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Ausländerrecht


Metadaten

Gericht VG Potsdam 8. Kammer Entscheidungsdatum 19.10.2011
Aktenzeichen VG 8 K 1043/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 27 Abs 1a Ziffer 1 AufenthG, § 28 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AufenthG, § 28 Abs 1 Satz 3 AufenthG, § 28 Abs 1 Satz 5 AufenthG, § 39 Nr 5 AufenthV, Art 6 Abs 1 GG

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 20. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2010 verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 Aufenthaltsgesetz zu erteilen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Hinterlegung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, es sei denn, der Kläger hinterlegt diesen Betrag.

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Der Kläger, geboren am 20. April 1990, ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach seiner Einreise in das Bundesgebiet im Dezember 2008 mit einem türkischen Pass, der bis zum Jahr 2010 gültig war, meldete er sich am 19. Januar 2009 als Asylbewerber. Mit Bescheid vom 26. Februar 2009 wurde sein Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Zugleich wurde festgestellt, dass die Voraussetzung des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz - i. F. AufenthG - offensichtlich nicht vorliegen. Den dagegen gerichteten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) mit Beschluss vom 14. Mai 2009 unanfechtbar ab (VG 3 L 62/09.A).

Die während des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsgestattung war bis zum 20. Mai 2009 gültig, seitdem erteilte der Beklagte dem Kläger Duldungen.

Am 4. Mai 2009 heiratete er vor dem Standesamt Neukölln/Berlin Frau ..., geboren am 26. August 1966. Frau ... ist deutsche Staatsangehörige.

Der Kläger beantragte am 29. Juli 2009 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Am selben Tage wurden er und seine Ehefrau jeweils getrennt befragt, um die Voraussetzungen dieses Aufenthaltstitels zu prüfen. Wegen der Einzelheiten der Befragungen vom 29. Juli 2009 wird auf den Inhalt des Verwaltungsvorganges (Bl. 117 bis 128) nach § 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung - i. F. VwGO - verwiesen.

Mit Schreiben vom 5. August 2009 teilte der Beklagte dem Kläger seine beabsichtigte Entscheidung mit: Die in sein Ermessen gestellte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wäre abzulehnen, da weder der Kläger selbst noch seine Ehefrau seinen Lebensunterhalt sichern können.

Hierzu erklärte der Kläger mit Schreiben vom 24. August 2009, welches auch seine Ehefrau unterschrieben hatte, er habe die Möglichkeit, in einem Umzugsunternehmen eingestellt zu werden. Seine Frau habe die Möglichkeit, vollzeitbeschäftigt zu werden. Er wolle seine Deutschkenntnisse verbessern und bitte nochmals um Überprüfung des Antrags.

Mit Bescheid vom 20. Oktober 2009 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Neben der schon im Anhörungsschreiben gegebenen Begründung stützte er die Versagung darauf, dass einer Erteilung das noch anhängige Asylverfahren gemäß § 10 Abs. 1 AufenthG entgegenstehe.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 9. November 2009 Widerspruch ein. Die Voraussetzungen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG lägen vor, da es auf die Sicherung des Lebensunterhalts in der Regel nach § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht ankomme. Ein atypischer Fall, der der Ausländerbehörde ein Ermessen bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis einräumen würde, läge nicht vor, da nach der Gesetzesbegründung zu § 28 AufenthG nur dann von einem atypischen Fall ausgegangen werden könne, wenn es dem deutschen Ehegatten zumutbar sei, die eheliche Lebensgemeinschaft im Ausland zu führen. So liege es hier nicht.

Hilfsweise beantragte der Kläger zugleich, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 2. Juni 2010 zurück. Ergänzend führte er zur Begründung aus, die Chronologie der Ereignisse lasse Zweifel an der Schutzwürdigkeit der Ehe aufkommen. Die Eheschließung sei nach Ablehnung des Asylantrags erfolgt. Die Ehefrau sei bei der Familie angestellt und zwar bis Ende Oktober als Aushilfe für ca. 160,- € monatlich. Nachdem die Ausländerbehörde den Einwand erhoben habe, dass der Lebensunterhalt nicht gesichert sei, habe die Ehefrau des Klägers einen Vertrag mit einem Einkommen von 1.650,- € erhalten. Der Vertrag und die Personalanmeldung enthielten Angaben, die wegen der unterschiedlichen Angaben zur Wochenarbeitszeit Anlass für Zweifel an der Aufrichtigkeit der Beschäftigung gäben.

Der Kläger hat am 14. Juni 2010 Klage erhoben.

Zur Begründung nimmt er im Wesentlichen auf seinen Vortrag im Vorverfahren und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem angerufenen Gericht gegen die drohende Abschiebung durch den Beklagten (Az.: VG 8 L 809/09) Bezug.

Jenes Eilrechtsschutzverfahren ist mit Beschluss vom 1. April 2011 abgelehnt worden.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 20. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2010 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und sein Vorbringen in dem Eilverfahren VG 8 L 809/09.

Das asylgerichtliche Verfahren des Klägers vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) ist wegen Nichtbetreiben des Verfahrens am 14. Mai 2011 eingestellt worden (VG 3 K 157/09.A).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, wird auf den Inhalt der vorliegenden Gerichtsakte sowie der Gerichtsakte zum Az.: VG 8 L 809/09 sowie auf die vorgelegten vier Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die Gegen-stand der mündlichen Verhandlung vom 19. Oktober 2011 gewesen sind.

Entscheidungsgründe

II.

Der Berichterstatter ist als Einzelrichter nach § 6 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung des Rechtsstreites berufen, nachdem ihm die Kammer nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 1. August 2011 den Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen hat.

Die zulässige Klage ist begründet, denn der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG; insofern hat ihn die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in eigenen Rechten verletzt, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Frau ... ist seit 4. Mai 2009 mit dem Kläger verheiratet und unzweifelhaft hat sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet, nämlich im Land Berlin.

Freilich steht die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis dann nicht im gebundenen Ermessen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, wenn der Kläger seinen Lebensunterhalt nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht zu sichern vermag. So liegt es hier, so dass sich die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ergänzend nach § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG bemisst. Danach soll die Aufenthaltserlaubnis in der Regel auch abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erteilt werden. Demnach bleibt es bei einer gebundenen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis trotz fehlender Sicherung des Lebensunterhalts, es sei denn, ein atypischer Fall liegt vor. Die Kammer hat keinen Anhalt dafür, dass es sich vorliegend um einen atypischen Fall handelt, in dem der deutschen Ehegattin das Führen der ehelichen Lebensgemeinschaft im Ausland zugemutet werden kann (vgl. hierzu VG Berlin, Urteil vom 25. März 2010 – 16 K 159.09 V –; zit. nach juris). Frau ... kann zwar recht gut türkisch, ist aber gebürtige Berlinerin, also im Inland verwurzelt und verfügt erkennbar über keine anderweitige Existenzmöglichkeit in der Türkei.

Auch die Voraussetzungen nach § 28 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind erfüllt, denn die Ehegatten sind über 18 Jahre alt und der Kläger kann sich zumindest auf einfache Art in Deutsch verständigen. Der Erteilung steht im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch nicht § 10 Abs. 1 AufenthG entgegen, denn sein Asylverfahren ist seit 14. Mai 2011, dem gerichtlichen Einstellungsbeschluss nach der Eintritt der konstitutiven Klagerücknahmefiktion, bestandskräftig abgeschlossen. Als ebenfalls unschädlich stellt sich der Umstand dar, dass der Kläger nicht nach § 5 Abs. 2 AufenthG mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Nach § 39 Nr. 5 der Aufenthaltsverordnung - AufenthV - kann einem Ausländer ein Aufenthaltstitel im Bundesgebiet auch dann erteilt werden, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ausgesetzt ist (vgl. hierzu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Januar 2008 - 2 S 4.08 -; Beschluss vom 23. August 2011 - OVG 3 S 87.11 -; beides zit. nach juris) und er auf Grund einer Eheschließung im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. So liegt es hier, denn im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung war der Kläger im Besitz einer bis zum 3. November 2011 gültigen Duldung. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis infolge einer im Bundesgebiet geschlossenen Ehe ist, wie nachfolgend auszuführen ist, nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gegeben.

Es ist festzustellen, dass kein Versagungsgrund nach § 27 Abs. 1a Ziffer 1 AufenthG vorliegt. Nach dieser Vorschrift, die auch bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu beachten ist, kann ein Familiennachzug nicht zugelassen werden, wenn die Ehe im Sinne des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG nur zum Schein geschlossen worden ist, um dem Kläger den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Zur Überzeugung des Gerichts steht nach dem Inbegriff der Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung der Getrenntbefragungen der Eheleute am 29. Juli 2009 vor der Ausländerbehörde fest, dass der Kläger und seine Ehefrau eine, wenngleich nach hiesigen Verhältnissen lose eheliche Lebensgemeinschaft führen, also gerade keine Scheinehe führen.

Im Rahmen der Vorschriften der §§ 27, 28 AufenthG ist geklärt, dass nicht allein die formalrechtliche familiäre Bindung, also die Tatsache des Eheschlusses vor dem Standesamt genügt, um dem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen (OVG Berlin-Brandenburg – Urteil vom 29. Januar 2009 - OVG 2 B 11.08 -; zit. nach juris). Maßgeblich ist vielmehr der Schutzzweck des Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz, die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu ermöglichen. Letztere setzt, unabhängig von dem kulturellen Kontext und den konkreten Formen ehelichen Zusammenlebens eine tatsächliche Verbundenheit zwischen den Eheleuten voraus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 – 2 BvR 1226/83 – zit. nach juris und Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 2 BvR 1001/04 – zit. nach juris). Erforderlich, aber auch hinreichend für den Ehegattennachzug und auch ein Aufenthaltsrecht nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist daher der Wille beider Ehegatten eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen und zu führen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Januar 2009 – a. a. O.). Die Ehe zwischen einem Deutschen und einem Ausländer hat daher in der Regel kein ein Aufenthaltsrecht auslösendes Gewicht, wenn sie nicht eine eheliche Lebensgemeinschaft begründet, sondern dem Ausländer nur zu einem ihm sonst verwehrten Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verhelfen soll, mithin lediglich eine Zweck- bzw. „Scheinehe“ vorliegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2004 - 1 B 111.04 -, zit. nach juris). Dies gilt auch dann, wenn nur ein Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft herstellen und wahren will (sog. einseitige Scheinehe; vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2011 – 1 C 11.10 – Rdnr. 14 des Entscheidungsabdrucks m.w.N.).

Im vorliegenden Fall gab der dokumentierte Lebenssachverhalt der Ausländerbehörde durchaus Anhaltspunkte, an dem Willen des Klägers und seiner Ehefrau zu zweifeln, eine solche eheliche Lebensgemeinschaft begründen und führen zu wollen. Infolge des großen Altersunterschieds – der Kläger war im Zeitpunkt der Eheschließung 19 Jahre, die Ehefrau bereits 43 Jahre alt – und angesichts des Zeitpunkts der Eheschließung, nämlich erst nach dem auf ganzer Linie erfolglosen Asylverfahren des Klägers, lagen Umstände vor, die berechtigten Anlass zu einer Prüfung gaben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2003 - 2 BvR 2042/02 -, DVBl. 2003, 1260; hier zit. nach juris). Es ist nämlich nicht unbekannt, dass in dem traditionell kurdischen Siedlungsgebiet, aus dem der Kläger stammt, eine Verbindung zwischen einem jungen Mann und einer doppelt so alten Frau ungewöhnlich ist und nicht dem kulturellen Selbstverständnis der Geschlechter entspricht.

Indessen konnten im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsfindung, der mündlichen Verhandlung vom 19. Oktober 2011, diese Zweifel an der Begründung und Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft zur Überzeugung des Gerichts aufgelöst werden.

Die Eheleute haben im Wesentlichen übereinstimmende Angaben im Rahmen der Beweisaufnahme zu ihrem Kennenlernen und jetzigen Zusammenleben gemacht, die eine eheliche Lebensgemeinschaft belegen. So hat der Kläger in der Befragung durch den Vorsitzenden angegeben, wie und wo er noch in der Türkei seine Ehefrau zunächst fernmündlich über die Firma seines Vaters und sodann per Internet kennengelernt hat. Um die Jahreswende 2008/2009 sei es zu einer ersten physischen Begegnung zwischen ihnen gekommen. Diese Angaben deckten sich im Wesentlichen mit denen aus der Getrenntbefragung vom 29. Juli 2009, sowohl zu denen der Ehefrau als auch zu seinen ursprünglichen Angaben.

