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Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch; Zweckentfremdung; Ausgleichszahlungen; öffentlich-rechtlicher Vertrag; teilweiser Vollstreckungsverzicht; Unwirksamkeit der Zweckentfremdungsverbot-Verordnung ab dem 1. September 2000; Nichtigkeit von Landesrecht; Vollstreckungshindernis (verneint); Zeitpunkt der Nichtigkeit der Norm; Rechtssicherheit; Einzelfallgerechtigkeit


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat Entscheidungsdatum 19.08.2011
Aktenzeichen OVG 5 N 4.08 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen WoZwEntfrV BE, § 183 S 1 VwGO, § 183 S 2 VwGO

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. November 2007 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 423.064,24 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin erhielt als Eigentümerin des Hausgrundstückes K… in Berlin aufgrund bestandskräftiger Bescheide vom 27. September 1993 und vom 11. Mai 1994 Abrissgenehmigungen für die auf ihrem Grundstück befindlichen Wohnungen, verbunden mit der Auflage, einmalige Ausgleichszahlungen in Höhe von insgesamt 3.761.099,00 DM (= 1.923.019,38 €) aufgrund der Zweckentfremdungsverbot-Verordnung zu zahlen. Diese Forderungen wurden mangels Schaffung von Ersatzwohnraum am 6. Juni 1996 fällig, in der Folgezeit von der Klägerin jedoch nicht beglichen. In einem mit dem Beklagten am 22. Februar 2001 geschlossenen „Vergleichsvertrag“ verpflichtete sich die Klägerin zur ratenweisen Zahlung eines Betrages von (lediglich) 1.269.192,62 €. Diese Summe zahlte die Klägerin vollumfänglich, wobei sie allerdings die letzten Raten in Höhe von 423.064,24 € im Hinblick auf die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 13. Juni 2002, in denen die Zweckentfremdungsverbot-Verordnung als zum 1. September 2000 unwirksam betrachtet worden war, unter Vorbehalt leistete. Am 13. Juni 2003 beantragte sie das Wiederaufgreifen des Verfahrens sowie hilfsweise eine Anpassung des Vergleichsvertrages und Rückzahlung der Ausgleichszahlungen. Dies lehnte der Beklagte zuletzt mit Schreiben vom 4. Mai 2005 ab.

Die auf Rückzahlung von 423.064,24 € gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 28. November 2007 abgewiesen. Die Tatsache, dass das Oberverwaltungsgericht Berlin die Zweckentfremdungsverbot-Verordnung mit Urteilen vom 13. Juni 2002 als zum 1. September 2000 unwirksam geworden betrachtet habe, stehe einer Zahlungspflicht der Klägerin nicht entgegen, da Rechtsgrund für die Zahlungen die bestandskräftigen Ausgleichszahlungsauflagen in den Abrissgenehmigungen seien, hingegen nicht der zwischen den Beteiligten am 22. Februar 2001 geschlossene öffentlich-rechtliche Vertrag, der ausgehend von einer bereits bestehenden Zahlungsverpflichtung der Klägerin lediglich einen teilweisen Vollstreckungsverzicht des Beklagten sowie entsprechende Zahlungsmodalitäten beinhalte. Auf den Rechtsgedanken des § 183 Satz 2 VwGO, wonach aus einer Entscheidung nicht mehr vollstreckt werden dürfe, wenn sie auf einer für nichtig erklärten Norm beruhe, könne sich die Klägerin nicht berufen. Denn der Einwand unzulässiger Vollstreckung erfordere, da die Entscheidung sonst nicht auf einer nichtigen Norm „beruhen“ könne, dass die Norm zum Zeitpunkt der Entscheidung nichtig gewesen sei. Vorliegend sei die Zweckentfremdungsverbot-Verordnung erst von einem Jahre nach der Bestandskraft der Ausgleichszahlungsauflagen liegenden Zeitpunkt an vom Oberverwaltungsgericht Berlin für „außer Kraft getreten“ gehalten worden, während sie bis zu diesem Zeitpunkt von den Berliner Verwaltungsgerichten und dem Landesverfassungsgericht mehrfach  - wegen Fortbestehens einer Wohnraummangellage - für wirksam erachtet worden sei. Da ein Vollstreckungshindernis nicht vorliege, gehe auch das Argument der Klägerin, der Vergleichsvertrag sei auflösend bedingt auf den Wegfall der Vollstreckbarkeit, welcher mit den genannten obergerichtlichen Entscheidungen eingetreten sei, ins Leere. Ebenso wenig erfolgreich seien die Ausführungen der Klägerin zur Kündigung des Vergleichsvertrags. Eine Kündigungserklärung sei nicht ersichtlich, es fehle zudem an einem Kündigungsgrund, und der Vergleichsvertrag sei im Übrigen nicht Rechtsgrund für die Zahlungen der Klägerin.

