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Berufung - Beschwerde - Meistbegünstigungsprinzip


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 23.02.2012
Aktenzeichen L 2 U 221/11 B ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 143 SGG

Leitsatz

Das Rechtsmittelgericht hat in der korrekten Form zu entscheiden, wenn zu Unrecht ein Beschluss ergangen ist, gegen den Beschwerde eingelegt wurde.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 02. September 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens.

Mit Gerichtsbescheid vom 18. August 2005 zum Az.: S 25 U 662/00 hat das Sozialgericht Berlin die Klage, gerichtet darauf, ihr Augenleiden und ihr Bronchialleiden unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 04. Mai 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2000 als Berufskrankheit (BK) bzw. als Arbeitsunfallfolge anzuerkennen, abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, weder das Augen- noch das Bronchialleiden könne als BK oder wie eine BK anerkannt werden. Über Arbeitsunfallfolgen sei bisher kein Bescheid ergangen. Ein Augenleiden in Form einer chronischen Bindehautentzündung könne keiner BK der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) zugeordnet werden. Auch die Voraussetzung für die Anerkennung der Augenerkrankung wie eine BK sei nicht erfüllt. Neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Verursachung einer chronischen Bindehautentzündung durch unzureichende Beleuchtung des Arbeitsplatzes bzw. durch Raumbeleuchtung mittels Halogenleuchten seien nicht bekannt. Nach Auffassung des Landessozialgerichtes im Beschluss vom 29. März 2005 (Az.: L 2 B 55/03 U betreffend die Zurückweisung der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das Sozialgericht mit Beschluss vom 02. Juli 2003) wäre für den Bereich der Bildschirmarbeiten wegen der Verbreitung dieser Tätigkeiten bei Vorliegen einer Gefährdung der Augen das Auftreten einer statistisch relevanten Zahl von Erkrankungen zu erwarten gewesen. Das Bronchialleiden der Klägerin habe ebenfalls nicht als BK anerkannt werden können. Erkrankungen der Atemwege und der Lungen würden primär von der in Gruppe 4 der Anlage zur BKV genannten BKen erfasst. Es lägen keinerlei Anhaltspunkte für eine Erkrankung durch anorganische oder organische Stäube bzw. durch allergisierende oder chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe vor. Der Gewerbearzt Dr. S habe bei der Begehung des Arbeitsplatzes der Klägerin keine Beanstandungen feststellen können. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Verwendung des Filmreinigers Tetenal und der Bronchialerkrankung sei nicht hinreichend wahrscheinlich. Die Beklagte habe in ihrer Stellungnahme vom 21. Mai 2004 unter Bezugnahme auf die Auskunft des Arbeitsmediziners Dr. S darauf hingewiesen, dass dem Sicherheitsblatt des Herstellers keine Hinweise auf eine atemwegsreizende oder sensibilisierende Wirkung zu entnehmen seien. Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage bestünden angesichts der Inhaltsstoffe Alkohol und 10 bis 30 % Naphta nicht. Der Gerichtsbescheid wurde rechtskräftig.

Mit einem Schreiben vom 08. Oktober 2010, gerichtet an die Präsidentin des Sozialgerichts Berlin (Az.: S 74 Präs-E 128/10), hat die Klägerin sinngemäß die Wiederaufnahme dieses Verfahrens begehrt, in dem sie geltend gemacht hat, der Beschluss des Sozialgerichts vom 02. Juli 2003 sei unzutreffend und absolut unprofessionell formuliert. Sie macht weiter geltend, durch die Beleuchtungszustände berufsunfähig geschädigt worden zu sein. Sie bitte auch um die Einbeziehung der gesetzlichen Schutzbestimmungen und Aussagen zur UV-B-Bestrahlung. Die UV-B-Bestrahlung verursache chronische Bindehautentzündungen.

Nachdem sie keine Antwort auf dieses Schreiben erhalten hatte, erinnerte die Klägerin mit Schreiben vom 12. Mai 2011 an ihr Begehren. Daraufhin ließ die Gerichtsverwaltung des Sozialgerichts Berlin mit Verfügung vom 01. Juli 2011 ein Wiederaufnahmeverfahren zur Sache S 25 U 662/00 eintragen.

