Gericht | VG Cottbus 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 08.12.2020 | |
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Aktenzeichen | 5 K 2093/15.A | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2020:1208.5K2093.15.A.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 60 Abs 5 AufenthG, § 3 AsylVfG 1992, § 4 AsylVfG 1992, § 60 Abs 7 S 1 AufenthG |
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Wegen der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des sich aus dem Kostenfeststellungsbeschluss ergebenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz sowie weiter hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich Somalias.
Nach seiner Einreise gab der Kläger bei der Aufnahme in der Erstaufnahmeeinrichtung an, somalischer Staatsangehöriger muslimischen Glaubens zu sein. Er sei am 4… in G geboren und verheiratet. Er spreche Somali. Seine letzte Anschrift in Somalia sei in Goobwayn, Kismayu gewesen. Er habe sein Heimatland am 10. Februar 2012 verlassen und sei im November 2013 nach Deutschland (München) eingereist. Er habe in Deutschland keine Verwandte (Bl. 18 VV).
Der Kläger stellte am 25. November 2013 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt). In dem Antrag bestätigte er die obigen Angaben (Bl. 4 VV).
Bei der Befragung zur Vorbereitung einer Anhörung am 28. November 2013 (Bl. 22-26 VV) gab der Kläger gegenüber dem Bundesamt an, er gehöre zum Stamm der Madhiban. Er habe keine Ausweispapiere, da es keine Behörde für eine Beantragung gegeben habe. Er spreche außer Somali keine weiteren Sprachen. Bis zu seiner Ausreise habe er in Goobwayn gelebt. Seine Frau heiße A und sei am 5… in K geboren. Dort habe im Jahr 2010 auch die Hochzeit stattgefunden. Seine Frau habe sich zuletzt in Kismayu aufgehalten. Ihren derzeitigen Aufenthaltsort kenne er nicht. Nachweise für die Eheschließung habe er nicht. Er habe keine Kinder. Sein Vater sei bereits verstorben, seine Mutter lebe in Kismayu. Er habe zudem einen Onkel in Norwegen, dessen Status er aber nicht kenne.
Er sei vier Jahre zur Schule gegangen. Er habe keinen Beruf erlernt und als Schuhmacher gearbeitet.
Er sei in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt worden, habe dort aber keinen Asylantrag gestellt. Er habe Somalia am 10. Februar 2012 verlassen und sei nach Äthiopien gereist. Danach sei er in die Türkei geflogen und von dort nach Griechenland gereist. Dort habe er das Land innerhalb eines Monats verlassen sollen. Nach dem Monat sei er aufgegriffen und für fünf Monate inhaftiert worden. Danach sei er nach Mazedonien und Serbien gegangen. Ein Schlepper habe ihn nach München gebracht. Er sei am 1. November 2013 mit dem Zug nach München gekommen.
Die Eurodac-Abfrage ergab einen Treffer der Kategorie 2 für Griechenland.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt am 27. März 2014 gab der Kläger an, dass er keine Personaldokumente habe. Solche habe er auch in Somalia nie besessen. Er habe Somalia im Februar 2012 verlassen und habe danach zunächst fünf Monate in einem Flüchtlingslager in Kenia gelebt. Von dort habe er seine Reise über Äthiopien und die Türkei fortgesetzt. Er sei mit dem Boot nach Griechenland gefahren. Er habe in Griechenland eine Aufenthaltserlaubnis für einen Monat bekommen, jedoch keinen Asylantrag gestellt. Nach Ablauf des Monats sei er im April 2013 bis zum 3. August 2013 inhaftiert worden. Nach der Entlassung habe er eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Wochen bekommen. Ein Schleuser habe ihn mit einem PKW und zu Fuß nach Deutschland gebracht. Durch welche Länder er dabei gefahren sei, wisse er nicht. Er habe alle seine Unterlagen über den Aufenthalt in Griechenland unterwegs verloren. Für die Reise von Griechenland nach Deutschland habe er 1.600 Euro gezahlt. Dieses Geld habe er von seinem Onkel, der in Norwegen lebt und seinem anderen Onkel, der in Amerika lebt, bekommen.
In Somalia sei er nie verhaftet oder verurteilt worden. Er habe auch nie vor einem Gericht gestanden. Er sei nie politisch tätig gewesen und habe auch nie Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Stellen gehabt. Einen Wehrdienst habe er nicht absolviert.
Er habe sein Heimatland verlassen, weil er Probleme mit Al Schabaab gehabt habe. Diese seien in der Region ansässig, in der er gelebt habe. Er habe Angst gehabt, dass sie ihn töten könnten, da er eine Frau geheiratet habe, ohne zuvor die Eltern zu fragen. Dies sei gegen die islamischen Regeln. Er habe sich in eine Frau verliebt. Diese sei jedoch von einem anderen Clan, den Asharaf. Er sei von einem niederen Clan, den Madhiban. Beide hätten in Goobwayn gewohnt, ebenso wie die Familie seiner Frau. Die Hochzeit habe am 8. März 2011 stattgefunden. Die Heirat sei heimlich vor einem Mullah vollzogen worden. Zwei Freunde hätten die Heirat bezeugt. Familienangehörige seien nicht anwesend gewesen. Nach der Hochzeit habe er seine Frau immer heimlich getroffen, bis sie schwanger geworden sei. Ihre Familie habe davon erfahren und weibliche Angehörige ihres Clans seien zu ihm nach Hause gekommen. Sie hätten ihn geschlagen und auch verletzt. Als er dann wieder zu seiner Mutter gekommen sei, habe diese gesagt, dass er lieber das Land verlassen solle, bevor sie ihn töten. Er sei nicht in einen anderen Landesteil geflohen, weil der Clan seiner Frau ihn überall gefunden und dann umgebracht hätte. Wenn die Männer des Clans ihn gefunden hätten, wäre er getötet worden. Er habe sich nicht an staatliche Stellen wenden können, da das Gebiet damals von den Al Schabaab beherrscht worden sei. An diese habe er sich nicht wenden wollen, weil er vor diesen wegen der Heirat auch Angst gehabt habe. Sein eigener Clan habe keinen Schutz bieten können, da er in dem Gebiet in der Minderheit gewesen sei.
Auf Nachfrage des Bundesamtes, warum er seine Ehefrau geheiratet habe, obwohl er Kenntnis davon hatte, dass ihre Familien gegen die Hochzeit sind und ein gemeinsames Leben nicht möglich ist, antwortete der Kläger, dass seine Mutter gegen die Beziehung gewesen sei. Sie hätten aber dennoch geheiratet, weil sie verliebt gewesen seien. Es habe nicht gegen religiöse Regeln verstoßen, eine Frau aus einem anderen Clan zu heiraten. Dies sei nur traditionell verboten. Er sei damals zu jung gewesen und habe nicht gewusst, dass es solche Probleme geben könne.
Was jetzt mit seiner Frau und dem Kind sei, wisse er nicht. Er habe in Kenia von anderen somalischen Leuten gehört, dass der Bruder seiner Ehefrau sie zusammengeschlagen habe und sie dadurch eine Fehlgeburt erlitten habe.
Das Bundesamt lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 3. Dezember 2015, der laut dem Kläger am 16. Dezember 2015 zugestellt wurde, vollumfänglich ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen und forderte den Kläger dazu auf, die Bundesrepublik innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides oder im Falle einer Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der Nichteinhaltung der Frist drohte das Bundesamt dem Kläger die Abschiebung nach Somalia an und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Wegen der Begründung wird auf Seite 2 bis 12 des angefochtenen Bescheides Bezug genommen.