Gegen dieses Urteil richtet sich der auf Zulassung der Berufung gerichtete Antrag der Klägerin.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.

1. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist auf der für den Senat allein maßgeblichen Grundlage der Darlegungen in der Antragsbegründung (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) nicht gegeben. Die Klägerin trägt keine schlüssigen Argumente vor, die einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung in Frage stellen würden.

Mit seinen Ausführungen wendet sich der Rechtsbehelf ausschließlich gegen die Argumentation des Verwaltungsgerichts, § 183 Satz 2 VwGO stehe einer Vollstreckung aus den bestandskräftigen Bescheiden nicht entgegen. Er hält die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, die Verwaltungsakte vom 27. September 1993 und 11. Mai 1994 seien vollstreckbar, da zum Zeitpunkt ihres Erlasses die Zweckentfremdungsverbot-Verordnung noch Gültigkeit gehabt habe, für fehlerhaft. Entscheidend sei, dass die Norm, aufgrund derer der Verwaltungsakt erlassen worden sei, im Zeitpunkt der Vollstreckbarkeit des Verwaltungsaktes infolge einer gerichtlichen Entscheidung nichtig sei.

Mit dieser Argumentation verkennt der Rechtsbehelf den Regelungsinhalt des § 183 VwGO, der § 79 Abs. 2 BVerfGG nachgebildet worden ist. § 183 Satz 1 VwGO bestimmt, dass in Fällen, in denen das Verfassungsgericht eines Landes die Nichtigkeit von Landesrecht festgestellt oder Vorschriften des Landesrechts für nichtig erklärt hat, vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung durch das Land die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen der Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die auf der für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben. Nach Satz 2 des § 183 VwGO ist die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung unzulässig.

Der Senat hat bereits erhebliche Zweifel, ob eine Anwendung von § 183 VwGO vorliegend überhaupt in Betracht zu ziehen ist, da es nicht um die Folgen der Nichtigkeitserklärung von Rechtsnormen, sondern um diejenigen des (automatischen) Außerkrafttretens wegen offenkundiger Entbehrlichkeit im Rahmen einer gerichtlichen Inzidententscheidung geht (die Anwendbarkeit verneinend s. etwa Beschlüsse des Senats vom 26. Oktober 2004 - OVG 5 N 14.04 - und vom 19. Oktober 2004 - OVG 5 N 63.04 -). Zudem sieht § 183 Satz 2 VwGO ein Vollstreckungsverbot vor, gebietet jdeoch keine Rückabwicklung, Erstattung oder sonst irgendwie geartete Folgenbeseitigung.

