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Entscheidung 10 Ta 1325/11


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 10. Kammer Entscheidungsdatum 18.07.2011
Aktenzeichen 10 Ta 1325/11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 307 BGB, § 108 GewO, § 241 BGB, § 114 ZPO

Leitsatz

Auch im beendeten Arbeitsverhältnis kann einer Klage auf Entfernung einer Abmahnung nicht von vornherein die Erfolgsaussicht abgesprochen werden. Eine Ausschlussklausel, die auf das Entstehen eines Anspruchs abstellt, ist intransparent und unwirksam.

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 17. Juni 2011 wird der Beschluss des Arbeitsgerichtes Berlin vom 8. Juni 2011 - 38 Ca 1106/11 - teilweise abgeändert. Dem Kläger wird auch Prozesskostenhilfe

- für die Klage auf Entfernung der Abmahnung vom 27.12.2010 aus der bei der Beklagten geführten Personalakte

- für die beabsichtigte Vergütungsklage für die Monate November und Dezember 2010 in Höhe von 1.753,64 EUR brutto abzüglich für diesen Zeitraum erhaltener 826,94 EUR netto

- für die Vergütungsabrechnungen für die Monate September 2010 bis Februar 2011

mit der Maßgabe bewilligt, dass hinsichtlich der Prozesskosten vorläufig kein eigener Beitrag zu leisten ist.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

3. Gegen diesen Beschluss ist für die Parteien kein Rechtsmittel gegeben.

Gründe

I.

1.

Der Kläger ist 26 Jahre alt, ledig und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 10.9.2010 (Bl. 4-7 d.A.) stand der Kläger auf unbestimmte Zeit seit diesem Tage in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten. Unter der Überschrift „Aufgaben“ war vereinbart:

(1) Das Aufgabengebiet des Mitarbeiters umfasst insbesondere:

- das Ausliefern von Zeitungen, Zeitschriften sowie anderen Transportgütern.

(2) Der Arbeitnehmer wird mit allen einschlägigen Arbeiten nach näherer Anweisung der Arbeitgeber beschäftigt. Er ist verpflichtet, auch andere zumutbare Tätigkeiten zu verrichten.

Eine bestimmte Arbeitszeit wurde nicht vereinbart. Insoweit war unter der Überschrift „Arbeitszeit“ im Arbeitsvertrag lediglich vereinbart:

(1) Vereinbart ist eine Sechs-Tage- Arbeitswoche.

(2) Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie die Pausenregelung richten sich nach den Erfordernissen der Aufgabenstellung.

Unter der Überschrift „Vergütung“ war vereinbart:

(1) Der Arbeitnehmer erhält eine Brutto-Monatsvergütung in Höhe von 480,00 €.

(2) Die Vergütung ist jeweils ab dem 15. des darauf folgenden Monats fällig und wird dem Arbeitnehmer auf das Konto … überwiesen.

Weiter war in dem Arbeitsvertrag eine Probezeit von sechs Monaten sowie innerhalb der Probezeit eine Kündigungsfrist von vier Wochen zum Monatsende geregelt sowie unter der Überschrift „Ausschlussfrist für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ vereinbart:

Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten seit dem Entstehen gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht werden.

Unter der Überschrift „Änderungen und Ergänzungen“ vereinbarten die Parteien:

Mündliche Nebenabsprachen sind nicht getroffen. Änderungen und Ergänzungen sowie die ganze oder teilweise Aufhebung dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.

2.

Mit am 21.1.2011 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangener Klage vom 20.1.2011 begehrt der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit einer dem Kläger am 5.1.2011 zugegangenen außerordentlichen, fristlosen Kündigung der Beklagten vom 3.1.2011 (Bl. 8 d.A.). Zugleich beantragte der Kläger Prozesskostenhilfe für das Verfahren I. Instanz sowie die Beiordnung von Rechtsanwalt K. F.. Mit am 17.2.2011 eingegangenem Schriftsatz vom 15.2.2011 übersandte der Kläger die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Im Gütetermin am 8.3.2011 wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe in vollem Umfang unter Beiordnung der Rechtsanwälte F. und M. ab Antragstellung mit der Maßgabe bewilligt, dass hinsichtlich der Prozesskosten kein eigener Beitrag zu leisten sei.

Der Gütetermin endete mit der Anberaumung eines Kammertermins am 19.5.2011 sowie Auflagen an die Parteien. Dabei wies das Arbeitsgericht darauf hin, dass nach seiner Ansicht das Arbeitsverhältnis jedenfalls innerhalb der Probezeit fristgemäß zum 28.2.2011 geendet habe und Gründe für eine fristlose Kündigung derzeit nicht gesehen würden.

Mit am 4.3.2011 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tage führte die Beklagte eine dem Kläger unter dem 27.12.2010 erteilte Abmahnung wegen Unpünktlichkeit in das Verfahren ein. Mit am 8.4.2011 eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tage erhob die anwaltlich vertretene Beklagte Widerklage und begehrte die Verurteilung des Klägers, einen Fahrzeugschlüssel mit Fernbedienung für ein durch das amtliche Kennzeichen bestimmte Fahrzeug herauszugeben.

