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Entscheidung 4 Sa 767/12


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 4. Kammer Entscheidungsdatum 31.10.2012
Aktenzeichen 4 Sa 767/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 1 KSchG, § 5 KSchG, § 79 BPersVG, § 155 SGB 5, § 164 SGB 5

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 09. Februar 2012 - 59 Ca 8261/12 - abgeändert.

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der mit Bescheid des Bundesversicherungsamtes vom 04. Mai 2012 angeordneten Schließung der C. BKK mit Ablauf des 30. Juni 2011 beendet worden ist.

2. Es wird unter nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage festgestellt,

dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 19. Mai 2011 nicht aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zu den bisherigen Arbeitsbedingungen des Arbeitsvertrags vom 02. April 2001 als Sozialversicherungsfachangestellte in Vollzeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch Gesetz oder durch Kündigung der Beklagten geendet hat

Die Klägerin stand seit dem 01. April 2001 in einem Arbeitsverhältnis als Sozialversicherungsfachangestellte zur BKK B., welche mit Wirkung zum 01. Januar 2004 mit der BKK H. zur beklagten C. BKK fusionierte. Diese fusionierte ihrerseits zum 01.01.2005 mit der BKK Ba. und der Be. BKK. Die Klägerin ist ordentlich kündbar. Die Beklagte beschäftigte regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten.

Nachdem zuvor eine Überschuldung der Beklagten angezeigt worden war, ordnete das Bundesversicherungsamt mit Bescheid vom 4. Mai 2011 die Schließung der Beklagten zum 30. Juni 2011 an. Mit Schreiben vom 06. Mai 2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Arbeitsverhältnis am 30. Juni 2011 aufgrund der Schließung enden werde. Hinsichtlich der Einzelheiten des Schreibens wird auf Bl. 12 -13 d. A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 20. April 2011 (Bl. 137 d. A.), 4. Mai 2011 (139 d. A.) und erneut vom 4. Mai 2011 (Bl. 142 d. A.) hörte die Beklagte den bei ihr errichteten Personalrat zu den beabsichtigten Kündigungen aller Beschäftigter an. Der Personalrat widersprach den beabsichtigten Kündigungen mit Schreiben vom 17. Mai 2011. Hinsichtlich des genauen Wortlauts des Schreibens des Personalrats vom 17. Mai 2011 wird auf Bl. 144 – 145 d. A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 19. Mai 2011, der Klägerin zugegangen am 30. Mai 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin vorsorglich zum 30. Juni 2011, hilfsweise zum 30. September 2011. Gegen die Kündigung wandte sich die Klägerin mit am 04. Juli 2011 beim Arbeitsgericht eingegangener Klageerweiterungsschrift unter gleichzeitiger Beantragung der nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage. Hinsichtlich der Gründe, auf die die Klägerin ihren Antrag auf nachträgliche Zulassung stützt, wird auf Bl. 26 – 33 d. A. und hinsichtlich der entsprechenden Glaubhaftmachung auf Bl. 37 – 45 d. A. verwiesen.

Die Beklagte firmiert seit ihrer Schließung als "C. BKK Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung". Seit Juli 2011 werden Abwicklungsarbeiten durchgeführt und dafür bisherige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – so auch die Klägerin – mit neuen befristeten Arbeitsverträgen eingesetzt. Ein Bedarf an der Arbeitskraft der Klägerin bestand nach Angabe der Beklagten (S. 34 des Schriftsatzes vom 31. August 2012 = Bl. 125 d. A.) bis zum 30.6.2012. Entsprechend erfolgte die befristete Beschäftigung der Klägerin vom 1. Juli 2011 bis zum 30.Juni 2012.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Arbeitsverhältnis sei nicht durch Gesetz beendet worden. Zunächst läge eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen Angestellten der Betriebskrankenkassen einerseits und solchen der Innungskrankenkassen andererseits hinsichtlich anderweitiger Unterbringung bei Kassenschließung vor. Die Regelung des § 164 Abs. 4 S. 1 SGB V sei nicht mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, was sich auch aus einem Vergleich zu den Abwicklungsvorschriften nach der Insolvenzordnung zeige. Jedenfalls seien die Regelungen verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass eine Beendigung der Arbeitsverhältnisse nicht erfolge, jedenfalls nicht, solange keine zumutbare Stellung bei einer anderen Betriebskrankenkasse angeboten worden sei. Eine Gefährdung des Allgemeinwohls bei Notwendigkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung (anstatt Beendigung der Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes nach Schließungsbescheid) läge objektiv nicht vor, ebenso wenig eine wirtschaftliche Überforderung der anderen Betriebskrankenkassen. Zudem sei die angebliche Überschuldung nicht durch die Personalkosten verursacht, sondern durch eine ungünstige Versichertenstruktur. Bei richtiger Auslegung zwinge § 155 Abs.1 SGB V gerade dazu, die vorhanden Beschäftigten für die erforderlichen Abwicklungsarbeiten heranzuziehen. Ebenso sei die Kündigung unwirksam. Die Kündigungsschutzklage sei auch nachträglich zuzulassen.