Mit der am 30. Dezember 2015 beim Verwaltungsgericht Cottbus erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung trägt er vor, dass ihm in Mogadischu ein Überleben nicht möglich sein würde, da es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen verschiedener Bürgerkriegsparteien auf die Zivilbevölkerung komme. Deshalb komme auch die Zuerkennung subsidiären Schutzes in Betracht. Ihm sei bekannt, dass der Flughafen in Mogadischu nicht für den zivilen Flugverkehr geöffnet sei. Die Nutzung des Luftweges nach Somalia sei nicht ungefährdet (Bl. 33f. d. A.). Entsprechend des beigefügten Kurzbriefes der Assistenzarztes Dr. J vom 4. Mai 2017 leide der Kläger zudem an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS, F 43.1) und Anpassungsstörungen (F 43.2) und sei deshalb vom 3. bis zum 4. Mai 2017 stationär behandelt worden. (Bl. 36f. d.A.). Grund für die PTBS seien die in der Heimat erlittenen Verfolgungen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Dezember 2015 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und ihn als Asylberechtigten anzuerkennen,
hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen,
weiter hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten, zu seinen Gunsten Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich Somalias festzustellen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die angefochtene Entscheidung.
Mit Beschluss vom 1. Februar 2016 hat das Gericht den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
Die Einzelrichterübertragung ist für die Dauer des von § 76 Abs. 5 AsylG geregelten Zeitraums schwebend unwirksam, da das Verfahren infolge eines Mitgliederwechsels im Spruchkörper einem neu ernannten Proberichter übertragen worden ist und der kammerinterne Geschäftsverteilungsplan hierzu keine Übergangsregelung im Sinne des § 21g Abs. 3 GVG enthält. Die Entscheidungskompetenz fällt auf die Kammer zurück. (Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. Januar 2011 - A 9 S 2774/10 -, ESVGH 61, 161-163 (Leitsatz und Gründe), juris, Rn. 3ff.).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Maßgeblich ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG die zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Sach- und Rechtslage. Die Ablehnung des Asylantrages des Klägers ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (I.) oder des subsidiären Schutzstatus (II.). Abschiebungsverbote waren nicht festzustellen (III.).
I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG ist demjenigen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, der Flüchtling nach Absatz 1 der Vorschrift ist. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Es kann auf sich beruhen, ob die vom Kläger geltend gemachte Verfolgung an eines dieser Merkmale anknüpft. Jedenfalls droht ihm nach Rückkehr keine erneute Verfolgung.
Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer - bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr - die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (stRspr, vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. April 2018 -1 C 29/17 -, BVerwGE 162, 44-63, juris, Rn. 14; BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 -, Buchholz 402.251 § 3 AsylG Nr 3 (Leitsatz und Gründe); juris, Rn. 11). Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller Vorverfolgung erlitten hat. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung" des Art. 2 Buchst, der RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk") abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 -, a.a.O., Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67-89, juris Rn. 32; BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22-33, juris Rn. 22).
Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 - 1 C 29.17 -, a.a.O., juris, Rn. 14; BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 -, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 - 10 C 23.12 - a.a.O.). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 - 1 C 29.17 -, a.a.O., juris, Rn. 14; BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 -, a.a.O.).
Bezüglich der in diesem Zusammenhang vom Gericht vorzunehmenden Verfolgungsprognose, gilt das durch § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO vorgesehene Maß an Überzeugungsgewissheit (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 -, a.a.O., Rn. 19). Dies gilt nicht nur für die Vorgänge, die der persönlichen Sphäre des Schutzsuchenden zuzuordnen sind, sondern auch für die allgemeinen Erkenntnisse für das Herkunftsland, die sich maßgeblich aus den vorliegenden Erkenntnisquellen ergeben. Es sind dabei keine unerfüllbaren Beweisanforderungen zu stellen. Somit genügt ein Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 -, a.a.O., Rn. 21). Zu berücksichtigen ist ferner, dass die zu erstellende Gefahrenprognose als eine in die Zukunft gerichtete Projektion ihrer Natur nach immer mit Unsicherheiten belastet ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit bezieht sich damit auf die Prognose. Die Annahme der drohenden Verfolgung bedarf weder einer eindeutigen Faktenlage noch eine mindestens 50%-ige Wahrscheinlichkeit. Die für die Verfolgung sprechenden Umstände müssen gegenüber den gegen die Verfolgung sprechenden Tatsachen überwiegen. Bei unsicherer Tatsachengrundlage müssen die Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage im Land umfassend ausgewertet werden. Die verfügbaren Informationen sind, auch wenn sie nur bruchstückhaft sind, zusammenfassend zu bewerten. Gewisse Prognoseunsicherheiten stehen einer Überzeugungsbildung nicht entgegen, wenn eine weitere Sachaufklärung keinen Erfolg verspricht. Bloße Hypothesen oder Annahmen dürfen hingegen nicht herangezogen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 -, a.a.O., Rn. 22).
Vorverfolgte bzw. geschädigte Asylantragsteller werden durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung, ABl. L 337 S. 9) - RL 2011/95/EU - privilegiert. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Handlungen oder Bedrohungen eine Beweiskraft für eine Wiederholung in der Zukunft bei, wenn sie gemäß Art. 9 Abs. 3 der RL 2011/95 EU eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 - 1 C 29.17 -, a.a.O., juris, Rn. 15; EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a. -, NVwZ 2010, 505, juris Rn. 94). Erforderlich ist zudem ein innerer Zusammenhang zwischen der erlittenen und der befürchteten künftigen Verfolgung, weshalb im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen ist, auf welche tatsächlichen Verfolgungsumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie erstreckt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360-377, juris, Rn. 31). Sie beruht auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten in gleicher oder ähnlicher Form wiederholt (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377-388, juris, Rn. 21). Diese Vermutung kann widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O., juris, Rn. 23; BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 -, a.a.O., juris, Rn. 17).
Der Kläger hat im Rahmen der informatorischen Befragung glaubhaft angegeben, Angehöriger der Minderheit der Madhiban zu sein. Er habe im Jahr 2012 heimlich und ohne Zustimmung der Familien eine Angehörige des Clans der Ogaden geheiratet und mit ihr ein Kind gezeugt. Als sie von der Schwangerschaft erfahren hätten, hätten mehrere Frauen der Familie ihn mit Stöcken verprügelt und gesagt, dass er getötet würde, sollten die Männer der Familie ihn finden. Daraufhin habe er das Land verlassen. Er wisse, dass die Familie seiner Frau dafür gesorgt habe, dass seine Frau das gemeinsame Kind verliert. Seine Frau sei mittlerweile zwangsverheiratet worden und habe Kinder mit einem anderen Mann Kinder. Er habe keinen Kontakt mehr zu seiner (ehemaligen) Frau (S. 13 der Sitzungsniederschrift). Diese Angaben stimmen bezüglich des Kerngeschehens mit den Angaben bei der Anhörung vor dem Bundesamt weitgehend überein. Der Kläger berichtete ohne Steigerungen, so dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er eine Verfolgungslegende vorgetragen hat.
Hinsichtlich der Folgen einer Mischehe zwischen einem Angehörigen einer Minderheit und einer Angehörigen eines Mehrheitsclans gibt es unterschiedliche Einschätzungen der Lage. Zusammengefasst sind solche Mischehen zwar gesellschaftlich tabuisiert und kommen nur selten vor. Gewaltanwendungen im Zusammenhang mit Mischehen sind allerdings die Ausnahme. Somit ist es zwar unwahrscheinlich, aber auch nicht vollständig auszuschließen, dass der Kläger wegen der Hochzeit von der Familie seiner Ehefrau misshandelt wurde (so auch VG Köln, Urteil vom 9. Mai 2019 - 8 K 1744/17.A -, juris, Rn. 54; VG Bremen, Urteil vom 11. Januar 2019 - 2 K 3506/16 -, juris Rn. 40).
Die Madhiban sind eine berufsständische Minderheit (Schweizerische Eidgenossenschaft, Staatssekretariat für Migration, Focus Somalia, Clans und Minderheiten, 2017 (im Folgenden: SEM 2017), S. 14ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Somalia: Die Minderheitengruppe der Gabooye/Midgan, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse, 5. Juli 2018, (Im Folgenden: SFH 2018), S. 3f.; ACCORD, Clans in Somalia, Dezember 2009, S. 15, Norwegen, Landinfo, Somalia: Low status groups, 2016 (im Folgenden: Landinfo 2016), S. 1ff., 6).
