Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 27.09.2013 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 S 50.13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 19 Abs 4 GG, § 123 VwGO, § 53 Abs 3 S 3 SchulG BB, § 53 Abs 3 S 4 SchulG BB, § 53 Abs 5 S 4 SchulG BB, § 43 SekIV BB, § 7 Abs 2 S 3 SekIV BB, § 7 Abs 2 S 4 SekIV BB, § 7 Abs 2 S 5 SekIV BB |
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 24. Juli 2013 wird - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung - geändert, soweit er den Eilrechtsschutzantrag gegen die am Beschwerdeverfahren noch beteiligte Antragsgegnerin betrifft.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin zu 1. vorläufig in die Jahrgangsstufe 7 des H-Gymnasiums E aufzunehmen.
Soweit es den gegen sie gerichteten Eilrechtsschutzantrag betrifft, trägt die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie wendet sich mit Erfolg gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Antragsteller hätten keinen Anordnungsanspruch auf vorläufige Aufnahme der Antragstellerin zu 1. in die Jahrgangsstufe 7 des von der Antragsgegnerin geleiteten H...-Gymnasiums E... glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO), weil die von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 26. März 2013 getroffene Auswahlentscheidung zu Lasten der Antragstellerin bei summarischer Prüfung keinen durchgreifenden Zweifeln unterliege.
Für die Aufnahme in eine weiterführende allgemeinbildende Schule bestimmt § 53 Abs. 3 BbgSchulG, dass ein Auswahlverfahren durchgeführt wird, wenn die Zahl der Anmeldungen für eine Schule die Aufnahmekapazität übersteigt (Satz 2). Die Auswahl erfolgt an Gymnasien nach (1.) besonderen Härtefällen gemäß Abs. 4, (2.) dem Vorrang der Eignung gemäß Abs. 5 und (3.) dem Vorliegen besonderer Gründe (§ 53 Abs. 3 Satz 3 BbgSchulG). Der Vorrang der Eignung ist gemäß § 53 Abs. 5 Satz 4 BbgSchulG durch Auswertung des Grundschulgutachtens und des Halbjahreszeugnisses der Jahrgangsstufe 6 zu ermitteln, wobei in die Noten des Halbjahreszeugnisses mit hoher Gewichtung die Ergebnisse zentraler Vergleichsarbeiten in Deutsch und Mathematik eingehen; ferner können mit den Eltern und Schülern Gespräche geführt werden (§ 53 Abs. 5 Satz 5 BbgSchulG).
Allerdings ist das von der Antragsgegnerin angewendete Punktesystem, in dem bis zu 95 Punkte in Auswertung des Grundschulgutachtens, bis zu 99,75 Punkte nach dem Zensurendurchschnitt des Halbjahreszeugnisses der 6. Klasse und bis zu 100 Punkte nach der Notensumme der Kernfächer Deutsch, Mathematik und erste Fremdsprache vergeben werden, mit den Vorgaben des § 53 Abs. 5 Satz 4 BbgSchulG vereinbar. Die Vorschrift, die am 1. August 2007 (vgl. Art. 1 Nr. 40 Buchstabe b, Art. 5 des Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Schulgesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 8. Januar 2007, GVBl. I S. 2) an die Stelle der bis dahin geltenden Vorgabe getreten ist, den Vorrang der Eignung durch Auswertung des Grundschulgutachtens zu ermitteln, wobei das Halbjahreszeugnis der Jahrgangsstufe 6 und das Ergebnis eines Aufnahmetests oder Gespräche mit Eltern und Schülern (lediglich) ergänzend hinzugezogen werden konnten (§ 53 Abs. 5 Sätze 2-5 a.F. BbgSchulG), trifft - wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat - keine Aussage zum Verhältnis, in dem Grundschulgutachten und Halbjahreszeugnis bei der Ermittlung des Vorrangs der Eignung zu berücksichtigen sind. Die von der Antragsgegnerin gewählte Methode berücksichtigt zu etwa einem Drittel die Angaben des Grundschulgutachtens zu fachübergreifenden Kompetenzen (Nr. 3) sowie zu Neigungen und Begabungen (Nr. 4) und zu einem weiteren Drittel die Noten des Halbjahreszeugnisses der 6. Klasse (Gesamtnotendurchschnitt). Das letzte Drittel der zu vergebenden Punkte bestimmt sich nach der Summe der Noten in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und erste Fremdsprache, und berücksichtigt damit das sowohl das Halbjahreszeugnis der 6. Klasse als auch das Grundschulgutachten, das diese unter Nr. 6 aufführt (vgl. auch § 53 Abs. 5 Satz 3 BbgSchulG). Damit wird das Punktesystem auch dem von der Antragsgegnerin nach den Angaben in ihrem Schriftsatz vom 12. Juli 2013 verfolgten Anliegen gerecht, „ein gleichrangiges Verhältnis“ zwischen dem Grundschulgutachten und dem Halbjahreszeugnis der Klassenstufe 6 zu erreichen.