Im Kammertermin am 19.5.2011 schlossen die Parteien einen widerruflichen Vergleich, der von der Beklagten innerhalb der Widerrufsfrist am 1.6.2011 widerrufen wurde.

3.

Mit am 29.4.2011 eingegangenem Schriftsatz vom 27.4.2011 beantragte der Kläger die Abweisung der Widerklage sowie die Verurteilung der Beklagten, die Abmahnung vom 27.12.2010 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen. Für beide Anträge beantragte er unter Bezugnahme auf die unveränderte persönliche und wirtschaftliche Lage des Klägers Prozesskostenhilfe (Bl. 36 d.A.).

Mit am 4.5.2011 eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tage (Bl. 50-55 d.A.) begehrte der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klageerweiterung hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Vergütung in Höhe von 4.303,64 EUR brutto abzüglich gezahlter 1.580,44 EUR netto nebst Zinsen sowie der Abrechnung der Bruttovergütung vom 7.9.2010 bis 28.2.2011.

Hinsichtlich der weitergehenden Vergütungsansprüche verwies der Kläger darauf, dass das Arbeitsverhältnis bereits am 7.9.2010 begonnen habe. Die in dem am 10.9.2010 unterzeichneten Arbeitsvertrag genannte Vergütung habe sich lediglich auf tagsüber zu fahrende so genannte Medikamententouren bezogen. Die Nachttouren hätten von der Vergütung nicht umfasst sein sollen, wie die Beklagte auf ausdrückliche Nachfrage des Klägers am 10.9.2010 bestätigt habe. Mit außergerichtlichem Schreiben vom 15.3.2011 (Bl. 44-46 d.A.), welches dem Beklagtenvertreter am 15.3.2011 per Telefax zuging, machte der Kläger für verschiedene Touren insgesamt 4.303,64 EUR brutto von September 2010 bis Februar 2011 geltend. Die von ihm zugrunde gelegten Tourenvergütungen entsprächen der betrieblichen Praxis.

4.

Mit Beschluss vom 8.6.2011 (Bl. 61-62 d.A.) bewilligte das Arbeitsgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe für die Verteidigung gegen die Widerklage sowie Vergütungsansprüche in Höhe von 960,-- EUR brutto nebst Zinsen. unter Beiordnung der Rechtsanwälte F. und M. ab Antragstellung mit der Maßgabe bewilligt, dass hinsichtlich der Prozesskosten kein eigener Beitrag zu leisten sei.

Zur Begründung führte das Arbeitsgericht aus, dass die Klage auf Entfernung der Abmahnung bzw. beabsichtigte Klage angesichts des jedenfalls zum 28.2.2011 beendeten Arbeitsverhältnisses keine Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 114 ZPO habe und offensichtlich mutwillig im Sinne des § 11a Abs. 2 ArbGG erscheine. Auch die beabsichtigte Zahlungsklage sei mit Ausnahme der vertraglichen Vergütung für die Monate Januar und Februar 2011 mutwillig, weil der schriftliche Arbeitsvertrag die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich habe. Im Übrigen greife die vertraglich vereinbarte Ausschlussfrist von drei Monaten. Für den Anspruch auf Abrechnung sei eine Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich.

5.

Gegen diesen dem Klägervertreter am 14.6.2011 zugestellten Beschluss erhob dieser am 17.6.2011 teilweise sofortige Beschwerde (Bl. P 16 - P 22). Hinsichtlich der Abmahnung sei ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben, da der Kläger bei zukünftigen Bewerbungsgesprächen auf entsprechende Nachfrage die Abmahnung wegen Unpünktlichkeit erwähnen müsse. Da die Unpünktlichkeit aber nicht zutreffe, sei er in seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigt. Seine angestrebte Klage hinsichtlich der Vergütungsansprüche hat der Kläger, soweit Prozesskostenhilfe nicht bewilligt worden war, nun auf den nicht von der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist umfassten Zeitraum von November 2010 bis Dezember 2010 beschränkt. Der Vortrag des Klägers hinsichtlich der vom Arbeitsvertrag abweichenden mündlichen Vereinbarung sei weitgehend unter Zeugenbeweis gestellt. Für die geleistete Arbeit sei die arbeitsvertragliche Vergütung mit weniger als 4,00 € brutto für hauptsächliche Nacht-, Samstags- und Sonntagsarbeit sittenwidrig. Der Abrechnungsanspruch ergebe sich aus § 108 GewO.

6.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 21.6.2011 (Bl. 64 d.A.) der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, da der angegriffene Beschluss auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung zutreffend sei. Danach wurde die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

7.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 14.7.2011 Stellung genommen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers ist gem. §§ 78 Satz 1 ArbGG, 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, 567 ff. ZPO zulässig. In der Sache ist die sofortige Beschwerde auch begründet.

1.

Soweit der Kläger die Entfernung einer Abmahnung aus seiner Personalakte begehrt, ist entgegen der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (so etwa BAG, Urteil vom 11.5.1994 - 5 AZR 660/93 -) seit der Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes durch das „Gesetz zur Änderung datenschutzrechtlicher Vorschriften“ vom 14. August 2009 ein besonderes Rechtsschutzinteresse dafür auch im beendeten Arbeitsverhältnis nicht mehr erforderlich.

