Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Nichtzulassungsbeschwerde; grundsätzliche Bedeutung; generelle Tatsache;...

Nichtzulassungsbeschwerde; grundsätzliche Bedeutung; generelle Tatsache; ausgelaufenes Recht


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 10.06.2010
Aktenzeichen L 7 B 156/07 KA NZB ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 144 SGB 5, § 145 SGB 5, § 12 AMRL, Anl 1 Nr 44 AMRL

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. September 2007 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. September 2007 ist nach Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist gemäß §§ 67 Abs. 1, 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet.

Nach § 144 Abs.1 SGG (in der hier maßgeblichen, bis zum 1. April 2008 geltenden Fassung) bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil (bzw. Gerichtsbescheid, § 105 Abs. 3 SGG) des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500 Euro nicht übersteigt. Das ist hier der Fall, weil die Klage sich gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses richtete, soweit damit gegen den Kläger ein Arzneimittelregress für die Verordnung der Medikamente milgamma®, milgamma® NA und milgamma® mono verfügt worden war. Der hierfür vom Beschwerdeausschuss festgesetzte Regressbetrag belief sich nach dem vom Kläger nicht angegriffenen Feststellungen des Sozialgerichts auf 141, 92 €.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil/der Gerichtsbescheid von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

Der Gerichtsbescheid weicht nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab. Eine solche Abweichung wird vom Kläger ebenso wenig geltend gemacht wie das Vorliegen eines Verfahrensfehlers.

Die Rechtssache hat auch nicht die vom Kläger behauptete grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Der Kläger sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darin, dass ungeklärt sei, unter welchen Voraussetzungen von einem nachgewiesenen Vitaminmangel i.S.d. Ziff. 17. 2 Buchstabe h) der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien/AMR a.F. vom 31. August 1993, veröffentlicht im Bundesanzeiger 1993, Nr. 246: S. 11 155, hier in der 2002 geltenden Fassung) ausgegangen werden könne (Nachweis nur durch eine laborchemische Untersuchung oder auch auf andere Weise) und in welchem Verhältnis Nr. 17 Satz 1 AMR a.F. zu Nr. 17.2 Buchstabe h) der Richtlinie stehe (von welchen Voraussetzungen ist die Verordnung abhängig).

Die Einwände des Klägers gegen den sozialgerichtlichen Gerichtsbescheid können die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht aufzeigen. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn von ihrer Entscheidung erwartet werden kann, dass sie zur Erhaltung und Sicherung der Rechtseinheit und zur Fortbildung des Rechts beitragen wird. Das ist der Fall, wenn es in einem Rechtsstreit um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige (entscheidungserhebliche) konkrete Rechtsfrage geht, deren Entscheidung über den Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Als "Rechtsfrage" im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG ist regelmäßig nur eine solche des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts anzusehen, die mit den Mitteln der juristischen Methodik beantwortet werden kann.

An einer solchen Frage fehlt es hier, soweit es darum geht, wie ein Vitaminmangel nach Ziff. 17 AMR a.F. nachgewiesen werden kann. Denn dabei handelt es sich schon nicht um eine Rechtsfrage, weil die Beantwortung nicht mit den Mitteln der juristischen, sondern der medizinischen Wissenschaft erfolgen muss; die Klärung des vom Kläger aufgeworfenen Problems hängt davon ab, auf welche Weise allgemein ein Vitaminmangel nachgewiesen und wie der Nachweis eines Vitamin-B-Mangels im vorliegenden Fall mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann. Bei dieser vom Kläger aufgeworfenen Frage handelt es sich damit um eine Tatsachenfrage, deren Beantwortung im Übrigen nur für die Beteiligten dieses Rechtsstreits wegen der Abhängigkeit vom vorliegenden Einzelfall und dem hierfür maßgeblichen Tatsachenstoff von Bedeutung ist und angesichts der Vielzahl der in der Medizin diskutierten Nachweisverfahren auch nicht den Rang einer Frage von "grundsätzlicher" Bedeutung hat. Die Klärung von Tatsachenfragen, auch wenn sie verallgemeinerungsfähige Auswirkungen besitzen, genügt nicht, um einem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung zu verleihen (Meyer-Ladewig, SGG, § 144 Rdnr. 29).