Der Ogaden-Clan ist ein Mehrheitsclan der Darod-Clanfamilie und eine der Hauptbevölkerungsgruppen in Lower Jubba (EASO Country of Origin Information Report – Somalia Security Situation 2017, (Im Folgenden: EASO 2017), S. 67).
Der Minority Rights Group International zufolge verbiete und bestrafe die Clanstruktur in Somalia Mischehen. Sie berichtet im Jahr 2010 von zwei Fällen von Mischehen, die nach Druck aus der Familie mit unfreiwilligen Scheidungen endeten. In einem der beiden Fälle sei es zu Gewaltanwendungen gegenüber der Minderheiten-Frau durch die Familienangehörigen des Mehrheitsclans gekommen. Die Frau sei ins Krankenhaus eingewiesen worden (SFH 2018, S. 5).
Auf einer Fact-Finding Mission des schweizerischen Staatssekretariats für Migration (SEM) und des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Jahr 2017 berichteten die befragten Experten und Betroffenen aus dem somalischen Kulturraum hingegen übereinstimmend, dass Mischehen mit Minderheiten zwar meist nicht akzeptiert würden, Gewaltanwendungen jedoch die Ausnahme seien. Die Ehe eines Minderheiten-Manns mit einer Mehrheits-Frau sei besonders problematisch. In der Folge seien solche Ehen sehr selten (so auch Landinfo 2016, S. 5 auf der Basis von Gesprächen mit Repräsentanten der Gaboye und Mitarbeitern internationaler Organisationen). Im Norden des Landes sei die „Reinheit“ des Clans noch wichtiger als im ethnisch stark durchmischten Süden, weshalb die Stigmatisierung von Mischehen im Norden stärker sei. Grundsätzlich müssten die Familien aber jeder Hochzeit zustimmen. Täten sie dies nicht, würden dies die Betroffenen meist akzeptieren und die Hochzeit käme nicht zu Stande. Es gebe nach der Ansicht moderater Kleriker jedoch die Möglichkeit, drei Tagesreisen per Kamel von Wohnort entfernt auch ohne Einverständnis der Familie zu heiraten (sog. gubdo sireed, vgl. dazu auch Finnland, Finnish Immigration Service, Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, Januar 2018 (im Folgenden: FIS 2018), S. 26f.). Nach der Rückkehr des Paares akzeptierten die Familien die Heirat dann meist. Bei Mischehen komme es hingegen häufig vor, dass die Familienangehörigen auf der Seite des Mehrheitsclans die betroffene Person verstoßen. Es komme dann zu Gewaltandrohungen, aber so gut wie nie zu Gewaltanwendungen oder gar Tötungen. Die Gesprächspartner nannten im Zeitraum von 2012 bis 2017 übereinstimmend drei Vorfälle von Gewaltanwendungen nach einer Mischehe. Diese seien auch in der Presse dokumentiert worden (SEM 2017, S. 7 u. 45f.).
In Gesprächen einer norwegischen Fact-Finding Mission mit einem Repräsentanten der Gaboye im Jahr 2016 wird über einen Fall berichtet, in dem die Mehrheitsfrau nach der Heirat mit einem Gaboye von ihrer Familie verstoßen worden sei. In einem anderen Fall sei der Gaboye-Mann von der Familie seiner Frau körperlich angegriffen und angeschossen worden. Die meisten Angreifer und der Mann seien festgenommen worden. Die Ehe sei aufgelöst worden. In einem anderen Gespräch mit Mitarbeitern einer Hilfsorganisation für Minderheiten-Frauen wird über eine Mischehe im Jahr 2011 berichtet, bei der der Gaboye-Mann nach der Eheschließung festgenommen worden sei. Das Gericht habe zugunsten des Ehepaars entschieden. Dennoch sei die Frau gegen ihren Willen in das Gebiet ihres Clans gebracht und neu verheiratet worden (Landinfo 2016, S. 5).
Bei einer Fact-Finding Mission des finnischen Immigration Service (Migri) in Mogadischu und Nairobi im Januar 2018 wurden Aussagen von Mitarbeitern zweier internationaler Hilfsorganisationen festgehalten. Ihren Angaben zufolge soll zumindest in Mogadischu eine Mischehe mit einem Minderheiten-Mann möglich sein. Grund dafür sei die heterogene Clanverteilung in Mogadischu. Dorthin würden Paare fliehen, die gegen den Willen ihrer Familien geheiratet hätten. Mischehen wären eine Zeit lang ein Gesprächsthema, würden aber früher oder später akzeptiert (FIS 2018, S. 26). Im September 2018 wurde jedoch ein Angehöriger der ethnischen Minderheit der Bantu in Mogadischu in Zusammenhang mit einer Mischehe getötet. Dies war jedoch ein außergewöhnlicher Vorfall, über welchen viele Somalier ihre Entrüstung ausdrückten (BFA 2019, S. 84).
Legt man die Erkenntnisse über Folgen einer Mischehe mit einem Angehörigen einer ethnischen oder berufständischen Minderheit in Somalia zu Grunde, so ist nach den Schilderungen des Klägers nicht von einer begründeten Furcht vor Verfolgung auszugehen.
Dabei ist es unerheblich, ob die Gewaltanwendungen durch die Frauen der Ehefrau im Zusammenhang mit der Mischehe grundsätzlich verfolgungsrelevant seien können. Denn selbst wenn dies so wäre und der Kläger folglich als vorverfolgt nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU gelten würde, so sprächen hier stichhaltige Gründe gegen die Gefahr einer erneuten Verfolgung. Die Vermutungswirkung erstreckt sich im vorliegenden Fall auf die tatsächlichen Verfolgungsumstände der Eheschließung und Schwangerschaft der Ehefrau des Klägers. Diese Umstände können aber nach der zumindest faktischen Beendigung der Ehe durch die erneute (Zwangs-)Heirat der Ehefrau, ihrer Kinder mit einem anderen Mann und dem nunmehr acht Jahre zurückliegenden Kontaktabbruch mit dem Kläger nicht mehr als fortwirkend angesehen werden. Gewaltanwendungen infolge von Mischehen sind die Ausnahme und dienen in den Erkenntnissen geschilderten Fällen dazu, den jeweiligen Ehepartner aus der gelebten Beziehung zu vertreiben, um einen aus der Sicht der Familie geeigneteren Ehepartner zu finden. Ein solches Vorgehen der Familie der Ehefrau des Klägers ist auch hier anzunehmen. Vornehmliches Ziel war es, den Kläger zu vertreiben, um die – aus der Sicht der Familie - passende Verheiratung der Tochter sicherzustellen. Diese ist nach den Angaben des Klägers mittlerweile auch erfolgt. Daher dürfte aus der Sicht der Familie eine erneute Beziehung ihrer Tochter mit dem Kläger auch dann nicht drohen, wenn der Kläger in seine Heimatregion Lower Juba zurückkehren sollte. Für diese Annahme spricht neben dem Kontaktabbruch zudem, dass die Frau des Klägers das gemeinsame Kind mit dem Kläger verloren hat und mittlerweile mit ihrem neuen Ehemann mehrere Kinder aufzieht. Auch hat der Kläger nicht angegeben, die Beziehung zu seiner Frau wiederaufzunehmen zu wollen. Da bei sämtlichen der überlieferten Fälle die Gewaltanwendung zudem in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Eheschließung erfolgt ist, spricht auch der Zeitablauf gegen die Gefahr einer erneuten Verfolgung.
