Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 17. Senat | Entscheidungsdatum | 16.10.2014 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | L 17 R 444/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 256a Abs 3a SGB 6 |
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. April 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
I.
Streitig ist die Gewährung einer höheren Altersrente für Frauen im Wege eines Überprüfungsverfahrens unter Berücksichtigung von in der ehemaligen DDR (Beitrittsgebiet) zurückgelegten Zeiten nach Maßgabe des Fremdrentengesetztes (FRG).
Die 1948 in der ehemaligen DDR geborene Klägerin hat den Beruf einer Damenmaßschneiderin erlernt und war im Beitrittsgebiet bis zum 8. April 1987 beschäftigt. Sie gehörte keinem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem im Sinne des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) an. Auch war sie nicht der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) beigetreten. Nach Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR (Urkunde vom 2. April 1987 ausgehändigt am 10. April 1987) übersiedelte die Klägerin am 11. April 1987 über die innerdeutsche Grenze in die Bundesrepublik Deutschland. Am 18. Mai 1990 hatte sie ihren Wohnsitz in D (Baden-Württemberg). Mit Bescheid vom 5. November 2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin Altersrente für Frauen ab 1. Oktober 2008 in Höhe von (iHv) monatlich 363,65 EUR. Die Entgeltpunkte für Beitragszeiten im Beitrittsgebiet wurden durch eine Vervielfältigung der Verdienste und einer Teilung durch das Durchschnittsentgelt für das entsprechende Kalenderjahr ermittelt. Die Regelungen des FRG kamen nicht zur Anwendung.
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 28. Januar 2009 bei der Beklagten die Überprüfung der Berechnung ihrer Rente mit der Begründung, dass nach dem Grundgesetz (GG) Rentenanwartschaften, in ihrem Fall die Berechnung der Rente nach dem FRG, als Eigentum geschützt seien. Diese Anwartschaft habe sie mit der Ausreise aus der DDR am 10. April 1987 erworben. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22. April 2009 diesen Antrag auf Rücknahme des Bescheides vom 5. November 2008 ab mit der Begründung, dass Zeiten nach dem AAÜG durch den Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme nicht festgestellt worden seien. Im Bescheid vom 5. November 2008 sei das Recht weder unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden.
Mit Schreiben vom 30. Juni 2009 bezog sich die Klägerin auf den Bescheid vom 22. April 2009 und wiederholte ihre Auffassung, dass die DDR-Arbeitsjahre dem GG folgend nach dem FRG zu berechnen seien. Dieses Problem befinde sich in der politischen Diskussion. Sie erneuere ihren Antrag auf Ruhen des Verfahrens. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Januar 2011 eine Rentenberechnung nach den Regelungen des FRG anstelle der Regelungen der §§ 256a-256c Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) für die im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten und ein Ruhen des Verfahrens bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung ab. Die Überprüfung des Bescheides vom 5. November 2008 habe ergeben, dass das Recht weder unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die Voraussetzungen des § 259a Abs. 1 Satz 1 SGB VI für eine Anwendung des FRG anstelle der Regelungen der §§ 256a-256c SGB VI seien nicht erfüllt. Die Klägerin sei nicht vor dem 1. Januar 1937 geboren. Einem Ruhen werde nicht zugestimmt. Die Rechtslage sei eindeutig. Alle mit dem Streitgegenstand befassten Gerichte hätte die Auffassung der Klägerseite nicht geteilt.
Hiergegen hat die Klägerin am 26. Januar 2011 bei dem Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt: Es sei zu prüfen, ob die Anwendung des § 259a SGB VI letztlich zu einer Diskriminierung einer Minderheit führe. Mit dem Durchlaufen des Aufnahmeverfahrens habe sie eine Gleichstellung mit jedem originären Bundesbürger erhalten. Sie berufe sich auf Vertrauensschutz. Als ehemaliger DDR-Flüchtling habe sie sich darauf verlassen können, dass das FRG gültig sei. Zudem sei § 256a Abs. 3a SGB VI bei der Berechnung der Rente anzuwenden. Die Voraussetzungen dieser Norm erfülle sie. Im Erörterungstermin am 13. November 2012 hat die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 12. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Januar 2011 sowie den diesen zu Grunde liegenden Rentenbescheid vom 5. November 2008 abzuändern und der Klägerin ab dem 1. Oktober 2008 höhere Altersrente zu zahlen und dabei für die Zeiten vor dem 9. April 1987 die Werte der Anlage 1-16 zum Fremdrentengesetz als Verdienst zu zählen.