Mit Beschluss vom 02. September 2011 hat das Sozialgericht festgestellt, dass das Verfahren S 25 U 662/00 sowohl in der Hauptsache als auch im Hinblick auf den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe erledigt sei. Zur Begründung hat es ausgeführt, auf einen Wiederaufnahmeantrag der Klägerin vom 08. Oktober 2010 habe ein weiterer aufsichtsführender Richter das Verfahren am 01. Juli 2011 wieder aufnehmen lassen. Wiederaufnahmegründe gemäß § 179 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. dem Vierten Buch Sozialgesetzbuch bzw. §§ 578 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) seien weder ersichtlich noch durch die Klägerin vorgetragen. Es bleibe nur festzustellen, dass das Verfahren, sowohl was die Hauptsache, als auch, was den Antrag auf Prozesskostenhilfe anbelange, seine rechtskräftige Erledigung gefunden habe. Der Beschluss war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, nach der die Beschwerde an das Landessozialgericht zulässig war.

Mit Schreiben vom 19. September 2011 hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. Zur Begründung macht sie weiter im Wesentlichen geltend, die Rechtsstreitigkeit S 25 U 662/00 sei damals unzutreffend entschieden worden. Im Übrigen lägen mittlerweile neue Erkenntnisse vor.

Die Klägerin beantragt nach ihrem wohlverstandenen Vortrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 02. September 2011 aufzuheben, das Verfahren S 25 U 662/00 des Sozialgerichts Berlin wieder aufzunehmen und die Beklagte zu verurteilen, ihr Augen- und Bronchialleiden als Berufskrankheit, hilfsweise als Arbeitsunfallfolge anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie macht geltend, das Sozialgericht habe die Wiederaufnahme des Verfahrens S 25 U 662/00 zu Recht abgelehnt.

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2011 hat das Gericht auf die Aussichtslosigkeit des Begehrens hingewiesen.

Wegen der weiteren Rechtsausführung und der Sachdarstellung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf den Vorgang der Präsidentin des Sozialgerichts Berlin mit dem Az.: S 74 Präs-E 128/10 Bezug genommen. Die Akten haben im Termin vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Das nach dem Meistbegünstigungsprinzip zulässige Rechtsmittel der Beschwerde war durch Urteil des Berufungsgerichts zurückzuweisen, da Wiederaufnahmegründe nach § 179 Abs. 1 SGG i. V. m. § 580 ZPO nicht vorliegen.

Vorliegend hatte das Berufungsgericht durch Urteil zu entscheiden, denn das Rechtsmittelgericht hat in der korrekten Form zu entscheiden, wenn zu Unrecht ein Beschluss ergangen ist, gegen den Beschwerde eingelegt wurde (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Auflage, vor § 143, Rdnr. 14 a, Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 13. April 2011, Az.: 9 C 1/10, und Urteil des BVerwG vom 09. April 1964, Az.: VIII C 375.63, beide zitiert nach juris). Vorliegend hätte das Sozialgericht im Hinblick auf die Wiederaufnahme der Sache S 25 U 662/00 durch Urteil entscheiden müssen. Nach § 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO, der nach § 179 SGG Anwendung findet, hat das Gericht im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Restitutionsklage von Amts wegen zu prüfen, ob die Klage an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Frist und Form erhoben wurde. Mangelt es an diesen Erfordernissen, so ist die Klage als unzulässig zu verwerfen. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass über den Wiederaufnahmeantrag im Hinblick auf ein durch Gerichtsbescheid abgeschlossenes Verfahren ein (Prozess-) Urteil zu ergehen hatte, da der Gerichtsbescheid einem Urteil gleichsteht.