Die Gefahr einer zielgerichteten Tötung des Klägers durch Al Schabaab bestünde nur, wenn die Familie seiner Frau ihn angezeigt hätte. Ob dies bisher passiert ist, steht nicht fest. Der Kläger äußerte bei der informatorischen Befragung lediglich die Vermutung, dass die Familie ihn (damals) angezeigt hätte, wenn sie ihn nicht getötet hätten und ihn Al Schabaab dann getötet hätte (S. 13 der Sitzungsniederschrift). Dies sagt jedoch nichts darüber aus, wie sich die Familie seiner Frau verhalten hat, nachdem er geflohen ist. Denn ohne seine Anwesenheit vor Ort ging von dem Kläger keine Gefahr einer Mischehe mehr aus. Mittlerweile sprechen zudem stichhaltige Gründe gegen die fortdauernde Absicht der Familie der Frau, ihn zu bestrafen oder gar töten zu wollen (s.o.). Folglich kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Familie seiner Frau ihn im Falle seiner Rückkehr bei Al Schabaab anzeigen würde oder bereits angezeigt hat. Zudem beherrscht Al Schabaab das Gebiet südlich des Flusses Juba nicht mehr (BFA 2019, S. 21f). Auch insofern dürfte eine Anzeige oder die Vollstreckung einer Strafe wenig wahrscheinlich sein.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter.
Der Kläger ist keiner politischen Verfolgung gemäß Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz (GG) ausgesetzt. Da sich die Umstände, die zu dem Angriff auf den Kläger geführt haben, seither – wie bereits geschildert – maßgeblich geändert haben, ist mittlerweile hinreichend sicher auszuschließen, dass dem Kläger erneut eine Verfolgung droht (zu diesem Maßstab: BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315-353; juris Rn. 70; BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 -, BVerfGE 54, 341-363; juris, Rn. 52). Zudem gibt es seit dem Rückzug der Al Schabaab aus dem Herkunftsort des Klägers keinen Akteur, der als Verfolger in Betracht käme. Die Familie oder der Clan der Ehefrau kommen im Rahmen des Art. 16a GG nicht als Verfolger in Betracht, da sie weder Staatsgewalt ausüben, noch eine staatsähnliche Organisation sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 -, a.a.O.; juris Rn. 40ff.). Der Clan hat keine übergeordnete, gesamtgesellschaftliche Funktion, sondern ist vielmehr ein Akteur innerhalb des somalischen Clansystems, der dem Schutz seiner Mitglieder verpflichtet ist (BFA 2019, S. 46ff.; SEM 2017, S. 29 ff.).
II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG.
Wegen drohender Gewaltanwendungen seitens der Familie seiner ehemaligen Ehefrau kann auf die vorangegangenen Ausführungen verwiesen werden (s.o. I.).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen drohender unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung aufgrund der schlechten humanitären Situation im Herkunftsland. Diese begründet nur dann einen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, wenn sie bewusst und zielgerichtet von einem Akteur im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG ausgeht (BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 11.19 -, juris, bverwg.de, Rn. 11 f., erläuternd dazu: Berlit, jurisPR-BVerwG 18/2020 Anm. 5; BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12-31, juris, Rn. 29). Dies ist in Somalia nicht der Fall, da die Handlungen der Konfliktparteien Al Schabaab und der somalischen Regierung (und ihren Verbündeten) zwar für die schlechte humanitäre Lage kausal sind, aber nicht oder nur untergeordnet auf eine Verschlechterung der humanitären Lage abzielen (so auch Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 1. August 2019 - 4 A 2334/18.A -, EzAR-NF 62 Nr 60, juris, Rn. 36; vorgehend zu BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 11.19 -: VG Wiesbaden, Urteil vom 14. März 2019 - 7 K 1139/17.WI.A -, juris, Rn. 46 ff.). Dies ist indes nicht ausreichend, um den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen (BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 11.19 -, a.a.O, Rn. 15).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Goobwayn oder Kismayu und der zugehörigen Provinz Lower Juba (Jubbada Hoose) keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen bewaffneter Konflikte. Für die vorzunehmende Gefahrenprognose ist dabei der tatsächliche Zielort bei einer Rückkehr der Bezugspunkt. Dies ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 11.19 -, a.a.O., Rn. 17; BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 -, BVerwGE 134, 188, juris, Rn. 17). Ob in Lower Juba ein bewaffneter Konflikt herrscht, kann dahingestellt bleiben. Denn für den Kläger besteht jedenfalls keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt.
Grundsätzlich muss die willkürliche Gewalt - also die Gewalt gegen Zivilpersonen ungeachtet deren Identität - in der betreffenden Region ein so hohes Niveau erreicht haben, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Gefahr ausgesetzt wäre (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - C-465/07 -, Elgafaji, Slg 2009, I-921-958 (Leitsatz und Gründe); NVwZ 2009, 705-707 (Leitsatz und Gründe) juris, Rn. 35, 43). Jedoch kann der Grad der Gefahr umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende darlegen kann, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation spezifisch betroffen ist (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - C-465/07 -, a.a.O., Rn. 39). Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa, weil er von Berufs wegen - z. B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Zu berücksichtigen sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 11.19 -, a.a.O., Rn. 20; BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360-377, juris, Rn. 33).
Dass der Kläger nach vielen Jahren nach Somalia zurückkehrt, ist kein solcher gefahrerhöhender Umstand (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 27. März 2018 - 20 B 17.31663 -, juris, Rn. 31 f.: Rückkehr und Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan der Tumal keine gefahrerhöhenden Umstände bei einer Rückkehr nach Mogadischu; Hessischer VGH, Urteil vom 01. August 2019 - 4 A 2334/18.A -, juris, Rn. 49 f.: keine erhöhte Gefahr für Rückkehrer und Angehörige des Minderheitenclans der Madhiban in Mogadischu). In Kismayu folgt dies schon aus der hohen Anzahl der Zuzügler in den vergangenen Jahren (BFA 2019, S. 22; FIS 2018, S. 20f.). Der Kläger gehört auch nicht zu einer der Gruppen, die von Al Schabaab gezielt angegriffen werden. Die Mitglieder von Al Schabaab töten unter anderem Menschen, die der Spionage bezichtigt werden sowie Zivilisten, die mit der Regierung kollaborieren sollen (BFA 2019, S. 103f.; United States, Department of State, Country Report on Human Rights Practices-Somalia (Im Folgenden: USDOS 2018). Eine hohe Gefahr besteht insbesondere bei Straßensperren der Al Schabaab außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete. Auch auf dem Weg nach Kismayu betreibt Al Schabaab Straßensperren. Insbesondere westliches Verhalten oder westlicher Kleidungsstil werden sanktioniert. Allein die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt hingegen kein Problem dar. Generell werden Überlandreisen als teuer und gefährlich erachtet, da die Armee die Hauptverbindungsrouten nur zum Teil kontrolliert. Stattdessen gibt es viele verschiedene Gruppen, die Straßensperren betreiben und eine Gefahr sind (BFA 2019, S. 107ff.). Da der Kläger Kismayu für circa 100 bis 150 US-Dollar jedoch auch mit dem Flugzeug erreichen kann, ist er nicht darauf angewiesen, sich der Gefahr einer Überlandfahrt auszusetzen (vgl. BFA 2019, S. 110). Dafür, dass er in Kismayu oder Goobwayn in den Blick der Al Schabaab geraten könnte, gibt es keine Anhaltspunkte (s.o. I.). Der Kläger hatte in der Vergangenheit auch keinerlei Verbindung zur somalischen Regierung.
