Gericht | VG Frankfurt (Oder) 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 17.06.2020 | |
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Aktenzeichen | 6 K 741/13.A | ECLI | ECLI:DE:VGFRANK:2020:0617.6K741.13.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Kläger, eine alleinerziehende Mutter und ihre 1997, 2001 und 2010 geborenen Kinder, sind russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens. Sie reisten eigenen Angaben zufolge am 25. Juli 2012 auf dem Landweg nach Deutschland ein, wo sie am 7. August 2012 einen Asylantrag stellten.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden auch: Bundesamt) vom 4. Juni 2013 (Az.: ) lehnte die Beklagte die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes (in der seinerzeit maßgeblichen Fassung) nicht vorliegen und forderte die Kläger unter Androhung der Abschiebung in die Russische Föderation zur Ausreise binnen 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung auf.
Mit ihrer am 19. Juni 2013 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie beziehen sich auf ihren bisherigen Vortrag, den sie zum Teil ergänzen. Demnach seien fluchtursächlich folgende Umstände gewesen:
Die Kläger würden verfolgt, weil der Vater der Kläger zu 2. bis 4., mit dem die Klägerin zu 1. nach islamischem Ritus, aber nicht nach staatlichem Recht verheiratet gewesen sei, ein Kämpfer in beiden Kriegen gewesen sei. Er habe die jetzigen Kämpfer, die sich im Wald aufhielten, unterstützt und ihnen Essen gebracht. Nachdem jemand ihn verraten hätte, seien Unbekannte – etwa 10 maskierte Männer – am 5. August 2010 zu der Familie nach Hause gekommen und hätten den Mann vor den Augen der Kläger zu 1. bis 3. getötet. Als weitere Machtdemonstration hätten die Männer auch den Hund der Familie erschossen. Zuvor sei der Mann im Juli 2010 mitgenommen und zusammengeschlagen worden. Die Unbekannten hätten außerdem mit der Tötung der Kinder gedroht, falls die Klägerin zu 1. nicht verraten würde, wer die anderen Kämpfer seien, die sich im Wald aufhielten. Sie habe zwar nicht gewusst, wer die Kämpfer sind und wo sie sich aufhalten, sich aber gedacht, dass ihr Mann mit den Kämpfern im Kontakt gestanden habe. Nach der Tötung des Mannes bzw. Vaters hätte die Familie zunächst weiter in G… gelebt. Anfang 2011 wären die Kläger zu 2. und 3. zu ihrer Großmutter nach V… gezogen; Mitte 2011 hätten sich auch die Klägerinnen zu 1. und 4. dorthin zu der Familie begeben, weil sie die Situation nicht mehr ausgehalten hätten. Zudem hätten die Kläger veranlasst, dass der Familienname der Kläger zu 2. bis 4. geändert werde. Auch an dem neuen Wohnort in Verdi und trotz der Namensänderung seien die maskierten Personen etwa drei Mal monatlich aufgetaucht und hätten Todesdrohungen ausgesprochen. Mithilfe eines Freundes ihres Mannes bzw. Vaters seien die Kläger Anfang 2012 zunächst in die Ukraine ausgereist und von dort nach etwa sechs Monaten von jenem Freund nach Deutschland gebracht worden. Wirtschaftlich sei es den Klägern in Russland gut gegangen. Die Klägerin zu 1. hätte auf dem Bau Spachtel-, Stukkateur- und Malerarbeiten ausgeführt, mit denen sie innerhalb von zwei Wochen 40.000,00 Rubel verdient hätte. Diese Arbeiten hätte sie im gesamten Jahr 2011 ausgeführt.
Nachdem die Kläger die Klage mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2019 zurückgenommen haben, soweit sie ursprünglich auch die Anerkennung als Asylberechtigte begehrt hatten, beantragen sie nunmehr,
die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 2. bis 4. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. Juni 2013 (Az.: ) zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise festzustellen, dass in ihren Personen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Asylakte des Bundesamtes (Az.: ) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist. Ergänzend wird auch auf den Inhalt der Gerichtsakte VG 6 K 740/13.A und der dazugehörigen Asylakte des Bundesamtes (Az.: ), betreffend eine weitere Tochter der Klägerin zu 1., verwiesen, die ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der begehrten Schutzrechte, sodass sie durch die ablehnende Entscheidung nicht in ihren Rechten verletzt sind (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Flüchtlingseigenschaft ist den Klägern nicht zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Dabei sind Verfolgungshandlungen solche, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (§ 3 a Abs. 1 AsylG). Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft jedoch nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat (§ 3 e Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AsylG) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3 e Abs. 1 Nr. 2 AsylG).
Gemessen an diesen Bestimmungen sind die Voraussetzungen für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft selbst bei Wahrunterstellung der klägerischen Angaben nicht erfüllt.