Zwar fiel auf, dass sich der Kläger im Gegensatz zu seiner Ehefrau schwer tat, die Zeitpunkte für das Kennenlernen und der ersten Begegnung sowie Feier am Brandenburger Tor zu Sylvester 2008/2009 anzugeben. Allerdings fällt das vor dem Migrationshintergrund nicht zulasten des Klägers aus: Der Kläger stammt nach seinen insoweit glaubhaften Angaben (aus dem Asylverfahren), die durch die bekundeten Wahrnehmungen der Ehefrau gestützt werden, aus einem vergleichsweise archaischen bäuerlichen Milieu. Zwar hat er nach seinen Angaben eine achtjährige Schulausbildung genossen, aber keine Berufsausbildung aufgenommen, sondern seinen Angaben nach als Bauer gearbeitet. Sein Auftreten vor Gericht war entsprechend ungehobelt und unbedarft. Ferner machte er bei seiner Befragung als Zeuge in eigener Sache einen wenig gefestigten bzw. orientierten Eindruck, was Orte und Zeiten in seinem Leben angeht. Auch dies mag in der ursprünglichen Prägung durch seine Heimat seine Ursache haben, denn in jenem ländlich-bäuerlichen Milieu wird bisweilen Jahreszahlen und vergleichbaren Zeitbestimmungen weitaus weniger Bedeutung geschenkt als den naturgegebenen Zeichen der Jahreszeiten. Das Gericht hält ihm überdies seine inzwischen schon (nach Beendigung der Schulausbildung) fünf Jahre andauernde Arbeitslosigkeit und sein unregelmäßiges und entwurzeltes Leben zugute, welches, wie dem Gericht aus eigener Wahrnehmung im Umgang mit Langzeitarbeitslosen in sozialgerichtlichen Verfahren bekannt, nicht nur Strukturierungsverluste im Alltag, sondern auch Wahrnehmungslücken nach sich ziehen kann. Gleiches gilt für den vom Kläger kaum erinnerten Straßennamen zur gemeinsam bewohnten Wohnung, den unbekannten Namen der nächstgelegenen U-Bahnstation und des nahegelegenen Einkaufszentrums. Hinzukommt, dass diese Zeit des Kennenlernens, als sich der Kläger als 17- bis 18jähriger noch in der Türkei befand, schon erhebliche Zeit zurückliegt und ihm schon deshalb nicht mehr gut erinnerlich war.

Im Kern hat das Gericht daher keine Zweifel an der Richtigkeit der Schilderung, wie sich die Eheleute kennenlernten und sich Anfang Februar 2009, also noch vor der Ablehnung des Asylgesuchs, entschlossen haben, zu heiraten. Hierfür hatte insbesondere die Zeugenaussage der Ehefrau erhebliches Gewicht, denn sie antwortete ohne zu zögern und durchaus differenziert. Sie erklärte in Übereinstimmung mit ihren Angaben aus der behördlichen Getrenntbefragung, dass sie sich von Angesicht zu Angesicht nach Einreise des Klägers im Dezember 2008 im Büro der Firma des Vaters kennengelernt und anschließend Sylvester miteinander am Brandenburger Tor gefeiert hätten.

Es ist dann Anfang Februar 2009 zu dem Eheentschluss gekommen, wobei dahinstehen kann, ob ein romantisches Liebesideal oder aufgeklärte Partnerschaftsvorstellungen hierfür maßgebend waren. Realistisch klingt in diesem Zusammenhang die Erklärung der Ehefrau: „Ich habe vorher noch nie einen so zuvorkommenden netten Mann kennengelernt. Und wir haben uns dann gedacht, was haben wir denn zu verlieren und dann haben wir es gemacht.“ – Ebenso wie die aus ihrem Munde glaubhaften Einlassungen zu der gemischten Motivlage des Klägers, den ökonomischen und politischen Zwängen seiner Heimat zu entkommen, belegt dies eine Zuneigung der Ehefrau zu ihrem deutlich jüngeren Mann, als auch einen gemeinsamen Entschluss, durch die Heirat aus der für beide als schwierig empfundenen Lebenssituation das Beste zu machen. Das mag auch die Sicherung eines Bleiberechts für den Kläger mitumfasst haben, erscheint aber vor dem oben dargestellten zeitlichen Ablauf der Ereignisse im Februar 2011 nicht ausschlaggebend gewesen zu sein. Auch der Anreiz für die Ehefrau, das schon jahrelang bestehende Beschäftigungsverhältnis im damals noch aktiven Speditionsbetrieb des Vaters auf eine Vollzeitstelle zu erweitern, dürfte letztlich nicht allein maßgeblich gewesen zu sein. Denn nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben die Ehefrau und der Kläger an der ehelichen Lebensgemeinschaft festgehalten, obwohl die finanzielle Unterstützung durch den Vater des Klägers entfallen war.

Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass die Eheleute nach wie vor eine eheliche Lebensgemeinschaft führen. Im Ergebnis der Beweisaufnahme ist von einer tatsächlichen Verbundenheit der Eheleute auszugehen. Sie haben im Kern übereinstimmend ausgesagt, dass der Kläger regelmäßig in der Wohnung seiner Ehefrau in der ... -Straße in … übernachtet, wobei sie sich die Couch teilen. Zwar konnte der Kläger erst nach mehrmaliger Nachfrage angeben, dass er sich meist „zu Hause“ in der Wohnung der Ehefrau aufhält. Dies ist aber vor dem Hintergrund seines unregelmäßigen Lebens durchaus verständlich und deckt sich im Übrigen mit den Aussagen seiner Ehefrau. Aber selbst wenn er sich tageweise woanders aufhalten sollte, gleich ob im Büro der vormaligen Firma seines Vaters oder bei seinen Freunden, lässt dies nach Maßgabe ihrer Freiheit, die Ehe autonom nach ihren Vorstellungen gestalten zu dürfen, nicht den Schluss zu, dass sie nicht zusammen wohnten oder gar keine Ehe führten.

Denn es steht fest, dass sich die Eheleute im Übrigen auf engem Raum und mit geringen, finanziellen Mitteln den Alltag teilen und einander, soweit möglich, beistehen. Nicht nur die bezeugten Umstände, dass der Kläger seine Ehefrau zur Arbeit in Schöneberg begleitet, sie auf das Auto des Vater für diese Arbeitswege zurückgreifen kann, und umgekehrt seine Frau ihn bei Vorsprachen bei der Ausländerbehörde in Oranienburg mehrfach unterstützt hat, sie darüber hinaus gemeinsame Ausflüge nach Polen gemacht haben, sprechen für ein eheliches Zusammenleben. Auch die geschilderte Begebenheit um den Geburtstag von ..., dem leiblichen Kind der Ehefrau aus einer anderen Beziehung, illustrierte, dass der Kläger am Leben seiner Frau teilnimmt und ihr anlässlich der gestohlenen Geldbörse beigestanden hat. Dass es sich um eine gelebte Beziehung handelt, veranschaulichte ebenfalls die von der Ehefrau angedeutete Auseinandersetzung darum, ob der Kläger noch im Wohnheim in ... schlafen sollte. Der Kläger hatte sich dem Wunsch seiner Frau schließlich gefügt und übernachtete nicht mehr im Wohnheim. Es wurde zudem deutlich, dass der Kläger über die verwandtschaftlichen Beziehungen und Freundschaften seiner Ehefrau orientiert ist, wie umgekehrt seine Frau seine in Berlin lebenden Verwandten zum Teil und seine Mutter in seiner Heimat kennengelernt hat.

Nicht zuletzt war für die Überzeugungsbildung des Gerichts von Belang, dass die Ehefrau, vielleicht aufgrund ihres Altersvorsprungs, durchaus bestimmend auftrat und ihrem deutlich jüngeren Ehemann während der gemeinsamen Befragung immer wieder durch ihre Gestik und Körpersprache zu verstehen gab, was sie von seinen Angaben und seinem Verhalten vor Gericht – zustimmend oder ablehnend – hielt. Umgekehrt nahm der Kläger an ihren Aussagen, wenngleich verhaltener Anteil. Wie die leise Verständigung zwischen den Eheleuten, teilweise auf Türkisch, teilweise auf Deutsch während der Sitzung, dem vertraulichen Duzen und der Anrede mit Vornamen, sprachen diese Umstände deutlich für ein erhebliches Maß an tatsächlicher Verbundenheit.

Das Gericht hat den Beklagten nicht zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis von einer vorbestimmten Gültigkeit verpflichtet, sondern überlässt es seinem pflichtgemäßem Ermessen, die Gültigkeitsdauer festzulegen und vor einer Verlängerung die konkrete Verbundenheit der Eheleute, möglichst manifestiert durch Beistandsleistungen, erneut zu prüfen. Angesichts des Altersunterschieds und der türkisch-kurdischen Sozialisation des Klägers kann es nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das eheliche Zusammenleben auf Dauer keinen Bestand hat, insbesondere dann, wenn der Kläger einer Beschäftigung nachgehen kann (vgl. § 28 Abs. 5 AufenthG) und aufgrund dessen wirtschaftlich in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt zu sichern.

Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes, wonach für die Bestimmung des Interesses an dem Rechtsstreit auf den Regelstreitwert zurückgegriffen wird, wenn keine anderweitigen Anhaltspunkte erkennbar sind.