Auch die Zugehörigkeit des Klägers zu einer Minderheit ist kein gefahrerhöhender Umstand. Gaboye werden nicht allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe angegriffen (SEM 2017, S. 42f.). Die gesellschaftliche Diskriminierung und überdurchschnittliche Viktimisierung der Minderheiten in Somalia ist keine ernsthafte individuelle Bedrohung im Rahmen des bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, da sie nicht von den Konfliktparteien ausgehen (so auch: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof a.a.O., Rn. 32; Hessischer Verwaltungsgerichtshof a.a.O; OVG Niedersachsen, Urteil vom 5. Dezember 2017 - 4 LB 51/16 -, juris Rn. 47). Die Konfliktparteien in Jubaland und Lower Juba sind die somalische Regierung und ihre Verbündeten auf der eine Seite und Al Schabaab auf der anderen Seite (BFA 2019, S. 21).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedarf es zur Bestimmung der ohne gefahrerhöhenden Umstände erforderlichen Gefahrendichte einer annäherungsweise quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos. Auf deren Grundlage ist dann eine wertende Gesamtschau zur individuellen Betroffenheit des Schutzsuchenden vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 11.19 -, a.a.O., Rn. 21; BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360-377, juris, Rn. 33). Die allgemeine Gefahrendichte liegt in der Provinz Lower Juba indes über dem vom Bundesverwaltungsgericht vorgegebenen Wert von 1:800 (im Ergebnis ebenso: VG Minden, Urteil vom 17. August 2020 - 1 K 27/18.A -, juris, Rn. 128 ff.). Oberhalb diesen Wertes ist ohne individuelle gefahrerhöhenden Umstände auch im Rahmen einer wertenden Gesamtschau keine ernsthafte individuelle Bedrohung anzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454-456, juris, Rn. 22 f.).
Nach aktuellen Erkenntnissen wurden in der Region Lower Juba im Jahr 2019 322 Todesfälle nach einem Konflikt festgehalten. Diese Anzahl umfasst aber auch Kombattanten. Für ganz Somalia wurden im selben Zeitraum insgesamt 4.038 Tote registriert und 640 Todesfälle bei Gewalt gegen Zivilisten gezählt (ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation: Somalia, Jahr 2019: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), 22. Juni 2020). Dies entspricht einem Prozentsatz von gut 15% für getötete Zivilpersonen im Rahmen eines Konflikts. Da die erhobenen Zahlen zu den getöteten Zivilpersonen nicht nach Regionen aufgeschlüsselt sind und die Zahlen insgesamt großer Ungenauigkeit unterliegen, müssen die Angaben vorsichtig interpretiert werden (vgl. ACCORD, a.a.O., S. 3). Es ist daher angemessen, zugunsten des Klägers von einem Drittel und damit 108 getöteten Zivilpersonen in der in der Provinz Lower Juba auszugehen. Hinzu kommen allerdings die Verletzten, deren Zahl nach den Erfahrungen in vergleichbaren Bürgerkriegsregionen etwa gut zweimal so hoch liegt, wie die Zahl der Toten (vgl. etwa United Nations, Afghanistan, Protection of Civilians in Armed Conflict 2019, S. 5). Geht man zu Gunsten des Klägers sogar von einer dreimal so hohen Anzahl an Verletzten aus, gelangt man zu einer Gesamtopferzahl (Tote und Verletzte) von 432 Zivilpersonen für die Region Lower Juba für das Jahr 2019. Im Jahr 2014 wurde die Einwohneranzahl vom UN Population Fund und somalischen Behörden auf 489.307 geschätzt (EASO 2017, S. 68). Mittlerweile soll jedoch allein die Provinzhauptstadt Kismayu 300.000 Einwohner zählen (BFA 2019, S. 22). Da sich die Annahme einer niedrigen Bevölkerungsanzahl im Hinblick auf die Risikoquote jedoch günstig auf den Anspruch des Klägers auswirkt, bedarf die Einwohneranzahl in Lower Juba keiner weiteren Aufklärung. Legt man die Zahl aus dem Jahr 2014 zugrunde, ergibt sich eine Risikoquote von etwa 1:1.133.
Im Hinblick auf 210 Todesfälle in Lower Juba im ersten Halbjahr 2020 und 1.551 Todesfällen landesweit bei 260 Toten nach Gewalt gegen Zivilpersonen ist zwar für die Todesfälle in Lower Juba ein ansteigender Trend der Gewalt im Rahmen eines Konflikts zu verzeichnen. Die Anteil der landesweit getöteten Zivilpersonen blieb hingegen in etwa gleich, bei 16,7% (vgl. ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation: Somalia, 1. Quartal 2020: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), 23. Juni 2020; ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation: Somalia, 2. Quartal 2020: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), 30. Oktober 2020).
Legt man diese Zahlen einer Prognose für das gesamte Jahr 2020 zugrunde und geht dabei von einem gleichbleibenden Niveau der Gewalt aus, so ergibt sich unter Berücksichtigung der vorangegangenen Erwägungen zu der Berechnung der Anzahl an Zivilisten unter den Opfern sowie der Verletzten eine Risikoquote von 1: 874.
Sollte hier kein typischer Fall der Rückkehr in die Heimatregion anzunehmen sein, da der Kläger nach seinen Angaben dort keinerlei Familie oder Bekannte mehr hat, so bestünden auch bei einer Rückkehr des Klägers nach Mogadischu keine stichhaltigen Gründe dafür, dass er aufgrund willkürlicher Gewalt in einem bewaffneten Konflikt allein aufgrund seiner Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Gefahr ausgesetzt wäre.
In der Region Banaadir (einschließlich Mogadischu) wurden im Jahr 2019 738 Todesfälle nach einem Konflikt festgehalten. Diese Anzahl umfasst aber auch Kombattanten. Es ist entsprechend der vorangegangenen Ausführungen angemessen, zugunsten des Klägers von einem Drittel und damit 246 Personen getöteten Zivilpersonen in der in der Provinz Banaadir auszugehen. Geht man zu Gunsten des Klägers von einer dreimal so hohen Anzahl an Verletzten aus, gelangt man zu einer Gesamtopferzahl (Tote und Verletzte) von 984 Zivilpersonen für die Region Banaadir für das Jahr 2019. Im Hinblick auf circa 1,65 Millionen Einwohner ergibt sich eine Risikoquote von etwa 1:1.677.
Im Hinblick auf 203 Todesfälle in Banaadir im ersten Halbjahr 2020 ist ein rückläufiger Trend zu verzeichnen (vgl. ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation: Somalia, 1. Quartal 2020: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), 23. Juni 2020; ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation: Somalia, 2. Quartal 2020: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), 30. Oktober 2020).
III. Für den Kläger, einen gesunden, arbeitsfähigen, männlichen Angehörigen eines Minderheitenclans ohne familiären Rückhalt in Somalia, sind keine Abschiebungsverbote festzustellen (so auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juli 2019 – A 9 S 1566/18 – juris).
Für den Kläger besteht kein zielstaatbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sich aus der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung von Art. 3 EMRK in Frage, wonach niemand unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein aufgrund der humanitären Lage und der allgemeinen Lebensbedingungen ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraussetzt (BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 - 1 B 2.19 -, juris, Rn. 10, VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 - A 11 S 316/17 -, juris, Rn. 168). Dies folgt aus der Schutzrichtung der EMRK, die auf bürgerliche und politische Rechte abzielt und sozio-ökonomischen und humanitären Bedingungen keine ausschlaggebende Wirkung auf die Frage der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung beimisst. Bei der deshalb allein relevanten Frage, ob humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, ist nach der zu berücksichtigenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) festzustellen, ob es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu werden („real risk“). Dieser Maßstab entspricht dem der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. In einer Gesamtschau aller festgestellten Umstände ist demzufolge abzuwägen und zu gewichten, ob die für eine Gefahr sprechenden Umstände gegenüber den dagegensprechenden Umständen überwiegen. Entsprechend dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK sind der Prognose dabei gewisse Mutmaßungen immanent (BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 - 1 B 2.19 -, a.a.O., Rn. 6; BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 11.19 -, a.a.O., Rn. 10). Das für Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere kann erreicht sein, wenn der Rückkehrer sich seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann – etwa, weil er keinen Zugang zum Arbeitsmarkt hat, keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhält oder kein Obdach erhält - oder keinen Zugang zu medizinischer Basisbehandlung hat. Eine weitergehende abstrakte Konkretisierung des Erfordernisses des „Mindestmaß an Schwere“ ist nicht möglich, vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 AufenthG Nr. 58; NVwZ 2019, 61-64, juris, Rn. 11).