Zweifelhaft ist bereits, ob die behauptete Bedrohung durch Sicherheitskräfte an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale anknüpft. Denn insbesondere ein Bezug zu einer eigenen politischen Überzeugung der Kläger drängt sich jedenfalls nicht ohne weiteres auf, weil vielmehr an die frühere Tätigkeit des Mannes bzw. Vaters der Kläger als separatistischer Kämpfer angeknüpft wird. Die Kläger sollen gewissermaßen als Zeugen in Betracht kommen, ohne dass erkennbar ist, dass ihnen selbst von den Verfolgern das Merkmal einer eigenen politischen Überzeugung zugeschrieben wird (vgl. § 3 b Abs. 2 AsylG). Auch erscheint die Drohung mit dem Tod zwar grundsätzlich geeignet, eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3 a AsylG darzustellen, wenn sie ernst gemeint ist, wovon die Kläger nach der bereits erfolgten Tötung des Mannes bzw. Vaters offenbar ausgingen. Aber einer Ernsthaftigkeit dieser Drohung, die die Eingriffsintensität in Frage stellen könnte, steht entgegen, dass sie über einen Zeitraum von etwa anderthalb Jahren in regelmäßigen Abständen ausgesprochen worden ist, ohne dass dieser Drohung erkennbar Taten folgten, etwa in Form von Verhaftungen, Verhören auf der Polizeiwache oder ähnlichem.
Dies kann jedoch offenbleiben, weil einer Flüchtlingsanerkennung jedenfalls § 3 e Abs. 1 AsylG entgegensteht. Ein interner Schutz im Sinne dieser Norm besteht für die Kläger.
Sie haben die Möglichkeit, außerhalb Tschetscheniens in anderen Regionen der Russischen Föderation Schutz zu finden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ethnische Tschetschenen außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien in anderen Landesteilen der Russischen Föderation sicher leben können (vgl. etwa Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Juli 2019 - OVG 12 N 208.18 - n.v.; European Asylum Support Office [EASO], Informationsblatt über das Herkunftsland Russische Föderation. Die Situation der Tschetschenen in Russland, August 2018, Seite 53 unter Verweis auf einen vom Danish Immigration Service [DIS] befragten Menschenrechtsaktivisten). Anderes gilt nur dann, wenn die Verfolgung von den föderalen Sicherheitsbehörden ausgeht oder mit Übergriffen durch die tschetschenischen Sicherheitsbehörden oder sonstigen Verfolger – landesweit – gerechnet werden muss (vgl. grundlegend: Verwaltungsgericht [VG] Trier, Urteil vom 5. Juni 2019 - 1 K 9941/17.TR -).
Anhaltspunkte für ein Verfolgungsinteresse der föderalen Sicherheitsbehörden sind nicht ersichtlich; die Kläger mögen allenfalls von den lokalen tschetschenischen Sicherheitskräften Verfolgung oder ernsthaften Schaden zu befürchten haben. Zwar haben die Kläger nicht angegeben bzw. angegeben können, von wem die Verfolgung ausgegangen ist, weil es sich um Maskierte gehandelt haben soll. Nachdem die Vorfälle sich jedoch sämtlich in der Republik Tschetschenien abgespielt haben, ist mit der erforderlichen hinreichenden Gewissheit (§ 108 Abs. 1 VwGO) davon auszugehen, dass es sich jedenfalls nicht um föderale Behörden handelte. Denn grundsätzlich fallen Ermittlungen wegen terroristischer Aktivitäten, der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder logistischer Unterstützung von Aufständischen innerhalb der Russischen Föderation in die Zuständigkeit des Inlandsgeheimdienstes „Federalnaja služba bezopasnosti Rossijskoj Federacii“ (FSB), bei Bezügen zu militärischen Interessen auch in die Zuständigkeit des Militärnachrichtendienstes. In Tschetschenien ist allerdings die Verantwortlichkeit für die Eindämmung terroristischer Aktivitäten weitgehend auf die Sicherheitsbehörden der Teilrepublik übertragen worden. Die tschetschenische Außenstelle des föderalen FSB ist hiernach nur selten in Einsätze im Zusammenhang mit Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung eingebunden. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle werden derartige Operationen durch die tschetschenische Polizei oder paramilitärische Sondereinsatzkräfte durchgeführt, die sich fast ausschließlich aus tschetschenischen Volkszugehörigen rekrutieren. Eine koordinierte Zusammenarbeit zwischen tschetschenischen Sicherheitskräften und föderalen Behörden ist regelmäßig nicht zu verzeichnen. Nach den Feststellungen des Außenministeriums der Vereinigten Staaten haben russische föderale Stellen trotz eines bestehenden Überordnungsverhältnisses bestenfalls eine sehr beschränkte Kontrolle über die Sicherheitskräfte der Teilrepublik Tschetschenien, die ihrerseits nur gegenüber dem Präsidenten der Teilrepublik Kadyrow verantwortlich sind (vgl. zum Ganzen VG Trier, Urteil vom 5. Juni 2019 - 1 K 9941/17.TR - Seite 7 f. mit Nachweisen; EASO, Informationsblatt über das Herkunftsland Russische Föderation. Die Situation der Tschetschenen in Russland, August 2018, Seite 55; [österreichisches] Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 27. März 2020, Seite 27).
