Gericht | OLG Brandenburg 5. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 17.12.2012 | |
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Aktenzeichen | 3 UF 84/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Amtsgerichts Rathenow vom 31.7.2012 teilweise abgeändert.
Der Beteiligten zu 3. werden das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht der Gesundheitsfürsorge, das Recht der Beantragung von Hilfen zur Erziehung sowie das Recht zur Regelung von Schule, Hort und Kindergarten betreffenden Angelegenheiten einschließlich der An- und Abmeldung für das Kind I… R… entzogen. Insoweit wird das Jugendamt des Landkreises … zum Pfleger bestellt.
Im Übrigen verbleibt es bei der elterlichen Sorge der Beteiligten zu 3. für das Kind.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
I.
Die Beteiligten streiten über die elterliche Sorge der 1986 geborenen, zur Restaurantfachfrau ausgebildeten, an einigen Wochentagen vorwiegend in den Abendstunden ab 18 Uhr als Kellnerin tätigen geringfügig beschäftigten Mutter für das nunmehr 5jährige, etwa seit Anfang 2011 ständig im Haushalt der Großeltern lebende, nichteheliche Kind I… R…. Erklärungen über die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge für I… haben die Eltern nicht abgegeben. Der Vater, der von der Mutter getrennt lebt, seitdem das Kind ca. 1 ½ Jahre alt war, hat aufgrund des nach wie vor stark angespannten Verhältnisses zur Mutter, der er aus dem Wege geht, keinen Kontakt zu seiner Tochter.
Die seit mehreren Jahren psychisch auffällige, in der Vergangenheit teilweise durch Eifersuchtshandlungen (auch Gewalt gegen Sachen) bzw. sog. Stalking gegenüber ihren Partnern imponierende, seit der Trennung vom Kindesvater bis etwa Anfang 2011 zunächst wieder bei den Großeltern I…s lebende Mutter bevollmächtigte die Großeltern am 12.5.2011 umfassend, die Angelegenheiten des Kindes, die Inhalt der elterlichen Sorge sind (insbesondere das Aufenthaltsbestimmungs- und Erziehungsrecht) für sie wahrzunehmen; zuvor hatten die Großeltern I… seit der Trennung der Eltern bereits nahezu jedes Wochenende in Obhut gehabt. Die Kindesmutter befand sich in der Folgezeit vom 17.8.-19.9.2011 und vom 20.9.-7.10.2011 in stationärer psychiatrischer Behandlung des Krankenhauses H…, in deren Verlauf die Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung – gegenwärtig schwere Episode - (ICD-10:F 33.2) und einer Agoraphobie mit Panikstörung (ICD-10: F 40.01) gestellt wurden. Bereits zuvor wurde sie ab Januar 2011 ambulant psychotherapeutisch behandelt, nachdem sie sich sozial völlig zurückgezogen, das Haus nicht mehr verlassen und über eine ängstliche bis misstrauische Grundstimmung, starke innere Unruhe, Anspannung, Schuld-/Verarmungsgefühle sowie Antriebsarmut geklagt hatte. Während des 14. Lebensjahres hatte die Mutter in ihrem damaligen Freundeskreis Marihuana geraucht sowie – entsprechend ihrer im Zuge der stationären Behandlung erfolgten eigenen Angaben - im 18. Lebensjahr Kokain und „Speed“ zu sich genommen, ferner seit dem 20. Lebensjahr vor allem „Ecstasy“ und MDMA; seit Anfang 2011 ist sie abstinent.