Darüber hinaus erfordern beide vom Kläger als klärungsbedürftig aufgeworfenen Fragen eine Auseinandersetzung mit Ziff. 17 AMR a.F., die durch die Richtlinie des Gemeinsamen Bundessausschusses (GBA) über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie / AM-RL, in der Fassung vom 18. Dezember 2008 / 22. Januar 2009 veröffentlicht im Bundesanzeiger 2009, Nr. 49a, zuletzt geändert am 17. Dezember 2009, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2010 Nr. 45: S. 1090, in Kraft getreten am 24. März 2010) aufgehoben worden ist. Bei ausgelaufenem Recht kann eine Klärungsbedürftigkeit nur anerkannt werden, wenn noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage dieses ausgelaufenen Rechts zu entscheiden ist oder wenn die Überprüfung der Rechtsnorm bzw. ihrer Auslegung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat (vgl. z.B. BSG vom 28.11.1975 - 12 BJ 150/75 = SozR 1500 § 160a Nr. 19 und BSG vom 7.2.2007 - B 6 KA 56/06 B: zuletzt BSG, Beschluss vom 16. Dezember 2009, - B 6 KA 13/09 B -; zitiert nach juris). Dies ist indessen nicht der Fall: Beim Senat sind Fälle mit den hier aufgeworfenen Fragen nicht anhängig; der Kläger hat auch nicht behauptet, dass es außer seinen Rechtsstreiten noch andere anhängige Verfahren gibt, in denen die von ihm aufgeworfenen Fragen entscheidungserheblich sind. Die Auslegung der Nr. 17 AMR a.F. hat auch nicht aus anderen Gründen keine fortwirkende allgemeine Bedeutung. Denn die Voraussetzungen, unter denen apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, zu denen auch die im vorliegenden Fall betroffenen Medikamente gehören, Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden dürfen, sind in den AM-RL nunmehr grundsätzlich anders geregelt als in den AMR a.F.. Nach § 12 AM-RL sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) grundsätzlich ausgeschlossen. Die Verordnung dieser Arzneimittel ist nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausnahmsweise zulässig, wenn sie bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten. Schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung sind nach § 12 Abs. 5 AM-RL in Anlage I zu dieser Richtlinie aufgeführt. Nr. 44 Anlage I lässt den Einsatz wasserlöslicher Vitamine, Benfotiamin und Folsäure - und damit auch die hier verordneten Arzneimittel - nur als Monopräparate zu. Eine Verordnung von milgamma® und milgamma® NA ist danach ausgeschlossen, weil diese neben Benfotiamin auch Pyridoxin-HCl als Wirkstoff enthalten und damit kein Monopräparat im Sinne dieser Vorschrift sind. Eine Verordnung der hier betroffenen Arzneimittel wäre darüber hinaus nach der zitierten Vorschrift nur bei „nachgewiesenem, schwerwiegendem Vitaminmangel, der durch eine entsprechende Ernährung nicht behoben werden kann (Folsäure: 5 mg/ Dosiseinheit)“ möglich. Auf die vom Kläger für klärungsbedürftig gehaltene Bestimmung des Verhältnisses von Nr. 17 Satz 1 zu Nr. 17 Satz 1 Buchstabe h) AMR a.F. und die Auslegung der Vorschriften im Einzelnen kommt es deshalb evident nicht mehr an. Das gilt aber auch für die Frage des Nachweises des Vitaminmangels. Zwar knüpfen alte und neue Richtlinien des Bundesausschusses/GBA an einen „Nachweis“ an; die AM-RL setzen jedoch einen schwerwiegenden Vitaminmangel voraus und für die in der Vorschrift genannte Folsäure auch an eine konkrete Maßzahl. Damit sind in die Vorschrift der AM-RL, abweichend vom alten Recht, Quantifizierungsmerkmale aufgenommen worden, die für die Feststellung der Mangelzustände laborchemische Nachweisverfahren erforderlich machen und die vom Kläger nach altem Recht als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage nach neuem, nunmehr geltendem Recht eindeutig beantworten.

Ob das Sozialgericht den Rechtsstreit im Übrigen richtig entschieden hat, was der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde im Wesentlichen in Abrede stellt, ist dagegen im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen. Die (vom Kläger behauptete) sachliche Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung stellt nach § 144 Abs. 2 SGG keinen Grund dar, eine kraft Gesetzes ausgeschlossene Berufung zuzulassen. Vielmehr soll es gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bei Verfahren mit geringem Streitwert – wie hier – grundsätzlich mit einer gerichtlichen sachlichen Überprüfung des Klagebegehrens sein Bewenden haben.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG). Nach § 145 Abs. 4 Satz 5 SGG wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.