Die Beklagte hat demgegenüber die Ansicht vertreten, die Regelungen des §§ 164 Abs. 4 S. 1 SGB V seien verfassungskonform. Die Regelung begründe keinen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG, da die BKK aufgrund der Schließung ihre Rechtspersönlichkeit verloren habe. Damit gehe den Arbeitnehmern Ihr Arbeitgeber ipso jure verloren. Die durch § 155 Abs. 1 S. 2 SGB V fingierte Abwicklungskörperschaft sei teilrechtsfähig und mit der ursprünglichen Arbeitgeberin, der geschlossenen BKK, nicht identisch. Jedenfalls sei ein etwaiger Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt. Mit der gesetzlich angeordneten Beendigung der Arbeitsverhältnisse zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Schließung solle eine finanzielle Überforderung der Versichertengemeinschaft vermieden und damit ein funktionsfähiges und für alle Versicherten bezahlbares Gesundheitssystem erhalten werden. Hierbei handele es sich um ein Gemeinwohlgut höchsten Ranges. Der gesetzliche Beendigungstatbestand nach § 164 Abs. 4 S. 1 SGB V sei auch auf alle Arbeitnehmer einschließlich der ordentlich kündbaren anwendbar.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. Februar 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es – kurz gefasst – ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei bereits aufgrund gesetzlicher Anordnung nach § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V iVm. § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V beendet worden. Der gesetzliche Beendigungstatbestand beziehe sich gleichermaßen auf unkündbare und ordentlich kündbare Mitarbeiter. Mit diesem Regelungsgehalt begegne die gesetzliche Regelung auch weder im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG noch auf Art. 3 Abs. 1 GG durchgreifenden Bedenken.

Gegen das ihr am 16. April 2012 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin mit beim Landesarbeitsgericht am 27. April 2012 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit beim Landesarbeitsgericht am 18. Juni 2012 (einem Montag) eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass nach zutreffenden Normverständnis § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht auf die ordentlich kündbaren Beschäftigten einer vom Bundesversicherungsamt geschlossenen Betriebskrankenkasse anzuwenden sei. Dies ergebe sich daraus, dass der gesetzliche Beendigungstatbestand des § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V nur im Falle der unterbliebenen Unterbringung greife, aber die ordentlich kündbaren Beschäftigten nach dem Wortlaut der Verweisungsnorm des § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V von vornherein von der Unterbringungspflicht ausgenommen worden sind. Aber auch wenn man § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V auf ordentlich kündbare Arbeitnehmer für anwendbar halte, könne eine Beendigung nur dann eintreten, wenn zuvor ein zumutbares Unterbringungsangebot vorgelegt werde, was bei im Falle der Klägerin – unstreitig – nicht der Fall gewesen sei. Die von der Klägerin gebotene Auslegung sei auch verfassungsrechtlich geboten. Der Auslegung der Norm im Sinne des Arbeitsgerichts und der Beklagten stehe bereits Art. 6 Abs. 4 GG entgegen. Art. 6 Abs. 4 GG gewährleiste in Form von § 9 MuSchG sowie § 18 BEEG einen besonderen Bestandsschutz, der durch die Norminterpretation im Sinne der Beklagten vollständig entwertet werde. Ebenso wäre ein Verständnis des § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V dahingehend, dass es bei ordentlich kündbaren Arbeitnehmern auch ohne Unterbringungsverfahren zu einer Beendigung der Arbeitsverhältnisse kommt, mit Art. 12 GG nicht vereinbar. Die vorsorglich ausgesprochene Kündigung sei in Ermangelung einer sozialen Rechtfertigung und einer ordnungsgemäßen Personalratsbeteiligung unwirksam.

Die Klägerin hat die Klage in der Berufungsschrift um einen Weiterbeschäftigungsantrag erweitert und diesen sowohl auf die Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch als auch auf § 79 Abs. 2 BPersVG gestützt.

Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 9. Februar 2012 – 59 Ca 8261/11 abzuändern und