Dabei ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet. Dies ist zurzeit die allein mit Linienflügen direkt anzufliegende Hauptstadt Mogadischu (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15.12 –, BVerwGE 146, 12-31, juris, Rn. 26; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 - A 11 S 316/17 -, juris, Rn. 31; Deutschland, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, Stand Januar 2020 (Im Folgenden: AA 2020), S. 24).Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kann allerdings nur beanspruchen, wem prinzipiell im gesamten Zielstaat der Abschiebung, also landesweit, die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung droht (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 - A 11 S 316/17 -, juris, Rn. 32).
Die Lage von Rückkehrern in Mogadischu, dem Zielort einer möglichen Abschiebung des Klägers, stellt sich anhand der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse wie folgt dar:
Rückkehrer können zumeist nur über ihr Clannetzwerk Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Einer weiteren Quelle zufolge soll allerdings in der Stadt das Netzwerk aus Familie, Bekannten und Clan-Angehörigen weniger wichtig sein als auf dem Land (BFA 2019, S. 130). Insgesamt ist die Clanstruktur in Mogadischu heterogen. Die Stadt ist dennoch in unterschiedliche Clan-Einflusszonen aufgeteilt, sodass der Clanzugehörigkeit in allen Lebenslagen eine hohe Bedeutung zukommt. Es ist für ein Überleben in Mogadischu von zentraler Bedeutung, entweder über beträchtliche eigene Ersparnisse oder über ein lokales Netzwerk zu verfügen. Grund dafür ist, dass für alle Dienstleistungen gezahlt werden muss, da es keine öffentlichen Dienstleistungen gibt. Es gibt wenig Jobangebote und die verfügbaren Jobs werden anhand des Clannetzwerkes vergeben. Auch für die Gründung eines Unternehmens sind gute Kontakte vonnöten. Denn aufgrund der Clanaufteilung kaufen Kunden – etwa eines Cafés oder eines Gemüsehändlers – grundsätzlich bei Angehörigen ihres Clans ein. Zudem sehen sich Rückkehrer in allen Geschäftsbereichen einer starken Konkurrenz ausgesetzt (FIS 2018, S. 22). Generell seien die Clanzugehörigkeit und Geld die wichtigsten Faktoren, die vor Armut schützen. Angehörige von Minderheiten hätten meist beides nicht (SEM 2017, S. 48).
Die berufsständischen Minderheiten (zu denen auch die Madhiban zählen) zeichnen sich durch die Ausübung von Berufen aus, die in Somalia traditionell als "unrein" gelten. Dazu zählen Schmiede, Schuhmacher, Töpfer, Jäger und Sammler, Giftmacher und Friseure sowie Hebammen und Beschneider. Eine alternative Bezeichnung ist Gaboye. Schätzungen ihrer landesweiten Anzahl variieren stark (SEM 2017, S. 14ff; SFH 2018, S. 3f.; Landinfo 2016, S. 1ff. und 6). Sie praktizieren das Aufzählen der Väter (im Gegensatz zu den Mehrheitsclans aber nicht bis zu den "noblen" Vorvätern Samaal oder Sab, vgl. Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, Stand: 20.11.2019 (Im Folgenden: BFA 2019), S. 85; SEM 2017, S. 21) und die Zugehörigkeit zu einem "Clan" hat für sie eine ebenso große Bedeutung wie bei den Angehörigen von Mehrheitsclans (SEM 2017, S. 15f., 20f.). Da sie als "unrein" gelten, werden Angehörige der Berufskasten seit dem frühen 20. Jahrhundert einer Segregation unterworfen, obwohl sie weitgehend die gleiche physische Erscheinung und Gebräuche haben und dieselbe Sprache sprechen wie die Angehörigen der Mehrheitsclans. Angehörigen der Mehrheitsclans ist es traditionell verboten, einen Gaboye zu heiraten, wenn sie nicht selbst von ihrem Clan ausgestoßen werden wollen. Üblicherweise weigern sich Somalier von einem Mehrheitsclan gemeinsam mit einem Gaboye zu essen. Da sie meist keinen Grundbesitz haben, sind Gaboye häufig ökonomisch marginalisiert. Die wenigen gut gebildeten Gaboye können sich ihr Berufsfeld aussuchen, während die meisten körperliche Arbeit und Servicejobs verrichten. Nach dem Verlust der Monopolstellung für die „unreinen“ Berufstätigkeiten infolge der Globalisierung sind viele ihrer klassischen Berufe seltener geworden. Mit dem Verschwinden ihrer traditionellen Lebensweise sind viele in städtische Gebiete oder Lager für Binnenvertriebene gezogen (United Kingdom, Home Office, Country Policy and Information, Somalia: Majority Clans and minority groups in south and central Somalia, Januar 2019 (Im Folgenden: UK 2019), S. 25 f.; SFH 2018, S. 5, Landinfo 2016, S. 4, 6f.).
Seit der Jahrtausendwende sind in Somalia generell Verbesserungen der Behandlung der Minderheiten zu verzeichnen. So können sie mittlerweile die Schule besuchen. Dennoch werden gerade die Berufskasten weiterhin diskriminiert. Sie haben aber nicht mehr den Status als Leibeigen, stattdessen wird ihr Status mit den von "Unberührbaren" verglichen (SEM 2017, S. 38, 40). In Somaliland hat die Anerkennung von Clan-Ältesten der Gaboye zu einer Aufwertung berufsständiger Gruppen geführt. Dies geht auch mit einer gewissen sozialen Sicherheit einher. Die Gaboye haben demnach auch im traditionellen Rechtssystem des Xeer ihre Rechte. Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten nicht systematisch. Andererseits geht die Polizei Vergehen gegen Angehörige der Minderheiten häufig nicht nach (SEM 2017, S. 40f.; USDOS 2018). Gesellschaftlich vollzieht sich mittlerweile ein Sinneswandel. Insbesondere in der jüngeren Generation ist es für Angehörige von Mehrheitsclans üblich, mit Angehörigen der Minderheiten zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Nach Einschätzung einer westlichen Botschaft kommt es im Allgemeinen zu keinen gezielten Angriffen oder Misshandlungen der Gaboye (SEM 2017, S. 42 f.). Dies wird durch die Angaben von zwei Mitarbeitern von Interessenvertretern der Minderheiten in Hargeisa bestätigt, denen zufolge das Risiko einer Vergewaltigung für eine Gaboye-Frau nicht höher sei als für eine Mehrheits-Frau. Zudem könnten auch Gaboye zu Tätern werden. In den sich üblicherweise anschließenden traditionellen Konfliktlösungen würden die Gaboye als gleichberechtigt betrachtet (Landinfo 2016, S. 8). Andererseits werden Vergewaltigungen nach Angaben von somalischen Nichtregierungsorganisationen häufig nicht verfolgt, insbesondere wenn die Opfer Binnenvertriebene oder Angehörige von Minderheiten sind (USDOS 2018).
Angehörige der Minderheiten haben aufgrund ihrer meist schlechteren Bildung auf dem Arbeitsmarkt zudem einen Wettbewerbsnachteil. Bei Anstellungen wird noch häufig nach der Clanzugehörigkeit gefragt. In der Folge sind sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht und werden auf viele Weise diskriminiert und ausgeschlossen. Aufgrund der kleinen Diaspora profitieren Angehörige der Berufskasten in Somalia zudem nur in geringerem Ausmaß von Rücküberweisungen aus dem Ausland (SEM 2017, S. 47f., Landinfo 2016, S. 5, 7; USDOS 2018; Deutschland, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, Stand Januar 2020 (Im Folgenden: AA 2020), S. 12f.).
