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GdB


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum 23.11.2011
Aktenzeichen L 13 SB 360/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 69 SGB 9, VersMedV

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Eine Kostenerstattung findet auch für das Berufungsverfahren nicht statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).

Der Beklagte hatte bei dem 1967 geborenen Kläger zuletzt 1997 einen GdB von 20 festgestellt. Dessen Verschlimmerungsantrag vom 8. Juli 2003 lehnte er nach versorgungsärztlicher Auswertung der eingeholten ärztlichen Unterlagen mit Bescheid vom 11. März 2004 ab. Auf den Widerspruch des Klägers holte der Beklagte das Gutachten des PD Dr. B vom 2. Februar 2005 ein. Dessen Einschätzung folgend stellte der Beklagte mit Abhilfebescheid vom 28. Februar 2005 bei dem Kläger einen GdB von 40 fest. Dem legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

a) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, operierte Bandscheibe, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule, operierte Wirbelsäule (30),

b) Funktionsbehinderung des Schultergelenks rechts (20),

c) Funktionseinschränkung des rechten Fußes (10).

Den im Übrigen aufrecht erhaltenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2005 zurück.

Mit der Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat der Kläger die Feststellung eines GdB von 50 begehrt. Das Sozialgericht hat auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Neurochirurgen Dr. D vom 29. Januar 2008 mit ergänzender Stellungnahme vom 17. Juni 2008 eingeholt, der den GdB auf 50 eingeschätzt hat. Die einzelnen Behinderungen hat er wie folgt bewertet:

a) erhebliche Funktionsbeeinträchtigung der Halswirbelsäule mit erheblicher Schmerzsymptomatik (40),

b) deutliche Funktionsbeeinträchtigung des rechten Schultergelenks (20),

c) Lendenwirbelsäulen-Syndrom mit leichten belastungsabhängigen Beschwerden und leichten Funktionseinschränkungen (10),

d) Fußheberparese rechts (20).

Mit Urteil vom 21. Oktober 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Bei dem Kläger liege kein GdB von 50 vor. Dem Sachverständigen PD Dr. D sei hinsichtlich der Feststellung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu folgen, nicht jedoch seiner Bewertung. Für die Funktionseinschränkungen der Hals- und Lendenwirbelsäule sei insgesamt ein Einzel-GdB von 30 festzusetzen. Eine Erhöhung auf einen GdB von 40 wegen der Schmerzproblematik komme vorliegend nicht in Betracht. Unter Berücksichtigung der beiden weiteren Funktionsbehinderungen der rechten Schulter und des rechten Fußes mit Einzel-GdB von jeweils 20 sei der Gesamt-GdB von 40 zu bilden.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Ansicht, dass die Wirbelsäulenschäden mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten seien, da in zwei Wirbelsäulenabschnitten Schäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen vorlägen. Seit 2005 stehe er unter Schmerztherapie. Im Übrigen habe sich sein Gesundheitszustand seit der Begutachtung im Januar 2008 weiter verschlechtert.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Orthopäden Dr. W vom 8. Oktober 2010, der nach Untersuchung des Klägers einen Gesamt-GdB von 40 für gerechtfertigt gehalten hat. Der Sachverständige hat folgende Funktionsbeeinträchtigungen ermittelt:

a) chronisch degeneratives Wirbelsäulenleiden mit schweren funktionellen Auswirkungen an der Halswirbelsäule, Bandscheibendegeneration der unteren Lendenwirbelsäule ohne Mitbeteiligung von spinalen Nervenstrukturen (30),

b) leichtgradiges Schulterengpass-Syndrom rechts, Zustand nach Sulcus ulnaris-Verlagerung rechts (10),

c) beginnender Kniegelenkverschleiß rechts, Zustand nach Achillessehnenruptur und leichtgradigem Fußheberdefizit rechts (10).

Auf den Antrag des Klägers ist das im Rentenstreitverfahren eingeholte Gutachten des Neurochirurgen Dr. S vom 4. März 2011 beigezogen worden.

Die Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Oktober 2009 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 11. März 2004 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 28. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2005 zu verpflichten, bei ihm ab 8. Juli 2003 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält an seiner Entscheidung fest.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung eines GdB von 50.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind als antizipierte Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend dem streitgegenständlichen Zeitraum in den Fassungen von 1996, 2004, 2005 und – zuletzt – 2008. Seit dem 1. Januar 2009 sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ in Form einer Rechtsverordnung in Kraft, welche die AHP – ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten wäre – abgelöst haben.

Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte für die Wirbelsäulenschäden einen Einzel-GdB von 30 angesetzt hat. Nach der übereinstimmenden Einschätzung aller Gutachter besteht bei dem Kläger ein Wirbelsäulenleiden mit schweren funktionellen Auswirkungen an der Halswirbelsäule. Für Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) schreibt Teil B Nr. 18.9 (Bl. 90) der Anlage zu § 2 VersMedV einen GdB von 30 vor. Der Vorschlag des im Klageverfahrens gehörten Neurochirurgen Dr. D im Gutachten vom 29. Januar 2008, das Halswirbelsäulenleiden mit einem Einzel-GdB von 40 zu würdigen, entspricht diesen Vorgaben (denen die seinerzeit geltenden AHP 2008 entsprachen) nicht. Ein höherer GdB von 30 ist erst bei Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten möglich. Zwar leidet der Kläger auch an Beschwerden der Lendenwirbelsäule, allerdings zeitigen diese – wovon auch Dr. D und der Neurochirurg Dr. S in seinem Gutachten vom 14. März 2011 ausgegangen sind – keine mittelgradigen, sondern nur leichte Funktionseinschränkungen. Eine Heraufsetzung des Einzel-GdB von 30 ist auch unter Berücksichtigung der Schmerzproblematik nicht möglich. Nach Teil B Nr. 18.9 (Bl. 91) der Anlage zu § 2 VersMedV kann bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallerscheinungen ein GdB über 30 in Betracht kommen. Der Sachverständige Dr. hat jedoch ein Schmerzsyndrom dieser Qualität nicht feststellen können.

Der Kläger wird durch die Bewertung der Funktionsbeeinträchtigungen des rechten Schultergelenks mit einem Einzel-GdB von 20 nicht in seinen Rechten verletzt. Nach Teil B Nr. 18.13 (Bl. 93) der Anlage zu § 2 VersMedV sind Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) bei einer Armhebung nur bis zu 90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB dieser Höhe zu bewerten. Es ist allerdings zweifelhaft, ob bei dem Kläger ein GdB dieser Höhe anzusetzen ist. Denn der Sachverständige Dr. W hat bei der Untersuchung des Klägers festgestellt, dass eine sichere Anhebung über 120° bei nahezu freier Rotation möglich gewesen ist. Ein komplexes Bewegungsdefizit hat nicht vorgelegen. Die Schultergelenke sind weder verformt noch entzündlich verändert gewesen. Die angrenzende Muskulatur ist altersgemäß ausgeprägt gewesen. Diesem Befund entsprechend hat der Gutachter für die Schulterbeschwerden einschließlich des Zustandes nach der Verlagerung des Sulcus ulnaris rechts lediglich einen Einzel-GdB von 10 vorgeschlagen. Diese Bewertungsdifferenz kann jedoch offen bleiben, da jedenfalls eine höhere Bewertung als 20 ausscheidet.

Der beginnende Kniegelenkverschleiß rechts, der Zustand nach der Achillessehnenruptur und das leichtgradige Fußheberdefizit rechts sind der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen Dr. W zufolge, der sich der Senat anschließt, insgesamt mit einem GdB von 10 zu bewerten. Das leichte Fußheberdefizit auf der rechen Seite hat keine funktionelle Bedeutung für das Laufen. Die bei der gutachterlichen Untersuchung durchgeführte Kraftprüfung hat keine Seitendifferenzen ergeben. Ein gestörtes Abrollverhalten hat der Gutachter nicht beobachten können. Selbst die monopedalen Stehversuche sind auf der rechten Seite ungestört gewesen. Die Untersuchung der Kniegelenke hat bis auf eine leichte Druckempfindlichkeit in diesem Bereich keine Bewegungsstörungen oder Bandauslockerungen ergeben. Die angrenzende Muskulatur ist altersgemäß und seitengleich ausgeprägt gewesen.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Bei dem Kläger ist der Gesamt-GdB nicht höher als 40 festzusetzen. Der Einzel-GdB für die Wirbelsäulenschäden von 30 ist unter Berücksichtigung der Beschwerden des Schultergelenks um einen GdB von 10 heraufzusetzen. Eine weitere Heraufsetzung des Gesamt-GdB ist nicht möglich, denn nach Teil A Nr. 3d der Anlage zu § 2 VersMedV führen (von hier nicht einschlägigen Ausnahmefällen abgesehen) zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.