1.festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Schließung der C. BKK am 30. Juni 2011 geendet hat,
2.unter nachträglicher Zulassung der Kündigungsschutzklage festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der C. BKK vom 19. Mail 20011 weder zum 30. Juni 2011 noch zum 30. September 2011 aufgelöst worden ist.
3.hilfsweise für den Fall, dass den Anträgen zu 1. und 2. stattgegeben wird, die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Arbeitsbedingungen des Arbeitsvertrags vom 2. April 2001 als Sozialversicherungsfachangestellte in Vollzeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des hiesigen Verfahrens weiter zu beschäftigen.
4.hilfsweise für den Fall, dass den Anträgen zu 1. und 2. stattgegeben wird, die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Arbeitsbedingungen des Arbeitsvertrags vom 2. April 2001 als Sozialversicherungsfachangestellte in Vollzeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des hiesigen Verfahrens weiter zu beschäftigen gemäß § 79 Abs. 2 BPersVG.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte vertritt unter Vertiefung ihres Rechtsvorbringens weiterhin die Auffassung, es gebe keinerlei Zweifel daran, dass § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V auch auf die Arbeitsverhältnisse ordentlich kündbarer Arbeitnehmer anzuwenden sei. Dies ergebe sich eindeutig aus § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V, der für alle Beschäftigten - also ordentlich kündbare wie ordentlich unkündbare - auf § 164 Abs. 2 – 4 SGB V, verweist. Im Übrigen wäre eine Auslegung der Norm dahingehend, dass nur solche Beschäftigungsverhältnisse mangels Unterbringung enden, bei denen auch eine Pflicht zur Unterbringung nach § 164 Abs. 3 SGB V bestehe, sinnwidrig, denn sie würde ordentlich kündbare Beschäftigte von der automatischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses komplett ausnehmen und diese damit wesentlich stärker schützen als ordentlich unkündbare Beschäftigte. Dies Normverständnis begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Ein etwaiger Eingriff in Art. 3 GG oder Art. 12 GG sei verfassungsrechtlich durch den mit Verfassungsrang ausgestatteten Schutz eines bezahlbaren und funktionierenden Krankenversicherungsschutzes gerechtfertigt. Der erstmals in der zweiten Instanz gestellte Weiterbeschäftigungsantrag sei bereits unzulässig, weil durch die Klageänderung in der zweiten Instanz der Beklagten eine Instanz genommen werde. Ein Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 79 Abs. 2 BPersVG bestehe nicht, weil die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht auf Kündigung, sondern bereits auf einem gesetzliche Beendigungstatbestand beruhe. Zumindest aber müsse die Beklagte von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BPersVG entbunden werden.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.

A. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. c. statthafte Berufung der Klägerin ist von ihr fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG). Sie ist damit zulässig.

B. Soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz ihre Klage um den Weiterbeschäftigungsantrag erweitert hat, war die Klageänderung aufgrund Sachdienlichkeit nach § 533 Nr. 1 ZPO zulässig. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist unerheblich, dass der Beklagten bezogen auf diesen Streitgegenstand eine Tatsacheninstanz verloren ging. Daraus, dass nach § 533 Nr. 1 ZPO eine Klageänderung im zweiten Rechtszuge als sachdienlich zugelassen werden kann, folgt, dass das Gesetz im Interesse der Prozesswirtschaftlichkeit den Verlust einer Tatsacheninstanz in Kauf nimmt. Die Sachdienlichkeit kann deshalb in der Regel nicht mit der Begründung verneint werden, dass die Beklagte durch die Zulassung einer Klageänderung oder -erweiterung eine Tatsacheninstanz verlöre (BGH 13. April 2011 - XII ZR 110/09 - NJW 2011, 2796).

C. Die Berufung ist auch begründet. Die Klage hat ist mit allen Anträgen zulässig und begründet.

I. Die Klage ist mit allen Anträgen zulässig. Die Beklagte ist, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, parteifähig. Die Parteifähigkeit ergibt sich aus § 50 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Infolge ihrer Schließung ist die Beklagte eine Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung. Nach § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V gilt die Beklagte bis zur Abwicklung der Geschäfte als fortbestehend, soweit es der Zweck der Abwicklung erfordert. Zur „Abwicklung“ in diesem Sinne gehören auch die Beendigungen von Arbeitsverhältnissen sowie die sich hieraus ergebenden Rechtstreitigkeiten (LAG Baden-Württemberg 21. Mai 2012 – 1 Sa 3/12 – juris; LAG Berlin-Brandenburg 12. April 2012 – 2 Sa 14/12 – juris).

II. Die Klage ist mit dem Antrag zu 1. begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht gemäß § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V in Verbindung mit § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V aufgrund der Schließung der C. BKK zum 30. Juni 2011 beendet worden.

1. § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V bestimmt, dass die in § 164 Abs. 2 bis 4 SGB V für den Fall der Auflösung oder Schließung einer Innungskrankenkasse geregelten gesetzlichen Vorschriften für Betriebskrankenkassen entsprechend gelten mit der Maßgabe, dass § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V nur für Beschäftigte gilt, deren Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden kann. Nach § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist den übrigen Beschäftigten – dh. nicht dienstordnungsmäßigen Angestellten - bei dem Landesverband der Innungskrankenkassen oder einer anderen Innungskrankenkasse eine Stellung anzubieten, die ihnen unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung zuzumuten ist. Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V enden die Vertragsverhältnisse der Beschäftigten, die nicht nach § 164 Absatz 3 SGB V untergebracht werden, mit dem Tag der Auflösung oder Schließung.