Es ist auch nicht damit zu rechnen, dass die föderalen Behörden die Kläger festnehmen und anschließend nach Tschetschenien überstellen werden. Derartige Festnahmen sind zwar rechtlich möglich (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation [Stand: Oktober 2019], 16. Dezember 2019, Seite 14; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 27. März 2020, Seite 93); die formalen Verfahren für solche Überstellungen sind jedoch langwierig und der Fall müsste durch Beweise untermauert werden. Die vom DIS befragten Quellen wussten entweder nichts über gerichtliche Überstellungen oder bezogen nur auf ältere Fälle aus den Jahren 2008 bis 2011 (vgl. EASO, Informationsblatt über das Herkunftsland Russische Föderation. Die Situation der Tschetschenen in Russland, August 2018, Seite 55). Die russischen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden sind oft nicht bereit, als tschetschenische Vollstrecker aufzutreten, weil sie oft skeptisch gegenüber Forderungen aus Grosny sind. Sie unterscheiden daher deutlich zwischen der Behandlung von Personen, die wegen Verbrechen in Tschetschenien gerichtlich verurteilt sind und jenen, denen nur vorgeworfen wird, Verbrechen begangen zu haben (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 27. März 2020, Seite 94; VG Cottbus, Urteil vom 15. November 2019 - 1 K 1579/18.A - juris Rn. 42). Eine Kooperation wird daher nicht in allen Fällen erfolgen. Die föderalen Behörden wollen nicht in Privatfehden verwickelt werden und handeln meistens nur dann, wenn ein vollstreckbares Gerichtsurteil vorliegt oder eine Ermittlung durch ausreichende plausible Beweise gestützt wird (Galeotti, Lizenz zum Töten? Das Risiko für Tschetschenen innerhalb Russlands, 2019, Seite 18).
Darüber hinaus ist auch nicht zu befürchten, dass es zu Festnahmen oder Übergriffen durch tschetschenische Kräfte außerhalb des Gebiets der Teilrepublik Tschetschenien kommen wird. Von derartigen Vorfällen wird zwar berichtet. Dabei handelt es sich aber um Einzelfälle. Den tschetschenischen Behörden, die die „stillschweigende Linie zwischen Hinnehmbarem und Fehlverhalten“ überschreiten, drohen nämlich sowohl offizielle als auch inoffizielle Sanktionen (Galeotti, Lizenz zum Töten? Das Risiko für Tschetschenen innerhalb Russlands, 2019, Seite 11). Daher ist es grundsätzlich für ehemalige Widerstandskämpfer und ihre Familienangehörigen faktisch unmöglich, außerhalb Tschetscheniens gefunden zu werden. Es gibt dort alle Möglichkeiten, unbemerkt zu leben (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation [ACCORD], Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation vom 31. Januar 2020, Dokument #2025028, Seite 1), sofern kein besonderes Interesse an deren Verfolgung besteht.
Hinsichtlich der Frage, in welchen Fällen ein derartiges besonderes Verfolgungsinteresse besteht, folgt die Kammer den überzeugenden Darlegungen des Historikers und Leiters des Zentrums für Europäische Sicherheit in Prag, Mark Galeotti, der in dem Wissen um die Komplexität der Materie gleichwohl hinsichtlich des Verfolgungsrisikos zwischen vier „Risikovarianten“ unterscheidet: Personen, die persönlich in das Visier von Kadyrow oder eines seiner höheren Beamten geraten sind, dürften sowohl im ganzen Gebiet der Russischen Föderation als auch im Ausland als bedroht angesehen werden, zumindest bis eine Lösung des Konflikts erreicht ist. Personen, die bereits wegen einer Straftat verurteilt wurden oder glaubhaft verdächtigt werden (selbst) ein Terrorist oder aktiver Unterstützer des Terrorismus zu sein, werden voraussichtlich in der gesamten Russischen Föderation gesucht. Personen, die wegen einer Straftat angeklagt sind, sind – sofern die Anklage nicht schwerwiegend ist – wahrscheinlich nicht Gegenstand einer aktiven Suche, wenngleich einem etwaigen Ersuchen der tschetschenischen Behörden auf Rückführung in der Regel entsprochen wird. Andere bedrohte Personen können zwar nicht nach Tschetschenien zurückkehren, aber wahrscheinlich unbehelligt leben, falls sie nicht direkt bedroht werden (Galeotti, Lizenz zum Töten? Das Risiko für Tschetschenen innerhalb Russlands, 2019, Seite 18). Diese Darlegungen sind insbesondere deshalb nachvollziehbar, weil sich Galeotti nicht ausschließlich auf allgemein zugängliche Quellen stützt, sondern durch Gespräche mit Personen in Russland, insbesondere aktiver und ehemaliger Regierungs- und Strafverfolgungsbeamter, stützt (vgl. Galeotti, Lizenz zum Töten? Das Risiko für Tschetschenen innerhalb Russlands, 2019, Seite 2) und damit eine breite Tatsachengrundlage zur Verfügung hat. Insbesondere hinsichtlich der von ihm genannten „Risikovarianten“ nimmt Galeotti auf diverse Gesprächspartner mit Insiderwissen in Russland Bezug, darunter einen Beamten des Ministeriums für Innere Angelegenheiten, Polizeibeamte in Moskau und Wladiwostok, einen Moskauer Beamten des Föderalen Migrationsdienstes, einen Kriminalberichterstatter und einen Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation für Menschenrechte (vgl. Galeotti, Lizenz zum Töten? Das Risiko für Tschetschenen innerhalb Russlands, 2019, Seite 18 Fußnote 77).