Als rechtswidrig erweist sich die zu Lasten der Antragstellerin zu 1. getroffene Auswahlentscheidung indessen, weil sie sich auf die im Anschluss an die Punktevergabe vorgenommene Bildung von Gruppen besonderer Eignung stützt, für die es an einer nachvollziehbaren Begründung fehlt. Die Antragsgegnerin hat hierzu in ihrer Stellungnahme zum Widerspruch der Antragsteller vom 29. April 2013 lediglich ausgeführt, es seien als „Gruppen gleicher Eignung“ eine Gruppe 1 - besonders geeignet bis Platz 51, eine Gruppe 2 - Auswahlgruppe 9 Schüler für Platz 52 bis 60, eine Gruppe 3 - geeignet mit Einschränkungen ab Platz 61 und eine Gruppe 4 - nicht geeignet bei nicht bestandenem Probeunterricht ab Platz 80, gebildet worden, wobei die Auswertung ergeben habe, dass die Zulassungsgrenze innerhalb der Gruppe 2 gelegen habe, in der daher Auswahlgespräche geführt worden seien. Abgesehen davon, dass die Annahme einer Zulassungsgrenze innerhalb der Gruppe 2 (bis Platz 60) nur plausibel erscheint, wenn man - wie die Antragsgegnerin im Bescheid vom 26. März 2013 und der Stellungnahme vom 29. April 2013 - von 56 zu vergebenden Plätzen, nicht dagegen - wie das von ihr bevollmächtigte Schulamt - von einer Aufnahmekapazität von 60 Plätzen ausgeht, wird nicht ersichtlich, welche Gesichtspunkte für die Gruppeneinteilung maßgeblich waren. Die Antragsgegnerin hat hierfür auch auf die entsprechende Rüge der Antragsteller in der Beschwerdebegründung keine Erläuterung gegeben. Einer solchen hätte es umso mehr bedurft, als die Grenzziehung zwischen den Gruppen nicht an Punktzahlen anknüpft, sondern allein auf den Rang unter den Bewerbern abstellt. Damit wird die Frage nach der „gleichen Eignung“ letztlich von den Ergebnissen abhängig gemacht, die die Mitbewerber erreicht haben.