2. Eine Auslegung der Normen ergibt, dass die gesetzliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht für ordentlich kündbare Arbeitnehmer gilt (LAG Berlin-Brandenburg 24. Mai 2012 - 18 Sa 2605/11 und 18 Sa 116/12 – juris; LAG Baden-Württemberg 21. Mai 2012 - 1 Sa 3/12 und 1 Sa 2/12 – juris; LAG Berlin-Brandenburg 08. Mai 2012 - 7 Sa 2559/11 – juris; LAG Berlin-Brandenburg 12. April 2012 - 5 Sa 2554/11 ua. - juris; a. .A. LAG Baden-Württemberg 18. Mai 2012 – 7 Sa 13/12 ua. - juris; wieder anders LAG Hamburg 23. August 2012 - 7 Sa 108/11 und - 7 Sa 15/12 – juris: Beendigung auch bei ordentlich kündbaren Beschäftigten nur, wenn zuvor das Verfahren nach § 163 Abs. 3 SGB V durchgeführt wurde).

a. Bei der Auslegung einer Norm ist ausgehend von ihrem Wortlaut der systematische Gesamtzusammenhang, die Entstehungsgeschichte und der Sinn und Zweck der Norm, soweit er im Gesetz erkennbar Ausdruck gefunden hat, zu berücksichtigen.

aa. Schon der Wortlaut von § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V, wonach es für die Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit dem Tag der Schließung auf das Nichtvorliegen einer Unterbringung der Beschäftigten nach Abs. 3 der Vorschrift ankommt, macht deutlich, dass nicht allein die Tatsache einer unterbliebenen Unterbringung der Beschäftigten als solche, sondern auch die in Abs. 3 hierfür geregelten Maßgaben eingehalten sein müssen, damit es zur Beendigung der Vertragsverhältnisse im Zeitpunkt der Schließung kommt. Die Bezugnahme auf Absatz 3 zeigt, dass beide Absätze miteinander in einem systematischen Zusammenhang stehen. Wenn es in den für die Beschäftigten, die nicht Dienstordnungsangestellte sind, allein heranzuziehenden Sätzen 3 und 4 des Absatzes 3 in entsprechender Anwendung auf die Betriebskrankenkassen heißt, dass diesen bei dem Landesverband der Betriebskrankenkassen oder einer anderen Betriebskrankenkasse eine Stellung anzubieten ist, die ihnen unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung zuzumuten ist, und dass die Betriebskrankenkassen verpflichtet sind, entsprechende Anstellungen anzubieten, lässt dies nur den Schluss zu, dass regelmäßig derartige zumutbare Angebote vorangegangen sein müssen, um die in § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V bezeichnete Rechtsfolge der Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit der Schließung auszulösen (LAG Berlin-Brandenburg 24. Mai 2012 - 18 Sa 2605/11 und 18 Sa 116/12 – juris; LAG Berlin-Brandenburg 12. April 2012 - 5 Sa 2554/11 ua. – juris). Diese Rechtsfolge setzt aber nach den oben dargestellten Regelungen und den oben dargestellten Verfahren voraus, dass mit den Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis enden soll, ein Unterbringungsverfahren vergeblich durchgeführt worden ist, dass diese Arbeitnehmer also überhaupt an dem Unterbringungsverfahren zu beteiligen waren, was bei den ordentlich kündbaren Arbeitnehmern nicht der Fall ist (LAG Berlin-Brandenburg 08. Mai 2012 - 7 Sa 2559/11 – juris). Wenn die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer von der Unterbringungspflicht nach § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V ausgenommen sind, § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V aber ausdrücklich auf das Unterbringungsverfahren nach Absatz 3 Bezug nimmt, so spricht dies dafür dar, dass sich § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht auf die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer erstreckt. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, nach § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V werde die Geltung des § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V angeordnet. Da die Absätze 3 und 4 der Vorschrift in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, lässt sich dieser Zusammenhang nicht unter Berufung auf die Verweisungsnorm trennen (LAG Baden-Württemberg 21. Mai 2012 - 1 Sa 3/12 und 1 Sa 2/12 – juris).

bb. Auch Sinn und Zweck der Unterbringungsverpflichtung nach § 164 Abs. 3 SGB V sprechen dafür, Beschäftigte, bei denen die Unterbringungsverpflichtung nicht besteht, vom Anwendungsbereich des § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V auszunehmen. § 163 Abs. 3 SGB V ist als Ausdruck einer „Ultima ratio-Lösung“ zu verstehen (vgl. hierzu eingehend auch unter Berücksichtigung der Gesetzeshistorie: LAG Baden-Württemberg 21. Mai 2012 - 1 Sa 2/12 – juris Rn. 54 ff.). Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes soll nur bei denjenigen - in der Regel wenigen - Arbeitnehmern eintreten, die trotz zumutbarer Unterbringungsbemühungen nicht untergebracht werden konnten. Ist der Arbeitnehmer hingegen untergebracht, so besteht kein Regelungsbedürfnis.