Nachdem die Mutter ihren stationären Aufenthalt auf eigenen Wunsch beendet hatte, erfolgte für sie keine Entlassungsdiagnostik; das Behandlungsergebnis wurde ärztlicherseits gleichwohl als positiv bewertet. Zur Stabilisierung und Rückfallprophylaxe wurden u. a. Achtsamkeits- und Entspannungsübungen sowie eine ambulante Psychotherapie dringend empfohlen. Dieser Empfehlung ist die Kindesmutter jedoch zunächst nicht nachgekommen, weil sie den ihr vermittelten Therapeuten ablehnte, allerdings keinen anderen fand. Seit 5.9.2012 lässt sie sich nunmehr durch den Diplompsychologen K… tiefenpsychologisch behandeln, der sie als motiviert, ihren psychischen Zustand als stabilisiert einschätzt und der Therapie bereits sichtbar werdende Erfolgsaussichten bescheinigt. Zur Medikation wurden der Beteiligten zu 3. von Seiten der behandelnden Klinik Citalopram (selektiver Serotoninwiederaufnahmehemmer zur Behandlung von Depression bzw. Prophylaxe bei rezidivierender Depression) und Atosil (Bedarfsmedikation bei Erregungszuständen und Anspannung) empfohlen, die sie auch – abgesehen von einem Versuch zur eigenmächtigen Herabsetzung der Medikation im Frühling 2012 – soweit medizinisch indiziert einnimmt.
Der Kontakt der Mutter zu I… ist während und nach ihrer stationären Behandlung nicht abgerissen. Vielmehr hat sie das Kind regelmäßig über mehrere Tage in ihre Obhut nehmen können, von dieser Möglichkeit jedoch nicht immer Gebrauch gemacht bzw. es vorzeitig, auch spätabends, zu den Großeltern zurückgebracht. Anderseits verlangte sie seit etwa Anfang Januar 2012 das Kind auch zu nicht verabredeten Zeiten, z.T. ebenfalls spätabends, von den Großeltern heraus und drohte im Falle der Weigerung damit, es ihnen vorzuenthalten, so dass in der Folgezeit in Absprache mit dem Jugendamt nur noch einmal pro Woche zweistündige Umgangstermine der Beteiligten zu 3. mit I… unter Aufsicht stattfanden.
Das vorliegende Verfahren haben die Großeltern am 6.3.2012 vor dem Hintergrund der im Verhältnis zur Mutter aufgetretenen Probleme mit dem Antrag eingeleitet, ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind I… als Pflegeeltern allein zu übertragen.
Durch Beschluss vom 3.4.2012 hat das Amtsgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet.
Der Sachverständige hat sein Gutachten am 9.6.2012 erstattet. Er schätzt darin ein, die Kindesmutter sei „mit üblichen Schwächen und Stärken dazu in der Lage, Erziehung und Betreuung (des Kindes) zu übernehmen“. Soweit sie sich jedoch phasenweise auf ihre eigene Bedürfnisbefriedigung fokussiere (Unternehmungen am Wochenende, auch in den Nächten), sei sie mit der Erziehung und Betreuung I…s überfordert; auch sei sie zu einer mittel- oder längerfristigen Tagesplanung (zwei bis drei Tage im voraus) nicht in der Lage. Erziehungsprobleme, so der Sachverständige, seien auch mit Sicherheit zu erwarten, falls es zu einem Krankheitsrückfall bei der Mutter komme, die Symptome einer schweren Depression und erhöhte Werte einer emotional instabilen und paranoiden Persönlichkeit zeige; die Ausprägungen der Erkrankung würden eher noch zunehmen und „die Form von Störungen annehmen können“. I… besitze tragfähige Bindungen zur Mutter, die sie sogar idealisiere, was darauf hindeute, dass sie sich über die Bindung der Kindesmutter ihr gegenüber unsicher sei; kritische Elemente ergäben sich jedoch aufgrund des tatsächlichen Verhaltens der Mutter in bestimmten Erziehungssituationen (Strenge, Nichteingehen auf die Wünsche und Belange I…s). Eine mögliche Rückkehr des Kindes in den Haushalt der Mutter betreffend sollte im Zusammenspiel von Mutter, Großeltern und Jugendamt ein „Umgangsfahrplan“ erstellt werden mit dem Ziel eines vollständigen Aufenthaltswechsels des Kindes. Dabei müsse die Kindesmutter durch Klärung der therapeutischen und medikamentösen Intervention – ggf. unter Einschluss der Drogenproblematik und möglicher Drogenkontrollen – dafür Sorge tragen, dass die Wahrscheinlichkeit rezidivierender depressiver Zustände deutlich verringert werde. Aktuell, so schlussfolgert der Sachverständige, sei die Kindesmutter instabil und könne aus psychologischer Sicht nicht die differenzierten Aufgaben der Erziehung des Kindes I… übernehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sachverständigengutachtens Bezug genommen.
Durch den angefochtenen Beschluss vom 31.7.2012 hat das Amtsgericht der Mutter – über die Anregung der Großeltern hinausgehend – das Sorgerecht für das Kind I… insgesamt entzogen; die Großeltern hat es zugleich zu Vormündern I…s bestimmt. Zur Begründung hat es sich auf das Sachverständigengutachten bezogen, wonach das Kind bei den Großeltern am besten aufgehoben sei; Gründe gem. § 1666a BGB stünden nicht entgegen, weil der – nicht näher ausgeführten – Kindeswohlgefährdung durch keine anderen Maßnahmen, insbesondere öffentliche Hilfen, begegnet werden könne; die Mutter habe in der Vergangenheit eine Zusammenarbeit mit dem Jugendamt kategorisch abgelehnt.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Mutter mit der Beschwerde. Sie trägt vor: Die angefochtene Entscheidung finde tatsächlich keine Stütze in dem eingeholten Sachverständigengutachten; die Entziehung des Sorgerechts sei auch deswegen nicht erforderlich, weil sie sich gegen eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Großeltern nicht sperre; I… solle bei den Großeltern verbleiben, bis sie ihre Therapie abgeschlossen habe; das gefühlskalte Verhalten der Großeltern, die mit ihr nur noch über das Jugendamt kommunizierten, erhöhe die beiderseitigen Spannungen und lasse an eine Kindeswohlgefährdung denken; die Großeltern vereitelten faktisch das Besuchsrecht der Mutter, indem sie für diese nicht erreichbar seien; sie hätten zudem bislang weitergehenden Besuchskontakten nicht zugestimmt; solche Kontakte seien aber erforderlich, um das Kind der Mutter nicht zu entfremden; ihr, der Mutter, müsse Gelegenheit gegeben werden, sich von den Großeltern, die ihr permanent Erziehungsvorgaben machten, zu emanzipieren; wenn sie bislang kein Vertrauen zu den Mitarbeitern des Jugendamtes gefasst und deren Objektivität angezweifelt habe, dann aufgrund der „persönlichen Beziehung und Verflechtung“ mit dem als Heimerzieher im dortigen Zuständigkeitsbereich tätigen und allseits bekannten Großvater.
Die Mutter beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben.
Die Großeltern beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie meinen, die Ausführungen der Beschwerdeführerin belegten, dass diese nicht bereit sei, die fachlichen Vorgaben des Sachverständigengutachtens vom 9.6.2012 umzusetzen, was eine Rückführung I…s ausschließe. Tatsächlich zeige die Mutter sprunghaftes, z. T. körperlich aggressives, Verhalten („Beinstellen“ gegenüber der Großmutter am 21.8.2012) und akzeptiere insbesondere ihre eigene Überforderung im Umgang mit dem Kind nicht; eine Verhaltens- oder Persönlichkeitsänderung, die eine Rückkehr des Kindes zur Mutter rechtfertige, sei gerade nicht eingetreten; vielmehr sei dessen Verbleib bei den Großeltern im Interesse des Kindes und der Stabilisierung seiner Lebenssituation unumgänglich; die Mutter erkenne nicht durchgängig die Notwendigkeit therapeutischer Begleitung, wie das auch der Sachverständige eingeschätzt habe; sie empfinde Hilfsangebote der Großeltern als gegen sich gerichtet und verweise auf „ihr Sorgerecht“, wenn gegen spontane Umgangsforderungen Einwände erhoben werden würden; sie nehme die Hilfsangebote des Jugendamtes nicht an und sei zu keiner unterstützenden Therapie bereit gewesen, weshalb die Notwendigkeit einer Sorgerechtsentziehung fortbestehe. Jedenfalls aber solle das Kind solange in ihrer, der Obhut der Großeltern, verbleiben, bis die Mutter sich psychisch gefangen und regelmäßige, auch längere, Umgangskontakte mit dem Kind erfolgreich absolviert habe.
Der Verfahrensbeistand des Kindes schätzt ein, I… solle ihren gewöhnlichen Aufenthalt bis auf weiteres bei den Großeltern behalten; das Kind fühle sich dort wohl, genieße aber auch die Umgangskontakte mit der Mutter; einer Rückkehr zur Mutter, die einsehe, mit ihren Eltern in Kontakt bleiben zu müssen, dies aber nicht wolle, weil sie sich selbst beweisen und für ihre Tochter da sein wolle, stünden derzeit die bei ihr diagnostizierten, weiter behandlungsbedürftigen Krankheitsbilder sowie die notwendige weitere Kontinuität und Stabilität für das Kind entgegen. Im Interesse des Kindes werde empfohlen, eine Umgangspflegschaft einzurichten; die positive Beziehung I…s zur Mutter solle dadurch gefördert werden und die Beteiligte zu 3. schrittweise wieder Verantwortung für das Kind übernehmen.
Das Jugendamt des Landkreises hat sich sinngemäß dahingehend geäußert, die Kindesmutter, die dort seit Mai 2012 persönlich bekannt sei, habe mehrfach Hilfsangebote abgelehnt und die in ihrem Beisein am 9.3.2012 und 21.8.2012 stattgefundenen, von ihr nicht abgesagten, Termine hätten in einer stimmungsgeladenen Atmosphäre stattgefunden, wobei die Mutter verbal aggressiv aufgetreten sei und ultimativ die Rückführung der Tochter verlangt habe; erst als die Vermittlungsbemühungen gescheitert seien, hätten die Großeltern das vorliegende Verfahren eingeleitet; die Kindesmutter unterstelle den Jugendamtsmitarbeitern Kumpanei mit dem Beteiligten zu 1. und habe der Beteiligten zu 2. in den Büroräumen ein Bein gestellt, sodass diese sich verletzt habe; deswegen hätten die Großeltern einen Antrag auf begleiteten Umgang gestellt, den die Mutter indes ablehne; am 28.9.2012 sei es erneut seitens der Kindesmutter zu keiner Einigung über eine das Umgangsrecht umfassenden Zielvereinbarung gekommen; der Kindesvater, der den Kontakt zu seinem Kind ablehne, sei insofern nicht einbezogen worden. Es sei angezeigt, das Kind bei den Großeltern zu belassen und der psychisch noch nicht gefestigten Mutter insbesondere das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht der Gesundheitssorge, das Antragsrecht gemäß § 27 SGB VIII sowie im Hinblick auf die bevorstehende Einschulung des Kindes das Recht der Regelung von schulischen bzw. die Kindereinrichtungen betreffenden Angelegenheiten zu entziehen.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
Mit weitergehendem Beschluss in anderer Sache vom 20.9.2012 – 5 F 205/12 – hat das Amtsgericht Rathenow die Großeltern auf ihren Antrag hin als Vormünder für I… R… entlassen und stattdessen das Jugendamt des Landkreises U… zum Amtsvormund bestellt. Diese Maßnahme hat dazu geführt, das Konfliktpotential zwischen den Verfahrensbeteiligten zu reduzieren.
Der Senat hat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens den Vater, die Mutter, die Großeltern, den Verfahrensbeistand und zwei Vertreterinnen des Jugendamtes persönlich angehört sowie den Sachverständigen Dr. W… vernommen. Insoweit wird auf den Anhörungsvermerk zum Senatstermin vom 29.10.2012 verwiesen.
II.
Die Beschwerde der Mutter ist teilweise begründet. Die angefochtene Entscheidung unterliegt insoweit der Abänderung, als nur die in der Beschlussformel bezeichneten Teilbereiche der elterlichen Sorge zu entziehen und einem Pfleger zu übertragen sind, während es im Übrigen bei der elterlichen Sorge der Beteiligten zu 3. verbleiben muss.
Nach § 1666 Abs. 1 BGB kann dem Sorgeberechtigten die elterliche Sorge entzogen werden, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes durch deren missbräuchliche Ausübung, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet wird, sofern der Erziehungsberechtigte nicht in der Lage ist, die Gefahr abzuwenden, d.h. die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dabei sind Maßnahmen, die mit einer Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden sind, nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise begegnet werden kann, § 1666 a BGB.
Maßstab für die zu treffende Entscheidung ist das Wohl des Kindes, mithin der umfassende Schutz des in der Entwicklung befindlichen jungen Menschen. Eine Gefährdung des Kindeswohls liegt stets vor, wenn das Kind bereits einen Schaden erlitten hat. Sie ist aber auch dann anzunehmen, wenn die begründete Besorgnis besteht, dass bei Nichteingreifen des Gerichts das Wohl des Kindes, d.h. seine körperliche bzw. geistige Entwicklung bzw. sein Eigentum und Vermögen, beeinträchtigt würde (OLG Nürnberg FamRZ 1981, 707; OLG Brandenburg FamRZ 2008, 1557). Allerdings muss es sich um eine gegenwärtige erhebliche Gefahr handeln, die bei unveränderter Weiterentwicklung der Verhältnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit den Eintritt einer Schädigung befürchten lässt (BVerfG FamRZ 2010, 713; OLG Celle FamRZ 2003, 1490). Die begründete Besorgnis einer Schädigung entsteht regelmäßig aus in der Vergangenheit liegenden Vorfällen, wobei ein einzelnes Fehlverhalten regelmäßig nicht ausreicht (OLG Stuttgart NJW 1985, 68). Auf Seiten des Sorgeberechtigten ist zudem kein Missbrauch der elterlichen Sorge notwendig. Es genügt, dass dieser das Kind vernachlässigt, d.h. ausreichende Maßnahmen, die unter Berücksichtigung der sozialen, kulturellen und ökonomischen Situation der Familie eine ungestörte und beständige Erziehung, Beaufsichtigung und Pflege des Kindes im Familienverband gewährleisten sollen, unterlässt (vgl. Rotax/Rotax, Praxis des Familienrechts, 3. Aufl., Teil 4 Rz. 456). Möglich ist auch ein unverschuldetes Versagen der Eltern, wobei mit dem entsprechenden Auffangtatbestand bezweckt wird, akute und schwerwiegende Gefährdungen des körperlichen und seelischen Wohls des Kindes abzuwehren. Die Gründe für das elterliche Versagen sind dabei unerheblich (OLG Brandenburg FamRZ 2008, 1556).
Liegen die skizzierten Voraussetzungen vor, hat das Gericht die zur Gefahrenabwehr erforderlichen und geeigneten Maßnahmen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu treffen. Das Elternrecht einerseits und die Menschenwürde des Kindes sowie dessen Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit andererseits sind in diesem Rahmen gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerfGE 24, 119 ff).
Unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze sind der Mutter nur die in der Beschlussformel genannten Teilbereiche der elterlichen Sorge zu entziehen.
Eine Gefährdung des Wohls des Kindes I… liegt vor. Die Beteiligte zu 3. leidet an einer massiven depressiven Störung, die Krankheitswert besitzt und eine fortdauernde ambulante psychische Behandlung sowie die Einnahme von Medikamenten, die die Wiederaufnahme von Serotonin hemmen, notwendig macht. Aufgrund dieser chronischen, unbehandelt episodenhaft in schweren Schüben auftretenden Erkrankung hat sich die Mutter jedenfalls bis in die jüngste Vergangenheit nicht in der Lage gezeigt, in der erzieherisch gebotenen Weise auf die Belange I…s einzugehen, vor allem für eine kontinuierliche Betreuung unter Berücksichtigung der objektiven Kindesinteressen zu sorgen. Im Gegenteil stellte sie weder den kontinuierlichen Besuch des Kindes in der Kindereinrichtung sicher, noch reagierte sie zu jeder Zeit angemessen auf die Wünsche und Bedürfnisse I…s. Ihr gelang es, wie der vom Senat gehörte Sachverständige Dr. W… überzeugend ausgeführt hat, phasenweise nicht, eigene Interessen zurückzustellen, soweit dies dem Kindeswohl förderlich gewesen wäre, nämlich eine kontinuierliche Versorgung und Betreuung I…s sichergestellt hätte. Ihr Wunsch nach eigenen, auch abendlichen und nächtlichen Freizeitaktivitäten war stärker als der, sich in der erzieherisch gebotenen Weise mit den Belangen des Kindes zu beschäftigen. Da ihr zudem eine vorausschauende Tages- sowie Terminplanung nicht gelang, mussten die Großeltern häufig spontan tätig werden und I… in Obhut nehmen. Umgekehrt verlangte die Beschwerdeführerin das Kind zur Unzeit heraus und trug Konflikte mit ihren Eltern in Gegenwart des Kindes aus. Die Beschwerdeführerin zeigte im Zuge ihrer Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. W… zudem erhöhte Werte einer emotional instabilen und paranoiden Persönlichkeit, so dass dieser einschätzte, die Ausprägungen ihrer Erkrankung würden eher noch zunehmen können, wobei es unerlässlich sei, dass die Beteiligte zu 3. durch Klärung der medikamentösen und therapeutischen Intervention dafür Sorge trage, dass die Wahrscheinlichkeit rezidivierender depressiver Zustände deutlich verringert werde. Insbesondere die erzieherische Nichteignung der Eltern bzw. des (personen)sorgeberechtigten Elternteils wegen bestehender erheblicher psychischer Erkrankungen (OLG Stuttgart FamRZ 2010, 1090; OLG Karlsruhe JAmt 2001, 192; BayObLG FamRZ 1997, 956; OLG Düsseldorf FamRZ 2010, 308) kann aber staatliche Eingriffe nach § 1666 BGB rechtfertigen bzw. notwendig machen.
Die persönliche Situation der Kindesmutter hat sich bislang erst ansatzweise stabilisiert. Sie hält sich an die Medikationsvorgaben und hat sich in ambulante tiefenpsychologische Behandlung begeben, die erste Erfolge im Hinblick auf berufliche Belange und den Aufbau von Alltagsstrukturen zeitigt, wie der sie behandelnde Diplompsychologe K… mit Schreiben vom 15.10.2012 eingeschätzt hat. Gleichwohl ist damit – auch angesichts der erst verhältnismäßig kurzen Therapiedauer – noch keine dauerhafte Besserung, d.h. ein ausreichendes Maß an Verlässlichkeit der Beteiligten zu 3. im Hinblick auf ihre Erziehungspflichten, erreicht. Vor allem ist es ihr bislang nicht gelungen, das Verhältnis zu den Beteiligten zu 1. und 2., ihren Eltern, grundlegend zu entspannen, obwohl dies bereits angesichts der Tatsache wünschenswert gewesen wäre, dass diese I… nach den bisherigen Planungen des Jugendamtes weiterbetreuen und mit ihnen deshalb gegenseitige Kontakte stattfinden werden sowie bindende Absprachen zu treffen sein werden. Aus alledem ergibt sich, dass das Wohl des Kindes gefährdet wäre, wenn die Mutter die elterliche Sorge uneingeschränkt ausübte. Sie leidet – unverschuldet – an einer Erkrankung, die es ihr jedenfalls derzeit, solange sie noch nicht den Umgang mit ihr nachhaltig verinnerlicht und keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen hat, die die Gefahr künftig auftretender erneuter heftiger Krankheitsschübe bereits jetzt weitestgehend minimieren, noch immer nicht mit hinreichender Sicherheit ermöglicht, auf die Belange I…s hinreichend einzugehen und ihren Erziehungspflichten in einer dem Kindeswohl entsprechenden Weise uneingeschränkt nachzukommen. Insofern ist ihr, zumal weniger einschneidende Maßnahmen noch nicht in Betracht kommen, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für I… zu entziehen.
Neben dem Aufenthaltsbestimmungsrecht ist der Mutter auch das Recht der Gesundheitsfürsorge zu entziehen. Denn sie ist aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur jedenfalls bisher nicht ausreichend dazu in der Lage gewesen, die gesundheitlichen Belange I…s wahrzunehmen. Das zeigte sich bereits daran, dass sie den das Kind betreffenden terminlichen Verpflichtungen nicht immer regelmäßig nachgekommen, zu einer vorausschauenden Terminsplanung nicht in der Lage gewesen ist und die Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zeitweilig in den Vordergrund gestellt hat. Diese Umstände stellen aber ihr Vermögen nachhaltig in Zweifel, auf eventuelle akut auftretende gesundheitliche Probleme I…s – wie erforderlich -angemessen sowie zeitnah zu reagieren. Hinzu kommt, dass sie den Umgang mit dem Kind und die damit verbundenen Alltagsverpflichtungen erst wieder einüben muss, wächst I… doch seit nunmehr fast zwei Jahren fast ausschließlich im Haushalt der Großeltern auf. Vor diesem Hintergrund ist es darüber hinaus geboten, die Entscheidungen über die Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger zu übertragen.
Schließlich ist der Beteiligten zu 3. das Recht der Bestimmung der Schule, des Horts und des Kindergartens sowie der erforderlichen An- und Abmeldung zu entziehen. Auch insoweit kann nämlich angesichts der bereits dargelegten unverschuldeten erzieherischen Defizite in der Person der Beschwerdeführerin noch nicht davon ausgegangen werden, dass diese sich um die im Zusammenhang mit der anstehenden Einschulung I…s erforderlichen Entscheidungen in einem dem Kindeswohl I…s entsprechenden Umfang kümmern und ihren Pflichten sachgerecht nachkommen wird, zumal ihr wegen der bislang eher sporadischen und nur kurzzeitigen Kontakte mit I… und der bestehenden Kommunikationsdefizite mit den die Belange des Kindes bislang nahezu ausschließlich wahrnehmenden Großeltern die in diesem Zusammenhang erforderlichen Entscheidungsgrundlagen fehlen.
Weitergehende Maßnahmen sind im Interesse des Kindeswohls hingegen nicht geboten. Die angegriffene Entscheidung bleibt in diesem Umfang eine tragfähige, nachvollziehbare Begründung schuldig. Es sind bislang gerade keine Tatsachen bekannt geworden, die den Rückschluss darauf zuließen, die Beschwerdeführerin sei nicht willens oder dazu in der Lage, den Belangen der Vermögenssorge im Sinne I…s nachzukommen oder verweigere trotz der insofern bestehenden Defizite schlechterdings die Annahme jeglicher erzieherischer Hilfen oder Ratschläge zum Nachteil des Kindes. In diesem Zusammenhang zeitweilig entstandene Schwierigkeiten sind augenscheinlich einem, wenn auch unbegründeten, Vertrauensverlust geschuldet gewesen und konnten zwischenzeitlich offenbar verringert werden. Weshalb Gründe des Kindeswohls den Entzug der elterlichen Sorge insgesamt rechtfertigen sollten bzw. welche weitergehenden konkreten, nicht anders abwendbaren Gefahren für I… aus der mangelhaften Interaktion der Mutter mit dem Jugendamt konkret erwachsen sollten, erschließt sich danach unter Berücksichtigung der auf Seiten der Beschwerdeführerin streitenden Grundrechte gerade nicht.
Zur Ausübung der der Mutter entzogenen Teilbereiche der elterlichen Sorge für I… ist dem Kind ein Ergänzungspfleger zu bestellen (§ 1909 BGB). Eine Übertragung der Teilbereiche auf den Vater (§ 1680 Abs. 2 S. 2 BGB) scheidet aus, da dies dem Wohl des Kindes nicht entspräche. I… hat seit Jahren nahezu keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater, der Umgangskontakte mit ihr aufgrund des zerrütteten Verhältnisses zur Beschwerdeführerin, der er aus dem Wege geht, ablehnt. Er ist mithin in der Erziehung des Kindes nicht erprobt, und es ist auch nicht zu erwarten, dass die Eltern in dem notwendigen Umfang das Kind betreffend miteinander kommunizieren werden. Zwischen Vater und Tochter bestehen keine nennenswerten Bindungen, und es entspricht dem Kindeswohl besser, dieses weiter in seiner vertrauten Umgebung aufwachsen zu lassen. Hinzu kommt, dass er nach seinen Angaben vor dem Senat nicht bereit ist, die Tochter in Obhut zu nehmen, solange sie Kontakt zu ihrer Mutter hat.
Die Ausführungen der Großeltern in dem Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten rechtfertigen keine andere Entscheidung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG.
Der Beschwerdewert beträgt 3.000,- Euro (§ 45 Abs. 1 FamGKG).