Dass Tschetschenen grundsätzlich auch außerhalb dieser Teilrepublik leben können, wird auch von der Menschenrechtsorganisation Memorial bestätigt. So gab zumindest das Büro von Memorial in Murmansk gegenüber dem Norwegian Helsinki Committee (NHC), einer weiteren Nichtregierungsorganisation, die sich für Menschenrechte einsetzt, an, dass es für Personen aus dem Nordkaukasus möglich sei, an anderen Orten in Russland zu leben. Die schlichte Anwesenheit vieler Kaukasier sei Beweis dafür. Die Frage sei, wie angenehm und einfach es für sie sei, Unterkunft und Arbeit zu finden. Zudem sei, wenn es strafrechtliche Vorwürfe gebe und diese politisch oder religiös motiviert seien, „eine interne Fluchtalternative keine Alternative“ (zit. nach ACCORD, Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation vom 31. Januar 2020, Dokument #2025028, Seite 10).
Auch aus der generell geäußerten Befürchtung des Analysten Neil Hauer (zit. nach ACCORD, Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation vom 31. Januar 2020, Dokument #2025028, Seite 2) folgt für die Kläger nichts anderes. Diesem zufolge besteht eine relativ gute Chance, eine Person zu finden, wenn die tschetschenischen Behörden diese irgendwo im Land suchen würden (vgl. auch NHC, zit. nach ACCORD, Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation vom 31. Januar 2020, Dokument #2025028, Seite 10). Denn auch dort wird das „Findenkönnen“ daran geknüpft, dass überhaupt eine Suche erfolgt, was jenseits der aufgezeigten besonders gefährdeten „Risikovarianten“ gerade nicht der Fall ist. Auch die Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH, Russland/Tschetschenien: „Ehrenmord“, Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 22. März 2019, Seite 18) stehen nicht im Widerspruch zu den übrigen Erkenntnissen. Die SFH gelangt zwar zu der Schlussfolgerung, dass die russischen Behörden die tschetschenischen Behörden (auch) außerhalb der Teilrepublik gewähren lassen würden. Diese Schlussfolgerung wird von den von der SFH genannten tatsächlichen Umständen nicht getragen. Denn die SFH verweist lediglich darauf, dass es möglich ist, dass Personen von tschetschenischen Sicherheitskräften festgehalten oder nach Tschetschenien zurückgebracht werden; zudem seien einer Kontaktperson der SFH „verschiedene Fälle“ bekannt, in denen Personen in anderen Regionen durch tschetschenische Behörden verfolgt wurden. Die beiden vorgenannten Tatsachenfeststellungen stellt die Kammer nicht in Frage. Aus der grundsätzlichen Möglichkeit eines bestimmten Vorgehens und dem Bestehen „verschiedener“ Einzelfälle lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, dass stets in jedem Fall von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird.