Dem widerspricht es, eine Beendigung der Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes eintreten zu lassen, wenn es an einer Kompensation durch eine Unterbringungsverpflichtung fehlt. Letzteres trifft bei den Betriebskrankenkassen auf den Kreis der ordentlich kündbaren Arbeitnehmer zu. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es nicht wertungswidersprüchlich, die gesetzliche Beendigungsfolge des § 164 Abs. 4 S. 1 SGB V nur auf die ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer anzuwenden, nicht aber auf die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer. Ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer werden durch das Unterbringungsverfahren im Vergleich zu den Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft deutlich besser gestellt. Während die Arbeitnehmer der Privatwirtschaft nach § 1 Abs. 2 KSchG lediglich einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz im Unternehmen besitzen, ist die Unterbringungspflicht nach § 164 Abs. 3 SGB V arbeitgeberübergreifend ausgestaltet. Die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer gehen bei Wegfall einer Beschäftigungsmöglichkeit mit Ablauf der Frist für eine deshalb erklärte, gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG sozial gerechtfertigte Kündigung ihrer Arbeitsverhältnisse endgültig verlustig, während die Mitarbeiter in ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitsverhältnissen Anspruch auf das Angebot einer Stellung haben, die ihnen unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung zuzumuten ist (LAG Berlin-Brandenburg 24. August 2012 - 6 Sa 878/12 – juris; LAG Berlin-Brandenburg 27. Juni 2012 – 24 Sa 2524/11 – nv.). Gewährleistet das Gesetz somit den ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern einen weitreichenden Bestandsschutz, so gibt es keine nachvollziehbare Begründung dafür, den ordentlich kündbaren Arbeitnehmern einerseits diesen Bestandsschutz zu versagen, sie aber andererseits in die gesetzliche Beendigungsfolge einzubeziehen. Wenn die Kompensation des Unterbringungsverfahrens für die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer keine Anwendung findet, muss der Arbeitgeber zur Beendigung der Arbeitsverhältnisse die üblichen arbeitsrechtlichen Instrumente nutzen (LAG Baden-Württemberg 21. Mai 2012 - 1 Sa 2/12 – juris).

b. Ein automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses der ordentlich kündbaren Beschäftigten lässt sich entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht daraus ableiten, dass der mit der Schließung der Betriebskrankenkasse verbundene Verlust der Rechtspersönlichkeit zur Beendigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse „ipso jure“ führt. Auch wenn man davon ausgeht, dass eine Betriebskrankenkasse mit ihrer Schließung die Eigenschaft als „werbende“ Körperschaft des öffentlichen Rechts verliert so besteht die Betriebskrankenkasse als Abwicklungskörperschaft fort (vgl. hierzu eingehend LAG Baden-Württemberg 21. Mai 2012 – 1 Sa 3/12 – juris Rn. 57 ff.).

3. Die hier vertretene Auffassung zur Auslegung des Beendigungstatbestandes und der fehlenden Anwendbarkeit auf die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer entspricht auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben nach Art. 12 (vgl. hierzu eingehend auch unter Berücksichtigung der Gesetzeshistorie: LAG Baden-Württemberg 21. Mai 2012 - 1 Sa 2/12 – juris Rn. 81 ff). Direkte staatliche Eingriffe in bestehende Arbeitsverhältnisse müssen sich stets an dem Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes messen lassen. Eingriffe müssen sich ihrerseits jedenfalls an den Anforderungen messen lassen, die aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen (BVerfG 24. April 1991 – 1 BvR 1341/90 – EzA Art 13 Einigungsvertrag Nr. 1 = AP Nr. 70 zu Art 12 GG).

a. Die von der Beklagten angenommene gesetzliche Beendigung der Arbeitsverhältnisse stellt einen gravierenden Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 GG unter dem Gesichtspunkt der freien Wahl des Arbeitsplatzes dar. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG garantiert neben der freien Wahl des Berufs auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Während es bei der Berufswahl um die Entscheidung des Einzelnen geht, auf welchem Feld er sich beruflich betätigen will, betrifft die Arbeitsplatzwahl die Entscheidung, an welcher Stelle er dem gewählten Beruf nachgehen möchte. Ebenso wie die freie Berufswahl sich nicht in der Entscheidung zur Aufnahme eines Berufs erschöpft, sondern auch die Fortsetzung und Beendigung eines Berufs umfasst, bezieht sich die freie Arbeitsplatzwahl neben der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung auch auf den Willen des Einzelnen, diese beizubehalten oder aufzugeben. Das Grundrecht entfaltet seinen Schutz demnach gegen alle staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränken. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Staat gegenüber dem normunterworfenen Beschäftigten die Aufgabe eines Arbeitsplatzes verlangt (vgl. BVerfG 24. April 1991 – 1 BvR 1341/90 – EzA Art 13 Einigungsvertrag Nr. 1 = AP Nr. 70 zu Art 12 GG).

