Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 25.09.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 S 20.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 80 Abs 1 S 2 VwGO, § 80 Abs 2 S 1 Nr 4 VwGO, § 80 Abs 3 S 1 VwGO, § 146 Abs 4 S 1 VwGO, § 146 Abs 4 S 3 VwGO, § 146 Abs 4 S 6 VwGO, § 4 Abs 2 Pfl/BetrWoG BB 2009, § 7 Pfl/BetrWoG BB 2009, § 12 Pfl/BetrWoG BB 2009 |
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 2. Mai 2012 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten der Beschwerde.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Die Antragstellerin betreibt einen ambulanten häuslichen Krankenpflegedienst in P.... Mit Bescheid vom 22. März 2011 stellte der Antragsgegner fest, dass die Antragstellerin unter der Adresse B... in P... eine unterstützende Wohnform, die den Einrichtungen gemäß § 4 Abs. 2 des Brandenburgischen Pflege- und Betreuungswohngesetzes - BbgPBWoG - gleichgestellt sei, als Leistungsanbieterin betreibe und damit den Anzeigepflichten des genannten Gesetzes unterliege (Ziffer 1. des Bescheidtenors). Zugleich forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, die Anzeigen gemäß §§ 7 und 12 BbgPBWoG bis zum 15. April 2011 vorzunehmen (Ziffer 2. des Bescheidtenors), ordnete insoweit die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO an (Ziffer 3. des Bescheidtenors) und drohte der Antragstellerin für den Fall der Nichtbeachtung der Ziffer 2. der Verfügung ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 Euro an (Ziffer 4. des Bescheidtenors).
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22. März 2011 gerichteten Klage - VG 7 K 72/12 - wiederherzustellen bzw. anzuordnen, hinsichtlich Ziffer 2. des Bescheides wiederhergestellt, bezüglich Ziffer 4. des Bescheides angeordnet und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Ziffer 2. i.V.m. Ziffer 3. des Bescheides vom 22. März 2011 sei offensichtlich rechtswidrig, denn Widerspruch und Klage gegen die in Ziffer 1. des Bescheides getroffene Feststellung hätten aufschiebende Wirkung. Daher bestehe die als rechtliche Folge ausgestaltete Anzeigepflicht der §§ 7 und 12 BbgPBWoG noch nicht und könne nicht mit einer Anordnung des Sofortvollzuges versehen werden. Darüber hinaus bestehe auch kein besonderes Vollziehungsinteresse, weil keine konkreten Gefahren bzw. finanziellen oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Bewohner der Wohngemeinschaft zu befürchten seien. Hinsichtlich der Ziffer 4. des Bescheides sei die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, weil die Voraussetzungen für die Anwendung von Zwangsmitteln nach der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich Ziffer 2. des Bescheids nicht mehr vorlägen. Es fehle an einem vollstreckbaren Verwaltungsakt. Der Antrag sei dagegen unzulässig, soweit er sich gegen Ziffer 1. des Bescheides vom 22. März 2011 richte. Da Widerspruch und Anfechtungsklage hiergegen aufschiebende Wirkung hätten, bestehe insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis.
Die sich gegen den stattgebenden Teil des Beschlusses richtende Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, aber unbegründet. Die für die Prüfung der Beschwerde allein maßgeblichen, vom Antragsgegner dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 2. des Bescheides offensichtlich rechtswidrig war, weil Widerspruch und Klage gegen Ziffer 1. des Bescheides aufschiebende Wirkung haben. Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO haben auch gegen feststellende Verwaltungsakte gerichtete Widersprüche und Anfechtungsklagen aufschiebende Wirkung. Dies hat zur Folge, dass aus der getroffenen Feststellung keine rechtlichen oder tatsächlichen Folgerungen gezogen werden dürfen (Finkelnburg in: Finkelnburg / Dombert / Külpmannn, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 635 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Da das in Ziffer 2. des Bescheides enthaltene Auskunftsverlangen an die in Ziffer 1. des Bescheides enthaltene Feststellung anknüpft, setzt es zu seiner Vollziehbarkeit seinerseits die Vollziehbarkeit der Feststellung nach Ziffer 1. des Bescheides voraus. Dies hat der Antragsgegner vorliegend nicht beachtet, indem er in Ziffer 3. des Bescheides (lediglich) die sofortige Vollziehung des Auskunftsverlangens in Ziffer 2. angeordnet hat. Um den Eintritt der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen die in dem Bescheid getroffene Feststellung zu verhindern bzw. zu beseitigen, steht der Behörde bei Vorliegen eines besonderen Vollzugsinteresses die Möglichkeit zur Verfügung, die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO anzuordnen. Von dieser Möglichkeit hat sie vorliegend hinsichtlich des feststellenden Teils in Ziffer 1. des angefochtenen Bescheides jedoch keinen Gebrauch gemacht. Das Vorbringen des Antragsgegners rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Er macht insoweit geltend: Das Bestehen der Anzeigepflicht setze nach dem brandenburgischen Heimrecht eine positive Feststellung der Eigenschaft „unterstützende Wohnform mit Anzeigepflicht“ durch die zuständige Behörde gerade nicht voraus. Die Anzeigepflicht ergebe sich zunächst allein aus dem Gesetz. Eine vorherige Feststellung dieser Eigenschaft sei im Gesetz nicht vorgesehen. Die gleichwohl in dem angefochtenen Bescheid erfolgte Feststellung darüber, welcher Kategorie eine unterstützende Wohnform unterfalle, sei erfolgt, um für die Antragstellerin Rechtsklarheit zu schaffen. Jedoch sei diese Feststellung lediglich „Annex“ der Aufforderung zur Anzeige nach den §§ 7 und 12 BbgPBWoG in Ziffer 2. des Bescheides.