Das SG Frankfurt (Oder) hat mit Einverständnis der Beteiligten zur Verfahrensweise ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 16. April 2013 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die zulässige Klage sei unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 12. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Januar 2011 sowie der zugrundeliegende Rentenbescheid vom 5. November 2008 seien rechtmäßig. Die Klägerin habe keinen Anspruch darauf, für die Zeiten vor dem 9. April 1987 die Werte der Anlage 1-16 zum FRG als Verdienst zu zählen. Ein solcher Anspruch ergebe sich nicht aus § 256a Abs. 3a SGB VI. Entgegen dem Vortrag der Klägerin sei diese Vorschrift dahin auszulegen, dass nur für solche Zeiten vor dem 1. Juli 1990 Werte der Anlage 1-16 zum FRG Berücksichtigung finden sollen, in denen Versicherte gleichzeitig ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hatten und Beiträge zu einem System der gesetzlichen Rentenversicherung des Beitrittsgebiets gezahlt wurden. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Zwar enthalte diese nicht den Begriff „gleichzeitig“. Das darin enthaltene Wort „und“ sei im Sinne von „und zugleich“ zu lesen. Auch die Entstehungsgeschichte und der Sinn und Zweck der Vorschrift spreche für eine derartige Auslegung. § 256a Abs. 3a SGB VI sei für ehemals Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn mit Wohnsitz in West-Berlin eingeführt worden. Auch die Vorschrift des § 259a SGB VI komme nicht in Betracht. Die Klägerin sei erst im Jahr 1948 geboren. Auch das FRG vom 25. Februar 1965 finde keine Anwendung. Zwar habe die Klägerin beim Zuzug in die Bundesrepublik ursprünglich eine Anwartschaft auf Berücksichtigung im Beitrittsgebiet zurückgelegter Zeiten nach dem FRG in der damaligen Fassung gehabt. Im Zuge der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschland seien das FRG geändert und die rentenrechtliche Stellung der Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR wesentlich neu gestaltet worden. Im Jahr 1993 sei rückwirkend zum 1. Januar 1992 die Begrenzung auf den nunmehr noch erfassten Personenkreis erfolgt. Auch vor dem 19. Mai 1990 Zugezogene seien nunmehr vom Anwendungsbereich des FRG ausgenommen. Hiergegen bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 4. Dezember 2011, B 5 R 36/11 R). Die Beklagte habe somit die im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten zutreffend als Beitragszeiten nach § 48 Abs. 3 SGB VI berücksichtigt und für sie entsprechende Entgeltpunkte nach § 256a SGB VI ermittelt.
Gegen das ihr am 23. Mai 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. Juni 2013 bei dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, dass um die Auslegung und Anwendung von § 256a Abs. 3a SGB VI gestritten werde. Die Beklagte könne die Norm im Sinne der Klägerin anwenden. Die Auslegung der Norm habe nach den allgemeinen Grundsätzen „vom Wortlaut des Gesetzes ist nicht abzugehen“ und „das jüngere Gesetz schlägt das ältere“ zu erfolgen. „Und“ im Sinne des Gesetzes bedeute gerade nicht „gleichzeitig“. Die Beklagte wende bei der Berechnung der Rente das ältere Gesetz (§ 259a SGB VI) an. Der Gesetzgeber selbst habe den zeitlichen Rahmen durch einen im Gesetz verankerten Stichtag unmissverständlich benannt. Das SG habe ihren staatsrechtlichen Status nicht berücksichtigt. Das Beitrittsgebiet habe nur bis 3. Oktober 1990 existiert. Sie sei schon vorher „Bundesbürger“ gewesen. Sie begehre rechtliches Gehör und beantrage daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Sie sei seit Jahren mit dieser speziellen Rentenproblematik befasst und auch bei Anhörungen im Bundestag dabei gewesen.