b. Eine gesetzliche Beendigung von bestehenden Arbeitsverhältnissen kann im Lichte von Art. 12 GG allenfalls dann zulässig sein, wenn zum einen überragend wichtige Gemeinschaftsgüter einen Eingriff erfordern und dieser sich seinerseits an den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit messen kann (LAG Berlin-Brandenburg 12. April 2012 – 2 Sa 14/12 – juris). Auch wenn man im Streitfalle – mit der Rechtsauffassung der Beklagten – die Aufrechterhaltung eines funktionierenden Gesundheitswesens und den Schutz der Versichertengemeinschaft als solche überragend wichtigen Gemeinschaftsgüter anerkennt, wäre doch der gesetzliche Eingriff in das Arbeitsverhältnis durch die gesetzliche Anordnung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der ordentlich kündbaren Beschäftigten ohne den Versuch einer vorherigen Unterbringung nach § 164 Abs. 3 SGB V unverhältnismäßig. Eine Anwendung des Beendigungstatbestandes nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V auf die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer würde dazu führen, dass sämtliche Regelungen des Kündigungsrechts wie Kündigungsfristen und Kündigungsschutzgesetz, mit denen der Staat seinen aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Schutzpflichten Rechnung trägt (vgl. BVerfG 24. April 1991 – 1 BvR 1341/90 – EzA Art 13 Einigungsvertrag Nr. 1 = AP Nr. 70 zu Art 12 GG) für diese Arbeitnehmer nicht mehr gelten würde. Für die Beendigung der Arbeitsverhältnisse dieser Arbeitnehmer wäre noch nicht einmal eine Mindestfrist einzuhalten gewesen, da § 153 SGB V in der am 30.06.2011 geltenden Fassung Mindestfristen zwischen Zustellungsbescheid und Schließungszeitpunkt noch nicht vorgesehen hat. Dem Schutzzweck von Kündigungsfristen wird auch nicht dadurch genüge getan, dass die Belange der Arbeitnehmer bei der Bestimmung des Schließungszeitpunktes zu berücksichtigen wäre. Abgesehen davon, dass die Norm für eine solche Ermessensbindung keine Anhaltspunkte enthält steht die Klägerin nicht in einem Rechtsverhältnis mit dem Bundesversicherungsamt und hatte insofern keinerlei Möglichkeit, diese Entscheidung überprüfen bzw. abändern zu lassen. Auch wären ihre Belange in Bezug auf die Einhaltung bestimmter Ankündigungsfristen noch nicht Rechnung getragen, da der Schließungsbescheid ihr ohnehin nicht zuzustellen wäre. Auch ließe es sich nicht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben von Art. 12 GG in Einklang bringen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30.06.2011 enden soll, obwohl – wie der Abschluss befristeter Arbeitsverträge zeigt – für die Abwicklungsarbeiten noch Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen, für die auch die Klägerin eingesetzt wurde. Die von der Beklagten herangezogenen Schutzgüter, nämlich Schutz der Versichertengemeinschaft und die Aufrechterhaltung eines funktionierenden Gesundheitswesens, erfordern dies offensichtlich nicht.

Auch führt die Auslegung der Beklagten zu einem nicht auflösbaren Widerspruch zwischen den kündbaren Arbeitnehmern im Insolvenzverfahren und den kündbaren Arbeitnehmern bei Schließung einer Betriebskrankenkasse. Denn nach § 171 d Abs. 1 Satz 5 SGB V gilt im Insolvenzfall für alle Beschäftigten § 164 Abs. 3 SGB V entsprechend. Danach ist allen Beschäftigten, d. h. den ordentlich kündbaren ebenso wie den ordentlich unkündbaren bei einer anderen Krankenkasse der gleichen Kassenart eine zumutbare Stellung anzubieten. Das „Unterbringungsverfahren“ ist also im Fall der Insolvenz nicht auf die ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer beschränkt, obwohl auch in diesem Fall finanzielle Ansprüche auf die übrigen Versicherungen (vgl. § 171 d Abs. 1, Abs. 5 SGB V) zukommen können (LAG Berlin-Brandenburg 08. Mai 2012 - 7 Sa 2559/11 – juris).

II. Die Klage ist auch mit dem Antrag zu 2. begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 19. Mai 2012 aufgelöst worden. Die Kündigung der Beklagten vom 19. Mai 2012 ist rechtsunwirksam.

1. Die Kündigung der Beklagten gilt nicht nach § 7 KSchG iVm. § 4 Satz 1 KSchG als rechtwirksam. Zwar hat die Klägerin die Klagerhebungsfrist des § 4 Satz 1 KSchG iVm. § 167 ZPO versäumt. Die Klage war jedoch nachträglich nach § 5 KSchG zuzulassen.

a. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist eine Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen, wenn die Arbeitnehmerin nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihr nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, sie rechtzeitig beim Arbeitsgericht zu erheben. Beruht die Fristversäumnis auf einem Verschulden der klagenden Partei, so scheidet die nachträgliche Zulassung aus. Der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung muss die Angabe der die Zulassung begründenden Tatsachen und die Mittel der Glaubhaftmachung enthalten (§ 5 Abs. 2 Satz 2 KSchG, § 294 ZPO).

b. Die Klägerin hat in ihrem Antrag die Tatsachen, die die nachträgliche Zulassung rechtfertigen, glaubhaft gemacht. Nach dem glaubhaft gemachten Tatsachenvortrag der Klägerin trifft sie an der Fristversäumung kein Verschulden.

aa. Die Partei hat nicht nur für - hier nicht in Betracht kommendes - eigenes Verschulden einzustehen. Sie muss sich nach § 85 Abs. 2 ZPO auch das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, nicht aber das eines Dritten, etwa einer Angestellten des Prozessbevollmächtigten, zurechnen lassen (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 614/10 - EzA § 5 KSchG Nr. 40 mwN).

bb. Nach dem glaubhaft gemachten Vortrag der Klägerin liegt ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht vor.