Die Interpretation des Bescheides durch den Antragsgegner überzeugt nicht. Die Auslegung eines behördlichen Bescheides richtet sich nicht nach dem inneren Willen der Behörde, sondern nach dem verobjektivierten Horizont seines Empfängers. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass jede der in einem Bescheid getroffenen Regelungen eine eigenständige Bedeutung und Funktion hat. Vorliegend ergibt die Auslegung des angefochtenen Bescheides, dass dieser primär die Feststellung enthält, die Antragstellerin betreibe eine Einrichtung im Sinne des § 4 Abs. 2 BbgPBWoG. Hieran anknüpfend wird sie zur Auskunftserteilung verpflichtet. Für diese Auslegung spricht schon die sich in der Nummerierung widerspiegelnde Reihenfolge der beiden Regelungen. Demnach ist die in Ziffer 1. des Bescheides getroffene Feststellung nicht etwa Annex der Aufforderung zur in Ziffer 2. des Bescheides geforderten Auskunftserteilung. Vielmehr drängt sich der umgekehrte Schluss auf, wonach die Regelung in Ziffer 2. an die Feststellung in Ziffer 1. anknüpft. Der selbständige Regelungscharakter der unter Ziffer 1. des Bescheides getroffenen Feststellung ergibt sich ferner unzweideutig aus der im Bescheid hierzu gegebenen Begründung, in der unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die formale Regelungskompetenz für eine derartige Feststellung hervorgehoben wird.
An der konkreten Ausgestaltung ihres Bescheides muss sich die Behörde festhalten lassen, zumal sie es in der Hand hätte, ihn anders zu formulieren bzw. die sofortige Vollziehung des feststellenden Teils gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO anzuordnen. Weshalb ihr letzteres nicht möglich sein soll, wie der Antragsgegner meint, erschließt sich dem Senat nicht. Weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift lässt sich etwas dem Entgegenstehendes entnehmen. Dementsprechend wird Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren gegen einen feststellenden Verwaltungsakt auch nicht etwa im Wege der Feststellungsklage, sondern im Wege der Anfechtungsklage gewährt (vgl. VGH München, Beschluss vom 27. Juli 1998 - 5 ZS 98.1714 -, NVwZ 1998, S. 1318). Ebenso wie eine Behörde feststellende Verwaltungsakte faktisch vollziehen kann (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 22. Februar 2010 - 10 S 2702/09 -, NVwZ-RR 2010, S. 463 f., Rn. 4 bei juris), muss es ihr möglich sein, die sofortige Vollziehung eines solchen Bescheides anzuordnen, wenn sie es für notwendig hält, ungeachtet eines eingelegten Rechtsbehelfs Konsequenzen aus einem feststellenden Verwaltungsakt zu ziehen. Ob die behördliche Kompetenz zu der getroffenen Feststellung auf einer gesonderten gesetzlichen Kompetenz beruht oder aus den Eingriffsnormen eines Gesetzes lediglich abgeleitet wird (vgl. zum Heimrecht BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 1991 - 1 B 64/91 -, NVwZ-RR 1992, S. 192 f., Rn. 4 bei juris zu § 6 des Heimgesetzes), ist insoweit ohne Belang.
Etwas anderes gilt auch nicht etwa deshalb, weil die Behörde durch die in Ziffer 3. des Bescheides getroffene Anordnung der sofortigen Vollziehung der in Ziffer 2. enthaltenen Regelung den Willen zum Ausdruck gebracht hätte, die Durchsetzbarkeit des Bescheides insgesamt auch bei Widerspruch bzw. Klage herstellen zu wollen. Die entsprechende Auffassung des Antragsgegners verkennt, dass sich die hier fragliche Vollziehungsanordnung ausdrücklich ausschließlich auf Ziffer 2. des Bescheides bezieht und insoweit nach dem maßgeblichen verobjektivierten Empfängerhorizont keiner anderen Interpretation zugänglich ist. Auch insoweit muss sich die Behörde entgegenhalten lassen, dass sie es selbst in der Hand gehabt hätte, den Bescheid anders zu gestalten. Ein in diesem Zusammenhang vom Antragsgegner erbetener rechtlicher Hinweis durch den Senat, um ihm erforderlichenfalls zu ermöglichen, die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffer 1. des angefochtenen Bescheides gesondert anzuordnen und den Mangel im laufenden Verfahren zu heilen, kam bereits deshalb nicht in Betracht, weil eine solche „Heilung“ allenfalls innerhalb der schon abgelaufenen Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO möglich gewesen wäre.
Auf die Frage, ob vorliegend ein besonderes Vollzugsinteresse im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO hinsichtlich des Auskunftsverlangens anzunehmen ist und ob dieses von der Behörde entsprechend den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet wurde, kommt es vor dem dargelegten Hintergrund nicht (mehr) entscheidungserheblich an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).