Soweit ein Analyst der Internationalen Krisengruppe in Moskau gegenüber dem DIS erklärte, die tschetschenische Polizei verhafte „manchmal“ Menschen in anderen Regionen Russlands und die Abteilung zur Bekämpfung von Extremismus des tschetschenischen Innenministeriums könne im ganzen Land agieren, wird als Beleg dafür lediglich der Fall einer Person genannt, die 2017 beinahe in Brjansk durch die russische Staatsanwaltschaft an tschetschenische Strafverfolgungsbeamte übergeben worden wäre, der aber die Flucht ins Ausland gelang (EASO, Bericht mit Herkunftsländerinformationen. Russische Föderation: Die Lage der Tschetschenen in Russland, August 2018, Seite 55). Dieser Fall belegt aber gerade die oben dargelegten Erkenntnisse, dass nur solche Personen, gegen die ein entsprechender föderaler Rechtsakt erlassen wurde, nach Tschetschenien überstellt werden können, denn diese Person befand sich laut einer Information von „Human Rights Watch“ vom 9. Juni 2017 wegen des Vorwurfs der Urkundenfälschung auf einer föderalen Fahndungsliste. Insofern gibt der Fall nichts zu anderen Personen her, gegen die ein derartiger Rechtsakt nicht vorliegt, und kann nicht als Anhaltspunkt für eine generelle Verfolgungsgefahr durch tschetschenische Sicherheitskräfte auf dem gesamten russischen Territorium gelten (VG Cottbus, Urteil vom 15. November 2019 - 1 K 1579/18.A - juris Rn. 42). Auch der im Bericht von ACCORD (Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation vom 31. Januar 2020, Dokument #2025028, Seite 4 ff.) beschriebene Einzelfall lässt keinen Schluss auf eine allgemeine Gefahr für tschetschenische Volkszugehörige, die mit Kämpfern in Verbindung gebracht werden, zu. Denn bei der dort genannten Person handelt es sich um den Sohn eines Bodyguards von Dudajew, dem Anführer der tschetschenischen Unabhängigkeitsbewegung und ersten tschetschenischen Präsidenten und somit um ein Mitglied einer besonders hochrangigen bzw. exponierten Familie. Hinzu kommt, dass dieser nach Angaben von Caucasian Knot (zit. nach ACCORD, Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation vom 31. Januar 2020, Dokument #2025028, Seite 6) nach der Abschiebung aus seinem Haus in einem tschetschenischen Dorf entführt wurde, was schon keine Aussage darüber treffen lässt, ob er auch in anderen Teilen der Russischen Föderation einem Entführungsrisiko ausgesetzt gewesen wäre. Dasselbe gilt schließlich auch mit Blick auf die seitens der Kläger angesprochene Tötung eines georgischen Staatsangehörigen tschetschenischer Volkszugehörigkeit in Berlin-Tiergarten im vergangenen Sommer. Auch dieser Einzelfall, der einen hochrangigen Oppositionellen betraf, lässt keine Schlussfolgerung dahingehend zu, dass tschetschenische Volkszugehörige, die mit Kämpfern in Verbindung gebracht werden, generell einem besonderen Verfolgungsrisiko auch außerhalb Tschetscheniens und sogar außerhalb der Russischen Föderation ausgesetzt wären.
Dafür, dass das Interesse der tschetschenischen Behörden an den Klägern derart groß ist, dass sie mit beachtlicher Aussicht auf Erfolg eine Festnahme und offizielle Überstellung durch die föderalen Behörden oder lokalen Behörden in anderen Landesteilen bewirken würden, oder sie inoffiziell außerhalb ihres eigenen Zuständigkeitsbereichs tätig werden könnten, sind Tatsachen weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Kläger lassen sich keiner der besonders gefährdeten „Risikovarianten“ zuordnen. Sie sind insbesondere weder selbst einer Straftat verdächtig noch gar wegen einer solchen verurteilt. Für ein allenfalls geringes Interesse spricht zudem, dass die Kläger nicht wegen eines direkten Zusammenhangs mit terroristischen Tätigkeiten gesucht werden. Denn es ging den vermeintlichen Verfolgern darum, Informationen über Kämpfer zu erhalten, ohne dass die Kläger selbst für solche gehalten worden sind. Hinzu kommt, dass die vermeintlich fluchtauslösenden Vorfälle nunmehr bereits zehn Jahre zurückliegen und die Kläger nicht zu den Personen zählen, die sich der unmittelbaren Feindschaft Kadyrows ausgesetzt haben, von der beschrieben wird, dass sie „nicht verjährt“ (Galeotti, Lizenz zum Töten? Die Gefahr für Tschetschenen innerhalb Russlands, 2019, Seite 5).
Es kann auch von den Klägern vernünftigerweise erwartet werden, sich in anderen Landesteilen niederzulassen (§ 3 e Abs. 1 Nr. 2 AsylG). In der Russischen Föderation besteht für alle Staatsangehörigen, mithin auch für Tschetschenen, das Recht auf Freizügigkeit (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 16.12.2019, Seite 22; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 27.03.2020, Seite 88). Trotz der auch sonst bestehenden Skepsis der russischstämmigen Bevölkerung gegenüber zuziehenden Personen aus dem Nordkaukasus bestehen außerhalb Tschetscheniens und auch des Nordkaukasus große tschetschenische Gemeinden, etwa in Moskau oder den Regionen Rostow, Wolgograd und Astrachan (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 27.03.2020, Seite 91). Zwar mag die Lage in Moskau problematisch sein, weil Kadyrow dort größere Einflussmöglichkeiten hat (vgl. SFH, Themenpapier der SFH-Länderanalyse Russland/Tschetschenien „Ehrenmord“, 22. März 2019, Seite 18; Galeotti, Lizenz zum Töten? Die Gefahr für Tschetschenen innerhalb Russlands, 2019, Seite 15). Zudem sind die Behörden dort – und ähnlich auch in St. Petersburg – wachsamer und besteht eine modernere Kommunikationsinfrastruktur. Auch im ländlichen Russland mag die Lage gefährlicher sein (Galeotti, Lizenz zum Töten? Die Gefahr für Tschetschenen innerhalb Russlands, 2019, Seite 16). Allerdings bieten andere russische Städte mit Ausnahmen wie Rostow am Don, Kasan oder Stawropol nach der einhelligen Meinung unter den russischen Gesprächspartnern des Historikers Galeotti die besten Optionen für Sicherheit und relative Anonymität, weil diese groß genug sind, um als Neuankömmlinge nicht aufzufallen (Galeotti, Lizenz zum Töten? Die Gefahr für Tschetschenen innerhalb Russlands, 2019, Seite 17). Es verbleiben mithin jedenfalls zahlreiche große und mittelgroße Städte, in denen die Kläger sich niederlassen können.