(1) Zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten gehört es, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren, insbesondere einen Fristenkalender führen (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 614/10 - EzA § 5 KSchG Nr. 40 mwN).

Nach dem glaubhaft gemachten Vortrag der Klägerin wurde hinsichtlich der der Klägerin am 30. Mai 2011 zugegangen Kündigung der Fristablauf – 20. Juni 2011 – am 6. Juni 2011 im Termin- und Fristenkalender, auf dem Fristenblatt und sodann auf der Rückseite des Kündigungsschreibens notiert. Die Kündigungsschutzklage wurde nach Fertigung am 20. Juni 2011 von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin unterschrieben. Die Rechtsanwalts- und Notargehilfin des Prozessbevollmächtigten der Klägerin – Frau W. - hatte sich sodann erboten, an demselben Tag die Klageerweiterung persönlich in den Briefkasten des Arbeitgerichts zu werfen. Der Prozessbevollmächtigte hatte nach dem glaubhaft gemachten Vortrag Frau W. eindringlich darauf hingewiesen, dass wegen des Fristablaufs die Erledigung noch am selben Tag erforderlich sei. Ein nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin liegt danach nicht vor. Das schuldhafte Versäumnis von Frau W. selbst, die Klageerweiterung nicht mehr am 20. Juni 2011 in den Gerichtsbriefkasten geworfen zu haben, kann der Klägerin nicht über § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden.

(2) Hat der Prozessbevollmächtigte die Fehlleistung des Dritten seinerseits mit verursacht, weil dieser nicht hinreichend sorgfältig ausgewählt, angewiesen oder überwacht worden ist, so liegt in einem solchen Unterlassen ein eigenes Verschulden des Bevollmächtigten (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 614/10 - EzA § 5 KSchG Nr. 40 mwN; BAG 28. Mai 2009 - 2 AZR 548/08 - AP KSchG 1969 § 5 Nr. 15 = EzA KSchG § 5 Nr. 36).

Vorliegend wurde durch Einreichung der eidesstattlichen Versicherungen glaubhaft gemacht, dass Frau W. eindringlich darauf hingewiesen wurde, dass wegen des Fristablaufs am selben Tage die Erledigung dieses Einwurfs des Schriftsatzes beim Arbeitsgericht zwingend erfolgen müsse. Weiterhin wurde entsprechend glaubhaft gemacht, dass die rechtlichen Folgen einer Fristversäumung der langjährig Beschäftigten bestens bekannt waren und dies durch stichprobenmäßig durchgeführte regelmäßige Kontrollen überprüft wurde.

cc. Der Antrag ist auch rechtzeitig gem. § 5 Abs. 3 KSchG innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses gestellt worden.

Das Versehen von Frau W. wurde am 21. Juni 2011 aufgrund der Nachfrage des Prozessbevollmächtigten der Klägerin bemerkt. Der Antrag auf nachträgliche Zulassung ist zusammen mit der Klagerweiterung am 4. Juli 2011 beim Arbeitsgericht eingegangen.

2. Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, da sie nicht im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist.

a. Dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin zum 30. Juni 2011 oder zum 30. September 2011 entgegenstehen liegen nicht vor. Ein Bedarf an der Arbeitskraft der Klägerin bestand auch nach Angabe der Beklagten (S. 34 des Schriftsatzes vom 31. August 2012 = Bl. 125 d. A.) zumindest bis zum 30.6.2012.

b. Andere Gründe, die die Kündigung sozial rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

III. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist ebenfalls begründet.

1. Soweit sich die Klägerin auf den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch beruft, endet der entsprechende Anspruch allerdings im Hinblick auf die erneut ausgesprochene Kündigung zum 31. Dezember 2012, die Gegenstand des vor dem Arbeitsgericht Berlin anhängigen Verfahrens zum Geschäftszeichen 56 Ca 4520/12, mit Ablauf des 31. Dezember 2012.