Der grundrechtliche Schutz der informationellen Selbstbestimmung erschöpft sich nicht in einem Abwehrrecht gegen staatliche Datenerhebung und Datenverarbeitung. Im Sinne objektiver Normgeltung zeitigt der Schutzgehalt auch im Privatrecht Wirkung, indem er auf die Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften strahlt. Auch der Richter hat kraft Verfassung zu prüfen, ob Grundrechte von der Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften betroffen sind und diese gegebenenfalls im Lichte des Grundrechts ausgelegt und angewendet werden müssen.

Dabei vermittelt das allgemeine Persönlichkeitsrecht keine absolute, uneingeschränkte Herrschaft über bestimmte Informationen. Die grundrechtliche Gewährleistung gilt vielmehr in den Grenzen der verfassungsmäßigen Ordnung. Der Einzelne muss deshalb Einschränkungen im überwiegenden Allgemeininteresse im Rahmen der Verhältnismäßigkeit hinnehmen. Die Rechtfertigungsanforderungen richten sich im Einzelnen nach dem Gewicht des Eingriffs, insbesondere der Art der betroffenen Information, dem Anlass und den Umständen der Erhebung, dem Personenkreis der Betroffenen sowie der Art der möglichen Datenverwertung. Für den Privatrechtsverkehr kann die Rechtsordnung Pflichtenbindungen für persönlichkeitsrelevante Informationsverarbeitungen vorsehen, soweit dies hinreichend gewichtigen Belangen des Allgemeinwohls dient und angemessen ist.

Aus dieser Ausstrahlung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers in Schutz- und Rücksichtnahmepflichten des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB folgt jedenfalls auch die Pflicht des Arbeitgebers, keine unrichtigen Daten über den Arbeitnehmer aufzubewahren (BAG; Urteil vom 16.11.2010 - 9 AZR 573/09 -).

Deshalb kann ein Arbeitnehmer auch nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses die Entfernung persönlichkeitsrechtsverletzender Informationen verlangen. Jedenfalls kann einer solchen Klage nicht von vornherein die Erfolgsaussicht abgesprochen oder diese als mutwillig angesehen werden.

2.

Da der schriftliche Arbeitsvertrag das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht regelt, erscheint er zumindest insoweit intransparent.

Bei dem Arbeitsvertrag vom 10.9.2010 handelt es sich um einen von der Beklagten vorformulierten Vertrag, auf den die Vorschriften der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Anwendung finden. Ansatzpunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist der Wortlaut eines Formularvertrags nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind schließlich auch der von den Arbeitsvertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die Interessenlage der Beteiligten (vgl. BAG, Urteil vom 19.3.2008 - 5 AZR 429/07 -).

Nach dem Vortrag des Klägers wurde das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung vor Abschluss des schriftlichen Vertrages mündlich zwischen den Parteien besprochen. Bei Abschluss des schriftlichen Vertrages soll dieses nach dem Vortrag des Klägers wiederholt worden sein. Danach wäre die vertragliche Vergütung der Arbeitsleistung des Klägers mit den von ihm in dem Schreiben vom 15.3.2011 aufgeführten Touren unverhältnismäßig. dieses benachteiligt den Kläger unangemessen (§ 307 BGB).

Deshalb kann mit der vom Arbeitsgericht angenommenen Begründung der Vollständigkeit und Richtigkeit die Versagung der Prozesskostenhilfe für den Kläger nicht begründet werden. Denn zumindest vollständig ist der Arbeitsvertrag hinsichtlich der vom Kläger zu erbringenden Gegenleistung nicht. Und angesichts der vom Kläger vorgetragenen Arbeitseinsätze erscheint auch die Annahme der Richtigkeit für die Vergütungshöhe mehr als zweifelhaft und jedenfalls in der Nähe der Sittenwidrigkeit.

Jedenfalls kann einer solchen Klage nicht von vornherein die Erfolgsaussicht abgesprochen oder diese als mutwillig angesehen werden.

3.

Der Anspruch auf die Erteilung von Vergütungsabrechnungen folgt, wie der Kläger zutreffend ausführt, aus § 108 GewO. Zwar findet grundsätzlich auch die Ausschlussklausel des Arbeitsvertrages auf diesen Anspruch Anwendung, doch erscheint die Klausel im Rahmen einer summarischen Prüfung hinsichtlich der Prozesskostenhilfebewilligung intransparent. Denn anders als die im Arbeitsleben üblichen Ausschlussklauseln knüpft die Klausel in dem Arbeitsvertrag der Parteien nicht an die Fälligkeit eines Anspruchs an, sondern an das Entstehen des Anspruchs. Wann danach die Ausschlussfrist beginnt, ist unklar und benachteiligt den Kläger unangemessen (§ 307 BGB).

Deshalb kann auch einer solchen Klage nicht von vornherein die Erfolgsaussicht abgesprochen oder diese als mutwillig angesehen werden.

III.

Ein Grund, der die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG rechtfertigen könnte, besteht nicht.