Nach ihrem schriftlichen Vorbringen beantragt die Klägerin sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. April 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 12. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Januar 2011 aufzuheben, den Rentenbescheid vom 5. November 2008 abzuändern und der Klägerin ab dem 1. Oktober 2008 höhere Altersrente zu zahlen und dabei für Zeiten vor dem 9. April 1987 die Werte der Anlage 1-16 zum Fremdrentengesetz als Verdienst zu zählen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass das SG die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen habe. Die Berufungsbegründung enthalte in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine neuen Gesichtspunkte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
II.
Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG). Rechtliches Gehör (§ 62 SGG) wurde der Klägerin insbesondere auch zu der von ihr vertretenen Auslegung des § 256a Abs. 3a SGB VI im Erörterungstermin vor dem SG am 13. November 2012 und im Berufungsverfahren in schriftlicher Form gewährt. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist auch nicht deshalb erforderlich, weil bereits das SG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat. Denn ebenso wie die Beklagte hat sich die Klägerin mit dieser Verfahrensweise gemäß § 124 Abs. 2 SGG ausdrücklich einverstanden erklärt, so dass sie mit dem Einwand, es müsse nunmehr jedenfalls in 2. Instanz eine mündliche Verhandlung durchgeführt werden, nicht durchdringen kann (vgl. BSG, Beschluss vom 14. Oktober 2005, B 11a AL 45/05 B, juris).
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Altersrente für Frauen im Wege eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Insbesondere sind die von ihr im Beitrittsgebiet zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten bzw. Beitragszeiten nicht nach Maßgabe des FRG bei der Ermittlung des Rechts der Altersrente zu berücksichtigen (vgl. auch Hessisches LSG, Urteil vom 18. Januar 2013, L 5 R 144/12 ZVW, juris). Der Rentenbescheid vom 5. November 2008 und der den Überprüfungsantrag vom 30. Juni 2009 zurückweisende angefochtene Bescheid vom 12. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Januar 2011 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Der Senat weist insoweit die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Im Hinblick auf das wiederholte Vorbringen der Klägerin zu § 256a Abs. 3a SGB VI sei lediglich klarstellend angemerkt: Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass das Wort „und“ in § 256a Abs. 3a SGB VI zunächst nur die Voraussetzungen (Tatbestandsmerkmale) „Zeiten vor dem 1. Juli 1990, in denen Versicherte ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet hatten“ sowie „Beiträge zu einem System der gesetzlichen Rentenversicherung des Beitrittsgebiets gezahlt worden sind“ verknüpft. Jedoch lassen sowohl Sinn und Zweck der Norm als auch die Entstehungsgeschichte und die systematische Stellung im Gesetz zur Überzeugung des Senats völlig unzweifelhaft erkennen, dass diese beiden Voraussetzungen zeitgleich vorgelegen haben müssen. Dementsprechend wird § 256a Abs. 3a SGB VI in der Kommentarliteratur auch als Bemessungsgrundlage für „deutsch-deutsche Grenzgänger“ bezeichnet (siehe KassKomm/Gürtner, SGB VI § 256a Rn. 40 bis 49, 82. Ergänzungslieferung 2014). Die Norm regelt die Beitragsbemessungsgrundlage für Beschäftigte mit gewöhnlichem Aufenthalt im alten Bundesgebiet und gleichzeitiger Beschäftigung im Beitrittsgebiet (KassKomm/Gürtner, aaO, Rn. 14). Soweit die Klägerin im Verwaltungs- und Klageverfahren noch auf den Eigentumsschutz (Art. 14 Grundgesetz) und das rechtstaatliche Vertrauensschutzprinzip Bezug genommen hatte, sei auf die diesbezüglichen umfassenden Ausführungen des BSG in seinem Urteil vom 14. Dezember 2011 (B 5 R 36/11 R, juris) hingewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.