a. Grundsätzlich gilt, dass nach dem Ausspruch einer Kündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers überwiegt. Durch den Ausspruch der Kündigung entsteht nämlich eine Ungewissheit über weiteren Bestand des Arbeitsverhältnisses, es sei denn, die Kündigung ist offensichtlich unwirksam. Das Weiterbeschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers überwiegt jedoch, falls das Arbeitsgericht seiner Kündigungsschutzklage stattgibt. In diesem Fall ist die Unwirksamkeit der Kündigung im Allgemeinen wahrscheinlicher als ihre Wirksamkeit, sodass die mit Ausspruch der Kündigung eingetreten Ungewissheit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht. Allerdings kann ein einmal entstandener Weiterbeschäftigungsanspruch aufgrund einer Folgekündigung durch den Arbeitgeber erlöschen. Das ist der Fall, wenn die Folgekündigung zu einer neuen, zusätzlichen Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses führt. Voraussetzung dafür ist, dass sie auf einen neuen Lebenssachverhalt gestützt wird und dass sie nicht offensichtlich unwirksam ist (BAG 19. Dezember 1985 - 2 AZR 190/85 - EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 17 = AP Nr. 17 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht).

b. Die Folgekündigung zum 31. Dezember 2012 ist nicht offensichtlich unwirksam. Da aufgrund der fortschreitenden Abwicklung der Beklagten der Arbeitskräftebedarf zunehmend gesunken ist, ist das Vorliegen betrieblicher Gründe, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegenstehen, durchaus möglich. Die Kündigung ist auch nicht auf denselben Lebenssachverhalt gestützt. Während zum 30. Juni 2012 und zum 30. September 2011 der Bedarf an der Arbeitsleistung der Klägerin unstreitig nicht entfallen war, beruft sich die Beklagte auf den zwischenzeitlich zum 31. Dezember 2012 entfallenen Arbeitskräftebedarf und damit auf einen neuen Sachverhalt.

2. Der Anspruch ergibt sich aus § 79 Abs. 2 BetrVG.

a. Der Widerspruch des Personalrats mit Schreiben vom 17. Mai 2011 enthält eine ausreichende Begründung nach § 79 Abs. 1 BPersVG.

aa. An der ordnungsgemäßen Begründung fehlt es, wenn die Einwendungen lediglich den Gesetzeswortlaut wiederholt oder nur die entsprechende Norm angibt. An den Widerspruch des Personalrats dürfen andererseits keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden, eine schlüssige Darlegung der einen Einwendungsgrund begründenden Tatsachen ist nicht erforderlich. Dies ergibt sich aus der Gesetzessystematik. Zur Entbindung des Arbeitgebers von der Weiterbeschäftigungspflicht führt nur ein „offensichtlich unbegründeter“ Widerspruch des Personalrats (§ 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BPersVG). Der Gesetzgeber hat damit die Weiterbeschäftigungsverpflichtung des Arbeitgebers bei einem „nur“ unbegründeten Widerspruch bewusst in Kauf genommen. Der Widerspruch ist daher ausreichend begründet, wenn seine Begründung es nur als möglich erscheinen lässt, dass einer der Gründe des § 79 Abs. 1 Satz 2 BPersVG geltend gemacht wird und dem Arbeitgeber eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den erhobenen Einwendungen des Personalrats vor dem Kündigungsausspruch ermöglicht (Ascheid/Preis/Schmidt-Koch Kündigungsrecht 4. Aufl. BPersVG § 79 Rn. 42 mit Verweis auf BetrVG § 102 Rn. 189).

bb. Der Personalrat hat sich in seinem Widerspruch zum einen auf § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BPersVG bezogen und ausgeführt, dass der Personalrat nicht überprüfen könne, welchen Mitarbeitern unter sozialen Gesichtspunkten eine Weiterbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber angeboten wird. Des Weiteren hat der Personalrat unter Bezug auf § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BPersVG ausgeführt, dass ein Punktesystem angewendet werde, dass unter Missachtung des Mitbestimmungsrechts des Personalrats allein vom Dienstgeber erarbeitet worden sei. Diese Begründung lässt es zumindest als möglich erscheinen, dass einer der Gründe des § 79 Abs. 1 Satz 2 BPersVG geltend gemacht wird. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Information des Personalrats durch die Beklagte ebenfalls in denkbar knapper Form erfolgte und damit der Personalrat kaum in die Lage versetzt wurde, etwaige Widerspruchsgründe ohne weitere eigenständige Nachforschungen zu erkennen. Wenn aber der Arbeitgeber selbst in denkbar knapper Form informiert, so sind an die Anforderung an die Reaktion des Personalrats, die dem Arbeitgeber eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den erhobenen Einwendungen erlauben, auch keine erhöhten Anforderungen zu stellen.

b. Ob die Beklagte von ihrer Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BPersVG zu entbinden ist, kann ggw. offenbleiben. Die Entbindung erfolgt nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BPersVG – worauf die Kammer bereits in der Verhandlung vom 31. Oktober 2012 hingewiesen hat - ausschließlich durch einstweilige Verfügung (Ascheid/Preis/Schmidt-Koch Kündigungsrecht 4. Aufl. BPersVG § 79 Rn. 42 mit Verweis auf BetrVG § 102 Rn. 225).

D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

E. Die Entscheidung über die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.