Dem steht auch nicht die Angabe des niederländischen Außenministeriums (zit. nach ACCORD, Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation vom 31. Januar 2020, Dokument #2025028, Seite 15) entgegen, wonach „teilweise“ eine Knappheit am Wohnungsmarkt herrsche und es schwierig sei, eine legale Unterkunft zu beschaffen. Denn es ist schon nicht erkennbar, dass diese Knappheit am Wohnungsmarkt sämtliche in Betracht kommende große und mittelgroßen Städte in der Russischen Föderation betrifft. Vielmehr zeigt die Einschränkung durch das Wort „teilweise“ auf, dass es auch eine große Anzahl von Orten gibt, an denen eine derartige Knappheit gerade nicht besteht.
Auch der von EASO beschriebene Umstand, dass „viele“ Vermieter Personen aus dem Nordkaukasus diskriminieren, führt nicht etwa dazu, dass es den Klägern gänzlich unmöglich wäre, eine Wohnung zu finden. Zwar kann es für Menschen nicht-slawischer Herkunft schwieriger sein, eine Unterkunft zu finden. So wird in Wohnungsinseraten manchmal erwähnt, dass nur slawische Menschen als Mieter in Frage kommen oder dass eine Wohnung zu vermieten ist, nicht jedoch für Kaukasier. Das genaue Ausmaß dieser Praxis ist nicht bekannt; für die Stadt Moskau gibt es jedoch eine Studie, wonach am 2. April 2017 16 % der Anzeigen derartige Präferenzen enthielten (vgl. EASO, Bericht mit Herkunftsländerinformationen. Russische Föderation: Die Lage der Tschetschenen in Russland, August 2018, Seite 30). Mithin enthalten die Mehrzahl der Wohnungsanzeigen derartige Angaben offenbar selbst in Moskau nicht. Dass es nicht unmöglich ist, eine Wohnung zu finden, zeigt im Übrigen nicht zuletzt der Umstand, dass zahlreiche Nordkaukasier außerhalb ihrer Heimatregion leben würden (vgl. Büro Murmansk von Memorial, zit. nach ACCORD, Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation vom 31. Januar 2020, Dokument #2025028, Seite 10).
Einer Wohnsitznahme in einem Teil der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens steht insbesondere nicht das durch Föderationsgesetz von 1993 geschaffene Registrierungssystem entgegen, wonach Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Zwar schränken einige regionale Behörden die Registrierung von vor allem ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Nordkaukasus und Zentralasien ein. Grundsätzlich können Personen aus dem Nordkaukasus aber problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 27.03.2020, Seite 88). Die Registrierung ist dabei nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde, wo eine Person wohnt, und funktioniert relativ problemlos, auch für Tschetschenen. Wenngleich es möglicherweise zu Diskriminierung oder korruptem Verhalten seitens der Beamten kommen kann, erhalten sie im Endeffekt die gewünschte Registrierung (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 27.03.2020, Seite 90; EASO, Bericht mit Herkunftsländerinformationen. Russische Föderation: Die Lage der Tschetschenen in Russland, August 2018, Seite 20). Soweit für die Registrierung die Vorlage eines russischen Inlandspasses überhaupt erforderlich ist – von entsprechenden Beschränkungen in der Praxis berichtet etwa das US-amerikanische Außenministerium (vgl. EASO, Bericht mit Herkunftsländerinformationen. Russische Föderation: Die Lage der Tschetschenen in Russland, August 2018, Seite 20) – und die Kläger einen solchen nicht oder nicht mehr besitzen sollten, steht dies der Registrierung ebenfalls nicht entgegen. Sie müssten insbesondere nicht etwa zur Beantragung neuer Inlandspässe nach Tschetschenien zurückkehren. Denn nach Erlass der Verordnung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 779 vom 20. Dezember 2006 kann nunmehr ein Inlandspass am Wohnort, Aufenthaltsort oder dem Ort der Antragstellung ausgestellt werden (vgl. VG Cottbus, Urteil vom 15. November 2019 - 1 K 1579/18.A - juris Rn. 53; EASO, Bericht mit Herkunftsländerinformationen. Russische Föderation: Die Lage der Tschetschenen in Russland, August 2018, Seite 20 unten).