Rückkehrer müssen sich darauf einstellen, dass die Versorgung mit Lebensmitteln in weiten Landesteilen nicht gewährleistet ist. Mit großer internationaler Kraftanstrengung im Bereich der humanitären Hilfe kann mittlerweile zumindest verhindert werden, dass die wiederkehrenden Dürren und Überschwemmungen Hungertote fordern. Sozialen Wohnraum oder Sozialhilfe gibt es nicht. Daher bietet allein die erweiterte Familie inklusive des Sub-Clans oder Clans ein rudimentäres soziales Sicherheitsnetz (AA 2020, S. 21). Generell gestaltet sich die Situation für Rückkehrer ohne Geld und Netzwerk schwierig (BFA 2019, S. 130). Rückkehrer laufen laut Hilfsorganisationen Gefahr, in Lagern von Binnenvertriebenen zu enden (AA 2020, S. 22; BFA 2019, S. 131; USDOS 2018). In Mogadischu leben nach Angaben des UNHCR zum Jahresende 2019 schätzungsweiße 480.000 Binnenvertriebene (IDPs). Sie sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, zu denen Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkungen und Diskriminierung aufgrund von Clan-Zugehörigkeiten zählen. Notdürftig errichtete Behausungen werden immer wieder geräumt (ca. 11.000 Vertreibungen pro Monat laut UN), mit der Folge, dass die Bewohner in entlegene und unsichere Außenbezirke der Stadt umziehen müssen. Dort gibt es zum Teil gar keine soziale Grundversorgung und die Menschen leben unter äußert schlechten Bedingungen (AA 2020, S. 21; BFA 2019, S. 112f.). Die hohe Anzahl an Binnenvertriebenen ist zudem ein Hinweis auf die Überlastung des Clansystems in seiner Funktion als soziales Sicherungsnetz (BFA 2019, S. 128). Diese Gruppe war zudem direkt von der COVID 19-Pandemie betroffen, die zu einem Rückgang der Rücküberweisungen aus dem Ausland, erhöhten Preisen für Nahrungsmittel und einem Rückgang an Arbeitsplätzen und Erwerbsmöglichkeiten führte. IDPs in Mogadischu zählen nach den Angaben des Famine Early Warning Systems Network deshalb zu den Gruppen, die dringend auf Nahrungs- und Gesundheitshilfe angewiesen sind. Bei ihnen ist aufgrund von Messungen des Oberarmumfangs sowie dem Verhältnis von Körpergewicht zu -größe eine Global Acute Malnutrition (GAM) in kritischem Umfang prävalent. In Banaadir (Mogadischu) soll die Anzahl an Menschen, die ohne humanitäre Unterstützung von einer akuten Nahrungsmittelunsicherheit des Stufe 3 oder 4 betroffen seien werden, von Oktober bis Dezember 2020 auf 370.000 Personen ansteigen. Dies ist bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 2,2 Millionen ein Anteil von 16,8%. Zusätzlich sollen dann etwa 500.000 Menschen von der Stufe 2 betroffen sein. (Famine Early Warning Systems Network, Somalia, Key Message Update, September 2020). Oxfam vergleicht die Lage mit der im Jahr 2017, als in Somalia, Südsudan, Nigeria und Jemen nur mit Hilfe von humanitären Mitteln der internationalen Gemeinschaft in Höhe von 4,6 Milliarden Euro eine drohende Hungersnot abgewendet werden konnte. Heute sei der Hunger in denselben Ländern wieder weitverbreitet, ausgelöst durch das Wechselspiel von bewaffneten Konflikten, schleppender wirtschaftlicher Entwicklung, Naturkatastrophen und der COVID-19 Pandemie. In Somalia droht zwar noch keine Hungersnot (Integrated Food Security Phase Classification (IPC) Stufe 5), dennoch seien 3,5 Millionen Menschen von akuter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen (IPC Stufe 3 oder höher). Ende September hatten die Geberstaaten jedoch erst 28% der seitens der Vereinten Nationen für den Global Humanitarian Response Plan for COVID-19 erbetenen 10,19 Milliarden Euro an Hilfen zugesagt. Somalia weißt allerdings mit 73% der Mittel für Lebensmittelsicherheit und 45% der Mittel für Ernährung im internationalen Vergleich eine relativ niedrige Finanzierungslücke für die humanitäre Hilfe auf (Oxfam International, Later will be too late, Briefing, Oktober 2020).
Die Mehrheit der somalischen Erwerbstätigen lebt von Subsistenzwirtschaft. Rück-überweisungen aus der Diaspora stellen für bis zu 40% der Bevölkerung eine unverzichtbare Einnahmequelle dar. Diese werden vor allem für Lebensmittel verwendet und auch mit anderen Menschen geteilt, die keine Rücküberweisungen erhalten. Insgesamt arbeitet der größte Anteil an Männern und Frauen in Süd- und Zentralsomalia und Puntland in der Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8%). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1%). Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch, die genauen Angaben weichen jedoch stark voneinander ab, zumeist überwiegt jedoch die Prozentzahl an Erwerbstätigen gegenüber den Arbeitslosen. In Mogadischu gaben bei einer Studie aus dem Jahr 2016 nur 6 % der befragten Jugendlichen an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Eine staatliche Unterstützung Arbeitsloser gibt es nicht. Männer finden unter anderem auf Baustellen, beim Graben, in Steinbrüchen, als Schuhputzer oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Die verbesserte Sicherheitslage hat in Mogadischu zu einem Bauboom geführt. Als Hilfsarbeiter am Bau ließen sich im Jahr 2017 in Dayniile (Banaadir) 10 US-Dollar pro Tag verdienen, als Rickshaw-Fahrer oder Transporteur mit einer Eselkarre 10-12 US-Dollar pro Tag (BFA 2019, S. 115 ff.).
Für das Jahr 2018 liegen keine Informationen vor, wonach es gesunden jungen Männern im arbeitsfähigen Alter (15-29 Jahre; 14 % der Gesamtbevölkerung Somalias) an einer Existenzgrundlage mangeln würde, oder dass alle diese Männer keine Unterkunft haben würden (BFA 2019, S. 128f.).
Die Folgen der COVID-19 Pandemie für die somalische Wirtschaft sind bisher weniger drastisch als erwartet. Die Weltbank geht statt einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts von 2,5% nunmehr nur noch von einem Minus von 1,5% aus. Die Anzahl an täglichen Neuinfektionen geht mittlerweile wieder zurück, auch wenn es noch zu früh ist, um Somalia ein nachhaltiges Abflachen der Infektionskurve zu attestieren. Insgesamt liegt die Anzahl an Erkrankten am 21. September 2020 seit März bei 3.390 Fällen und 98 Todesfällen, wobei gut 44% der Fälle in Banaadir gezählt wurden. Beschränkungen der Ein- und Ausreise nach Somalia wurden seitens der somalischen Regierung zurückgenommen und internationale Flughäfen wurden wieder in Betrieb genommen. (UN OCHA, Somalia, COVID-19 Impact Update No. 12, 21. September 2020).
Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professionalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt. Das RMO hat für alle Rückführungsmaßnahmen nach Somalia eine einheitliche Prozedur festgelegt, die konsequent zur Anwendung gebracht wird. Nach vorliegenden Erkenntnissen werden Rückkehrer vom RMO/der IND grundsätzlich mit Respekt behandelt. Das RMO führt mit den rückgeführten Personen nach deren Ankunft in Mogadischu grundsätzlich ein Interview durch, um deren Identität, Nationalität, Familienbezüge sowie den gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort zu klären. Gegebenenfalls werden eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug organisiert und bezahlt, die Rechnung begleichen die rückführenden Staaten (AA 2020, S. 23).