Ergibt die Prüfung der Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens, dass dieses unzulässig ist, so ist diese Klage durch Prozessurteil als unzulässig zu verwerfen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Auflage, § 179 Rdnr. 9). Für den vom Sozialgericht gewählten Weg, durch Beschluss zu entscheiden, wäre nur dann Raum gewesen, wenn das Sozialgericht sich tatsächlich auf die Wiederaufnahme des PKH-Verfahrens zum Hauptsacheverfahren S 25 U 662/00 beschränkt hätte. Denn grundsätzlich kann die Wiederaufnahme im Sinne des § 179 SGG auch im Hinblick auf durch rechtskräftigen Beschluss abgeschlossene Verfahren beantragt werden (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., § 179 Rdnr. 3). Hier hat sich das Sozialgericht aber nicht auf das PKH-Verfahren beschränkt, sondern hat festgestellt, dass auch im Hinblick auf das Hauptsacheverfahren keine Wiederaufnahmegründe vorliegen. Letztlich hat es den Antrag der Klägerin, trotz des Wortlauts, der allein den ablehnenden PKH-Beschluss des Sozialgerichts vom 02. Juli 2003 betraf, dahin ausgelegt, dass die Wiederaufnahme des Hauptsacheverfahrens S 25 U 662/00 gewollt war, wovon auch die Gerichtsverwaltung des Sozialgerichts Berlin ausgegangen war. Dem Antrag der Klägerin ist insoweit zu entnehmen, dass es ihr vorliegend auch weiterhin um die Anerkennung des Augen- und Bronchialleidens als BK bzw. Arbeitsunfallfolge geht und nicht um eine Revision der damaligen Prozesskostenhilfeentscheidung zum Verfahren S 25 U 662/00.

Im Ergebnis hat das Sozialgericht aber zu Recht entschieden, dass Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 179 SGG i. V. m. § 580 ZPO nicht vorliegen, so dass die Beschwerde durch Urteil zurückzuweisen war.

Das Wiederaufnahmeverfahren im Sinne des § 179 SGG gliedert sich in drei Abschnitte. Zuerst ist eine Zulässigkeitsprüfung durchzuführen, dann folgt das aufhebende Verfahren, schließlich das ersetzende Verfahren (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., § 179 Rdnr. 9 m. w. N.). Im Hinblick auf die Statthaftigkeit der Wiederaufnahmeklage ist zu prüfen, ob ein zulässiger Anfechtungsgrund schlüssig behauptet wurde.

Zu prüfen sind danach die Restitutionsgründe des § 580 ZPO. Nach dieser Vorschrift findet die Restitutionsklage statt,

1. wenn der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat;

2. wenn eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war;

3. wenn bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat;

4. wenn das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist;

5. wenn ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat;

6. wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichtes, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist;

7. wenn die Partei

a) ein in derselben Sache erlassenes früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder

b) eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die ihr eine günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde,

8. wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht.

Es ist offensichtlich, dass die Klägerin keinen dieser Restitutionsgründe behauptet hat. Denn sie macht nur geltend, dass das Sozialgericht den Rechtsstreit S 25 U 662/00 durch den rechtskräftigen Gerichtsbescheid unzutreffend entschieden hat. Dieses ist nach der eben zitierten Norm ebenso wenig ein Wiederaufnahmegrund wie die durch nichts Nachvollziehbares unterlegte Behauptung, es bestünden neue Erkenntnisse in der medizinischen Wissenschaft, die ihren Anspruch nunmehr begründen könnten.

Nach § 179 Abs. 2 SGG ist die Wiederaufnahme des Verfahrens darüber hinaus ferner zulässig, wenn ein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat. Auch eine solche strafgerichtliche Verurteilung liegt nicht vor.

Ein weiterer Aufnahmegrund im Sinne des § 180 SGG liegt vor, wenn widersprechende Entscheidungen ergangen sind. Auch dies liegt nicht vor. Es gibt keine dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin im Verfahren S 25 U 662/00 widersprechende Entscheidung.

Damit steht fest, dass das Sozialgericht im Ergebnis zu Recht entschieden hat, dass die Wiederaufnahmeklage mangels zulässigen Wiederaufnahmegrundes unzulässig war.

Das hiergegen gerichtete Rechtsmittel hatte der Senat in der nunmehr zutreffenden Form eines Berufungsurteils zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.