Dem stehen die Angaben des niederländischen Außenministeriums (zit. nach ACCORD, Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation vom 31. Januar 2020, Dokument #2025028, Seite 14) nicht entgegen. Danach wenden lokale Behörden „manchmal“ – aber gerade nicht immer – Registrierungsregeln an, die die Niederlassungsfreiheit einschränken, wobei Nordkaukasier und Zentralasiaten hiervon besonders betroffen sind. Zudem scheine die Registrierung „ein größeres und häufig unüberwindbares Hindernis für MigrantInnen zu sein, teilweise weil die Registrierung von vielen VermieterInnen routinemäßig verweigert werden“. Damit ist nämlich keinesfalls gesagt, dass alle Vermieter und Behörden Personen aus dem Nordkaukasus diskriminieren. Hinsichtlich der Verweigerung von für die Registrierung erforderlichen Bescheinigungen durch Vermieter gelten die obigen Erwägungen zum Finden von Wohnraum entsprechend. Hinsichtlich der Behörden liegen im Übrigen keine stichhaltigen Anhaltspunkte für eine generelle Verweigerung der Registrierung innerhalb der gesamten Russischen Föderation vor. Zwar ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnismitteln, dass sich Tschetschenen wegen ihrer Volkszugehörigkeit in der Russischen Föderation Übergriffen und Diskriminierungen seitens der Behörden, aber auch durch gesellschaftliche Kräfte ausgesetzt sehen können. Gleichwohl kann aufgrund dieser Situation nur dann von fehlender Verfolgungssicherheit ausgegangen werden, wenn es sich bei den zu gewärtigenden Maßnahmen um Verfolgungshandlungen im Rechtssinne handelt und diese eine Dichte haben, die zur Annahme einer Gruppenverfolgung ausreicht. Das Vorliegen einer Verfolgungshandlung beurteilt sich nach § 3 a AsylG. Wenngleich festzustellen ist, dass Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens in gesteigertem Maße Anfeindungen und Misstrauen begegnen, so ist damit die Schwelle für die Annahme einer Gruppenverfolgung nicht überschritten (vgl. ausführlich VG Cottbus, Urteil vom 15. November 2019 - 1 K 1579/18.A - juris Rn. 49).
Das Erfordernis zur Registrierung schließt auch nicht etwa deshalb das Bestehen eines internen Schutzes aus, weil die neue Anschrift dann womöglich den tschetschenischen Behörden bekannt würde. Dies scheint zwar inzwischen, abweichend von früheren Angaben der DIS aus dem Jahr 2015, durchaus der Fall zu sein, weil sich der Informationsaustausch über den örtlichen Föderalen Migrationsdienst oder das Ministerium für Innere Angelegenheiten verbessert hat (vgl. Galeotti, Lizenz zum Töten? Die Gefahr für Tschetschenen innerhalb Russlands, 2019, Seite 7 Fußnote 26). Dem entsprechen auch die Angabe des NHC (zit. nach ACCORD, Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation vom 31. Januar 2020, Dokument #2025028, Seite 11). Danach prüfen die Behörden bei der Registrierung eines neuen Wohnsitzes nach, ob sich die Person von ihrem vorherigen Wohnsitz abgemeldet habe. Wenn eine Person von den tschetschenischen Behörden gesucht werde, wäre ihnen diese Information sehr wahrscheinlich bekannt. Wiederum setzt jedoch das Drohen von Verfolgung am neuen Wohnort voraus, dass die tschetschenischen Behörden von einem etwaigen Wissen über diesen Wohnort Gebrauch machen würden. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn der Betroffene überhaupt effektiv gesucht werden, was nach dem oben Gesagten gerade nicht bei allen Personen, die mit Kämpfern in Verbindung gebracht werden, der Fall ist.
Die Kläger werden auch in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt selbständig zu bestreiten. Grundsätzlich wird die Lage zurückreisender Frauen mit Kindern zwar als schwierig bezeichnet. So sei es die Norm in Tschetschenien, dass es erzwungene Eheschließungen, häusliche Gewalt oder Kinder, die Müttern bei einer Scheidung oder dem Tod des Vaters weggenommen werden, wobei ein Umzug in eine andere Region wenig ändere (ACCORD, Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation vom 19. Dezember 2019, Dokument #2023185, Seite 8 f.). Diese Situation hätten die Kläger indes nicht zu erwarten. Denn es ist zunächst festzustellen, dass die Klägerin zu 1. bereits in Tschetschenien nach dem Tod ihres Mannes mehrere Jahre lang mit ihren Kindern gelebt hat, ohne dass ihr diese weggenommen wurden. Hinzu kommt insbesondere, dass diese Kinder – mit Ausnahme der Klägerin zu 4. – nunmehr selbst volljährig sind. Auch sonst ist zu erwarten, dass die Kläger ihren Lebensunterhalt werden bestreiten können.