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger in Mogadischu einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt werden wird, etwa, weil er keinen Zugang zum Arbeitsmarkt, einer Unterkunft oder medizinischer Grundversorgung hätte und nur in einem Lager für Binnenvertriebene Zuflucht finden könnte. Der Kläger gehört zwar einer berufsständigen Minderheit an, die auf dem Arbeitsmarkt weiterhin diskriminiert wird. Gerade jüngere Somalier stehen der traditionellen Diskriminierung der berufsständigen Gruppen jedoch kritisch gegenüber und pflegen Freundschaften und Arbeitsbeziehungen zu Angehörigen der Minderheiten. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger auf dem Arbeitsmarkt für einfachere Tätigkeiten in Mogadischu so schwerwiegend benachteiligt wäre, dass er keinen Zugang zum Arbeitsmarkt hätte. Nach den Angaben des Klägers hat er in Somalia keine Familienangehörigen mehr. Das ist bei der Wohnungs- und Arbeitssuche in Somalia ein erheblicher Nachteil. Aufgrund der heterogen Bevölkerung in Mogadischu ist jedoch davon auszugehen, dass dort auch Angehörige seines eigenen Clans, der Madhiban, leben. Somit kann der Kläger zumindest auf ein gewisses Clannetzwerk zurückgreifen, das er für die Wohnungs- und Arbeitssuche nutzen können wird. Zudem platzieren größere Firmen Stellenangebote auch an Hauswänden oder in lokalen Medien. Auch kann angenommen werden, dass es in Mogadischu vielmehr Arbeitsmöglichkeiten gibt als an anderen Orten Somalias. Der ökonomische Wiederaufbau verlangt auch nach jungen Menschen ohne Bildung und Arbeitserfahrung, weshalb in der Stadt die Nachfrage nach Hilfsarbeitern steigt. Mit zunehmender Kaufkraft der Bevölkerung steigt auch die Nachfrage nach Dienstleistungen wie Hausarbeit (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juli 2019 – A 9 S 1566/18 – Juris Rdnr. 41; BFA 2018 S. 118 ff.). Laut einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben in Mogadischu nur 6 % der befragten jungen Männer an, arbeitslos zu sein (BFA 2019, S. 118). Erkenntnisse über eine massenhafte Arbeitslosigkeit unter jungen, gesunden Männern gibt es nicht. Der Markt für Tagelöhner hat zwar infolge der Einschränkungen wegen der COVID 19-Pandemie zeitweise gelitten, ist aber nicht zum Erliegen gekommen. Es ist davon auszugehen, dass der Zugang zu diesem Teil des Arbeitsmarktes auch ohne Patronage durch einen Clan möglich ist, weil diese Tätigkeiten kein gesellschaftliches Ansehen genießen. Die meisten Angehörigen der berufsständischen Minderheiten verrichten körperliche Arbeiten oder sind im Servicebereich tätig (s.o.). Daher ist die Clanzugehörigkeit des Klägers zumindest in diesen Bereichen kein Nachteil. Nach alledem erscheint die Prognose als realistisch, dass der Kläger trotz Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan und ohne familiären Rückhalt jedenfalls in Mogadischu zumindest einen Erwerb als Tagelöhner auf dem Bau, im Hafen oder im Dienstleistungsgewerbe finden wird. Ein solcher Erwerb ist ihm auch zumutbar. Der Kläger ist auch arbeitsfähig. Der Kläger hat angegeben, in Deutschland in einem Fabriklager gearbeitet zu haben. Er sei nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 2016 zwar sechs Monate lang krank gewesen und habe während dieser Zeit nicht gearbeitet. Er habe nach diesen sechs Monaten jedoch wieder angefangen zu arbeiten (S. 6 u. 15 der Sitzungsniederschrift). Der Arztbrief vom 1. Mai 2017, der dem Kläger eine Posttraumatische Belastungsstörung sowie Anpassungsstörungen diagnostiziert und einen eintägigen stationären Klinikaufenthalt belegt, lässt keinen Schluss auf eine andauernde Einschränkung des Klägers zu. Aktuellere ärztliche Atteste hat der Kläger auch auf die Verfügung der Kammer vom 2. November 2020, mit der er unter anderem zur Einreichung von ärztlichen Attesten bis zum 3. Dezember 2020 aufgefordert wurde, nicht eingereicht. Mit einer für den Kläger erlangbaren und zumutbaren Arbeit wird er sein Existenzminimum sichern können. Es ist davon auszugehen, dass er mit einfachen Tätigkeiten in Mogadischu etwa 10 US-Dollar pro Tag erwirtschaften können wird (s.o.). Die Lebenshaltungskosten einer vierköpfigen Familie in Mogadischu werden auf 400 US-Dollar pro Monat geschätzt, wobei ein ungelernter Arbeiter mit körperlicher Arbeit normalerweise 200 US-Dollar monatlich verdient (so auch m. w. N.: Bay. VGH, Urteil vom 17. Juli 2018 – 20 B 17.31659 – Juris Rn. 39). Mit 200 bis 300 US-Dollar pro Monat dürften dem alleinstehenden Kläger daher zumindest keine menschenunwürdigen Umstände drohen. Sollte sich der Kläger dazu entschließen, ein eigenes Unternehmen zu eröffnen, wäre ihm dies aufgrund seiner Clanzugehörigkeit grundsätzlich nicht verwehrt. Er könnte zumindest auf die Angehörigen seines Clans als Kunden zurückgreifen. Das RMO wird mit dem Kläger im Falle seiner Rückkehr zudem ein Interview durchführen und ihm gegebenenfalls eine erste Unterkunft organisieren. In Mogadischu besteht grundsätzlich auch ein guter Zugang zu Geld- oder sonstiger Hilfe von Hilfsagenturen (BFA 2019, S. 128). Aufgrund der zugesagten internationalen Hilfslieferungen ist für Somalia auch nicht mit einer Hungersnot zu rechnen. Außerdem ist anzunehmen, dass der in Amerika lebende Onkel des Klägers ihn im Notfall erneut mittels einer Überweisung unterstützen würde. Gemeinsam mit einem weiteren, mittlerweile verstorbenen Onkel des Klägers hatte er die Flucht des Klägers mit insgesamt 7.200 US-Dollar unterstützt (S. 3 der Sitzungsniederschrift). Der Kläger war in Deutschland längere Zeit berufstätig. Es ist davon auszugehen, dass er, seit dem Tod seiner Mutter im Jahr 2016, keine Rücküberweisungen mehr aufbringen musste und daher über gewisse eigene Ersparnisse verfügt. Er hat zudem die deutsche Sprache erlernt. Gegenüber Binnenvertriebenen und anderen Angehörigen von Minderheiten ist er insofern bessergestellt, als er als junger, gesunder und alleinstehender Mann in Mogadischu sein Einkommen erwirtschaften kann. Er hat außerdem im Ausland Berufserfahrung gesammelt und Sprachkenntnisse erworben. In Notlagen kann er zudem auf die Unterstützung eines Verwandten im Ausland, der ihn bereits in der Vergangenheit finanziell unterstützt hat, sowie auf eigene Ersparnisse zurückgreifen.
Das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG bietet in verfassungskonformer Auslegung keinen weitreichenderen Schutz vor allgemeinen Gefahren im Herkunftsland als § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juli 2019 - A 9 S 1566/18 -, juris Rn. 50ff.).
Auch aus gesundheitlichen Gründen liegt bei dem Kläger keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit vor. Die vom Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung behaupteten Beschwerden (Migräne, vgl. S. 9 der Sitzungsniederschrift) hat er trotz der Verfügung der Kammer vom 2. November 2020, mit der er unter anderem zur Einreichung von ärztlichen Attesten bis zum 3. Dezember 2020 aufgefordert wurde, nicht glaubhaft gemacht. Die bereits erwähnte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung genügt den Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i. V. m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG an die Glaubhaftmachung nicht, da weder die Methode der Tatsachenerhebung, der Schweregrad der Erkrankung noch die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthält. Zudem wurde die Diagnose vor mehr als drei Jahren gestellt, so dass nicht feststeht, dass der Kläger aktuell noch an der Erkrankung leidet. Die vom Kläger ebenfalls erstmalig in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten weiteren Leiden (Schlafstörungen, Zittern, Probleme mit dem Herz) wurden vom Kläger selbst als in der Vergangenheit liegend beschrieben (vgl. S. 9 und 15 der Sitzungsniederschrift).
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG sowie § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO