Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 26. Senat | Entscheidungsdatum | 23.02.2017 | |
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Aktenzeichen | L 26 AS 2670/16 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 73 Abs 6 S 1 SGG, § 159 Abs 1 S 1 SGG |
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Juli 2016 aufgehoben.
Die Sache wird an das Sozialgericht Cottbus zurückverwiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Kläger, alleinerziehende Mutter und ihr minderjähriger Sohn, wenden sich im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gegen die teilweise Aufhebung/Erstattung ihnen im Zeitraum von Juni bis November 2012 gewährter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Mit Bescheid vom 14. Oktober 2013 hob der Beklagte die mit Bescheid vom 03. Mai 2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 11. Mai und 23. August 2012 erfolgten Leistungsbewilligungen – (nur) Leistungen zur Deckung der Regel- und ggf. Mehrbedarfe – für die in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kläger wie folgt auf und forderte entsprechende Erstattung:
für die Klägerin für Juni 2012 in Höhe von 13,60 €, für Juli 2012 in Höhe von 88,78 €,
für August 2012 in Höhe von 19,92 €, für September 2012 in Höhe von 166,49 € und
für Oktober 2012 in Höhe von 19,92 €, insgesamt also in Höhe von 308,71 €;
für den Kläger für August 2012 in Höhe von 207,28 € sowie
für Oktober und November 2012 in Höhe von jeweils 2,28 €,
insgesamt also in Höhe von 211,84 €.
Zur Begründung hieß es, es sei in den aufgeführten Monaten für den Kläger mehr Unterhalt gezahlt worden als von der Klägerin angegeben.
Mit zwei im Wesentlichen gleichlautenden Schreiben vom 10. September 2014 – eines für die Klägerin und eines für den Kläger – teilte der hiesige Bevollmächtigte der Kläger dem Beklagten per Telefax mit, er vertrete deren rechtliche Interessen. Ordnungsgemäße Bevollmächtigung werde anwaltlich versichert. Namens und in Vollmacht der Mandanten beantrage er die Überprüfung des Bescheides vom 14. Oktober 2013 wegen fehlerhafter Rechtsanwendung. Mit zwei ebenfalls im Wesentlichen gleichlautenden Schreiben vom 01. Oktober 2014 – eines bezüglich der Klägerin und eines bezüglich des Klägers – teilte der Beklagte dem Bevollmächtigten mit, es könne entgegen den Angaben im Überprüfungsantrag bislang keine wirksame Bevollmächtigung für das vorliegende Verfahren festgestellt werden. Er werde aufgefordert, bis zum 23. Oktober 2014 eine aktuelle spezifizierte Vertretungsvollmacht vorzulegen, aus welcher sich zweifelsfrei ergebe, dass er durch die/den Verfahrensbeteiligte/n bevollmächtigt worden sei, sie/ihn im vorliegenden Verfahren auf Überprüfung des Bescheides vom 14. Oktober 2013 zu vertreten.
Mit zwei wiederum im Wesentlichen gleichlautenden Bescheiden vom 5. November 2014 lehnte der Beklagte die Anträge auf Überprüfung des Bescheides vom 14. Oktober 2013 jeweils mit der Begründung ab, es sei trotz Aufforderung eine hinreichende schriftliche Bevollmächtigung für das vorliegende Verfahren nicht nachgewiesen worden.
Mit zwei dagegen unter dem 27. November 2014 erhobenen Widersprüchen machte der Bevollmächtigte der Kläger jeweils geltend, eine ausreichende Vollmacht liege dem Beklagten seit dem 04. September 2014 vor. Tatsächlich finden sich in den Leistungsakten (LA) zwei von der Klägerin unterschriebene Vollmachten für Rechtsanwalt L, eine für ihre eigenen Sachen gegen den Beklagten und eine in Sachen ihres Sohnes gegen den Beklagten. Diese Vollmachten hatte Rechtsanwalt L am 04. September 2014 dem Beklagten im Zusammenhang mit einem anderen Verfahren per Telefax übersandt. In den Vollmachten heißt es jeweils u.a., dem Rechtsanwalt werde in Sachen gegen den Beklagten wegen sämtlicher in Betracht kommender Ansprüche Vollmacht erteilt. Die Vollmacht gelte sowohl für das Verwaltungs-, das Widerspruchs- als auch das gerichtliche Verfahren in sämtlichen Instanzen. Sie erstrecke sich auf sämtliche – auch zukünftige – Verfahren, insbesondere auch auf die Führung von Untätigkeitsklagen. Rechtsanwalt L werde mit der Führung sämtlicher Widerspruchs- und Klageverfahren beauftragt, die nach seiner Auffassung erfolgversprechend seien (Bd. V Bl. 935f. LA).
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2015 wies der Beklagte die Widersprüche der Kläger gegen die Bescheide vom 5. November 2014 als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, im Überprüfungsverfahren sei nichts vorgetragen worden, was für die Unrichtigkeit der Entscheidung sprechen könne. Eventuelle Bedenken gegen die Bestimmtheit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 14. Oktober 2014 griffen nicht durch.
Unter dem 25. Februar 2015 teilte der Beklagte dem Bevollmächtigten der Kläger mit, der Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2015 werde zurückgenommen und durch zwei Widerspruchsbescheide vom 25. Februar 2015 ersetzt: Der eine bezog sich auf den Widerspruch der Klägerin. Mit ihm entschied der Beklagte, nach erneuter Überprüfung werde die Erstattungsforderung aus dem Bescheid vom 14. Oktober 2014 um 68,- € auf nunmehr 240,71 € gemindert. Im Übrigen werde der Widerspruch zurückgewiesen. Im Widerspruchsverfahren ggf. entstandene notwendige Aufwendungen könnten in Höhe von 22 v.H. erstattet werden. Zur Begründung hieß es u.a., in den Monaten Juni bis Oktober 2012 sei aus datentechnischen Gründen zu Unrecht ein Kindergeldüberhang von jeweils 13,60 € als Einkommen berücksichtigt worden. Weitere Rechtsanwendungsfehler seien weder geltend gemacht noch ersichtlich. Insbesondere liege eine Verletzung des Bestimmtheitserfordernisses nicht vor. Mit dem weiteren Widerspruchsbescheid vom selben Tag wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 5. November 2014 erneut als unbegründet zurückgewiesen.
Mit Eingang beim Sozialgericht Cottbus am 25. März 2015 hat sich Rechtsanwalt L unter Bezugnahme auf die in den LA befindliche allgemeine Vollmacht zum Prozessbevollmächtigten der Kläger bestellt und in deren Namen gegen die Bescheide vom 05. November 2014 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25. Februar 2015 Klage erhoben. Zur Begründung ist geltend gemacht worden: Sofern der Beklagte nicht wisse, hinsichtlich welchen Sachverhaltes eine Überprüfung durchzuführen sei, so hätte er nachfragen können. Nachdem der Beklagte den Überprüfungsantrag wegen angeblich fehlender Vollmacht verworfen habe, habe er, der Unterzeichner, nicht damit rechnen müssen, dass im Widerspruchsverfahren dann doch eine inhaltliche Prüfung des zu überprüfenden Bescheides durchgeführt werde.
Mit der Klageerwiderung hat der Beklagte u.a. sinngemäß die fehlende Vollmacht für das vorliegende Verfahren gerügt.
Das Sozialgericht hat den Bevollmächtigten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung aufgefordert, die Prozessvollmacht spätestens im Termin im Original vorzulegen. Im Termin am 13. Juli 2016 ist Rechtsanwalt M für die Klägerseite (mit Terminsvertretervollmacht) erschienen. Auf den zu Beginn erfolgten Hinweis des Vorsitzenden auf die mit der Ladung erfolgte Aufforderung zur Vorlage einer Prozessvollmacht im Original hat Rechtsanwalt M mitgeteilt, dass dies nicht möglich sei, und auf die bereits vorliegende Faxkopie verwiesen. Ausweislich des Protokolls hat das Gericht sodann ohne weitere Verhandlung beraten und im Anschluss das Urteil verkündet, mit dem die Klage „zurückgewiesen“ worden ist. Das schriftliche Urteil beginnt nach dem Urteilstenor – ohne Tatbestand – mit den Entscheidungsgründen, in denen es heißt: Die Klage sei unzulässig, da der als Prozessbevollmächtigter auftretende Rechtsanwalt seine Bevollmächtigung nicht nachgewiesen habe. Rechtsanwalt L sei der gerichtlichen Aufforderung zur Vorlage der Prozessvollmacht im Original nicht nachgekommen, nur so könne jedoch vorliegend ein entsprechender Nachweis erfolgen. Gegen die Entscheidung sei ein Rechtsmittel nicht gegeben; es sei nicht erkennbar, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,- EUR übersteige.
Der Senat hat auf die Beschwerde der Kläger die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts wegen des Verfahrensfehlers eines nicht mit einem Tatbestand versehenen Urteils – insbesondere sei der erhobene Anspruch nicht gekennzeichnet worden – gemäß § 145 i.V.m. § 144 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Beschluss vom 11. November 2016 zugelassen.
Kläger und Beklagte haben konkrete Anträge nicht gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, insbesondere die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, und die vorliegenden LA des Beklagten (sechs Bände) Bezug genommen.
Die zulässige Berufung ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Juli 2016 und der erfolgten Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht begründet.
Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung liegen bereits gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG vor. Danach kann das Berufungsgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses (zu Unrecht) die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.
Die Voraussetzungen dieser Norm sind erfüllt. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen, ohne eine Sachentscheidung zu treffen.
Insbesondere scheitert die Zulässigkeit der von den Klägern erhobenen Anfechtungsklage nicht am fehlenden Nachweis der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung des für sie auftretenden Rechtsanwalts L.
Die Kläger haben Rechtsanwalt L mit der von der Klägerin am 03. September 2014 unterzeichneten Vollmacht, auf die bei Klageerhebung wie im Verhandlungstermin Bezug genommen wurde (vgl. dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 73 Rdnr 64), eine so genannte Generalvollmacht erteilt. Dazu hat der 10. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg im Parallelfall L 10 AS 2495/16 bzw. S 24 AS 2495/166, in dem dieselbe Kammer des Sozialgerichts Cottbus die Klage eines ebenfalls von Rechtsanwalt L vertretenen Klägers, der im Verwaltungsverfahren eine entsprechende Vollmacht vorgelegt hatte, am selben Verhandlungstag mit nahezu gleichlautender Begründung als unzulässig „zurückgewiesen“ hatte, mit Urteil vom 11. Januar 2017, mit dem Sache gleichfalls an das Sozialgericht zurückverwiesen wurde, ausgeführt: Es handle sich um eine Generalvollmacht, die
„keinen Zweifel im Sinne der an eine ordnungsgemäße Vollmacht nach § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG zu stellenden Anforderungen daran lässt, wer bevollmächtigt hat, wer bevollmächtigt ist, und wozu bevollmächtigt worden ist, nämlich der Kläger Rechtsanwalt L ua zur Erhebung der Klage (vgl BSG, Beschluss vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 188/15 B, juris RdNr 6 und Beschluss vom 17. März 2016 – B 4 AS 684/15 B, juris RdNr 6). Es begegnet auch keinen Bedenken, dass diese Vollmacht per Telefax eingereicht worden ist (siehe Leitherer, aaO, RdNr 62 zu § 73, Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12. Juni 2014 – L 6 AS 522/13, juris RdNr 7 zu § 13 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch). Anlass dafür, diese Vollmacht entgegen der ständigen Rechtsprechungspraxis aller obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Wirksamkeit von Generalvollmachten als Prozessvollmacht ausnahmsweise nicht als beachtlich anzusehen und von Rechtsanwalt L daher zusätzlich die Vorlage einer weiteren, auf das Klageverfahren konkret bezogenen Vollmacht zu verlangen, bestanden nicht. Zwar mögen Fälle denkbar sein, in denen Zweifel am ordnungsgemäßen Nachweis einer Prozessvollmacht durch Generalvollmacht angebracht sein können. Unter Berücksichtigung ihrer weitreichenden Auswirkungen für den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelinstanzen wird die Annahme, dass eine als Prozesshandlung erteilte Prozessvollmacht entgegen ihres äußeren Anscheins überhaupt nicht oder nicht mehr gelten soll, unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes gemäß Art 19 Abs 4 Grundgesetz und des Rechtsstaatsprinzips allerdings nur unter außerordentlich gelagerten Umständen angenommen werden können (BSG, Beschluss vom 20. Januar 2016, aaO, RdNr 7, BSG, Beschluss vom 17. März 2016, aaO, RdNr 7).
Raum für Zweifel an einer erteilten Prozessvollmacht für einen Rechtsanwalt besteht seit der Neufassung des § 73 SGG durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007 (BGBl I 2840)prozessual nur noch, wenn entsprechende Umstände von dem anderen Beteiligten gestützt auf § 73 Abs 6 Satz 4 SGG substantiiert in das Verfahren eingeführt worden sind oder Anlass für Zweifel von Amts wegen nach § 73 Abs 6 Satz 5 SGG besteht (BSG, Beschluss vom 20. Januar 2016, aaO, RdNr 8, BSG, Beschluss vom 17. März 2016, aaO, RdNr 8), woran es hier fehlt. Denn solche Umstände lassen sich weder der Niederschrift über die am 13. Juli 2016 vom SG durchgeführte mündliche Verhandlung noch den Feststellungen im Urteil des SG entnehmen. Der Annahme solcher Umstände stand hier im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch entgegen, dass mit dem ersichtlichen Willen des Klägers erst kurz zuvor ein Prozesskostenhilfeantrag für das Klageverfahren mit dem Begehren der Beiordnung von Rechtsanwalt L gestellt worden war.“
Diesen Ausführungen schließt sich der hier erkennende Senat vollumfänglich an.
Der Senat hat sein in § 159 Abs. 1 SGG eingeräumtes Ermessen – wie im erwähnten Parallelfall L 10 AS 2495/16 der 10. Senat mit entsprechenden Erwägungen – dahin ausgeübt, die Sache an das Sozialgericht zurückzuverweisen. Er hat dabei berücksichtigt, dass die Entscheidung des Sozialgerichts, die keinen Tatbestand und damit auch keine Anträge enthält und in der folglich auch keine Beschäftigung mit den erhobenen Ansprüchen erfolgt ist, schon nicht den Mindestanforderungen genügt, die jedenfalls an einen Tatbestand zu stellen sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 159 Rdnr. 5a). Wesentlich war auch die Erwägung, dass über die hier erhobenen Ansprüche der Kläger nach den Wertungen des Prozessrechts durch das Sozialgericht zu entscheiden ist. Das Landessozialgericht hat sich bei einem ordnungsgemäßen Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens grundsätzlich nicht mit einem solchen Rechtsstreit in der Sache zu befassen, weil die Kläger durch das Urteil weder in dem in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG vorausgesetzten Maße beschwert sind, noch – angesichts der Dauer des streitbefangenen Zeitraums – ein Fall des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG gegeben ist. Es wäre sachwidrig, das Landessozialgericht nur deshalb einen Rechtsstreit entscheiden zu lassen, weil das Sozialgericht zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen hat. Welches dieser Gerichte entscheidet, kann auch unter Berücksichtigung dessen, dass erstinstanzlich im Regelfall nach der Richterzahl ein von Laien dominierter Spruchkörper besteht, nicht unerhebliche Auswirkungen auf Ablauf und Ergebnis des Rechtsstreits haben. Der Prozessökonomie ist durch die zügige Entscheidung im Berufungsverfahren Rechnung getragen worden.
Eine Kostenentscheidung hat nicht zu ergehen; sie bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten (Keller, a.a.O., § 159 Rdnr. 5f.).
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).