Jedenfalls ist § 183 VwGO - ungeachtet der weiteren Frage, ob die Norm analog oder in ihrem allgemeinen Rechtsgedanken auch für bestandskräftige Verwaltungsakte, deren Rechtsgrundlage entfallen ist, Anwendung findet (vgl. Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 183, vor Rn. 1, 29; Redeker/v. Oertzen, VwGO, 15. Aufl. 2010, § 183 Rn 1; Schoch/Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Mai 2010, § 187, Rn. 51 ff.) - auch aus einem anderen Grund nicht einschlägig: Die Vorschrift geht von dem Fall aus, dass eine Norm ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses oder jedenfalls aber ab einem Zeitpunkt vor Erlass der bestandskräftigen Entscheidung für nichtig erklärt wird und mithin ihrer Anwendung nachträglich der Boden entzogen worden ist. Nur für diesen Fall bedurfte es im Interesse der Rechtssicherheit und -beständigkeit der Klarstellung in § 183 Satz 1 VwGO, dass gerichtliche (bzw. behördliche), mit den allgemeinen Rechtsbehelfen nicht mehr anfechtbare Entscheidungen unberührt bleiben, und nur in einer derartigen Konstellation kann eine entsprechende Entscheidung auf der für nichtig erklärten Norm „beruhen“. Eine solche Interpretation ergibt sich zwanglos sowohl aus dem Wortlaut von § 183 Satz 1 und Satz 2 VwGO als auch aus der Intention des Gesetzgebers, das durch die Anwendung einer erst nachträglich als nichtig erkannten Norm geschaffene Unrecht nicht noch durch Vollstreckungsmaßnahmen weiter zu vertiefen (vgl. etwa zur Entstehungsgeschichte des § 79 BVerfGG Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand August 2010, § 79 Vorbem. Rn. 1  sowie BVerfGE 115, 51, 62 ff.; s. auch Posser/Wolff, a.a.O., Rn 1, 29; Schoch/Aßmann/Pietzner, a.a.O., Rn. 12 ff., 30 ff.; Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 183 Rn. 3). Beruht demgegenüber, wie auch vorliegend, eine Entscheidung auf der Anwendung einer Norm, deren Nichtigkeit lediglich bezogen auf einen späteren Zeitpunkt als denjenigen der Entscheidung erkannt und festgestellt wurde, ist die betreffende Entscheidung nicht zu Unrecht ergangen; es handelt sich bei ihr nicht um einen fehlerhaften Akt, der im Wege der Einzelfallgerechtigkeit (§ 183 Satz 2 VwGO) eines Ausgleichs gegenüber dem in § 183 Satz 1 VwGO manifestierten Grundsatz der Rechtssicherheit bedarf.

Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Zweckentfremdungsverbot-Verordnung vom Oberverwaltungsgericht Berlin erst als zum 1. September 2000 unwirksam betrachtet worden ist, während die Berliner Verwaltungsgerichte und das Landesverfassungsgericht sie bis dahin für (noch) wirksam gehalten haben. Da dementsprechend die Auflagen zu den Abrissgenehmigungen vom 27. September 1993 und 11. Mai 1994 bei ihrem Erlass nicht auf einer nichtigen Norm beruhten, ist ihre Vollstreckung nicht gehindert.

2. Der Antrag legt auch die behaupteten besonderen rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache nicht dar (vgl. §§ 124 Abs. 2 Nr. 2, 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), da sich die (Un-)Anwendbarkeit des § 183 Satz 2 i.V.m. § 183 Satz 1 VwGO ohne weiteres aus dem Wortlaut, der Systematik und dem Sinngehalt der Vorschrift entnehmen lässt.

3. Ebenso wenig liegt der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) vor.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung nur dann, wenn sie eine für die erstrebte Berufungsentscheidung erhebliche Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortentwicklung des Rechts der berufungsgerichtlichen Klärung bedarf. Klärungsbedarf besteht, wenn die Antwort auf die Rechtsfrage nicht schon feststeht, wenn sie also zu ernsthaften Zweifeln Anlass gibt. Das ist u.a. dann nicht der Fall, wenn die Antwort unmittelbar dem Gesetz zu entnehmen ist, dieses schon aus sich heraus verständlich ist, sie überhaupt (oder so gut wie) unbestritten oder höchstrichterlich bereits (ausreichend) geklärt ist.

Unabhängig davon, ob der Rechtsbehelf überhaupt in ausreichendem Maße eine konkrete Rechtsfrage bezeichnet, wirft § 183 Sätze 1 und 2 VwGO keine grundsätzlich klärungsbedürftige Fragestellung auf. Die Anwendbarkeit von § 183 Satz 2 i.V.m. § 183 Satz 1 VwGO ergibt sich aus den genannten Gründen aus dem Gesetz.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).