Die rechtswidrige Grenzziehung zwischen den von der Antragsgegnerin gebildeten „Gruppen gleicher Eignung“ führt zur Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Antragstellerin zu 1. Zwar hat diese nur eine Punktzahl von 84,25 erreicht und belegt damit (erst) Platz 72 der von der Antragsgegnerin erstellten Rangliste, so dass sie bei einer allein an die erzielte Punktzahl anknüpfenden Platzvergabe voraussichtlich nicht in die Schule aufzunehmen gewesen wäre. Für eine derartige Methode der Platzvergabe hat die Antragsgegnerin sich indessen nicht entschieden. Mit der vorgenommenen Gruppenbildung, an die sich für die „Auswahlgruppe“ 2, soweit nicht einigen Schülern als Geschwisterkindern der Vorrang innerhalb der Gruppe gegeben wurde, Auswahlgespräche anschlossen, hat sie vielmehr zu erkennen gegeben, dass eine Bildung von „Gruppen gleicher Eignung“, innerhalb derer auch besondere Gründe im Sinne des § 53 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3, Satz 4 BbgSchulG Berücksichtigung finden, konstitutiver Bestandteil ihres Auswahlsystems sein sollte. Nach § 53 Abs. 3 Satz 4 BbgSchulG rechtfertigt bei der Auswahl an Gymnasien das Vorliegen eines besonderen Grundes den Vorrang eines Schülers bei gleicher Eignung für den Bildungsgang der gewählten Schule. In ihrer Stellungnahme vom 29. April 2013 erkennt die Antragsgegnerin an, dass im Fall der Antragstellerin zu 1. ein besonderer Grund vorliege, weil sie ein Geschwisterkind an der Schule habe, und meint lediglich, dieser besondere Grund könne nicht geltend gemacht werden, weil die Antragstellerin zu 1. nicht zur Auswahlgruppe 2 gehöre.
Wie die Antragsgegnerin die Platzvergabe bei Kenntnis der Rechtswidrigkeit des von ihr gewählten Systems gestaltet hätte, ist offen; Anhaltspunkte hierfür lassen sich weder dem vorgelegten Verwaltungsvorgang noch dem Vorbringen der Antragsgegnerin entnehmen. Die Festlegung eines solchen Verfahrens ist nicht Aufgabe des Gerichts, sondern der Antragsgegnerin vorbehalten (§ 43 Abs. 2 Sek I-V). Angesichts dessen, dass die Antragstellerin zu 1. bei Zurückweisung ihres vorläufigen Rechtsschutzbegehrens - ggf. nur bis zu einer anderweitigen Entscheidung im Klageverfahren - weiterhin nicht die von ihr gewünschte Schule, sondern die in K... gelegene Schule besuchen müsste, der sie vom Staatlichen Schulamt zugewiesen wurde, ist nicht nur der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund gegeben (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 4. September 2013 - OVG 3 S 45.13 -, juris, Rn. 3 f.), sondern ist es nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten, die Rechtsverletzung der Antragstellerin zu 1. in Folge des rechtswidrigen Auswahlverfahrens und damit ihren Anordnungsanspruch zu unterstellen. Ein weiteres Abwarten bis zur Korrektur der Auswahlentscheidung durch die Antragsgegnerin, die ein neues Auswahlkonzept voraussetzt, ist der Antragstellerin nicht zumutbar.
Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass die hieraus folgende Pflicht der Antragsgegnerin, die Rechtsverletzung durch Aufnahme der Antragstellerin zu 1. zu beheben, unabhängig von dem bei nachträglich freiwerdenden Schulplätzen ggf. durchzuführenden Nachrückverfahren nach § 7 Abs. 2 Satz 4 Sek I-V besteht. Das Nachrückverfahren ist zur Auffüllung des geplanten Kontingents vorgesehen. Bei erfolgreich um Rechtsschutz nachsuchenden Bewerbern geht es demgegenüber um Beendigung der Rechtsverletzung durch zusätzliche Aufnahme in die Wunschschule. Zusätzliche Plätze, die als Ausgleich für rechtswidrig belegte Plätze bereitgestellt werden müssen, sind daher (gerade) an diejenigen Bewerber zu vergeben, die - wie hier die Antragstellerin zu 1. - die Abweisung nicht hingenommen haben (vgl. Beschluss des Senats vom 4. September 2013, a.a.O., Rn. 9; OVG Berlin, Beschluss vom 17. Dezember 2004 - OVG 8 S 110.04 -, juris Rn. 16).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).