Es bestehen zwar auch auf dem Arbeitsmarkt in anderen Teilen Russlands Vorbehalte und Diskriminierung gegen Nordkaukasier. Dabei haben Nordkaukasier häufiger Probleme als Personen aus „slawischen“ Regionen Russlands, finden sich jedoch im Vergleich zu Zentralasiaten in einer besseren Position (Tanja Lokschina, Human Rights Watch, zit. nach Finnish Immigration Service, in: ACCORD, Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation vom 31. Januar 2020, Dokument #2025028, Seite 15). Die Diskriminierung zeigt sich vor allem im Beschäftigungsbereich. So scheint es unter großen Unternehmen ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, keine Personen aus dem Kaukasus einzustellen. Auch wird berichtet, dass es praktisch unmöglich ist, dass Personen aus dem Kaukasus eine Arbeit bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder Ähnliches finden, auch wenn sie über die entsprechenden Qualifikationen verfügen. In der Ölbranche oder im öffentlichen Sektor beschäftigte Tschetschenen berichten, dass es eine ungeschriebene Regel gibt, sie nicht zu befördern. Darüber hinaus gab es Beschwerden darüber, dass Menschen aus dem Kaukasus bei gleicher Arbeit weniger verdienen als ihre Kollegen und keine Zulagen erhalten. Aber Menschen aus dem Nordkaukasus finden gleichwohl Arbeitsplätze, etwa in den Bereichen Bildung und Gesundheitswesen. Ansonsten arbeiten sie zumeist im privaten Sektor oder betreiben Märkte, Bauunternehmen oder private Kliniken (EASO, Informationsblatt über das Herkunftsland Russische Föderation. Die Situation der Tschetschenen in Russland, August 2018, Seite 30 f.).
Hier gilt zudem zu beachten, dass die Klägerin zu 1. bereits vor der Ausreise aus Tschetschenien auf dem Bau berufstätig war und die wirtschaftliche Lage von ihr als gut beschrieben worden war. Sie war mithin in der Lage – auch nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2010 – den Unterhalt für sich und ihre Kinder sicherzustellen. Dafür, dass dies im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation anders sein könnte, sind Tatsachen weder dargetan noch ersichtlich. Auch die nunmehr erwachsenen Kläger zu 2. und 3. sind körperlich gesund und arbeitsfähig und werden mithin in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Den Klägern wird im Fall ihrer Rückkehr auch der Zugang zu den bestehenden Sozialleistungen offenstehen, nämlich zum Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 27. März 2020, Seite 99). Selbst wenn es anfänglich zu etwaigen Engpässen finanzieller Art kommen sollte, ist schließlich nicht ausgeschlossen, dass die Kläger auf Mittel in Form von Rückkehrhilfen zurückgreifen könnten, die über das Bundesamt bzw. die zuständige Ausländerbehörde beantragt werden können. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass es sich hierbei um Leistungen handelt, auf die kein Rechtsanspruch besteht, sodass sie nur zusätzlich zu den übrigen Erwägungen hinsichtlich der Möglichkeit, das Existenzminimum zu sichern, in Betracht zu ziehen sind (ebenso VG Cottbus, Urteil vom 15. November 2019 - 1 K 1579/18.A - juris Rn. 62).
Die Klage hat auch mit dem ersten Hilfsantrag keinen Erfolg. Die Kläger können nicht erfolgreich den subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG beanspruchen. Dem steht wiederum die gemäß § 4 Abs. 3 AsylG auch für den subsidiären Schutz sinngemäß anwendbare Norm des § 3 e AsylG entgegen.
Schließlich bleibt auch der zweite Hilfsantrag ohne Erfolg, weil Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen gemäß § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht ersichtlich sind. Soweit sich die Kläger ursprünglich auf eine psychische Erkrankung der Kläger zu 2. und 3. berufen haben, fehlt es im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) an Anhaltspunkten dafür, dass die im Jahr 2013 geschilderte Situation noch fortbesteht. Es kommt daher nicht darauf an, ob die seinerzeit eingereichten Unterlagen überhaupt die Anforderungen des § 60 a Abs. 2 c Satz 3 AufenthG in Verbindung mit § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erfüllt haben. Auch aus der gegenwärtigen Covid-19-Pandemie ergibt sich nicht etwa ein Abschiebungsverbot bezüglich der Russischen Föderation. Dass die Kläger bereits an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leiden, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Dies wäre jedoch Voraussetzung für die Annahme einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Darüber hinaus ist die Annahme eines Abschiebungsverbots mit Blick auf die Covid-19-Pandemie nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch wegen der Sperrwirkung des Satzes 6 dieser Vorschrift grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. hierzu auch: VG Würzburg, Gerichtsbescheid vom 25. März 2020 - W 10 K 19.50254 - juris Rn. 53 mit weiteren Nachweisen); dass hier wegen einer extremen Gefahrenlage womöglich anderes gelten könnte, ist weder dargelegt noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2 und § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11 und § 711 der Zivilprozessordnung in Verbindung mit § 167 VwGO.