. Für eine Anwendung des § 22 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 3 MTV–DP AG sei deshalb kein Raum. Die Klägerin verweist auf zwei gleich gelagerte Fälle, in denen eine andere Kammer des LAG Berlin-Brandenburg einen Verstoß gegen den arbeitsvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz darin gesehen habe, dass die Beklagte ihre Arbeitnehmer je nach Stand des Arbeitszeitkontos im Kürzungszeitpunkt unterschiedlich behandelt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Zu der vom Gericht im Verhandlungstermin angesprochenen Frage des Annahmeverzuges hat die Beklagte um Schriftsatznachlass gebeten.

Entscheidungsgründe

1. Die Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin kann von der Beklagten verlangen, ihrem Arbeitszeitkonto die unter dem 31. Oktober 2008 gestrichenen 10,37 Stunden wieder gutzuschreiben.

1.1 Im Umfang von 1,41 Stunden ergab sich dies bereits daraus, dass sich das von der Beklagten auf der Grundlage der tarifvertraglichen Neuregelung errechnete Arbeitszeitminus bei der Klägerin auf lediglich 8,96 Stunden belaufen hat.

1.2 Es war nicht erkennbar, dass das am 31. Oktober 2008 auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin ausgewiesene Guthaben im Umfang dieser 8,96 Stunden in der Zeit vom 1. April bis 31. Juli 2008 dadurch entstanden ist, dass die Klägerin an einer Vielzahl einzelner Tage über die zunächst unverändert gebliebene dienstplanmäßige Arbeitszeit hinaus wegen gesteigerten Arbeitsanfalls gearbeitet hat. Dann allerdings hätte die entsprechende Zeitgutschrift eine schlichte Fehlbuchung dargestellt, weil die Klägerin nach dem am 1. April 2008 in Kraft getretenen TV Nr. 142a eine um 1,11 Minuten pro Stunde längere Arbeitszeit schuldete. Hatte sich die Überschreitung der dienstplanmäßigen Arbeitszeit dagegen auf wenige Tage konzentriert oder hatte die Klägerin ihr Guthaben in der Zeit vor dem 1. April oder nach dem 31. Juli 2008 erworben, hätte nur eine entsprechend geringere oder gar keine Fehlbuchung vorgelegen.

1.3 Der mit einem Guthaben von 10,37 Stunden auf ihrem Arbeitszeitkonto von der Beklagten ausgewiesene Anspruch der Klägerin auf entsprechende Freistellung für vorgeleistete Arbeit (dazu BAG Urteil vom 19.03.2008 – 5 AZR 328/07 – AP BGB § 611 Feiertagsvergütung Nr. 1 R 10) ist von der Beklagten nicht einmal teilweise zum Erlöschen gebracht worden.

Die Beklagte konnte die vorgenommene Streichung des Zeitguthabens der Klägerin nicht auf § 22 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 3 MTV–DP AG stützen, wonach eine abweichende Einteilung der regelmäßigen Arbeitszeit innerhalb von 12 Monaten auszugleichen ist. Sofern diese Vorschrift überhaupt den Fall erfasst, dass es in Folge einer abweichenden Einteilung der regelmäßigen Arbeitszeit zu deren Unterschreitung gekommen ist, scheiterte ein Ausgleich im vorliegenden Fall doch daran, dass es zu dieser Unterschreitung dadurch gekommen war, dass die Beklagte aus Gründen der zwingenden Mitbestimmung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BetrVG gehindert gewesen war, die Klägerin zu einer der tarifvertraglichen Neuregelung entsprechenden zeitlichen Mehrarbeit einzuteilen. Damit hatte sich das von ihr gem. § 615 Satz 3 BGB zu tragende Risiko eines Arbeitsausfalls verwirklicht, das auch den Fall einer rückwirkenden tarifvertraglichen Neuregelung umfasst. Folge war eine entsprechende Anwendung von Satz 1 dieser Bestimmung. Danach behält der Arbeitnehmer als zur Arbeitsleistung Verpflichteter nicht nur seinen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung, sondern ist er auch nicht zur Nachleistung verpflichtet.

Zu dieser Frage über die mündlichen Erörterungen hinaus auch noch schriftsätzlich Stellung zu nehmen, brauchte der Beklagten nicht gem. § 139 Abs. 1 ZPO nachgelassen zu werden, weil der Klage ohnehin noch aus einem weiteren Grunde stattzugeben war.

1.4 Der Anspruch der Klägerin auf die begehrte Zeitgutschrift im Umfang von 8,96 Stunden ergab sich zumindest aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes.

1.4.1 Dieser inzwischen gewohnheitsrechtlich und auch vom Gesetzgeber in § 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG anerkannte Grundsatz verbietet bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers eine sachwidrige Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen und gibt einem solcherart benachteiligten Arbeitnehmer einen Anspruch auf die entsprechende Leistung (BAG, Urteil vom 14.03.2007 – 5 AZR 420/06 – BAGE 122, 1 = AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 204 zu II 2a der Gründe). Einer freiwilligen Leistung steht es gleich, wenn der Arbeitgeber bestehende Ansprüche nur gegenüber einzelnen oder einer Gruppe von Arbeitnehmern geltend gemacht hat (vgl. BAG, Urteil vom 26.10.1995 – 6 AZR 125/95 – BAGE 81, 207 = AP BAT-O § 1 Nr. 7 zu I 2b bb der Gründe).

1.4.2 So verhielt es sich im vorliegenden Fall.

1.4.2.1 Die Beklagte hat ihre vermeintlichen Ansprüche erkennbar nur in Höhe des jeweiligen Arbeitszeitguthabens der Arbeitnehmer mit Stand 31. Oktober 2008 im Wege von dessen entsprechender Kürzung durchzusetzen versucht. Damit hat sie zugleich von der Geltendmachung weitergehender Ansprüche abgesehen, die dadurch mit Ablauf der sechsmonatigen Ausschlussfrist des § 38 Abs. 1 Satz 1 MTV-DP AG erloschen sind.

1.4.2.2 Dieses Vorgehen der Beklagten war der Kammer aufgrund des eigenen Aktenbildes erkennbar. Eine Bestätigung ergab sich aus einem weiteren, gleichzeitig verhandelten Verfahren zum Aktenzeichen 6 Sa 2231/10. Damit war die Praxis der Beklagten bereits gerichtskundig i.S.v. § 291 ZPO, was eine entsprechende Darlegung der Klägerin sogar entbehrlich gemacht hätte (vgl. Saenger, ZPO, 4. Aufl. 2011, § 291 R 10; Musielak/Huber, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 291 R 4 F 14; MK-ZPO/Prütting, 3. Aufl. 2007, § 291 R 13). Diese hat sich indessen mit ihrer Berufungserwiderung ebenfalls auf ein solches Vorgehen der Beklagten unter Bezugnahme auf zwei Entscheidungen der Kammer 9 vom 12. November 2010 – 9 Sa 1239/10 und 9 Sa 1240/10 – berufen. Schließlich hat die Beklagte dies ihrerseits dadurch bestätigt, dass sie zu ihrer Rechtfertigung vorgebracht hat, es hätten sich nur im Umfang der jeweiligen Zeitguthaben gleichartige Forderungen gegenüber gestanden.

1.4.2.3 Einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung hat die Beklagte nicht anzuführen vermocht (ebenso in einem ähnlich gelagerten Fall LAG Hamm vom 16.12.2009 - 18 Sa 985/09 - zu I 2 b aa (2) der Gründe). Dass andere Arbeitnehmer über kein oder nur ein geringeres Arbeitszeitguthaben als die Klägerin verfügten, hätte die Beklagte nicht gehindert, von diesen wegen Unterschreitung der tarifvertraglichen Arbeitszeit etwa rechtsgrundlos gezahlte Arbeitsvergütung gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurückzuverlangen. Dies hat sie jedoch nicht einmal vorsorglich getan, nachdem sich die Klägerin gegen die Streichung ihres Arbeitszeitguthabens gewandt hatte. Soweit die Beklagte gemeint hat, es könne durch das Gebot der Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB gerechtfertigt sein, niemanden in einen arbeitszeitlichen Schuldsaldo zu treiben, insbesondere wenn es um die Folgen einer tarifvertraglichen Reduzierung bezahlter Pausenanteile gehe, hätte dies keinesfalls ausgeschlossen, zumindest noch solche Neuguthaben zu berücksichtigen, die in der Folgezeit im Rahmen der tarifvertraglichen Ausschlussfrist erworben wurden. Dementsprechend hat die Beklagte selbst ausgeführt, die Arbeitszeitschuld sei entweder gem. § 22 Abs. 1 u Abs. 1 Satz 3 MTV-DP AG innerhalb von 12 Monaten nachzuarbeiten gewesen oder hätte mit bereits erbrachten Arbeitszeiten verrechnet werden können.

2. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt.