Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 16.01.2015 | |
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Aktenzeichen | OVG 10 N 63.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 103 Abs 1 GG, § 116 Abs 2 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 5 VwGO, Art 6 Abs 1 MRK, § 55 Abs 13 BauO BB |
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2011 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens tragen die KIäger.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 10.000 EUR festgesetzt.
Die Kläger wenden sich gegen eine Verfügung des Beklagten, in der ihnen die Beseitigung eines als Bootshaus bezeichneten Gebäudes aufgegeben worden ist. Ihr Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das ihre Klage abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts, der auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) gestützt ist, hat keinen Erfolg. Die von den Klägern vorgebrachten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung des Oberverwaltungsgerichts sind (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO), rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht.
1. Gemessen an den Einwendungen der Kläger bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Denn ihr Vorbringen ist nicht geeignet, einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des angegriffenen Urteils mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, NJW 2010, 1062, juris).
Ohne Erfolg wenden die Kläger sich gegen die Argumentation des Verwaltungsgerichts, das Bootshaus sei formell baurechtswidrig, weil eine Baugenehmigung fehle und die im Jahr 2007 durchgeführten Maßnahmen nicht nach § 55 Abs. 13 BbgBO baugenehmigungsfrei seien, da sie den Rahmen dessen, was noch als identitätswahrende Instandhaltungsmaßnahme angesehen werden könne, verließen und einer Neuerrichtung des Nebengebäudes gleichkämen. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Bewertung, dass im rechtlichen Sinne ein Neubau stattgefunden habe, auf den Aufwand abgestellt, den die Kläger bei ihrer vermeintlichen Reparatur getrieben hätten, und hierzu auf Fotografien und Rechnungen verwiesen. Aus den Fotografien sei erkennbar, dass ein vollständiger Austausch der Substanz der Außenwände und der Dachhaut stattgefunden habe, und aus den Rechnungen, dass die Kläger einen Kostenaufwand von 27.731,52 EUR auf sich genommen hätten; dies sei für ein Nebengebäude mit den Abmessungen 7,20 x 4,60 m, welches weder Feuerstelle noch Aufenthaltsräume enthalte, außergewöhnlich hoch und übersteige die ursprünglichen Baukosten für den Vorgängerbau um ein Mehrfaches. Mit ihrer Rüge, das Verwaltungsgericht sei von unzutreffenden Abmessungen ausgegangen und habe keine Feststellungen zu Feuerstätten und Aufenthaltsräumen getroffen, das Gebäude sei schon vor 1990 mit Wasser-, Abwasser- und Elektroenergie versorgt gewesen, können die Kläger diese Argumentation im Ergebnis nicht ernsthaft in Zweifel ziehen. Auf die exakten Abmessungen kam es dem Verwaltungsgericht nicht entscheidend an. Dieses hat die Größe und Nutzbarkeit des Gebäudes lediglich in Relation zu dem finanziellen Aufwand der baulichen Maßnahmen gesetzt, wofür es keine entscheidende Rolle spielt, ob das Gebäude - wie vom Verwaltungsgericht auf der Grundlage der bei der Ortsbesichtigung getroffenen Feststellungen angenommen - eine Grundfläche von ca. 33 m² oder - wie im Zulassungsverfahren geltend gemacht - von ca. 37 m² hat.
Zudem betrifft der getätigte finanzielle Aufwand nur einen der im Urteil genannten Gründe für die Einschätzung, es sei von einem Neubau auszugehen. Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung der Sache nach die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Errichtung und Änderung von baulichen Anlagen im Sinne des § 29 BauGB durch Baumaßnahmen an vorhandenen Gebäuden zugrunde gelegt. Danach sind Eingriffe in die vorhandene Bausubstanz als Änderung des Bauwerkes zu qualifizieren, wenn dieses dadurch seiner ursprünglichen Identität beraubt wird. Ein solcher Identitätsverlust tritt nicht nur ein, wenn der Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Bauwerks berührt und eine statische Nachberechnung erforderlich macht, sondern erst recht, wenn die Bausubstanz ausgetauscht wird oder die Baumaßnahmen sonst praktisch einer Neuerrichtung gleichkommen (BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2005 - BVerwG 4 B 60.05 -, juris Rn. 4; Urteil vom 14. April 2000 - BVerwG 4 C 5.99 -, juris Rn. 26 m.w.N.). einen solchen Fall hat das Verwaltungsgericht angenommen. Es hat dabei nicht nur auf den finanziellen Aufwand der Baumaßnahmen abgestellt, sondern festgestellt, es habe ein vollständiger Austausch der Substanz der Außenwände und der Dachhaut stattgefunden. Dies deckt sich mit den Angaben, die die Kläger selbst zu der von ihnen durchgeführten „Instandhaltung“ gemacht haben. Danach handelte es sich bei dem ca. Ende der 1970er Jahre von den früheren Eigentümern errichteten Bootshaus um eine Stahlfachwerk-Konstruktion mit einer doppelten Beplankung (innen und außen) mit Asbestfaserplatten und einer Wärmedämmung durch Mineralwolle. Im Zusammenhang mit Reparaturmaßnahmen am Dach nach einem Sturmschaden, in deren Verlauf nach Angaben der Kläger ein aufgesetztes Satteldach beseitigt und das eigentliche Flachdach freigelegt wurde, wurden die Asbestfaserplatten nebst Mineralwolle vollständig entfernt und durch eine neue Stahl-Glas-Fassadenverkleidung mit integrierter Wärmedämmung ersetzt. Die Kläger haben somit die Bausubstanz aller Außenwände bis auf die Stahlskelettkonstruktion komplett ausgetauscht. Dass das Verwaltungsgericht daraus eine Identitätsänderung im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung abgeleitet hat, ist nicht zu beanstanden.
Dieses Ergebnis wird auch dem Inhalt der Genehmigungsfreiheit nach § 55 Abs. 13 BbgBO gerecht. Bei Instandhaltungsarbeiten im Sinne dieser Vorschrift wird die Bausubstanz grundsätzlich erhalten und nicht ausgetauscht, weshalb der teilweise oder vollständige Austausch von Bausubstanz grundsätzlich genehmigungspflichtig ist, es sei denn, er wird von einer der speziellen Regelungen in § 55 Abs. 2 bis Abs. 11 BbgBO erfasst (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 25. Juli 2013 - OVG 10 N 39.13 -, juris Rn. 5 m.w.N.), was hier nicht der Fall ist. Die Genehmigungsfreiheit bezieht sich demgegenüber auf solche Unterhaltungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen, bei denen ein schadhaftes Bauteil, das unter Abnutzung, Alterung, der Witterung oder anderen Einflüsse gelitten hat, wieder hergerichtet wird und die Schadensbeseitigung ohne wesentliche Änderung des bisherigen Zustandes erfolgt (vgl. OVG Bln, Urteil vom 20. November 1992 - OVG 2 B 33.90 -, BRS 54 Nr. 117).
Soweit die Kläger vortragen, der Austausch der gesundheitsschädlichen Asbestwände gegen moderne Wände wäre selbst dann nicht als Neuerrichtung mit der Folge einer Genehmigungspflichtigkeit nach § 54 BbgBO anzusehen, wenn die Kosten den Wert des ursprünglichen Gebäudes überstiegen hätten, sondern sei als Austausch gesundheits- und umweltschädlicher Baumaterialien gegen zeitgemäße Baumaterialien vom Bestandsschutz gedeckt, vermag dies nicht zu überzeugen. Zwar ist es zutreffend, dass nach der von den Klägern zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 17. Januar 1986 - BVerwG 4 C 80.82 -, juris Rn. 16) für die Frage, ob eine Maßnahme deswegen vom Bestandsschutz nicht mehr gedeckt ist, weil die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen, nur auf die Kosten derjenigen Maßnahmen abzustellen ist, die zur Erhaltung des Gebäudes wahrhaft erforderlich sind. Vorliegend hat das Verwaltungsgericht jedoch nicht den Kostenaufwand in Bezug auf die „für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten“ geprüft, sondern allgemein den mit den Baumaßnahmen verbundenen Aufwand in tatsächlicher sowie finanzieller Hinsicht in den Blick genommen und unter Berücksichtigung von Größe und Nutzbarkeit des Gebäudes bewertet. Die Kostenfrage stellt in diesem Zusammenhang nur einen Gesichtspunkt dar, auf den es nicht entscheidungserheblich ankommt, weil - wie dargelegt - bereits der Umfang des Austausches der Bausubstanz es rechtfertigt, die Baumaßnahmen als genehmigungspflichtige Änderung der baulichen Anlage zu bewerten. Im Übrigen widersprechen sich die Kläger selbst, wenn sie einerseits geltend machen, ihre Bautätigkeiten seien als genehmigungsfreie Instandhaltungsmaßnahmen anzusehen, und sich andererseits bei der Berechnung der für die Instandhaltung notwendigen Kosten darauf berufen, für die Instandsetzung selbst sei nur die Reparatur des Daches erforderlich gewesen.
Mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts zur materiellen Baurechtswidrigkeit des Bootshauses setzen sich die Kläger nicht auseinander. Ihre Hinweise auf die Begründung der Ordnungsverfügung und die Beantwortung einer Bauvoranfrage durch den Beklagten sind insoweit unergiebig.
2. Die Kläger haben auch das Vorliegen eines entscheidungserheblichen Verfahrensfehlers nicht dargelegt.
a) Ohne Erfolg rügen die Kläger einen Verstoß gegen Artikel 103 Abs. 1 GG, weil das Urteil vor Ablauf der vom Verwaltungsgericht gesetzten Stellungnahmefrist ergangen sei. Das Verwaltungsgericht hatte den Beteiligten durch in der mündlichen Verhandlung am 19. April 2011 verkündeten Beschluss Gelegenheit gegeben, zu Verlauf und Ergebnis der Verhandlung bis zum 3. Mai 2011 schriftsätzlich Stellung zu nehmen. Das Urteil ist ausweislich eines entsprechenden Stempels am 3. Mai 2011 in der Geschäftsstelle eingegangen, so dass davon auszugehen ist, dass die Entscheidung im Laufe des Tages und damit noch vor Ablauf der mangels zeitlicher Beschränkung bis 24.00 Uhr währenden Äußerungsfrist getroffen worden ist. Grundsätzlich ist von einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auszugehen, wenn eine Entscheidung vor Ablauf einer den Beteiligten eingeräumten Schriftsatzfrist ergeht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 1961 - 2 BvR 402/60 -, BVerfGE 12, 110, juris Rn. 8; BVerwG, Urteil vom 15. August 1991 - BVerwG 4 C 11.90 -, juris Rn. 16 und Beschluss vom 7. April 1999 - BVerwG 9 B 999/98 -, juris Rn. 2). Hier hat das Gericht jedoch den am 3. Mai 2011 eingegangenen Schriftsatz der Kläger vom 29. April 2011 berücksichtigt, wie sich aus dessen Erwähnung sowohl im Tatbestand wie in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ergibt. Dies räumen auch die Kläger ein.
Auch wenn allein der Eingang einer Stellungnahme innerhalb der Äußerungsfrist das Gericht grundsätzlich nicht von der Verpflichtung entbindet, den Ablauf der Frist abzuwarten, weil die Beteiligten nicht verpflichtet sind, weiteres Vorbringen ausdrücklich anzukündigen, und sich ein Verzicht auf das volle Ausnutzen der Äußerungsfrist eindeutig ergeben muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. August 1991, a.a.O., Rn 17), mag zweifelhaft sein, ob das Gericht auch im vorliegenden Fall gehalten war, weiter abzuwarten. Denn der Schriftsatz, der erst am letzten Tag der Frist einging, erweckt durch seine einleitende Formulierung „wird zum Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 19.04.2011 wie folgt Stellung genommen“ durchaus den Eindruck einer abschließenden Äußerung. Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Bewertung, weil selbst bei Annahme eines Verfahrensverstoßes dieser unter keinem denkbaren Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich gewesen sein kann. Die Kläger, die bis zum Ablauf der Äußerungsfrist von der bereits ergangenen Entscheidung keine Kenntnis hatten, haben von der Möglichkeit weiteren Vorbringens keinen Gebrauch gemacht, so dass nicht ersichtlich ist, in Bezug auf welchen Vortrag sie in ihrem Anspruch auf Gehör verletzt worden sein sollten. In dieser Fallkonstellation ist es auszuschließen, dass der Zeitpunkt der Entscheidungsfindung von Einfluss auf den Inhalt des Urteils gewesen ist und im Falle des Abwartens bis zum Ende der Äußerungsfrist die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung bestanden hätte (vgl. hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 15. August 1991, a.a.O., Rn. 19; VGH BW, Beschluss vom 27. September 1999 - 11 S 214/99 -, NVwZ-RR 2000, 399, Leitsatz auch in juris; Eichberger in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: März 2014, § 138 Rn. 89).
b) Auch mit dem Vorbringen der Kläger, die Zustellung des Urteils statt der Verkündung nach § 116 Abs. 2 VwGO stelle einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK dar, ist ein entscheidungserheblicher Verfahrensmangel nicht dargelegt. Die Kläger gehen weder darauf ein, inwieweit Art. 6 Abs. 1 EMRK auf das vorliegende verwaltungsgerichtliche Verfahren anwendbar ist, noch setzen sie sich mit dem Umstand auseinander, dass das Gericht den Beschluss über die Zustellung nach § 116 Abs. 2 VwGO in der mündlichen Verhandlung in Anwesenheit des Klägers zu 1. und der Prozessbevollmächtigten der Kläger verkündet hat, ohne dass diese dieser Verfahrensweise widersprochen hätten. Es spricht alles dafür, dass in einer solchen Fallkonstellation nicht von einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK auszugehen ist bzw. ein Beteiligter jedenfalls sein entsprechendes Rügerecht verliert (so etwa BayVGH, Beschluss vom 12. Juni 2012 - 20 ZB 12.30227 -, juris Rn. 3; SächsOVG, Beschluss vom 18. Februar 2013 - 4 A 109/11 -, juris Rn. 19; NdsOVG, Beschluss vom 3. April 2013 - 13 LA 34/13 -, juris Rn. 7, jeweils m.w.N.). Im Übrigen legen die Kläger nicht dar, inwieweit die angefochtene Entscheidung auf der Zustellung nach § 116 Abs. 2 VwGO beruhen sollte. Dass das Urteil im Falle einer öffentlichen Verkündung einen anderen Inhalt gehabt haben könnte, erscheint ausgeschlossen (vgl. auch hierzu SächsOVG, Beschluss vom 18. Februar 2013, a.a.O., Rn. 20; NdsOVG, Beschluss vom 3. April 2013, a.a.O., Rn. 9).
c) Soweit die Kläger schließlich geltend machen, es sei ein Urteil vom 19. April 2011 zugestellt worden, obwohl es offenbar später ergangen sei, ist dieses Vorbringen nicht nachvollziehbar. Das Urteil ist seinem Wortlaut nach „auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2011“ ergangen, was inhaltlich zutreffend ist. Sollte sich der Vortrag der Kläger auf das von ihren Prozessbevollmächtigten unterzeichnete Empfangsbekenntnis über die Zustellung einer „Ausfertigung des Urteils vom 19.04.2011“ beziehen, erschließt sich nicht, welcher Verfahrensfehler in dieser gegebenenfalls unscharfen Formulierung liegen sollte und inwieweit das Urteil darauf beruhen könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG, wobei der Senat der erstinstanzlichen Wertfestsetzung folgt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).